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# taz.de -- Wohnungslosenhilfe in Berlin: Mehrere Räumungsklagen täglich
> Auf der 5. Strategiekonferenz zur Wohnungslosenhilfe waren
> Zwangsräumungen das Thema schlechthin. Aktivist:innen fordern
> selbstverwaltetes Leben.
Bild: Obdachlosigkeit bis 2030 abschaffen? Will Sozialsenatorin Elke Breitenbach
Berlin taz | Ein „Pakt mit der Stadtgesellschaft“ sollte laut Elke
Breitenbach (Linke), Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, auf
der [1][5. Strategiekonferenz zur Wohnungslosenhilfe] geschlossen werden.
Auch Pressesprecher Stefan Strauß sprach gegenüber der taz von einem
„Paradigmenwechsel“ – und meinte damit, dass es der Senatsverwaltung nicht
mehr darum ginge, das Elend der Obdachlosigkeit zu verwalten, sondern
darum, es abzuschaffen.
Hierzu seien seit Montag letzter Woche „alle Menschen, die sich in Berlin
zum Thema Obdachlosigkeit engagieren, an einen Tisch gebracht“ worden, so
Strauß. Auch kritische Stimmen und obdachlose Menschen selbst gehörten hier
dazu. Den elf Veranstaltungen der Konferenz, in denen etwa zur Beschaffung
von Wohnraum für obdachlose Menschen referiert wurde, hätten im Schnitt 100
bis 200 Menschen gelauscht.
Für das Ziel, [2][Obdachlosigkeit zu beenden], spielt auch die Verhinderung
von Zwangsräumungen eine zentrale Rolle. Am Freitag wurde deshalb auch eine
von der Landesarmutskonferenz Berlin durchgeführte Befragung der Berliner
Sozialämter vorgestellt. Aus dieser geht unter anderem hervor, dass es in
Berlin im Jahr 2019 zu sage und schreibe 3.482 Räumungsklagen kam – also zu
fast 10 täglich.
Dabei dürfte die tatsächliche Zahl sogar noch höher sein. Denn das
behördliche Prozedere sieht lediglich vor, dass die Gerichte die
zuständigen Sozialämter beim Eingang einer Klage wegen Zahlungsvollzugs
informieren. Räumungsklagen aufgrund von Eigenbedarf oder wegen
Fehlverhaltens der Mieter:innen sind in der Zahl deshalb nicht
enthalten. Für Carsten Jung, Co-Autor der Befragung, ist es deshalb eine
„zentrale Forderung“, dass die Sozialämter künftig über alle Räumungskl…
informiert werden.
## Selten ausgesetzt
Letztlich seien Zwangsräumungen in 3.003 Fällen konkret terminiert worden,
so der Bericht. Auch die Zahl der tatsächlichen Zwangsräumungen dürfte sich
„im selben Bereich bewegen“, so Jung, da einmal terminierte Räumungen nur
selten ausgesetzt würden. Damit wurden in Berlin im Jahr 2019 täglich um
die 8 Haushalte zwangsgeräumt.
Trotz allem zieht der Bericht ein positives Resümee. Im Vergleich zu 2015,
als zum ersten Mal vergleichbare Daten erhoben wurden, habe sich die Anzahl
der Räumungsklagen um fast 55 Prozent verringert, die der terminierten
Wohnungsräumungen um etwa 40 Prozent. Das sei aber auch auf die angespannte
Situation am Wohnungsmarkt zurückzuführen, so Jung: „Die Menschen tun
mittlerweile alles dafür, wenigstens ihre Miete zu bezahlen, um nicht aus
ihrer Wohnung zu fliegen.“
Dennoch gebe es Fortschritte. So habe etwa das Wohnraumversorgungsgesetz
von 2016 die landeseigenen Wohnungsunternehmen in die Pflicht genommen, bei
Mietrückständen Beratungen anzubieten. Mittlerweile habe auch ein
„Gesinnungswechsel“ in den zuständigen Bezirksämtern stattgefunden, so
Jung. Sei es noch vor 20 Jahren tendenziell darum gegangen, Obdachlosigkeit
zu verwalten, gebe es mittlerweile „echte Bemühungen und engagierte
Sozialarbeiter:innen, die versuchen zu helfen“.
