| # taz.de -- Drogen und Obdachlosigkeit in Hannover: Beachfeeling in der Problem… | |
| > Hannover versucht das Elend auf den Plätzen hinterm Hauptbahnhof in den | |
| > Griff zu kriegen – aber das ist zäh. Hängen bleiben am Ende eher die | |
| > Events. | |
| Bild: Treffpunkt von Obdachlosen und Suchtkranken: Raschplatz am Hauptbahnhof H… | |
| Hannover taz | Am Ende reden wieder alle nur über Beachvolleyball – und die | |
| Frage, wer da wohl die ganzen [1][Spritzen und Glasscherben] aus dem Sand | |
| fischen muss. Mit einem Sportevent soll der Raschplatz – das fürchterliche | |
| Loch hinter Hannovers Hauptbahnhof – in diesem Sommer belebt werden. | |
| Dabei soll es auch eine Sandfläche und Liegestühle geben, vor allem aber | |
| Sportgeräte und Spielfelder für Vereine und alle, die mitmachen wollen. Die | |
| ansässigen Gastronomen sind nicht abgeneigt, in der lokalen Politik und | |
| Medienlandschaft wird aber schon mal geunkt und gespottet. | |
| Dabei ist das doch nur ein kleiner Mosaikstein in einem viel größeren Plan, | |
| versucht Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) klar zu machen. Mit | |
| dem Plan versucht die Stadt, die verrufenen Plätze hinter dem Bahnhof | |
| wieder begehbar, bespielbar, anziehend zu machen. | |
| Denn auf denen hat Hannover natürlich [2][die gleichen Probleme wie andere | |
| Großstädte auch:] Hier versammeln sich Obdachlose und Suchtkranke aller | |
| Art. In der Pandemie sind die Zahlen noch einmal in die Höhe geschossen. | |
| ## Es soll nicht um Vertreibung gehen | |
| Sie stehen oder liegen in kleinen Gruppen an den Nebeneingängen des | |
| Bahnhofs, in der Unterführung, die zur U-Bahn führt, an den Rändern des | |
| Raschplatzes, Andreas-Hermes-Platzes und Weiße-Kreuz-Platzes, die allesamt | |
| städtebaulich ohnehin keine Highlights sind: mehr zugige Transferflächen | |
| und gigantische Hundeklos, trotz diverser Versuche sie aufzuhübschen. | |
| Dass sich diese Szene in Hannover noch einmal besonders ballt, liegt auch | |
| daran, dass es eben an den großen Transportachsen vom Norden in den Süden, | |
| vom Osten in den Westen liegt. „Die Menschen bleiben hier hängen, sie | |
| wollen hier nicht unbedingt sein“, konstatiert Oberbürgermeister Onay | |
| nüchtern. Er sagt aber auch: Es gehe ihm nicht um Vertreibung. „Wir sind | |
| eine Großstadt und auch diese Menschen sind Teil dieser Stadt.“ | |
| Vielen Hannoveranern scheint das Ausmaß des gerade noch erträglichen aber | |
| schon länger überschritten, und auch die Hilfseinrichtungen im | |
| Bahnhofsumfeld beklagen ihre Überlastung. Besonders zwei Problemfelder: Da | |
| ist zum einen die wachsende Zahl der Crackabhängigen. Die sind unruhiger, | |
| unberechenbarer und oft auch aggressiver als Trinker und Heroinabhängige, | |
| sagen die Sozialarbeiter vor Ort, genauso wie die Obdachlosen in den | |
| Befragungen der Stadt. | |
| Das Hilfssystem ist aber kaum auf sie eingestellt. Die Stadt verhandelt | |
| jetzt mit Polizei und Staatsanwaltschaft, um – ähnlich wie bei | |
| Heroinabhängigen – Räume für den geduldeten Konsum schaffen zu können. | |
| Außerdem möchte sie sich einem Modellversuch anschließen, das versucht | |
| Substitutionsmöglichkeiten mit medizinischem Cannabis zu erforschen. | |
| ## Mehr Hilfe für soziale Hilfe | |
| Das andere große Problem sind die zahlreichen Gestrandeten aus den | |
| osteuropäischen Beitrittsländern, die hier durch alle Maschen des sozialen | |
| Netzes fallen. Viele sind zum Arbeiten gekommen und dann irgendwann auf der | |
