| # taz.de -- Obdachlos in Berlin: Platz finden | |
| > Kein Dach über dem Kopf und auch kein geschützer Ort? In Berlin gibt es | |
| > Streit um Safe Places für obdachlose Menschen. | |
| Bild: Draußen bleiben: Debora Ruppert porträtiert Obdachlose und gibt Obdachl… | |
| Wer die Karl-Marx-Straße entlang läuft oder am Landwehrkanal spaziert, | |
| kommt dort häufig an fest eingerichteten Schlafplätzen vorbei. Oft nicht | |
| mal ein Zelt, sondern einfach eine breite Matratze, darauf ein bis zwei | |
| ordentlich ausgebreitete Schlafsäcke und Decken, manche Plätze sind mit | |
| einer Zeltplane gegen Regen und Blicke geschützt. Daneben Einkaufswagen | |
| oder ausrangierte Kinderkarren zum Sammeln von Pfandflaschen und für | |
| Habseligkeiten, vereinzelt auch ein kleines Regal. Wie ein kleines Wohn- | |
| und Schlafzimmer auf der Straße. | |
| Solche Schlafplätze fallen in diesem Sommer nicht nur in Neukölln auf, | |
| sondern auch in anderen Innenstadtbezirken: Matratzen liegen im Eingang zu | |
| leerstehenden Geschäften, unter Brücken, oft aber auch einfach am | |
| Straßenrand, am Bauzaun oder am Kanalufer. | |
| Die sichtbare Obdachlosigkeit, so der subjektive Eindruck, hat in den | |
| vergangenen Monaten damit deutlich zugenommen. Empirisch lässt sich dieser | |
| Eindruck schwer belegen, denn wirklich belastbare Zahlen gibt es nicht. In | |
| einer ersten berlinweiten Zählung von obdachlosen Menschen im Januar 2020 | |
| trafen die Zählteams knapp 2.000 Menschen an. Der Ergebnis dieser ersten | |
| [1][„Nacht der Solidarität“] liegt damit deutlich unter den Schätzungen | |
| etwa von Beratungsstellen, die zuvor von 5.000 bis zu 8.000 obdachlos | |
| lebenden Menschen in Berlin ausgegangen waren. | |
| Eine zweite für den Sommer geplante Zählung von Obdachlosen in Berlin ist | |
| wegen der Pandemie auf das kommende Jahr verschoben worden. Aber der | |
| Eindruck, dass solche Schlafplätze deutlich zahlreicher und auffälliger im | |
| Stadtbild geworden sind, deckt sich mit den Beobachtungen von Initiativen | |
| und Beratungsstellen der Obdachlosenhilfe. Und es ist ja nicht nur die | |
| Zahl: An solchen offen an der Straße liegenden Schlafplätzen sind die | |
| Menschen viel sichtbarer als in einem versteckten Zelt am Rand einer | |
| Brache. | |
| „Früher hatten wir Obdachlosigkeit vorwiegend an einigen Hotspots. | |
| Inzwischen ist Obdachlosigkeit flächendeckend in der Stadt, Menschen suchen | |
| sich Nischen, sie leben unter Brücken. Mehr Menschen verlieren ihre | |
| Wohnungen, und dadurch sind sie auch sichtbarer“, sagt Andreas Abel von | |
| Gangway. Gangway macht niedrigschwellige Straßensozialarbeit und ist als | |
| Ansprechpartner für obdachlose Menschen am Zoo und am Ostbahnhof, aber auch | |
| in Friedrichshain-Kreuzberg und seit einem Jahr mit einem Team in Neukölln | |
| unterwegs. Dort sprechen sie Menschen an, bauen ein Vertrauensverhältnis | |
| auf und bieten Unterstützung an – wenn sie gewünscht ist. | |
| „Dass es mehr Menschen geworden sind, bezweifelt niemand“, sagt Abel. „Wir | |
| sehen das auch, etwa an Statistiken von Beratungsstellen oder bei der | |
| Auslastung der Kältehilfe.“ Sei es früher relativ leicht gewesen, einen | |