## Echte Bemühungen
Kritisch sieht Jung dagegen, dass die Präventionsteams, die einige Bezirke
eingeführt haben, noch über unzureichende Kompetenzen verfügen. „Warum
sollten Mieter:innen ihre prekäre Situation weiteren staatlichen Stellen
offenbaren müssen, wenn doch die Sozialarbeiter:innen bereits vor
Ort sind und vollumfängliche Hilfen anbieten könnten?“, fragt er. Letztlich
übernehme das Land alle Kosten – und Mietschulden zu übernehmen sei
aufgrund der enormen Gebühren etwa für Notunterkünfte meist wesentlich
günstiger als die Folgenkosten der Wohnungslosigkeit.
Teilweise müssen die Befragungsergebnisse als lückenhaft gelten. So gaben
etwa nur fünf Bezirke an, wie oft die Interventionen tatsächlich
erfolgreich waren. Ein Amt nannte eine erschreckend niedrige Quote von 6,3
Prozent, andere Ämter gaben an, in bis zu 60 Prozent aller Fälle
erfolgreich gewesen zu sein. Weitere Zuordnungen sind aufgrund der
anonymisierten Befragungsergebnisse nicht möglich. Als Gründe für diese
Diskrepanzen führte Jung uneinheitliche Verfahren und statistische
Erfassungen an.
Unter anderem streamte die Karuna Sozialgenossenschaft die Konferenz live,
um auch obdachlosen Menschen die Partizipation zu ermöglichen. Während der
Präsentation zuckte ein Aktivist mit den Schultern. „Ich finde, wir denken
nicht radikal genug, wenn wir über Räumungsklagen sprechen“, sagte er der
taz. Wohnungen müssten dem Kapital entzogen werden, sonst bleibe 2030
„[3][nur ein schönes Ziel]“. Auch andere Aktivist:innen erklärten, ihr
Eindruck sei, häufig sei gar nicht gewünscht, dass obdachlose Menschen ihr
eigenes Leben tatsächlich selbst verwalten.
## Räumung am Rande
Dazu passt, dass ausgerechnet am Freitag, als auf der Konferenz über
[4][Safe Places] referiert wurde, also über Räume, in denen obdachlose
Menschen vor Vertreibung sicher sind, die Deutsche Bahn einem seit Jahren
bestehenden Obdachlosencamp am Containerbahnhof Frankfurter Allee
ankündigte, sie am Montag, den 14. Juni, um 8 Uhr morgens räumen lassen zu
wollen.
Im Schreiben, das der taz vorliegt, heißt es auch, dieses Vorgehen sei mit
„Bezirk, den Behörden und den beteiligten Sozialträgern abgestimmt“. Der
zuständige Sozialstadtrat aus Friedrichshain-Kreuzberg, Knut
Mildner-Spindler (Linke), erklärte der taz, er gehe nicht davon aus, dass
am Montag tatsächlich geräumt würde. Die Verhandlungen über den Ort liefen
seit Monaten, die Wohnwagen des Camps müssten nur wenige Meter weiter
ziehen, wo die Berliner Stadtmission ohnehin schon ein Wärmezelt betreibt.
Ein betroffener Bewohner des Camps sagte auf der Karuna-Veranstaltung der
taz, die DB-Securities seien „aggressiv“ aufgetreten. „Sie haben einfach
gesagt, ihr müsst verschwinden, danach sind sie abgehauen.“ Seit drei
Jahren wohne der gepflegt aussehende Mann auf dem Lagerplatz. „Wenn wir da
wirklich weg müssen, ich habe keine Ahnung, wo ich dann hin soll“, sagte
er.
7 Jun 2021
## LINKS
[1] https://www.berlin.de/sen/soziales/besondere-lebenssituationen/wohnungslose…
[2] /Wohnungslosigkeit-in-Berlin/!5770112
[3] /Kaeltehilfe-in-Berlin/!5735341
[4] /Raeumung-von-Obdachlosen-in-Berlin/!5762072
## AUTOREN
Timm Kühn
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