# taz.de -- Obdachlos in Berlin: Platz finden | |
> Kein Dach über dem Kopf und auch kein geschützer Ort? In Berlin gibt es | |
> Streit um Safe Places für obdachlose Menschen. | |
Bild: Draußen bleiben: Debora Ruppert porträtiert Obdachlose und gibt Obdachl… | |
Wer die Karl-Marx-Straße entlang läuft oder am Landwehrkanal spaziert, | |
kommt dort häufig an fest eingerichteten Schlafplätzen vorbei. Oft nicht | |
mal ein Zelt, sondern einfach eine breite Matratze, darauf ein bis zwei | |
ordentlich ausgebreitete Schlafsäcke und Decken, manche Plätze sind mit | |
einer Zeltplane gegen Regen und Blicke geschützt. Daneben Einkaufswagen | |
oder ausrangierte Kinderkarren zum Sammeln von Pfandflaschen und für | |
Habseligkeiten, vereinzelt auch ein kleines Regal. Wie ein kleines Wohn- | |
und Schlafzimmer auf der Straße. | |
Solche Schlafplätze fallen in diesem Sommer nicht nur in Neukölln auf, | |
sondern auch in anderen Innenstadtbezirken: Matratzen liegen im Eingang zu | |
leerstehenden Geschäften, unter Brücken, oft aber auch einfach am | |
Straßenrand, am Bauzaun oder am Kanalufer. | |
Die sichtbare Obdachlosigkeit, so der subjektive Eindruck, hat in den | |
vergangenen Monaten damit deutlich zugenommen. Empirisch lässt sich dieser | |
Eindruck schwer belegen, denn wirklich belastbare Zahlen gibt es nicht. In | |
einer ersten berlinweiten Zählung von obdachlosen Menschen im Januar 2020 | |
trafen die Zählteams knapp 2.000 Menschen an. Der Ergebnis dieser ersten | |
[1][„Nacht der Solidarität“] liegt damit deutlich unter den Schätzungen | |
etwa von Beratungsstellen, die zuvor von 5.000 bis zu 8.000 obdachlos | |
lebenden Menschen in Berlin ausgegangen waren. | |
Eine zweite für den Sommer geplante Zählung von Obdachlosen in Berlin ist | |
wegen der Pandemie auf das kommende Jahr verschoben worden. Aber der | |
Eindruck, dass solche Schlafplätze deutlich zahlreicher und auffälliger im | |
Stadtbild geworden sind, deckt sich mit den Beobachtungen von Initiativen | |
und Beratungsstellen der Obdachlosenhilfe. Und es ist ja nicht nur die | |
Zahl: An solchen offen an der Straße liegenden Schlafplätzen sind die | |
Menschen viel sichtbarer als in einem versteckten Zelt am Rand einer | |
Brache. | |
„Früher hatten wir Obdachlosigkeit vorwiegend an einigen Hotspots. | |
Inzwischen ist Obdachlosigkeit flächendeckend in der Stadt, Menschen suchen | |
sich Nischen, sie leben unter Brücken. Mehr Menschen verlieren ihre | |
Wohnungen, und dadurch sind sie auch sichtbarer“, sagt Andreas Abel von | |
Gangway. Gangway macht niedrigschwellige Straßensozialarbeit und ist als | |
Ansprechpartner für obdachlose Menschen am Zoo und am Ostbahnhof, aber auch | |
in Friedrichshain-Kreuzberg und seit einem Jahr mit einem Team in Neukölln | |
unterwegs. Dort sprechen sie Menschen an, bauen ein Vertrauensverhältnis | |
auf und bieten Unterstützung an – wenn sie gewünscht ist. | |
„Dass es mehr Menschen geworden sind, bezweifelt niemand“, sagt Abel. „Wir | |
sehen das auch, etwa an Statistiken von Beratungsstellen oder bei der | |
Auslastung der Kältehilfe.“ Sei es früher relativ leicht gewesen, einen | |
Menschen, der dies wünsche, im Sommer unterzubringen, sei dies nun nicht | |
