# taz.de -- Bekämpfung von Obdachlosigkeit: Klein, aber dein | |
> Der erste „Safe Place“ von Berlin: Drei Tiny Houses stehen hinter dem | |
> Ostbahnhof. Das Modellprojekt soll Obdachlosen den Weg „zurück ins Leben“ | |
> ebnen. | |
Bild: 3,2 Quadratmeter Rückzugsort: eines der drei „Little Homes“ für Obd… | |
BERLIN taz | Wäre das Wetter gut und der Ort ein anderer, könnte das Leben | |
in so einem Tiny House vielleicht romantisch sein. Die drei Holzhäuschen | |
sind außen bunt und jedes anders bemalt, die Inneneinrichtung aus Pressspan | |
ist spartanisch, doch mit etwas Mühe könnte man es sich darin gemütlich | |
machen. Die „Little Homes“ – vom gleichnamigen Kölner Verein gebaut – … | |
breit wie ein schmales Bett und nur ein bisschen länger, gerade so, dass | |
man reingehen und die Tür schließen kann. Es gibt eine Matratze mit Decke, | |
einen Camping-Kocher, Erste-Hilfe-Kasten, eine Camping-Toilette, zwei | |
Fenster, an der Wand hängt eine zum Regal umfunktionierte Obstkiste. | |
Doch aus den „Traumimmobilien“ für Aussteiger blickt man nicht aufs Meer, | |
sondern auf Bauzäune, Frittenbuden und die Rückseite des Ostbahnhofs. Und | |
es ist eiskalt am Donnerstagmorgen, als Berlins erster „Safe Place“ | |
zwischen Parkplätzen, Mauern und Baucontainern vorgestellt wird. Das | |
Wetter, findet der Sozialstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg Oliver Nöll | |
(Linkspartei) vor frierenden Journalist*innen und Fotograf*innen, | |
illustriere ganz gut, worum es bei dem Modellprojekt geht: Die „kleinen | |
Zuhauses“ sind zunächst einmal Schutzraum für Obdachlose vor Kälte und | |
Nässe, ein Ort, den sie abschließen, wo sie Ruhe finden und ohne Angst vor | |
Übergriffen und Gewalt sein können. Zielgruppe sind Menschen, die die | |
herkömmlichen Angebote wie Notübernachtungen und Kältehilfe nicht annehmen, | |
warum auch immer. | |
Tiny Houses, also „winzige Häuser“, deren englischer Name auf ihre Herkunft | |
aus den USA verweist, sieht man immer öfter in der Stadt: 61 sollen es laut | |
Nöll sein. Doch beim „Safe Place“ kommt etwas Entscheidendes hinzu: die | |
sozialarbeiterische Begleitung. Regelmäßig soll ein Sozialarbeiter | |
vorbeikommen und den Bewohner:innen helfen, ihr Leben in den Griff zu | |
bekommen, sie „ins Regelsystem der sozialen Hilfen integrieren“, wie die | |
Fachleute sagen. | |
Denn das Ziel bleibe die Rückkehr in eine eigene Wohnung, betont Nöll, | |
ebenso die zuständige Staatssekretärin für Integration, Wenke Christoph | |
(Linkspartei). Sie sagt: „Safe Places sind kein Ersatz für eigenen | |
Wohnraum! Sie sind eine temporäre Möglichkeit von der Straße wegzukommen.“ | |
## Ziel: Vermittlung in Wohnungen | |
Binnen „zwei bis zweieinhalb Jahren“, so hofft Nöll, wolle man die | |
Bewohner:innen von hier aus in einer Wohnung unterbringen – etwa beim | |
Projekt Housing First oder über das „geschützte Marktsegment“ der | |
landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Ein solch ehrgeiziges Projekt | |
berge natürlich „die Möglichkeit des Scheiterns“ in sich, gibt er zu. Dah… | |
werde es wissenschaftlich evaluiert, bei Bedarf „nachgesteuert“. Wenn die | |
Sache gut läuft, werde sie ausgebaut. Für Friedrichshain-Kreuzberg kann | |
sich Nöll drei weitere Standorte vorstellen, andere Bezirke, besonders | |
innerstädtische, „sollen mit ins Boot geholt werden“. | |
Neukölln ist schon an Bord. Sozialstadtrat Falko Liecke (CDU) und Nöll | |
