Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zwangsräumung vor Bremer Gericht: Doppelte Miete oder raus
> Ein Ehepaar will seinen Mieter aus der Wohnung klagen. Doch an ihrem
> Eigenbedarf gibt es Zweifel – gegen mehr Geld hätten sie wohl weiter
> vermietet.
Bild: Protest vor dem Amtsgericht Bremen: Das Bündnis gegen Zwangsräumungen h…
Bremen taz | Der Mieter E. kommt zu spät zu seinem eigenen
Räumungsverfahren. Der Grund: Er steht noch mit Unterstützer*innen in
der Schlange bei der Einlasskontrolle am Bremer Amtsgericht. Es sind so
viele Menschen gekommen, dass sich die Kontrolle der Taschen und
Impfnachweise am Eingang hinzieht.
Den Antrag der Verteidigung, die Verhandlung zu vertagen, um einen größeren
Raum zu finden, hatte das Gericht abgelehnt. Ein Großteil der
Unterstützer*innen des Mieters aus der Neustadt in Bremen, der nicht
mit ganzem Namen in der Zeitung stehen möchte, muss an diesem Freitag
deshalb draußen warten.
Das Bündnis gegen Zwangsräumung in Bremen hatte zu der Verhandlung
mobilisiert. Die Aktivist*innen wollen auf den Fall aufmerksam machen.
E. soll seine Wohnung räumen, weil seine Vermieter*innen, ein Ehepaar,
beide Anfang 50, Eigenbedarf angemeldet haben. Weil es daran aber Zweifel
gibt, stehen nun mehr als drei Dutzend weitere Unterstützer*innen vor
dem Amtsgericht.
Auf Umzugskartons haben sie den Slogan „Zwangsräumungen stoppen! …in der
Pandemie & immer“ geschrieben und ein Banner vor dem Gericht aufgehangen.
Aus Lautsprechern tönt Musik..„Wir wollen Öffentlichkeit für das Treiben
des Vermieters herstellen und zeigen, dass wir an der Seite des Mieters
stehen“, sagt der Sprecher des Bündnisses, Bahne Michels.
## Jedes Jahr fast 1.000 Räumungsklagen
E. wohnt seit 24 Jahren in der Wohnung in der Bremer Neustadt, einem
ehemaligen Arbeiterstadtteil gegenüber der Altstadt, der in den letzten
Jahrzehnten immer beliebter geworden ist; Beck's sitzt hier, die Hochschule
und die Schwankhalle eine Produktionsstätte für die freien Künste. E.
arbeitet in der Lagerlogistikbranche. Im Gericht trägt er einen Pulli mit
einem Radsportler darauf. Die Cappy behält er auf. Er wirkt entspannt, hört
aber aufmerksam zu.
Seine Vermieter*innen haben schon 2020, kurz nachdem sie die Wohnung
gekauft haben, Eigenbedarf angemeldet. E. hätte zum 30. Juni 2021 ausziehen
sollen. Da er jedoch keine andere Wohnung fand, blieb er. Seine Vermieter
stellten daraufhin die Räumungsklage.
Solche [1][Klagen sind im Land Bremen keine Seltenheit.] Zwischen 2015 bis
2019 wurden 4.225 Räumungsverfahren geführt. So geht es aus der Antwort des
Senats auf eine Anfrage der Bremer CDU-Fraktion hervor. Besonders an diesem
Verfahren sind jedoch die erheblichen Zweifel, ob wirklich ein Eigenbedarf
auf Seiten des Vermieters besteht.
## Zweifel am Eigenbedarf der Vermieter*innen
„Es gab ein ausführliches Gespräch, dafür gibt es Zeugen, in dem der
Vermieter angeboten hat, dass E. bleiben darf, wenn er 1.000 Euro für die
Wohnung zahlt“, sagt dessen Anwalt Holger Gautzsch über ein Telefonat
beider Parteien. Bisher zahle der Mieter rund 500 Euro Kaltmiete. Er sollte
seine Miete also verdoppeln, um bleiben zu dürfen.
Ein Eigenbedarf besteht jedoch nur dann, wenn die Wohnung dringend vom
Eigentümer gebraucht wird. Wenn es darum geht, lediglich andere
Vertragskonditionen zu erwirken oder die Miete zu erhöhen, zieht das
Argument nicht.