| Menschen, der dies wünsche, im Sommer unterzubringen, sei dies nun nicht | |
| mehr ohne weiteres möglich. | |
| Auch bei der Berliner Obdachlosenhilfe hat man den Eindruck, dass sichtbare | |
| Obdachlosigkeit in Berlin zugenommen hat. „Wenn allgemein weniger los ist | |
| draußen, werden diejenigen, die auf der Straße leben und sich eben nicht | |
| ins Zuhause zurückziehen konnten, sichtbarer“, sagt Heinz Waldow, einer der | |
| freiwilligen Helfer:innen bei der Obdachlosenhilfe. Dazu käme, dass den | |
| Menschen viele Einnahmequellen wie Zeitschriften verkaufen oder Betteln | |
| versiegt waren, so dass auch die, die sich sonst über den Tag das Geld für | |
| ein Hostel organisieren konnten, sich stattdessen einen Schlafplatz draußen | |
| eingerichtet hätten. | |
| ## Saisonale Schwankungen | |
| Bei den Bezirken – die verpflichtet sind, obdachlose Menschen | |
| unterzubringen – klingt das etwas weniger eindeutig. Eine Zunahme der | |
| Obdachlosigkeit sei in den vergangenen Jahren durchaus spürbar, diese | |
| unterliege aber auch saisonalen Schwankungen, heißt es etwa aus | |
| Charlottenburg-Wilmersdorf. Friedrichshain-Kreuzberg beschäftigten „die | |
| sichtbare Obdachlosigkeit und Campbildungen schon die gesamte Legislatur | |
| und darüber hinaus“. Und die relativ neue Zusammenarbeit von Neukölln und | |
| Gangway ist getragen von der Beobachtung, dass Obdachlosigkeit auch hier | |
| sichtbarer wird und sich in die Fläche ausdehnt. | |
| Wenn Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) über Zahlen | |
| spricht, möchte sie den Eindruck einer Zunahme weder bestätigen noch | |
| dementieren. Dies sei subjektiv, sagt sie, auch deshalb bemühe sie sich | |
| etwa mit Zählungen weiter um Zahlen. | |
| Sie hat dabei allerdings nicht nur die Obdachlosigkeit im Blick – also die | |
| Fälle, in denen Menschen mit ihrem Hab und Gut vornehmlich auf der Straße | |
| leben -, sondern auch Wohnungslosigkeit, wo Menschen keine eigene Wohnung | |
| haben und etwa in Unterkünften untergebracht sind oder als sogenannte | |
| Sofahopper bei Bekannten mehr oder weniger temporär und oft prekär | |
| unterkommen. | |
| [2][Breitenbachs erklärtes Ziel ist es], Wohnungs- und Obdachlosigkeit in | |
| Berlin bis 2030 zu beenden. Sie setzt dafür unter anderem auf Housing First | |
| – also den Versuch, Menschen als erstes und ohne große Voraussetzungen eine | |
| Wohnung zu vermitteln. | |
| Dieses Konzept finden sowohl viele obdachlose Menschen als auch ihre | |
| Unterstützer:innen begrüßenswert. Doch bis dahin ist es noch ein | |
| langer Weg, in Berlin haben gerade erste Pilotprojekte für rund 70 Menschen | |
| begonnen. | |
| ## Räumungen lösen kein Problem | |
| Daneben will Breitenbach den Zustand von Unterkünften verbessern, und auch | |
| Safe Places sollen die Situation von obdachlos lebenden Menschen weniger | |
| prekär machen. Mit Safe Places sind Orte gemeint, an denen Menschen, die | |
| sich dort niederlassen, nicht geräumt werden und an denen die Bezirke oder | |
| Träger außerdem eine grundlegende Versorgung etwa mit Wasser, Toiletten und | |
| Müllabfuhr sicherstellen. | |
| „Räumungen lösen das Problem ja nicht, diese Erkenntnis spricht sich | |
| inzwischen auch in den Bezirken herum, auch wenn die immer noch sehr | |
