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# taz.de -- Todesfälle von wohnungslosen Menschen: Unsichtbare Leichen
> Wohnungslose Menschen werden immer wieder Opfer von tödlicher Gewalt.
> Eine taz-Recherche rekonstruiert die bestätigten Todesfälle von 2022.
Bild: Beliebt, da zumindest trocken: Lager von Wohnungslosen unter einer Brück…
Mindestens 16 [1][wohnungslose Menschen] wurden 2022 in Deutschland
getötet. Grundlage für die Recherchen der taz waren Daten der
Bundesarbeitsgemeinschaft [2][Wohnungslosenhilfe e. V.] Jedes Jahr sammelt
der Verein in einer systematischen Medienanalyse die Gewaltfälle gegen
wohnungslose Menschen in Deutschland. Dabei werden alle Fälle aufgelistet,
über die in regionalen und überregionalen Medien berichtet wird.
[3][Wohnungslose Menschen] werden bespuckt und beschimpft, ihre
Schlafplätze werden angezündet, sie werden Opfer von Raubüberfällen,
Farbattacken oder Messerattacken. Viele der Taten bleiben straffrei. Die
BAG Wohnungslosenhilfe e. V. kommt auf eine dreistellige Zahl an
Gewaltvorfällen für das Jahr 2022. Klar ist, dass die Dunkelziffer deutlich
höher ist, weil über viele Gewalttaten nicht berichtet wird.
[4][Die tödlichen Gewalttaten] der Dokumentation hat die taz recherchiert
und mit zuständigen Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften gesprochen.
Nicht immer gab es in der Recherche eindeutige Ergebnisse.
Wie im Fall eines 64-jährigen obdachlosen Mannes in Berlin. Dieser sollte
im September von Polizisten aus einem Heim in ein Krankenhaus verlegt
werden, dabei brach er zusammen, fiel ins Koma und starb kurz darauf im
Krankenhaus. Der Fall wurde im Kommissariat für Beamtendelikte im
Landeskriminalamt untersucht. Der Opferverband ReachOut wirft der Polizei
brutale Gewalt im Umgang mit dem Schwarzen Mann vor und beruft sich dabei
auf Zeugenaussagen.
Die Polizeipräsidentin Barbara Slowik sagte damals, der Mann sei
„unerwartet kollabiert“. Auf Anfrage der taz sagt die Berliner
Staatsanwaltschaft heute, dass eine Leichenschau „keine Anhaltspunkte für
ein Fremdverschulden“ ergeben habe. Die Todesursache bleibt ungeklärt. Der
Fall taucht deswegen nicht in der Dokumentation der taz auf.
Die dokumentierten Fälle zeigen tödliche Gewalt in Obdachlosenunterkünften,
bei Polizeieinsätzen oder auf der Straße. Die Täter*innen sind selbst
wohnungslose Menschen, Verwandte oder bislang Unbekannte. Sie zeigen, dass
das Leben von obdachlosen Menschen nicht sicher ist.
Nicht nur Gewalt durch Behörden und andere Menschen sind eine Gefahr für
sie. Hitze, Kälte, Drogen oder unbehandelte Krankheiten und eine Politik,
die sie nicht davor schützt, können zum Tod führen. Wie viele wohnungslose
Menschen 2022 durch diese Umstände gestorben sind, ist nicht bekannt.
1. Frankfurt am Main: Am 22. Januar wird auf einem Brachgelände am
Frankfurter Ostbahnhof in einem Wohnwagen die Leiche einer 40-jährigen Frau
gefunden. Ermittlungen der Polizei ergeben, dass sie vor der Tötung Opfer
sexualisierter Gewalt wurde. Der 38-jährige Tatverdächtige ist ebenfalls
wohnungslos und sitzt seit einem Jahr in Untersuchungshaft. Einen
Prozesstermin hat das Gericht bislang nicht anberaumt.
2. Frankfurt am Main: Am 12. März stirbt ein 45-jähriger Mann an
schwerwiegenden Schädelverletzungen. Seine Leiche wird gut eine Woche nach
der Tötung in einem Barackenlager gefunden. Ein 44-jähriger ebenfalls
wohnungsloser Mann soll ihn im Streit mit einem oder mehreren Gegenständen
geschlagen haben. Er konnte im Dezember festgenommen werden und sitzt
seitdem in Untersuchungshaft. Die wegen des Verdachts des Totschlags
geführten Ermittlungen dauern an.
3. Sigmaringen: Am 18. März tötet ein 60-jähriger Mann in einer
Obdachlosenunterkunft einen 28-jährigen Mann mit einem Messer. Zuvor war es
zum Streit zwischen den zwei Männern, die beide in der Unterkunft lebten,
gekommen, es ging dabei auch um zu laute Musik. Gegen den Täter ist wegen
Totschlags eine Gefängnisstrafe von zehn Jahren verhängt worden, er sitzt
in Haft.
