| # taz.de -- Schrott-Wohnungen für Obdachlose: Lost im Hostel | |
| > Private Hostelbesitzer verdienen sich goldene Nasen an Wohnungslosen, | |
| > weil es nicht genug Wohnheimplätze gibt. Drei Bezirke überlegen nun, | |
| > Pleite-Hostels für Wohnungslose zu kaufen | |
| Bild: Protest von Obdachlose der Rummelburger Bucht im Juni, die nur übergangs… | |
| Berlin taz | Dass private Betreiber von miserablen „Läusepensionen“ viel | |
| Geld mit der Unterbringung von Wohnungslosen verdienen, ist ein oft | |
| verdrängter Skandal. Tatsächlich ist Sozialsenatorin Elke Breitenbach | |
| (Linke) mit dem Bekunden angetreten, dies zu ändern. Doch noch lässt die | |
| angestrebte Lösung, die „Gesamtstädtische Steuerung der Unterbringung“, a… | |
| sich warten, nach fünf Jahren beginnt im August erst die Pilotphase (dazu | |
| unten mehr). | |
| Derweil geht die Abzocke munter weiter, wie ein aktuelles Beispiel aus | |
| Mitte zeigt. Hier zahlt der Bezirk für eine siebenköpfige Familie, die in | |
| einem möblierten 35-m2-Apartment in einem Hostel untergebracht ist, 35 Euro | |
| pro Person und Nacht – macht im Monat 7.350 Euro bzw. 210 Euro pro | |
| Quadratmeter. Der RBB hatte am Montag zuerst über den Fall berichtet. Die | |
| Einweisungsverfügung, aus der die Kosten hervorgehen, liegt nun auch der | |
| taz vor. | |
| Wie oft in solchen Fällen geht der horrende Preis nicht mit guter Qualität | |
| einher, im Gegenteil: Das Hostel ist schon öfter wegen Bettwanzenbefall in | |
| Verruf geraten, wie der Flüchtlingsrat in einer Beschwerdemail an das | |
| Bezirksamt dokumentiert. Auch die betroffene Familie hat sich laut Georg | |
| Classen vom Flüchtlingsrat wiederholt über die Wanzen beschwert und um | |
| Verlegung gebeten. | |
| Nach Classens Darstellung wäre es wiederholt möglich gewesen, dass das | |
| Bezirksamt die Familie im Wege der Amtshilfe in eine modulare | |
| Flüchtlingsunterkunft (MUF) des Landesamts für Geflüchtete mit freien | |
| Kapazitäten verlegt. Dort seien Qualitätsstandards vertraglich gesichert | |
| und Extraprofite durch Überbelegung wie in diesem Hostel ausgeschlossen. | |
| Zudem kümmern sich in den LAF-Unterkünften anders als im Hostel | |
| SozialarbeiterInnen um die BewohnerInnen. Classen: „Bei den Modulneubauten | |
| des LAF refinanziert zudem der Tagessatz die Immobilie des Landes.“ | |
| ## Bezirksamt will private Arbeitsplätze sichern | |
| Das Bezirksamt wies die Beschwerden des Flüchtlingsrats zurück: Der | |
| Wanzenbefall habe sich nach Einsatz eines Kammerjägers erledigt, ansonsten | |
| erfülle die Unterkunft die Mindeststandards des Bezirks. Auch sei nicht | |
| einzusehen, wieso die Unterbringung der Familie in einem LAF-Heim besser | |
| wäre, heißt es in der Antwort auf die Beschwerde, die der taz vorliegt. | |
| Zumal diese Forderung verkenne, „dass die Unterbringung von Obdachlosen in | |
| vertragsfreien Einrichtungen einerseits weiterhin notwendig ist und | |
| andererseits Arbeitsplätze schafft“. | |
| Dieses Argument ärgert Classen besonders. „Wie kann das Ziel der | |
| Arbeitsplatzbeschaffung den Einsatz so hoher öffentlicher Mittel | |
| rechtfertigen?“, fragt er und hat inzwischen den Landesrechnungshof um | |
| Prüfung gebeten. Auf eine entsprechende Anfrage der taz erklärte das | |
| Bezirksamt nur allgemein: „Die Familie wohnt aktuell noch in der | |
| Notunterkunft und gab an, dort gerne zu wohnen.“ | |
| Die Probleme mit schlechten Wohnungslosenunterkünften sind seit Jahren | |
| bekannt. Die Abkehr vom sozialen Wohnungsbau dürfte die Hauptursache sein, | |
| dazukamen die vielen Flüchtlinge seit 2015/16, die auf dem freien | |
| Wohnungsmarkt wie viele GeringverdienerInnen keine Chance haben. Zunächst | |
| werden sie vom LAF untergebracht, doch nach ihrer Anerkennung als | |
| AsylbewerberInnen sind die bezirklichen Jobcenter für sie zuständig. | |
| Laut LAF sind 9.000 von 18.000 BewohnerInnen von LAF-Heimen solche | |
| „Statuswechsler“, die weiterhin in Flüchtlingsheimen wohnen. Denn die | |
| Bezirke haben keine freien Wohnheimplätze, sind aber zudem nach dem | |
| Allgemeinen Sicherungs- und Ordnungsgesetz (ASOG) auch für alle anderen | |
| Wohnungslosen zuständig. Rund 30.000 Menschen bringen die Bezirke in | |
| sogenannten ASOG-Heimen unter – in Wohnheimen, zunehmend aber auch privaten | |