mehr ohne weiteres möglich. | |
Auch bei der Berliner Obdachlosenhilfe hat man den Eindruck, dass sichtbare | |
Obdachlosigkeit in Berlin zugenommen hat. „Wenn allgemein weniger los ist | |
draußen, werden diejenigen, die auf der Straße leben und sich eben nicht | |
ins Zuhause zurückziehen konnten, sichtbarer“, sagt Heinz Waldow, einer der | |
freiwilligen Helfer:innen bei der Obdachlosenhilfe. Dazu käme, dass den | |
Menschen viele Einnahmequellen wie Zeitschriften verkaufen oder Betteln | |
versiegt waren, so dass auch die, die sich sonst über den Tag das Geld für | |
ein Hostel organisieren konnten, sich stattdessen einen Schlafplatz draußen | |
eingerichtet hätten. | |
## Saisonale Schwankungen | |
Bei den Bezirken – die verpflichtet sind, obdachlose Menschen | |
unterzubringen – klingt das etwas weniger eindeutig. Eine Zunahme der | |
Obdachlosigkeit sei in den vergangenen Jahren durchaus spürbar, diese | |
unterliege aber auch saisonalen Schwankungen, heißt es etwa aus | |
Charlottenburg-Wilmersdorf. Friedrichshain-Kreuzberg beschäftigten „die | |
sichtbare Obdachlosigkeit und Campbildungen schon die gesamte Legislatur | |
und darüber hinaus“. Und die relativ neue Zusammenarbeit von Neukölln und | |
Gangway ist getragen von der Beobachtung, dass Obdachlosigkeit auch hier | |
sichtbarer wird und sich in die Fläche ausdehnt. | |
Wenn Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) über Zahlen | |
spricht, möchte sie den Eindruck einer Zunahme weder bestätigen noch | |
dementieren. Dies sei subjektiv, sagt sie, auch deshalb bemühe sie sich | |
etwa mit Zählungen weiter um Zahlen. | |
Sie hat dabei allerdings nicht nur die Obdachlosigkeit im Blick – also die | |
Fälle, in denen Menschen mit ihrem Hab und Gut vornehmlich auf der Straße | |
leben -, sondern auch Wohnungslosigkeit, wo Menschen keine eigene Wohnung | |
haben und etwa in Unterkünften untergebracht sind oder als sogenannte | |
Sofahopper bei Bekannten mehr oder weniger temporär und oft prekär | |
unterkommen. | |
[2][Breitenbachs erklärtes Ziel ist es], Wohnungs- und Obdachlosigkeit in | |
Berlin bis 2030 zu beenden. Sie setzt dafür unter anderem auf Housing First | |
– also den Versuch, Menschen als erstes und ohne große Voraussetzungen eine | |
Wohnung zu vermitteln. | |
Dieses Konzept finden sowohl viele obdachlose Menschen als auch ihre | |
Unterstützer:innen begrüßenswert. Doch bis dahin ist es noch ein | |
langer Weg, in Berlin haben gerade erste Pilotprojekte für rund 70 Menschen | |
begonnen. | |
## Räumungen lösen kein Problem | |
Daneben will Breitenbach den Zustand von Unterkünften verbessern, und auch | |
Safe Places sollen die Situation von obdachlos lebenden Menschen weniger | |
prekär machen. Mit Safe Places sind Orte gemeint, an denen Menschen, die | |
sich dort niederlassen, nicht geräumt werden und an denen die Bezirke oder | |
Träger außerdem eine grundlegende Versorgung etwa mit Wasser, Toiletten und | |
Müllabfuhr sicherstellen. | |
„Räumungen lösen das Problem ja nicht, diese Erkenntnis spricht sich | |
inzwischen auch in den Bezirken herum, auch wenn die immer noch sehr | |