4. Neuss: Am 22. April wird in einem provisorischen Nachtlager die Leiche
eines 31-jährigen mit zwei Stichwunden in der Brust gefunden. Tatverdächtig
ist ein 18-Jähriger, der zuerst als Zeuge auftrat und einen anderen Mann
belastete. Im Zuge der Ermittlungen verdichtete sich die Beweislage gegen
den jungen Mann. Es wurde ein Haftbefehl gegen den ebenfalls Wohnungslosen
erwirkt, das Motiv ist noch Gegenstand der laufenden Ermittlungen.
5. Düsseldorf: Am 26. April wird im Parkhaus am Flughafen Düsseldorf die
Leiche eines obdachlosen Menschen entdeckt. Die Obduktion legt eine
Gewalttat nahe. Ein Tatverdächtiger konnte bislang nicht ermittelt werden,
das Motiv ist unklar. Die Ermittlungen dauern an.
6. Berlin: Ein 39-jähriger Mann stirbt am 27. April nach einem
Polizeieinsatz in Treptow-Köpenick. Bei einer „Durchsetzung eines
Aufenthaltsverbots“ in einem Hausdurchgang eine Woche zuvor fixierten
Beamte den Mann am Boden und setzten Pfefferspray ein, nachdem dieser sich
gewehrt hatte. Das Verfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung wurde
eingestellt, die Ermittlungen kamen zum Schluss, dass der Einsatz des
Pfeffersprays wegen einer „Notwehrlage“ gerechtfertigt war.
7. + 8. Offenburg: Am 31. Juli soll eine 44-jährige Frau in einem
städtischen Obdachlosenheim ihre Schwester und ihre Tochter mit
verschiedenen Küchenutensilien getötet haben. Dem war ein Streit
vorausgegangen. Die Staatsanwaltschaft hat wegen des Vorwurfs des
zweifachen Totschlags Anklage vor dem Landgericht Offenburg erhoben.
9. Frankfurt am Main: Am 2. August soll ein 23-jähriger Mann bei einem
Polizeieinsatz im Frankfurter Bahnhofsviertel getötet worden sein. Der Mann
soll mit einem Messer mehrfach auf einen Diensthund eingestochen haben. Er
verstarb nach einem Schuss noch am Tatort. Die Ermittlungen gegen den
Polizeibeamten wegen des Verdachts des Totschlags geführten Ermittlungen
dauern noch an.
10. Köln: Am 3. August stirbt ein 48-jähriger Mann bei einem Polizeieinsatz
im Zuge einer Zwangsräumung. Die Ermittlungen wurden eingestellt, „da der
Schusswaffeneinsatz der Polizeibeamten durch das Notwehrrecht
gerechtfertigt war“. Der Mann war mit einem Messer bewaffnet.
11. Dillingen: Am 6. Oktober wird ein 45-jähriger wohnungsloser Mann tot in
der Wohnung des Vaters der mutmaßlichen Täterin gefunden. Die 39-jährige
Tatverdächtige soll nach einem Streit mit einem Messer auf ihn eingestochen
haben, er starb noch am Tatort. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen
Totschlags erhoben.
12. Düsseldorf: Am 10. Oktober wird ein obdachloser Mann bewusstlos an
einer Unterführung im Stadtteil Benrath gefunden, kurz darauf stirbt er im
Krankenhaus. Eine Obduktion ergab, dass „äußere Einwirkungen auf den
Körper“ zum Tod geführt haben. Die Ermittlungen dauern an.
13. Krefeld: Am Abend des 28. November wurde ein 42-jähriger Mann in der
Innenstadt durch einen Schuss in den Hinterkopf getötet. Die Polizei
fahndet nach zwei Männern. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.
14. Mannheim: Am 10. Dezember entdeckt ein Passant die Leiche eines
37-jährigen Mannes in der Nähe des Neckarufers. Im Rahmen einer Obduktion
wurden Hinweise auf eine Fremdeinwirkung durch stumpfe Gewalt bestätigt.
Tatverdächtig ist ein ebenfalls obdachloser 25-jähriger Mann, er befindet
sich in Untersuchungshaft und äußert sich nicht zu den Vorwürfen. Ein Motiv
ist nicht bekannt.
15. Kehl: Am 22. Dezember wird ein 45-jähriger Mann in einer
Obdachlosenunterkunft in Kehl getötet. Die Tatverdächtige ist eine
46-jährige Frau, ein Motiv steht bislang nicht fest. Die Ermittlungen
laufen derzeit noch.
16. Berlin: Am 21. Dezember wurde in einem leer stehenden Schwimmbad in
Berlin-Mitte die Leiche eines 40-jährigen Mannes gefunden. Eine
Mordkommission ermittele wegen des Verdachts einer Körperverletzung mit
Todesfolge. Die Ermittlungen laufen.
16 Feb 2023
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## AUTOREN
Carolina Schwarz
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