| Straße gelandet – Ansprüche auf Sozialleistungen haben sie oft nicht. „Wir | |
| haben bei den Ampel-Koalitionsverhandlungen in Berlin mehrfach versucht, | |
| das Thema zu adressieren“, sagt Onay, der als Unterhändler dabei war. „Da | |
| war nichts zu machen.“ | |
| Zu groß ist die Angst vor einer Einwanderung in die | |
| Sozialversicherungssysteme. Die Kommunen können in solchen Fällen nicht | |
| mehr machen als Notschlafstellen anzubieten – und auch die müssen besser | |
| werden. | |
| „Wir wissen, dass Massenunterkünfte wie die am Alten Flughafen oft gemieden | |
| werden und schaffen jetzt Plätze mit mehr Privatsphäre, in Einzelzimmern“, | |
| so Onay. Doch auch hier verstreicht viel Zeit, bevor es der Stadt gelingt, | |
| passende Immobilien aufzutreiben und die notwendigen Umbaumaßnahmen in die | |
| Wege zu leiten. | |
| Das gilt auch für die Bestrebungen, den bestehenden Anlaufstellen – dem | |
| Kontaktladen Mecki und dem Konsumraum Stellwerk – bessere und größere | |
| Räumlichkeiten zu verschaffen. Damit einher geht die Hoffnung, die Szene | |
| zumindest ein bisschen zu entzerren, auch wenn man sie nie aus der | |
| Bahnhofsnähe weg bekommen wird. Gleichzeitig glaubt man, zumindest einen | |
| Teil der Menschen in neue, dezentrale Unterkünfte und Tagescafés lotsen zu | |
| können. | |
| Denn noch eines ist bei der Bestandsaufnahme klar geworden: Das bestehende | |
| Angebot muss besser koordiniert und aufeinander abgestimmt werden. Rund um | |
| den Raschplatz tummeln sich allein drei bis vier ehrenamtliche Initiativen, | |
| die zu unterschiedlichen Zeiten Essen und Lebensmittel ausgeben. | |
| Die Wohlfahrtsverbände haben mit unterschiedlichen Stundenkontingenten und | |
| unterschiedlichen Zielsetzungen Streetworker im Einsatz, die aber immer nur | |
| punktuell Spritzen verteilen oder Hinweise auf Hilfsangebote geben können. | |
| Da ist möglicherweise zu viel outgesourct und über die Träger abgewickelt | |
| worden, deshalb plant die Stadt nun selbst wieder vier Sozialarbeiter | |
| anzustellen, die hier auf der Straße unterwegs sein sollen. | |
| [3][Das alles ist kleinteilig und kompliziert], hat viele Sitzungen an | |
| Runden Tischen und Einzelgespräche erfordert, weil man es eben auch immer | |
| wieder mit unterschiedlichen Verantwortungsebenen und Kostenträgern zu tun | |
| hat: Für viele Sozialleistungen ist eigentlich die Region zuständig, für | |
| Geflüchtete das Land, für die suchtmedizinische und psychiatrische | |
| Versorgung auch noch der Bund und die kassenärztliche Vereinigung. | |
| Im Vergleich dazu erscheint die Umgestaltung und das Bespielen der Plätze | |
| einfacher – immerhin gibt es dafür auch schon Fördermittel und | |
| Rückstellungen im Haushalt. Und Onay und sein Team müssen aufpassen, dass | |
| ihm die einzelnen Mosaiksteinchen des großen Planes nicht so sehr | |
| durcheinander kullern, dass am Ende nichts mehr passt. | |
| Dabei ist er in dieser Hinsicht ja schon ein gebranntes Kind: Auch bei | |
| seinen „Experimentierräumen“, bei denen es um andere Plätze in der | |
| Innenstadt und die Verkehrswende ging, wurde am Ende mehr darüber | |
| geschrieben und geredet, welche Straßen dafür nun wieder gesperrt wurden | |
| und welche Kletterseile an der Marktkirche ungenutzt im Wind baumelten, als | |
| über die verkehrspolitischen Konzepte dahinter und die Kooperationen, die | |
| daraus entstanden sind. | |
| 11 Feb 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nadine Conti | |
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