# taz.de -- Polizei am Bremer Hauptbahnhof: Schieben und abschieben | |
> Bremens Innensenator räumt ein, dass seine Vertreibungspolitik gegen die | |
> Drogenszene am Bahnhof erfolglos ist. Dennoch setzt er auf mehr vom | |
> Gleichen. | |
Bild: Nicht alle sind am Bremer Hauptbahnhof gern gesehen: Süchtige will der I… | |
BREMEN taz | [1][Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD)] hat der | |
Drogenszene in der Innenstadt den Kampf angesagt: Ganze 2.996 | |
Einsatzstunden hat seine Polizei in den vergangenen sechs Wochen rund um | |
den Hauptbahnhof verbracht, sie hat 1.293 Personen kontrolliert, 175 | |
Strafanzeigen erstattet. | |
Schon im Sommer [2][hatte es Großkontrollen und Sondereinsätze gegeben,] | |
mit Platzverweisen und allem Pipapo. Sogar eine Fußgängerbrücke hatte die | |
Innenbehörde für drei Monate sperren lassen: Dort brauchte dann zwar kein | |
Bürger mehr Angst vor Süchtigen zu haben, aber es konnte sie eben auch | |
niemand benutzen. | |
Dennoch heißt es in der aktuellen Vorlage für eine Sitzung der | |
Innendeputation am gestrigen Mittwoch: „Eine merkliche Verbesserung ist | |
jedoch trotz dieses hohen Aufwandes nicht eingetreten, da die zum Teil sehr | |
schwer suchterkrankten Menschen kaum Verhaltensänderungen aufzeigten.“ | |
Eine Überraschung ist das Scheitern für Fachleute nicht: Die Leiterin der | |
Drogenberatungsstelle „Comeback“, Cornelia Barth, hatte schon beim groß | |
inszenierten Aufschlag im Sommer prognostiziert, dass die | |
Konsument*innen bleiben würden: Rund um den Bahnhof finden Süchtige | |
ihre Dealer. Und auch die offiziellen Hilfsstrukturen der Stadt wie der | |
Szenetreff „Käfig“ sind dort verortet. „Aber selbst unabhängig von | |
Hilfsangeboten werden sich Menschen in der Mitte der Stadt treffen“, so | |
Barth. | |
## Zuckerbrot und Peitsche, Schieben und Ziehen | |
Dass auch Innensenator Mäurer den Erfolg seiner Hundertschaften im | |
Nachhinein als eher gering einschätzt, ändert zumindest für sein Ressort | |
nichts an der grundsätzlichen Strategie. Mäurer spricht nun vom „Schieben | |
und Ziehen“ – wobei sein Ressort [3][beim Schieben bleiben möchte.] | |
Fürs Ziehen sind andere verantwortlich, Gesundheits- und Sozialressort | |
etwa. Seit Mittwoch gilt rund um den [4][schon länger bestehenden | |
Drogenkonsumraum] an der Friedrich-Rauers-Straße, 500 Meter vom Bahnhof | |
entfernt, ein sogenannter Akzeptanzort. | |
Zum Start sind Poller zur Verkehrssicherung gesetzt, der Müll ist | |
beseitigt, Bänke sind aufgestellt. „Ich will nicht sagen, dass das ein | |
attraktiver Ort ist“, sagt Daniel Heinke, Leiter der Abteilung für | |
öffentliche Sicherheit im Innenressort, „aber es kann ein akzeptierter Raum | |
werden, ein vernünftiger Ort für die Zielgruppe.“ | |
Die Hauptattraktion, die Drogensüchtige anziehen soll, sind freilich nicht | |
die Bänke, nicht die sozialen Angebote, auch nicht das Essensangebot, das | |
hier eventuell noch aufgebaut wird; die Hauptattraktion ist vielmehr: | |
Drogennutzer*innen werden im Akzeptanzraum nicht kontrolliert, nicht | |
genervt und nicht vertrieben. Polizei und Ordnungsamt schauen weg. | |
## Dealer sollen abgeschoben werden | |
Neben diesem offensiven Ignorieren sieht das Innenressort seine eigene | |
Aufgabe aber vor allem unvermindert im Schieben – sprich: im Verdrängen. So | |
wurde am Hauptbahnhof trotz der bisherigen Misserfolge auch am vergangenen | |
Wochenende wieder ein großer Sondereinsatz gefahren: Von Freitag bis | |
Sonntag wurden laut Polizei „unzählige Personen“ rund um den Hauptbahnhof | |
überprüft. | |
Der Fahndungserfolg ist angesichts dessen eher mäßig: Ein Dutzend | |
Strafanzeigen und die Beschlagnahme von 100 Verkaufseinheiten nicht näher | |
bestimmter „Drogen“ sowie zahlreicher Messer verkündete die Polizei. | |
Weil das alles nicht fruchtet, plant Mäurer nun noch härtere Maßnahmen. Der | |
neue Plan: Die Dealer werden nicht mehr als einzelne Kriminelle betrachtet, | |
sondern als gewerbsmäßige Bande. Das setzt das mögliche Strafmaß rauf. | |
Außerdem, so heißt es aus dem Innenressort, sei bei den vielen Kontrollen | |