unterschiedlich mit obdachlosen Menschen umgehen“, sagt Gangway-Mitarbeiter | |
Abel. | |
Er kritisiert, dass in einigen Bezirken immer noch Orte ohne vorherige | |
Ansprache geräumt werden. „Es gibt oft Orte, an denen sie nicht stören, und | |
wenn sie da geräumt werden und weiterziehen, gibt es plötzlich Probleme | |
mit Anwohner*innen“, sagt er. „Das ist doch unlogisch.“ | |
Die Straße gehört allen. Nicht der Verwaltung oder den Politikern“, sagt | |
Cengiz Tanriverdio von Gangway, der seit einem Jahr in Neukölln als | |
Straßensozialarbeiter Kontakt zu obdachlosen Menschen aufbaut. „Menschen | |
haben ein Recht darauf, dort zu leben – wenn sie das so für sich wollen.“ | |
## Ein selbstbestimmtes Leben | |
Doch es ist ein schmaler Grat zwischen diesem „Wollen“, zwischen | |
Freiheitsbedürfnis, individuellen psychischen oder medizinischen Notlagen | |
und – auch das gehört zum Bild dazu – dem desolaten Zustand von manchen | |
Unterkünften oder den dortigen Zugangsbedingungen. In die Entscheidung, | |
dauerhaft auf der Straße zu leben, spielt nach Erfahrung der | |
Sozialarbeiter:innen auch die Frage hinein, inwieweit Menschen es | |
aushalten, sich mit fremden Menschen ein Zimmer zu teilen, ihr Haustier | |
nicht in eine Unterkunft mitnehmen zu können oder inwieweit ein striktes | |
Verbot von Alkohol und anderen Suchtmitteln für sie umsetzbar ist. | |
Auf diesem schmalen Grat bewegt sich auch die Idee der Safe Places. Denn, | |
so der von der Verwaltung getragene Gedanke: solange es Obdachlosigkeit | |
gibt und solange auch Housing First oder Notunterkünfte nicht für alle | |
Menschen eine Lösung sind, sollen sie wenigstens etwas geschützt und unter | |
guten hygienischen Bedingungen draußen leben. | |
Aus der Sicht obdachloser Menschen stand bei der Idee auch im Vordergrund, | |
dass solche Safe Places ihnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen | |
könnten. Träger wie die Sozialgenossenschaft Karuna sehen in dem Konzept | |
Chancen für ein Empowerment obdachloser Menschen jenseits von staatlichen | |
Hilfesystemen. | |
Eingeführt wurde das Konzept Anfang 2019 von Sozialsenatorin Elke | |
Breitenbach als Teil ihres Planes, die unfreiwillige Wohnungslosigkeit in | |
Berlin bis 2030 zu beenden. Auch für Menschen, die sonst keine | |
Hilfsangebote annehmen können oder wollen, brauche es sichere Plätze – | |
nicht zuletzt wegen des Mangels an bezahlbarem Wohnraum, so die Senatorin | |
damals in einer Stellungnahme. Seitdem passiert ist – „pandemiebedingt“, | |
wie Breitenbach heute sagt – allerdings wenig. | |
Die Idee traf jedenfalls vielerorts erstmal auf viel Lob. Auch bei der | |
Diskussion um das [3][Camp an der Rummelsburger Bucht] in Lichtenberg, in | |
dem sich zwischenzeitlich mehr als 100 Menschen in Wohnwagen, Zelten und | |
selbstgezimmerten Verschlägen lebten, schwang die Forderung mit, die Brache | |
einfach zum Safe Place zu erklären und mit Wasseranschluss und | |
Müllentsorgung auszustatten. | |
Perspektivisch könnten Safe Places auf allen möglichen Freiflächen Berlins | |
entstehen. Als Modellprojekte sind die ersten beiden Safe Places in Berlin | |
eigentlich kurz vor der Fertigstellung: einer auf dem Containerbahnhof | |
