| # taz.de -- Protest gegen Wohnen als Ware: Vermeidbare Zwangsräumung | |
| > 60 Menschen versuchen, die Räumung einer Wohnung im Bremer Viertel zu | |
| > verhindern. Mieter hatte versäumt, auf die Briefe der Eigentümer zu | |
| > reagieren. | |
| Bild: Viele Unterstützer: Protest gegen Zwangsräumung in Bremen | |
| Bremen taz | Protestierende gegen eine [1][Zwangsräumung] sind am Dienstag | |
| von einem Großaufgebot der Bremer Polizei weggezerrt worden. Etwa 60 | |
| Menschen hatten den Zugang zu einem Hinterhof blockiert, sodass die | |
| Gerichtsvollzieherin nicht in die Wohnung gelangen konnte. Die Firma Müller | |
| & Bremermann hatte ihrem Mieter Udo K. gekündigt. Die Möglichkeit, dagegen | |
| Widerspruch einzulegen, hatte er nicht genutzt. | |
| Um 12.32 Uhr ist alles ruhig vor der Hausnummer 120. Aktivist*innen | |
| stehen im Durchgang zum Hinterhof, halten ein schlaffes Banner und rauchen. | |
| Darauf steht: „Udo wird nicht geräumt.“ „Mich würde es sehr wundern, we… | |
| die das heute durchziehen“, sagt Bahne Michels vom [2][Bündnis | |
| „Zwangsräumungen verhindern“]. | |
| Zweieinhalb Stunden später steht der Mieter Udo K. auf der | |
| gegenüberliegenden Straßenseite vorm Eiscafé Aldo und sieht zu, während | |
| junge Menschen wie Kreisel vom Zugang zu seinem Hinterhof weggeschleudert | |
| werden. Was ist passiert? | |
| Seit Februar 2019 wohnte Udo K. in der Wohnung am Dobben. Die sei ein | |
| sicherer Hafen für ihn gewesen, die Nachbarschaft gut und eigentlich auch | |
| das Verhältnis zur Immobilienfirma. Als die Firma Müller & Bremermann | |
| zweimal Handwerker schickte, war er nicht zu Hause. Wegen gesundheitlicher | |
| und familiärer Probleme habe er auf die Schreiben der Immobilienfirma nicht | |
| geantwortet. Das war der Grund für die Kündigung. | |
| ## Miete stets bezahlt | |
| Seine Miete habe er immer rechtzeitig bezahlt, auch Müll war kein Problem. | |
| „Ich habe dann einfach nicht reagiert, als die Kündigung kam“, sagt K. Der | |
| Immobilienfirma macht er keine krassen Vorwürfe: „Die hätten mich gar nicht | |
| erreichen können.“ Nun habe er aber eine neue Wohnung in Aussicht, die er | |
| allerdings erst in zwei Wochen beziehen könne. So lange wolle er nicht auf | |
| der Straße landen. Einen Mietvertrag habe er allerdings noch nicht | |
| unterschrieben, sagt ein Unterstützer des Bündnisses. | |
| Vor dem Edeka auf der anderen Straßenseite stehen mittlerweile die | |
| Gerichtsvollzieherin und ein Mitarbeiter von Müller & Bremermann, abgewandt | |
| von den Aktivist*innen und den Kameras. Gegenüber tritt die Polizei an | |
| die Kette von etwa 60 Protestierenden im Hauseingang heran und teilt ihnen | |
| die Forderung der Immobilienfirma mit: Sie sollen den Zugang zum Hinterhof | |
| sofort verlassen. | |
| „Udo hat wegen Lappalien eine Kündigung bekommen“, sagt Michels. Wohnen sei | |
| die absolute Mindestanforderung für ein würdevolles Leben, sagt er. Und: | |
| „Wir sind grundsätzlich gegen die warenförmige Nutzung von Wohnraum.“ Von | |
| den etwa 800-jährlichen Zwangsräumungen in Bremen sei jede einzige zu viel. | |
| Mit der Firma direkt wolle man nicht reden, aber einen Dialog über | |
| Zwangsräumungen unter den Bürger*innen und in der Politik anstoßen. | |
| Müller & Bremermann ist ein Lieblingsgegner: Der Firma gehört auch die bis | |
| vor kurzem noch [3][besetzte Dete] in der Neustadt. Aktivist*innen | |
| werfen den Unternehmern vor, das ehemalige Kulturzentrum einfach verfallen | |
| zu lassen, um damit zu spekulieren. | |
| Mittlerweile ist es 13.52 Uhr. „Auf der anderen Seite läuft jetzt übrigens | |