| unterschiedlich mit obdachlosen Menschen umgehen“, sagt Gangway-Mitarbeiter | |
| Abel. | |
| Er kritisiert, dass in einigen Bezirken immer noch Orte ohne vorherige | |
| Ansprache geräumt werden. „Es gibt oft Orte, an denen sie nicht stören, und | |
| wenn sie da geräumt werden und weiterziehen, gibt es plötzlich Probleme | |
| mit Anwohner*innen“, sagt er. „Das ist doch unlogisch.“ | |
| Die Straße gehört allen. Nicht der Verwaltung oder den Politikern“, sagt | |
| Cengiz Tanriverdio von Gangway, der seit einem Jahr in Neukölln als | |
| Straßensozialarbeiter Kontakt zu obdachlosen Menschen aufbaut. „Menschen | |
| haben ein Recht darauf, dort zu leben – wenn sie das so für sich wollen.“ | |
| ## Ein selbstbestimmtes Leben | |
| Doch es ist ein schmaler Grat zwischen diesem „Wollen“, zwischen | |
| Freiheitsbedürfnis, individuellen psychischen oder medizinischen Notlagen | |
| und – auch das gehört zum Bild dazu – dem desolaten Zustand von manchen | |
| Unterkünften oder den dortigen Zugangsbedingungen. In die Entscheidung, | |
| dauerhaft auf der Straße zu leben, spielt nach Erfahrung der | |
| Sozialarbeiter:innen auch die Frage hinein, inwieweit Menschen es | |
| aushalten, sich mit fremden Menschen ein Zimmer zu teilen, ihr Haustier | |
| nicht in eine Unterkunft mitnehmen zu können oder inwieweit ein striktes | |
| Verbot von Alkohol und anderen Suchtmitteln für sie umsetzbar ist. | |
| Auf diesem schmalen Grat bewegt sich auch die Idee der Safe Places. Denn, | |
| so der von der Verwaltung getragene Gedanke: solange es Obdachlosigkeit | |
| gibt und solange auch Housing First oder Notunterkünfte nicht für alle | |
| Menschen eine Lösung sind, sollen sie wenigstens etwas geschützt und unter | |
| guten hygienischen Bedingungen draußen leben. | |
| Aus der Sicht obdachloser Menschen stand bei der Idee auch im Vordergrund, | |
| dass solche Safe Places ihnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen | |
| könnten. Träger wie die Sozialgenossenschaft Karuna sehen in dem Konzept | |
| Chancen für ein Empowerment obdachloser Menschen jenseits von staatlichen | |
| Hilfesystemen. | |
| Eingeführt wurde das Konzept Anfang 2019 von Sozialsenatorin Elke | |
| Breitenbach als Teil ihres Planes, die unfreiwillige Wohnungslosigkeit in | |
| Berlin bis 2030 zu beenden. Auch für Menschen, die sonst keine | |
| Hilfsangebote annehmen können oder wollen, brauche es sichere Plätze – | |
| nicht zuletzt wegen des Mangels an bezahlbarem Wohnraum, so die Senatorin | |
| damals in einer Stellungnahme. Seitdem passiert ist – „pandemiebedingt“, | |
| wie Breitenbach heute sagt – allerdings wenig. | |
| Die Idee traf jedenfalls vielerorts erstmal auf viel Lob. Auch bei der | |
| Diskussion um das [3][Camp an der Rummelsburger Bucht] in Lichtenberg, in | |
| dem sich zwischenzeitlich mehr als 100 Menschen in Wohnwagen, Zelten und | |
| selbstgezimmerten Verschlägen lebten, schwang die Forderung mit, die Brache | |
| einfach zum Safe Place zu erklären und mit Wasseranschluss und | |
| Müllentsorgung auszustatten. | |
| Perspektivisch könnten Safe Places auf allen möglichen Freiflächen Berlins | |
| entstehen. Als Modellprojekte sind die ersten beiden Safe Places in Berlin | |