Frankfurter Allee, hinter der großen Traglufthalle „Halleluja“ der Berliner | |
Stadtmission. Der zweite ist als „Common Place“ auf einer Grünfläche | |
zwischen Frankfurter Allee und Gürtelstraße geplant, auch nur wenige | |
hundert Meter vom Projekt der Stadtmission entfernt und in der | |
Zuständigkeit des Bezirks Lichtenberg. | |
Wann – und ob – dieser zweite Ort tatsächlich eingerichtet werden kann, ist | |
nach einer Abstimmung in der Lichtenberger Bezirskverordnetenversammlung | |
(BVV) vom Mittwoch allerdings wieder offen. Die BVV hatte sich – für viele | |
der an der Planung Beteiligten überraschend – gegen den SPD-Antrag zur | |
Umsetzung des Common Place ausgesprochen. Damit ist dessen Zukunft an | |
dieser Stelle wieder ungewiss. | |
## Umzug von Zuflucht zu Zuflucht | |
Für den Friedrichshainer Safe Place ist bereits ein kleines Areal an der | |
Frankfurter Allee mit Bauzäunen umzogen. Es gibt hier fließend Wasser, | |
einen Kühlschrank, eine improvisierte Duschkonstruktion, bald soll auch | |
Strom kommen. Im hinteren Teil ist ein Pavillon aufgespannt, unter dem | |
Campingstühle zum gemütlichen Abhängen einladen. Insgesamt leben sechs | |
Stammbewohner:innen sowie einige teils länger bleibende Gäste auf dem | |
von der Stadtmission angemieteten Areal. | |
„Sieht doch richtig top aus, oder?“, fragt der 27-jährige Obdachlose Milan | |
Sosnowski (Name geändert), während er eine Tischdecke hervorkramt, sie | |
faltet und über den Campingtisch wirft. Anschließend wischt er mit einer | |
Handbewegung noch die Falten beiseite. Auch Matze Meier (ebenfalls Name | |
geändert), der einige Meter entfernt oberkörperfrei dasteht, nickt | |
anerkennend: „Fehlt nur noch der Aschenbecher“, sagt er. Schnell ist dieser | |
gefunden und mittig auf dem Tisch platziert. | |
Noch Anfang Juni lebten die beiden hundert Meter weiter, wo ein | |
Obdachlosencamp seit Jahren etwa 30 Menschen eine Zuflucht bot. Jetzt dient | |
der Ort nur noch vereinzelten Menschen als Nachtlager. Die Deutsche Bahn, | |
der das Gelände gehört, hatte die Räumung angekündigt – um sie dann im | |
letzten Moment wieder abzusagen. Der neue Safe Place bietet also nicht | |
allen Menschen, die vorher am Containerbahnhof gelebt hatten, Sicherheit. | |
Sozialarbeiter:innen hätten den Kreis derer, die umziehen durften, | |
zuvor „ermittelt“, sagt Sara Lühmann vom Friedrichshainer Bezirksamt der | |
taz. Und ohne den Druck der Räumung wäre der nun bestehende Safe Place wohl | |
nicht so schnell eingerichtet worden. | |
Der eigentlich in Lichtenberg vorgesehene „Common Place“ soll von Karuna | |
betreut werden, einer Sozialgenossenschaft, die sich in der | |
Obdachlosenhilfe engagiert und auch die Obdachlosenzeitschrift Karuna | |
Kompass verantwortet. Bis zum Ende dieses Jahres wollte man die ersten Tiny | |
Houses aufgestellt haben. Auch ein öffentlicher Gemeinschaftsgarten sowie | |
ein Repair Café war dort geplant, sagt Jörg Richert, Vorstandsvorsitzender | |
von Karuna. Die Idee stammt aus den USA. Richert ist Soziologe und hat | |
derartige Orte quer durch die Vereinigten Staaten besucht. Besonders | |