erkannt worden, dass die meisten Dealer aus Guinea stammten und kein | |
Aufenthaltsrecht hätten. | |
Bei der Bürgerschaftssitzung am vergangenen Donnerstag hatte Mäurer | |
angekündigt, mit diesem Wissen in Zukunft auch mehr Dealer abzuschieben – | |
exakt das hatte zuvor in der Debatte auch der [5][AfD-Abgeordnete Thomas | |
Jürgewitz gefordert.] | |
## Straßenhändler im Visier | |
Es geht dabei explizit nicht um die großen Drahtzieher: Die werden aktuell | |
schon einigermaßen erfolgreich strafrechtlich verfolgt, weil französische | |
Ermittlungsbehörden ihre geheimen Chats über Encrochat geknackt hatten. 68 | |
Haftbefehle vor allem gegen Hintermänner gab es bereits. | |
Die angekündigte neue Abschiebestrategie richtet sich hingegen | |
hauptsächlich gegen die Ebene der kleinen Straßenhändler. Anders als die | |
Konsument*innen sollen die Dealer auch am Akzeptanzort weiter durch die | |
Polizei verfolgt werden. Ob die Händler tatsächlich den Ort wechseln oder | |
mit ihren Angeboten weiter am Bahnhof bleiben, ist also fraglich. | |
Die Künstlergemeinschaft am Güterbahnhof zwischen Friedrich-Rauers-Straße | |
und Hauptbahnhof sieht sich jedenfalls schon jetzt als Leidtragende der | |
Verdrängung und Verlagerung: Man merke, dass „unser Areal zunehmend von | |
Drogenkonsument:innen und Wohnungslosen frequentiert wird“, heißt es | |
in einem offenen Statement der Künstler*innen. Denn: „Vielen | |
Konsument*innen ist die Friedrich-Rauers-Straße zu weit vom Hautbahnhof | |
entfernt.“ | |
27 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Bremer-Innenbehoerde-stellt-Bedingungen/!5885337 | |
[2] /Vertreibungsaktion-am-Bremer-Bahnhof/!5859597 | |
[3] https://blogs.taz.de/drogerie/2021/06/10/bremen-hat-den-hoechsten-repressio… | |
[4] https://www.senatspressestelle.bremen.de/pressemitteilungen/gesundheits-und… | |
[5] https://www.butenunbinnen.de/videos/hauptbahnhof-drogenszene-bremen-aktuell… | |
## AUTOREN | |
Lotta Drügemöller | |
## TAGS | |
Drogenkonsum | |
Drogendealer | |
Drogenpolitik | |
Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) | |
Bremen | |
Polizei Bremen | |
Drogen | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Hannover | |
Bremen | |
Polizei Bremen | |
Junkies | |
Cannabis | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Drogen- und Alkoholverbot in Bremen: Saufen nur im Laufen | |
Rund um den Hauptbahnhof dürfen keine Drogen und kein Alkohol konsumiert | |
werden, beschließt die Bürgerschaft. Nur wer zügig geht, darf Alkohol | |
mitführen. | |
Europol überwacht Kriminelle im Netz: Mehr als 6.000 Festnahmen | |
Über das Encrochat-Netzwerk wurden laut Europol zahlreiche schwere | |
Straftaten geplant. Die Überwachung führte seit 2020 zu 6.558 Festnahmen. | |
Oberlandesgericht Bremen stoppt Schikane: Amtliche Kindeswohlgefährdung | |
Schwarze Kinder bekommen in Bremen jetzt Geburtsurkunden. Das Standesamt | |
hatte sie ihnen grundlos verweigert. Damit ist nun Schluss. | |
Drogen und Obdachlosigkeit in Hannover: Beachfeeling in der Problemzone | |
Hannover versucht das Elend auf den Plätzen hinterm Hauptbahnhof in den | |
Griff zu kriegen – aber das ist zäh. Hängen bleiben am Ende eher die | |
Events. | |
Drogenpolitik in Bremen: Hilfe und Härte | |
Am Bremer Hauptbahnhof grassieren Drogenhandel und -konsum. Die Politik | |
versucht, mit einem Drogenkonsumraum und härteren Kontrollen | |
gegenzusteuern. | |
Vertreibungsaktion am Bremer Bahnhof: Großaufgebot gegen Drogenabhängige | |
Die Polizei geht mit einer Hundertschaft gegen die Trinker- und Drogenszene | |
am Bremer Bahnhof vor. Unklar ist, wohin die Leute sonst bleiben sollen. | |
Bremer SPD geht gegen Obdachlose vor: Verbot von Treffen an Haltestellen | |
Bremens Innensenator will Obdachlose und Drogenszene vom Bahnhof | |
fernhalten. Die Linke kritisiert das als Vertreibung. | |
Vorstoß für liberalere Drogenpolitik: Bremen soll vorausgehen | |
Der Paritätische Bremen will illegale Drogen für die KonsumentInnen | |
entkriminalisieren. Zuletzt scheiterte das am Widerstand der SPD. |