| Pensionen und Hostels von fraglicher bis sehr schlechter Qualität. | |
| ## Hostel war früher kommunales Wohnheim | |
| Dies ist auch Ergebnis des Sparwahns vergangener Jahrzehnte: Das Hostel aus | |
| dem Beispiel etwa war früher ein kommunales Wohnheim, wurde aber in den | |
| Nullerjahren wie viele Einrichtungen wegen angeblich zu hoher Kosten | |
| geschlossen. | |
| Mit der Gesamtstädtischen Steuerung der Unterbringung (GStU) will | |
| Breitenbach die Probleme grundsätzlich angehen: Basis des Ganzen ist eine | |
| Software, auf die alle Bezirke und das LAF zugreifen werden. Dort sollen | |
| alle Unterkünfte mit ihren freien Plätzen gelistet sein, auch | |
| Besonderheiten wie Familienfreundlichkeit oder Barrierefreiheit werden | |
| vermerkt. Alle Unterkünfte sollen vertraglich gebunden und zu denselben | |
| Qualitätsstandards verpflichtet werden, die regelmäßig kontrolliert werden | |
| sollen. | |
| CDU-Sozialstadtart Detlef Wagner aus Charlottenburg-Wilmersdorf erhofft | |
| sich viel davon: „Die bezirklichen Wohnhilfen haben dann mehr Zeit, den | |
| Menschen zu helfen.“ Dass die Entwicklung des neuen Systems so lange | |
| gedauert hat – im August beginnt die Pilotphase mit dem LAF und fünf Heimen | |
| von Charlottenburg-Wilmersdorf und Mitte – hängt laut Wagner vor allem am | |
| „Bürokratieproblem“: „Es braucht einfach wahnsinnig viel Zeit eine neue | |
| Software einzuführen.“ Wann das System landesweit bereit ist, vermag er | |
| nicht zu sagen. | |
| Mehr gute Unterkünfte werden so freilich nicht gebacken. Daher überlegen | |
| einige Bezirke, laut Wagner neben Charlottenburg-Wilmersdorf auch Mitte und | |
| Friedrichshain-Kreuzberg, den Kauf von Hostels, die die Coronakrise nicht | |
| überlebt haben, um dort wieder in Eigenregie Obdachlose unterzubringen. | |
| „Das würde sich schnell amortisieren“, glaubt Wagner. „Man hätte einen | |
| sauberen, guten Standard und wäre nicht mehr abhängig von den Preisen, die | |
| private Betreiber diktieren.“ | |
| 14 Jul 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
| Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) | |
| Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
| Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
| Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
| Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
| Polizei Berlin | |
| Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Schrott-Wohnungen für Obdachlose: Kasse machen mit den Ärmsten | |
| Wenn Wohnungslose eine Bleibe finden, zahlt dafür das Jobcenter. Abzocker | |
| machen daraus ein Geschäftsmodell. Unter Verdacht: Franz F. aus Hannover. | |
| Wohnungslose in Berlin: Die Obdachlosigkeit abschaffen | |
| Wenige Wochen vor der Wahl präsentiert Berlins Sozialsenatorin ihren | |
| Masterplan: Sie will Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030 komplett beenden. | |
| Mieten für Flüchtlingsunterkünfte: Niederlage für Flüchtlingsamt | |
| Das LAF darf keine Rechnungen für Mietzuzahlungen schreiben, gab das | |
| Berliner Sozialgericht einer Geflüchteten Recht. | |
| Elke Beitenbach im Interview: „Wir beginnen den Systemwechsel“ | |
| Berlins Sozialsenatorin will, dass Wohnungslosigkeit bis 2030 in der Stadt | |
| Geschichte ist. Dafür setzt sie auf einen Pakt mit der Stadtgesellschaft. | |
| Wohnungslosenhilfe in Berlin: Mehrere Räumungsklagen täglich | |
| Auf der 5. Strategiekonferenz zur Wohnungslosenhilfe waren Zwangsräumungen | |
| das Thema schlechthin. Aktivist:innen fordern selbstverwaltetes Leben. | |
| Wohnungslosigkeit in Berlin: Kampf den Hütten | |
| Vor der 5. Strategiekonferenz gegen Wohnungslosigkeit fordern Teilnehmende | |
| mehr Bau günstiger Wohnungen. Nur das helfe effektiv. | |
| Kältehilfe in Berlin: „Obdachlosigkeit abschaffen“ | |
| Berlins Sozialsenatorin will Kältehilfe und Unterbringung von obdachlosen | |
| Menschen beim Senat bündeln. Bis 2030 soll Obdachlosigkeit Geschichte sein. | |
| Hausbesetzung in Berlin: Obdachlose geräumt | |
| Kurz schien eine politische Lösung für die besetzte Habersaathstraße 46 | |
| greifbar. Aber der Bezirk Mitte ruderte zurück und die Polizei räumte. | |
| Unterbringung Wohnungsloser: Lageso oder LAF? | |
| Berlin will die Unterbringung von Flüchtlingen und Wohnungslosen | |
| zentralisieren. Die Zuständigkeit könnte vom neuen LAF zum alten Lageso | |
| zurückkehren. |