beeindruckt habe ihn Seattle: „Fast an jeder Ecke“ entstünden dort Common | |
Places, also autonome Strukturen unter Einbeziehung obdachloser Menschen, | |
die meist öffentliche Gemeinschaftsgärten oder Repair Cafés betreiben. | |
„Common Places sind nicht nur Orte, an denen obdachlose Menschen sicher | |
sind, in ihnen wird zudem die gemeinschaftliche Verwaltung von Eigentum | |
geprobt“, so der Soziologe. | |
Durch diese Angebote würden die Grenzen zwischen Nachbarschaft und | |
Obdachlosen aufweichen, bis letztere ihre Rolle als soziale | |
Außenseiter:innen schließlich überwinden. Im Gegensatz zu Berlin, wo | |
weiterhin die „Ich helfe dir“-Mentalität dominiere, stehe also das Credo | |
„Hilf dir selbst, du schaffst das, du wirst nicht fremdbestimmt“ im | |
Mittelpunkt. | |
Natürlich sei Hilfe in vielen Situationen eine humanitäre Notwendigkeit, so | |
Richert. „Letztlich entsteht durch sie aber auch eine | |
Abhängigkeitsbeziehung, die beim Kampf, sich aus der Obdachlosigkeit zu | |
befreien, sogar hinderlich wirken kann.“ | |
## Kein Ort der Selbtverwirklichung | |
Sozialsenatorin Breitenbach betont dagegen die Funktion als Schutzraum – | |
und nicht als Wagenplatz zur Selbstverwirklichung. Safe Places seien | |
ausschließlich für Menschen, die auch tatsächlich obdachlos seien – und | |
nicht etwa Orte für Wagenplätze oder für Menschen mit alternativen | |
Lebenskonzepten. „Ich werde immer für Freiräume kämpfen“, sagt sie der t… | |
„Aber es ist nicht Aufgabe des Staates, Menschen ihren Lebenstraum zu | |
finanzieren.“ | |
Was die bisherigen Konzepte verbindet, ist, dass sie Regeln und eine | |
gewisse Stabilität der Bewohner:innen erfordern. Das aber schließt etwa | |
schwer Suchtkranke oder Menschen mit gravierenden psychischen Problemen von | |
vorneherein aus. Deswegen sind in Bezug auf die Safe Places für ihn noch | |
viele Fragen offen, sagt Sozialarbeiter Andreas Abel von Gangway. Bei den | |
jetzt vorliegenden Konzepten würden Menschen wieder reglementiert, für | |
viele seiner Adressat:innen käme das nicht in Frage – die erreiche man | |
eben höchstens mit Straßensozialarbeit, wie Gangway sie praktiziert. | |
„Diese Lösungen gefallen mir bisher nicht“, sagt Abel. Konzepte wie der | |
Common Place, dessen Bewohner:innen sich formal als Verein gründen | |
sollen, um sich gegenüber dem Außen autonom vertreten zu können, und die | |
dann dort noch Repair Cafés und Urban Gardening und einen Weihnachtsmarkt | |
machen sollen, seien für viele zu voraussetzungsvoll. „An diesem | |
Arbeitsauftrag könnte auch eine Gruppe von acht Akademiker:innen | |
leicht scheitern“, meint er. | |
Abel kritisiert auch, dass die Sicherheit der einen eine größere | |
Unsicherheit für die, die dort nicht reinpassen, bedeuten könnte: So sei in | |
einer Anwohner:innenversammlung an der Frankfurter Allee etwa | |
versichert worden, dass andere Obdachlose im Umfeld der neuen Safe Places | |
dann nicht mehr geduldet werden, damit es nicht „zu viele“ würden. „Das | |
könnte dazu führen, dass Safe Places die Sicherheit der Menschen | |
verringern, die dort nicht reinpassen und sich daher doch wieder woanders | |
niederlassen.“ | |
Auch bei der Berliner Obdachlosenhilfe seien sie zumindest verwundert | |