| eigentlich kurz vor der Fertigstellung: einer auf dem Containerbahnhof | |
| Frankfurter Allee, hinter der großen Traglufthalle „Halleluja“ der Berliner | |
| Stadtmission. Der zweite ist als „Common Place“ auf einer Grünfläche | |
| zwischen Frankfurter Allee und Gürtelstraße geplant, auch nur wenige | |
| hundert Meter vom Projekt der Stadtmission entfernt und in der | |
| Zuständigkeit des Bezirks Lichtenberg. | |
| Wann – und ob – dieser zweite Ort tatsächlich eingerichtet werden kann, ist | |
| nach einer Abstimmung in der Lichtenberger Bezirskverordnetenversammlung | |
| (BVV) vom Mittwoch allerdings wieder offen. Die BVV hatte sich – für viele | |
| der an der Planung Beteiligten überraschend – gegen den SPD-Antrag zur | |
| Umsetzung des Common Place ausgesprochen. Damit ist dessen Zukunft an | |
| dieser Stelle wieder ungewiss. | |
| ## Umzug von Zuflucht zu Zuflucht | |
| Für den Friedrichshainer Safe Place ist bereits ein kleines Areal an der | |
| Frankfurter Allee mit Bauzäunen umzogen. Es gibt hier fließend Wasser, | |
| einen Kühlschrank, eine improvisierte Duschkonstruktion, bald soll auch | |
| Strom kommen. Im hinteren Teil ist ein Pavillon aufgespannt, unter dem | |
| Campingstühle zum gemütlichen Abhängen einladen. Insgesamt leben sechs | |
| Stammbewohner:innen sowie einige teils länger bleibende Gäste auf dem | |
| von der Stadtmission angemieteten Areal. | |
| „Sieht doch richtig top aus, oder?“, fragt der 27-jährige Obdachlose Milan | |
| Sosnowski (Name geändert), während er eine Tischdecke hervorkramt, sie | |
| faltet und über den Campingtisch wirft. Anschließend wischt er mit einer | |
| Handbewegung noch die Falten beiseite. Auch Matze Meier (ebenfalls Name | |
| geändert), der einige Meter entfernt oberkörperfrei dasteht, nickt | |
| anerkennend: „Fehlt nur noch der Aschenbecher“, sagt er. Schnell ist dieser | |
| gefunden und mittig auf dem Tisch platziert. | |
| Noch Anfang Juni lebten die beiden hundert Meter weiter, wo ein | |
| Obdachlosencamp seit Jahren etwa 30 Menschen eine Zuflucht bot. Jetzt dient | |
| der Ort nur noch vereinzelten Menschen als Nachtlager. Die Deutsche Bahn, | |
| der das Gelände gehört, hatte die Räumung angekündigt – um sie dann im | |
| letzten Moment wieder abzusagen. Der neue Safe Place bietet also nicht | |
| allen Menschen, die vorher am Containerbahnhof gelebt hatten, Sicherheit. | |
| Sozialarbeiter:innen hätten den Kreis derer, die umziehen durften, | |
| zuvor „ermittelt“, sagt Sara Lühmann vom Friedrichshainer Bezirksamt der | |
| taz. Und ohne den Druck der Räumung wäre der nun bestehende Safe Place wohl | |
| nicht so schnell eingerichtet worden. | |
| Der eigentlich in Lichtenberg vorgesehene „Common Place“ soll von Karuna | |
| betreut werden, einer Sozialgenossenschaft, die sich in der | |
| Obdachlosenhilfe engagiert und auch die Obdachlosenzeitschrift Karuna | |
| Kompass verantwortet. Bis zum Ende dieses Jahres wollte man die ersten Tiny | |
| Houses aufgestellt haben. Auch ein öffentlicher Gemeinschaftsgarten sowie | |
| ein Repair Café war dort geplant, sagt Jörg Richert, Vorstandsvorsitzender | |
| von Karuna. Die Idee stammt aus den USA. Richert ist Soziologe und hat | |