unterzeichnen vor den Journalist*innen einen „Letter of Intent“, in dem | |
die beiden Bezirke ein „gemeinsames Vorgehen zur Bereitstellung von mobilen | |
Wohnboxen im öffentlichen Raum“ verabreden. Liecke möchte demnächst sechs | |
Little Homes in der Teupitzerstraße/Ecke Kiehlufer aufstellen. An dem | |
Standort gibt es mehrere Angebote für Wohnungslose und damit die „Anbindung | |
an begleitende Sozialarbeit“, wie er sagt. | |
Die Idee von „Safe Places“ spukt schon länger durch die Köpfe Berliner | |
Politiker*innen. Anfang 2019 hatte die damalige Sozialsenatorin Elke | |
Breitenbach (auch Linkspartei) vorgeschlagen, [1][staatlich organisierte | |
Obdachlosen-Camps einzurichten]. Vorbild war Seattle, wo eine „Tent City“ | |
bis zu 100 Obdachlosen ein „Zuhause“ gab, umzäunt, mit Müllentsorgung, | |
Sanitäranlagen. Breitenbach pries das Modell als Lösung für das „ewige“ | |
Problem wilder Camps im öffentlichen Raum: Vermüllung und Lärm, Beschwerden | |
von Anwohner*innen – und irgendwann Vertreibung und Räumung durch | |
Polizei und Ordnungsämter. So wurden Safe Places Teil ihres Plans, | |
Obdachlosigkeit bis 2030 zu beenden. | |
## Die Schwierigkeit Orte zu finden | |
Die Idee stieß grundsätzlich auf viel Zustimmung – doch konkret wurde es | |
nie, vor allem weil Orte für die „Sicheren Orte“ offenbar rar sind. In | |
Lichtenberg war ein Safe Place auf der Wiese vor dem Ring-Center fast schon | |
beschlossen, da [2][lehnte die Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung | |
im Sommer 2021 ab]. Auch in Kreuzberg, [3][wo Nöll schon vor seiner Wahl | |
zum Stadtrat für Safe Places warb], suchte man lange nach einem Ort. Auf | |
der nun gefundenen bezirkseigenen Fläche am Ostbahnhof soll irgendwann das | |
neue Rathaus gebaut werden. Doch das Geld dafür stehe erst 2030 im | |
Investitionsplan, erklärte Andy Hehmke, Stadtrat für Hausmeisterei. Eine | |
Dauereinrichtung wird der erste Safe Place also nicht – zum Glück haben die | |
kleinen Häuser Rollen. | |
Ohnehin ist das Modellprojekt seit Breitenbachs erster Vision deutlich | |
geschrumpft. Maximal sechs Little Homes sollen nur noch an einem Ort | |
stehen, erklärte Nöll – laut Expert:innen seien größere Standorte | |
„sozialarbeiterisch nicht zu betreuen“. Zudem, so betonte Liecke, müssten | |
die Bewohner:Innen, die von Straßensozialarbeiter:innen sorgsam | |
ausgewählt würden, gewisse Regeln einhalten. Die Bedingungen, die laut Nöll | |
an die Vergabe der Häuschen geknüpft sind: keine wilde Camp-Bildung, keine | |
Gewalt, kein Drogenhandel, Nachtruhe ab 22 Uhr. Ein Bier trinken mit | |
Freunden, einen Grill und Campingstühle aufstellen „wie auf dem Balkon“ | |
seien aber in Ordnung, so Liecke. | |
Alexander Prochowski lebt bereits in einem solchen Häuschen – auf einer | |
privaten Fläche in Buch. Im Dezember habe er Little Home Nr. 245 bezogen – | |
der Verein nummeriert seine Bauwerke durch (siehe Kasten). „Es könnte nicht | |
besser sein“, sagt er. Mit den fünf anderen Männern verstehe er sich gut, | |
„es entsteht eine kleine Gemeinschaft“. Über ein Jahr lang war er | |
obdachlos, was permanenten Stress bedeute. Nun finde er Ruhe und neue Kraft | |
um sich „wieder zu kümmern“. | |
Der erste Erfolg: Ab Februar bekomme er Geld vom Jobcenter. Prochowski ist | |
daher optimistisch: Für ihn ist Haus Nr. 245 „ein Standbein, um zurück ins | |
Leben zu kommen“. | |
26 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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