| Bremermann vorbei“, schallt es aus den Boxen der Aktivist*innen. Allgemeine | |
| Buhrufe, ein paar vereinzelte Verpiss-dich-Schreie. Ein Mann mit grauen, | |
| langen Haaren läuft tatsächlich auf der anderen Straßenseite vorbei – | |
| allerdings nicht Marco Bremermann, wie der Pressesprecher des Unternehmens, | |
| Daniel Günther versichert. | |
| Und den Grund für die Kündigung formuliert der Unternehmenssprecher auch | |
| anders als die Aktivist*innen, die von zwei verpassten Terminen sprechen. | |
| „An der Wohnung sollten Instandhaltungsmaßnahmen durchgeführt werden“, | |
| schreibt Günther auf Anfrage der taz, „was nicht möglich war, weil der | |
| Mieter über mehr als ein Jahr jede Kommunikation verweigerte.“ Ein Aufschub | |
| der Räumung von zwei Wochen sei aufgrund des Gerichtsurteils in dem Fall | |
| und der lange festgelegten Frist nicht möglich gewesen. | |
| Um 14 Uhr erklärt die Polizei die Versammlung für beendet, weil die | |
| Teilnehmer*innen nicht 1,5 Meter Abstand zueinander halten. Doch die | |
| Demonstrierenden denken nicht daran zu weichen und versperren die Zufahrt | |
| weiterhin. | |
| Die [4][Bürgerschaftsabgeordnete Maja Tegeler von der Linken], die die | |
| Szenerie beobachtet, findet die Räumung überzogen und sieht den | |
| Innensenator von der SPD in der Verantwortung. „Ulrich Mäurer hätte solche | |
| Bilder verhindern können“, sagte sie. | |
| Die Pressestelle des Innensenators teilt allerdings mit, Mäurer habe von | |
| nichts gewusst und keinen Kontakt zu dem Bündnis gehabt. Und die Räumung | |
| habe er ohnehin nicht stoppen können – wegen des vorliegenden | |
| Räumungsbeschlusses vom Amtsgericht. Eine Bewertung dieses Beschlusses | |
| stehe der Innenbehörde nicht zu. | |
| Um 14.47 blockiert die Polizei mit einem Wagen die Spur vor dem Dobben, | |
| Nummer 120. Kurz danach rollen fünf Mannschaftswagen der Polizei die Straße | |
| herunter. Die Polizist*innen steigen aus, sammeln sich vor der | |
| Einfahrt, tragen noch ein paar Stühle aus dem Weg. | |
| ## Räumung in zehn Minuten | |
| Dann zerren sie die Aktivist*innen aus der Einfahrt. Sie zerreißen | |
| dabei ein paar Shirts. Ab und zu schreit jemand. Die Menschen, die aus dem | |
| Tumult stolpern, reiben sich die Arme und Beine und verzerren die | |
| Gesichter. Nur zehn Minuten dauert es. Dann sind alle Aktivist*innen | |
| weg. | |
| Mithilfe von „brutaler Gewalt“ sei das geschehen, schreibt das Bündnis | |
| „Zwangsräumungen verhindern“ auf Twitter. „Auseinandersetzungen“ nennt… | |
| dagegen die Polizei Bremen in ihrer Pressemitteilung. Um 15.11 Uhr stehen | |
| statt Demonstrierenden in T-Shirts Polizist*innen in Kampfmontur im | |
| Durchgang. Und Udo K. ist wohnungslos. | |
| Die Zwangsräumung hat ein Nachbeben ausgelöst: CDU und FDP empörten sich | |
| über die Linken-Abgeordnete Maja Tegeler, die bei der Blockade eine Weste | |
| mit der Aufschrift „parlamentarische Beobachter*in“ trug. Sie hätte nicht | |
| den Eindruck erwecken dürfen, sie verträte das Parlament, kritisieren die | |
| Oppositionsparteien. | |
| Damit zeige die CDU, dass sie auf der Seite der Besitzenden stehe, findet | |
| die Linke. „Unsere Solidarität gilt den Wohnenden“, konterte sie. | |
| 15 Jul 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Elke-Beitenbach-im-Interview/!5783723 | |
| [2] https://verhindern.blackblogs.org/zusammen/ | |
| [3] /Besetzerinnen-ueber-Flinta-Raum/!5740709 | |
| [4] https://www.maja-tegeler.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Lisa Bullerdiek | |
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