| derartige Orte quer durch die Vereinigten Staaten besucht. Besonders | |
| beeindruckt habe ihn Seattle: „Fast an jeder Ecke“ entstünden dort Common | |
| Places, also autonome Strukturen unter Einbeziehung obdachloser Menschen, | |
| die meist öffentliche Gemeinschaftsgärten oder Repair Cafés betreiben. | |
| „Common Places sind nicht nur Orte, an denen obdachlose Menschen sicher | |
| sind, in ihnen wird zudem die gemeinschaftliche Verwaltung von Eigentum | |
| geprobt“, so der Soziologe. | |
| Durch diese Angebote würden die Grenzen zwischen Nachbarschaft und | |
| Obdachlosen aufweichen, bis letztere ihre Rolle als soziale | |
| Außenseiter:innen schließlich überwinden. Im Gegensatz zu Berlin, wo | |
| weiterhin die „Ich helfe dir“-Mentalität dominiere, stehe also das Credo | |
| „Hilf dir selbst, du schaffst das, du wirst nicht fremdbestimmt“ im | |
| Mittelpunkt. | |
| Natürlich sei Hilfe in vielen Situationen eine humanitäre Notwendigkeit, so | |
| Richert. „Letztlich entsteht durch sie aber auch eine | |
| Abhängigkeitsbeziehung, die beim Kampf, sich aus der Obdachlosigkeit zu | |
| befreien, sogar hinderlich wirken kann.“ | |
| ## Kein Ort der Selbtverwirklichung | |
| Sozialsenatorin Breitenbach betont dagegen die Funktion als Schutzraum – | |
| und nicht als Wagenplatz zur Selbstverwirklichung. Safe Places seien | |
| ausschließlich für Menschen, die auch tatsächlich obdachlos seien – und | |
| nicht etwa Orte für Wagenplätze oder für Menschen mit alternativen | |
| Lebenskonzepten. „Ich werde immer für Freiräume kämpfen“, sagt sie der t… | |
| „Aber es ist nicht Aufgabe des Staates, Menschen ihren Lebenstraum zu | |
| finanzieren.“ | |
| Was die bisherigen Konzepte verbindet, ist, dass sie Regeln und eine | |
| gewisse Stabilität der Bewohner:innen erfordern. Das aber schließt etwa | |
| schwer Suchtkranke oder Menschen mit gravierenden psychischen Problemen von | |
| vorneherein aus. Deswegen sind in Bezug auf die Safe Places für ihn noch | |
| viele Fragen offen, sagt Sozialarbeiter Andreas Abel von Gangway. Bei den | |
| jetzt vorliegenden Konzepten würden Menschen wieder reglementiert, für | |
| viele seiner Adressat:innen käme das nicht in Frage – die erreiche man | |
| eben höchstens mit Straßensozialarbeit, wie Gangway sie praktiziert. | |
| „Diese Lösungen gefallen mir bisher nicht“, sagt Abel. Konzepte wie der | |
| Common Place, dessen Bewohner:innen sich formal als Verein gründen | |
| sollen, um sich gegenüber dem Außen autonom vertreten zu können, und die | |
| dann dort noch Repair Cafés und Urban Gardening und einen Weihnachtsmarkt | |
| machen sollen, seien für viele zu voraussetzungsvoll. „An diesem | |
| Arbeitsauftrag könnte auch eine Gruppe von acht Akademiker:innen | |
| leicht scheitern“, meint er. | |
| Abel kritisiert auch, dass die Sicherheit der einen eine größere | |
| Unsicherheit für die, die dort nicht reinpassen, bedeuten könnte: So sei in | |
| einer Anwohner:innenversammlung an der Frankfurter Allee etwa | |
| versichert worden, dass andere Obdachlose im Umfeld der neuen Safe Places | |
| dann nicht mehr geduldet werden, damit es nicht „zu viele“ würden. „Das | |
| könnte dazu führen, dass Safe Places die Sicherheit der Menschen | |