gewesen über die Pläne für Safe Places, wie sie auch bei der fünften | |
[4][Strategiekonferenz zur Wohnungslosenhilfe] im Juni vorgestellt worden | |
waren. „Die, die die Safe Places konzipiert haben, haben offensichtlich | |
keine Ahnung, wie es obdachlosen Menschen geht, wenn sie denken, dass die | |
da Urban Gardening machen“, sagt Heinz Waldow, der sich ehrenamtlich bei | |
der Obdachlosenhilfe engagiert. | |
Der derzeitige Safe Place am Containerbahnhof sei nur die „Vorstufe“ für | |
die eigentlichen Pläne, sagt Ulrich Neugebauer von der Stadtmission der | |
taz. Eigentlich solle man den Begriff noch gar nicht verwenden. Was weiter | |
geplant ist, stellte Florian Michaelis von der Architekt:innengruppe | |
Urban Beta auf der Wohnungslosenkonferenz Anfang Juni vor. Urban Beta hat | |
das Konzept zusammen mit der Stadtmission entwickelt. Unter anderem wurde | |
dabei eine Simulation gezeigt, wie der zukünftige Platz einmal aussehen | |
könnte: Abgebildet waren mehrstöckige Holzcontainer und eine Parkanlage im | |
urban-modernen Design. Ein Passant mit Fahrrad schießt ein Foto, ein | |
älterer Herr zeigt auf einen der Container, ein hip gekleidetes Paar sitzt | |
auf einer Parkbank und liest ein Buch. Die „Antifaschistische Vernetzung | |
Lichtenberg“ kommentierte auf Twitter, die Pläne sähen aus wie ein | |
„Yuppie-Ferienlager“. Nun würden selbst Obdachlosenunterkünfte zur | |
Gentrifizierung beitragen. | |
## Katze beim Safe-Place-Konzept | |
Dabei hatten die Bewohner:innen des Containerbahnhofs bereits ein | |
eigenes Konzept für einen Safe Place ausgearbeitet. Darin hieß es, man | |
wolle sich „nicht ein weiteres Mal in die Ungewissheit verdrängen lassen“, | |
sondern „die Sicherheit haben, unser Leben selbstbestimmt gestalten zu | |
können“. Hierzu gaben sich die Bewohner:innen klare Regeln wie etwa | |
Mietzahlungen, das Verbot offenen Feuers, Lärmschutz, eine nachhaltige | |
Nutzung oder die klare Begrenzung der Personenzahl auf dem Gelände. Auch | |
eine „Safe Place-eigene Katze“ zur Bekämpfung der Rattenproblematik war | |
Teil des Konzepts. Auf dieses Konzept aber ging Michaelis von Urban Beta | |
bei der Präsentation der eigenen Pläne auf der Wohnungslosenkonferenz nicht | |
ein. | |
Lange drehte sich die Safe-Places-Debatte um Orte wie die Rummelsburger | |
Bucht oder auch die Kreuzberger Cuvry-Brache an der Spree, wo sich 2012 | |
nach Protesten mit Zelten gegen Bebauungspläne ein regelrechtes Dorf aus | |
zusammengezimmerten Hütten entwickelt hatte, in dem zwischenzeitlich bis zu | |
200 Menschen lebten. Begriffe wie „Slums“ oder „Favelas“ fielen da. | |
[5][Die Cuvry-Brache wurde 2014] nach einem Brand geräumt, das Areal ist | |
inzwischen bebaut. Aber der erbitterte Kampf, der hier um den – von einigen | |
als Freiraum, von anderen als Schandfleck bezeichneten – Ort geführt wurde, | |
hallt auch heute noch nach. | |
## Ein Platz in bester Spreelage | |
Um Safe Places hat es sich bei der Cuvry-Brache und der Bucht allerdings | |
nie gehandelt. Sie waren weder entsprechend anerkannt noch ausgestattet. | |
Die Brache damals entstand, weil sich die Menschen den Platz in bester | |