Zudem spräche ein weiterer Grund dagegen, dass in diesem Fall wirklich
Eigenbedarf bestehe, meint der Rechtsanwalt des Mieters. Nachdem sich E.
weigerte, im Juni auszuziehen, setzten seine Vermieter*innen einen
neuen befristeten Mietvertrag mit einer erhöhten Miete auf. „Wer erst
Eigenbedarf anmeldet und dann einen neuen Vertrag aufsetzt, widerspricht
sich selbst“, sagt Gautzsch.
## Vermieter könnten immer wieder kündigen
Auch die Richterin deutete an, dass sie das Räumungsverfahren wegen
Zweifeln am Eigenbedarf abweisen könnte – und sie lotete aus, ob auch eine
außergerichtliche Einigung möglich sei. Wie denn das Verhältnis zwischen
Mieter und Vermieter*innen sei, wollte sie wissen. Während der
Vermieter sagte, dass er sich von E. bedroht fühle und dieser alle
Kompromissvorschläge ablehne, antwortet E. selbst: „Uns verbindet nur die
Kontoverbindung. Ich habe ihn zum ersten Mal heute gesehen.“
Die Richterin war trotz der Spannungen überzeugt, dass eine Einigung
möglich sei. Sie setze das Verfahren mit Zustimmung aller Parteien für ein
halbes Jahr aus. Denn selbst, wenn die Klage abgewiesen würde und E. somit
zunächst in seiner Wohnung bleiben könne, stünde es den Vermieter*innen
offen, erneut eine Kündigung auszusprechen, begründete die Richterin. Das
ganze Prozedere könnte also wieder von vorne losgehen.
Rechtsanwalt Gautzsch freute sich über diese Aussetzung des Verfahrens.
Sein Mandant lasse sich auf ein erneutes Gespräch ein. „Ihm geht es darum,
Wohnungslosigkeit zu vermeiden. Er ist prinzipiell bereit auszuziehen,
braucht aber eine neue Bleibe.“ Alternativ könne die Gegenseite auch das
Mietverhältnis fortsetzen. Ob es wirklich zu einer Einigung innerhalb von
sechs Monaten kommt, ist dennoch offen. Beide Seiten können das Verfahren
auch jederzeit vor Ablaufen der Frist wieder aufnehmen.
Das [2][Bündnis gegen Zwangsräumungen will den Fall] deshalb weiter
beobachten. Vor dem Amtsgericht sagt Unterstützer Michels: „Wir haben heute
ein starkes Zeichen der Solidarität unter Mietern gesetzt. Wir freuen uns,
dass E. endlich ein wenig aufatmen kann.“ Der Mieter selbst ist ebenfalls
erleichtert: „Ich bin sehr froh. Ich habe immer das Gespräch mit meinem
Vermieter gesucht – zurück kamen aber nur Rechnungen und Briefe vom
Anwalt.“
7 Feb 2022
## LINKS
[1] /Zwangsraeumungen-in-Bremen/!5569142
[2] /Protest-gegen-Wohnen-als-Ware/!5781408
## AUTOREN
Lukas Scharfenberger
## TAGS
Zwangsräumung
Mieterhöhung
Mieten Bremen
Mieterinitiativen
Bremen
Bremen
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Zwangsräumung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Protest gegen Wohnen als Ware: Vermeidbare Zwangsräumung
60 Menschen versuchen, die Räumung einer Wohnung im Bremer Viertel zu
verhindern. Mieter hatte versäumt, auf die Briefe der Eigentümer zu
reagieren.
Wohnungslosenhilfe in Berlin: Mehrere Räumungsklagen täglich
Auf der 5. Strategiekonferenz zur Wohnungslosenhilfe waren Zwangsräumungen
das Thema schlechthin. Aktivist:innen fordern selbstverwaltetes Leben.
Zwangsräumungen in Bremen: „Jede Räumung ist eine zu viel“
Linke AktivistInnen verhindern in Vegesack die Zwangsräumung eines Mieters.
Sie möchten auf das Gesamtproblem aufmerksam machen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.