| verringern, die dort nicht reinpassen und sich daher doch wieder woanders | |
| niederlassen.“ | |
| Auch bei der Berliner Obdachlosenhilfe seien sie zumindest verwundert | |
| gewesen über die Pläne für Safe Places, wie sie auch bei der fünften | |
| [4][Strategiekonferenz zur Wohnungslosenhilfe] im Juni vorgestellt worden | |
| waren. „Die, die die Safe Places konzipiert haben, haben offensichtlich | |
| keine Ahnung, wie es obdachlosen Menschen geht, wenn sie denken, dass die | |
| da Urban Gardening machen“, sagt Heinz Waldow, der sich ehrenamtlich bei | |
| der Obdachlosenhilfe engagiert. | |
| Der derzeitige Safe Place am Containerbahnhof sei nur die „Vorstufe“ für | |
| die eigentlichen Pläne, sagt Ulrich Neugebauer von der Stadtmission der | |
| taz. Eigentlich solle man den Begriff noch gar nicht verwenden. Was weiter | |
| geplant ist, stellte Florian Michaelis von der Architekt:innengruppe | |
| Urban Beta auf der Wohnungslosenkonferenz Anfang Juni vor. Urban Beta hat | |
| das Konzept zusammen mit der Stadtmission entwickelt. Unter anderem wurde | |
| dabei eine Simulation gezeigt, wie der zukünftige Platz einmal aussehen | |
| könnte: Abgebildet waren mehrstöckige Holzcontainer und eine Parkanlage im | |
| urban-modernen Design. Ein Passant mit Fahrrad schießt ein Foto, ein | |
| älterer Herr zeigt auf einen der Container, ein hip gekleidetes Paar sitzt | |
| auf einer Parkbank und liest ein Buch. Die „Antifaschistische Vernetzung | |
| Lichtenberg“ kommentierte auf Twitter, die Pläne sähen aus wie ein | |
| „Yuppie-Ferienlager“. Nun würden selbst Obdachlosenunterkünfte zur | |
| Gentrifizierung beitragen. | |
| ## Katze beim Safe-Place-Konzept | |
| Dabei hatten die Bewohner:innen des Containerbahnhofs bereits ein | |
| eigenes Konzept für einen Safe Place ausgearbeitet. Darin hieß es, man | |
| wolle sich „nicht ein weiteres Mal in die Ungewissheit verdrängen lassen“, | |
| sondern „die Sicherheit haben, unser Leben selbstbestimmt gestalten zu | |
| können“. Hierzu gaben sich die Bewohner:innen klare Regeln wie etwa | |
| Mietzahlungen, das Verbot offenen Feuers, Lärmschutz, eine nachhaltige | |
| Nutzung oder die klare Begrenzung der Personenzahl auf dem Gelände. Auch | |
| eine „Safe Place-eigene Katze“ zur Bekämpfung der Rattenproblematik war | |
| Teil des Konzepts. Auf dieses Konzept aber ging Michaelis von Urban Beta | |
| bei der Präsentation der eigenen Pläne auf der Wohnungslosenkonferenz nicht | |
| ein. | |
| Lange drehte sich die Safe-Places-Debatte um Orte wie die Rummelsburger | |
| Bucht oder auch die Kreuzberger Cuvry-Brache an der Spree, wo sich 2012 | |
| nach Protesten mit Zelten gegen Bebauungspläne ein regelrechtes Dorf aus | |
| zusammengezimmerten Hütten entwickelt hatte, in dem zwischenzeitlich bis zu | |
| 200 Menschen lebten. Begriffe wie „Slums“ oder „Favelas“ fielen da. | |
| [5][Die Cuvry-Brache wurde 2014] nach einem Brand geräumt, das Areal ist | |
| inzwischen bebaut. Aber der erbitterte Kampf, der hier um den – von einigen | |
| als Freiraum, von anderen als Schandfleck bezeichneten – Ort geführt wurde, | |
| hallt auch heute noch nach. | |
| ## Ein Platz in bester Spreelage | |
| Um Safe Places hat es sich bei der Cuvry-Brache und der Bucht allerdings | |