Spreelage einfach genommen hatten – das steht eher im Gegensatz zu der | |
jetzigen Idee, Orte zu benennen, auf denen sich dann Menschen niederlassen | |
dürfen. An der Rummelsburger Bucht hatte der Bezirk zwar zwischenzeitlich | |
damit begonnen, Toiletten aufzustellen und den Müll regelmäßig abzuholen. | |
Doch weder die Toiletten noch die Müllentsorgung blieben dauerhaft, auch | |
aus der Befürchtung heraus, dass dies weitere Bewohner:innen anziehen | |
könnte. Letztlich wurde die Rummelsburger Bucht in einem kontroversen | |
Polizeieinsatz [6][im Februar von der Polizei geräumt]. | |
Bei aller auch aktivistischer Unterstützung für Brache und Bucht stellt | |
sich ganz grundsätzlich die Frage, ob sich diese beiden Orte überhaupt als | |
Vorbilder für Safe Places eignen. So große Lager entsprächen eher nicht den | |
Bedürfnissen obdachloser Menschen, die meisten würden, wenn sie wählen | |
könnten, eher in kleineren Gruppen zusammenleben wollen. | |
„Solche Orte entstehen, weil die Menschen sonst überall verscheucht | |
werden“, sagt etwa Sozialarbeiter Abel von Gangway. „Wenn die Bezirksämter | |
flächendeckend toleranter wären, dann würden die Lager gar nicht so groß | |
werden“, meint er. Aber der Verdrängungsdruck sei groß: „Wenn sich zwei, | |
drei Menschen irgendwo niederlassen, kann es sein, dass mehr dazukommen. | |
Und dann ist der Ort auch schon schwerer zu räumen“, so Abel. Daher würden | |
einige Bezirke schon bei vereinzelten Zelten nervös: keiner wolle die | |
nächste Rummelsburger Bucht bei sich haben. Wer die Idee der Safe Places | |
ernst nehme, der müsste daher auch berlinweit rund 200 solcher Plätze | |
einrichten. | |
Doch wären 200 Safe Places im Stadtgebiet tatsächlich Freiräume oder eher | |
die Kapitulation vor dem Elend? Dies wirft Fragen auf, die seit der | |
Diskussion um die Cuvry-Brache in der Luft liegen. Denn die derzeitigen | |
Unterbringungsmöglichkeiten bewahren Menschen nicht unbedingt vor dem | |
Elend, das wäre dann nur versteckter. | |
Viele Menschen, die auf der Straße leben, täten das ja nicht, weil das ihr | |
Lebensentwurf ist, betonen auch Hilfsorganisationen immer wieder – sondern | |
weil oft die Unterkünfte, die ihnen angeboten werden, nicht akzeptabel | |
seien. „Wenn man es schafft, die Menschen vernünftig und würdig | |
unterzubringen, dann kommt ein Teil der Menschen schon von der Straße. Und | |
den anderen, die aus welchen Gründen auch immer nicht willens oder nicht | |
fähig sind, eine Wohnung zu beziehen, denen kann man dann auch den Raum | |
geben, wo sie leben können“, sagt auch Abel. | |
Dabei würde dann am Ende auch Solidarität aus der Stadtgesellschaft helfen. | |
„Es beschweren sich immer die, die sich gestört fühlen. Wenn sich auch mal | |
die beim Bezirk melden würden, die sagen, dass sie obdachlose Menschen als | |
ihre Nachbarn sehen, das könnte das schiefe Bild bei den Bezirken | |
korrigieren.“ | |
5 Jul 2021 | |
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[2] /Elke-Beitenbach-im-Interview/!5783723 | |
[3] /Safe-Places-in-Berlin/!5695580 | |
[4] /Wohnungslosenhilfe-in-Berlin/!5773121 | |
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