| nie gehandelt. Sie waren weder entsprechend anerkannt noch ausgestattet. | |
| Die Brache damals entstand, weil sich die Menschen den Platz in bester | |
| Spreelage einfach genommen hatten – das steht eher im Gegensatz zu der | |
| jetzigen Idee, Orte zu benennen, auf denen sich dann Menschen niederlassen | |
| dürfen. An der Rummelsburger Bucht hatte der Bezirk zwar zwischenzeitlich | |
| damit begonnen, Toiletten aufzustellen und den Müll regelmäßig abzuholen. | |
| Doch weder die Toiletten noch die Müllentsorgung blieben dauerhaft, auch | |
| aus der Befürchtung heraus, dass dies weitere Bewohner:innen anziehen | |
| könnte. Letztlich wurde die Rummelsburger Bucht in einem kontroversen | |
| Polizeieinsatz [6][im Februar von der Polizei geräumt]. | |
| Bei aller auch aktivistischer Unterstützung für Brache und Bucht stellt | |
| sich ganz grundsätzlich die Frage, ob sich diese beiden Orte überhaupt als | |
| Vorbilder für Safe Places eignen. So große Lager entsprächen eher nicht den | |
| Bedürfnissen obdachloser Menschen, die meisten würden, wenn sie wählen | |
| könnten, eher in kleineren Gruppen zusammenleben wollen. | |
| „Solche Orte entstehen, weil die Menschen sonst überall verscheucht | |
| werden“, sagt etwa Sozialarbeiter Abel von Gangway. „Wenn die Bezirksämter | |
| flächendeckend toleranter wären, dann würden die Lager gar nicht so groß | |
| werden“, meint er. Aber der Verdrängungsdruck sei groß: „Wenn sich zwei, | |
| drei Menschen irgendwo niederlassen, kann es sein, dass mehr dazukommen. | |
| Und dann ist der Ort auch schon schwerer zu räumen“, so Abel. Daher würden | |
| einige Bezirke schon bei vereinzelten Zelten nervös: keiner wolle die | |
| nächste Rummelsburger Bucht bei sich haben. Wer die Idee der Safe Places | |
| ernst nehme, der müsste daher auch berlinweit rund 200 solcher Plätze | |
| einrichten. | |
| Doch wären 200 Safe Places im Stadtgebiet tatsächlich Freiräume oder eher | |
| die Kapitulation vor dem Elend? Dies wirft Fragen auf, die seit der | |
| Diskussion um die Cuvry-Brache in der Luft liegen. Denn die derzeitigen | |
| Unterbringungsmöglichkeiten bewahren Menschen nicht unbedingt vor dem | |
| Elend, das wäre dann nur versteckter. | |
| Viele Menschen, die auf der Straße leben, täten das ja nicht, weil das ihr | |
| Lebensentwurf ist, betonen auch Hilfsorganisationen immer wieder – sondern | |
| weil oft die Unterkünfte, die ihnen angeboten werden, nicht akzeptabel | |
| seien. „Wenn man es schafft, die Menschen vernünftig und würdig | |
| unterzubringen, dann kommt ein Teil der Menschen schon von der Straße. Und | |
| den anderen, die aus welchen Gründen auch immer nicht willens oder nicht | |
| fähig sind, eine Wohnung zu beziehen, denen kann man dann auch den Raum | |
| geben, wo sie leben können“, sagt auch Abel. | |
| Dabei würde dann am Ende auch Solidarität aus der Stadtgesellschaft helfen. | |
| „Es beschweren sich immer die, die sich gestört fühlen. Wenn sich auch mal | |
| die beim Bezirk melden würden, die sagen, dass sie obdachlose Menschen als | |
| ihre Nachbarn sehen, das könnte das schiefe Bild bei den Bezirken | |
| korrigieren.“ | |
| 5 Jul 2021 | |
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