| # taz.de -- Freiräume in Berlin: „Die Køpi ist unzerstörbar“ | |
| > Der Wagenplatz des Berliner Hausprojekts Køpi ist akut von Räumung | |
| > bedroht. Zwei Bewohner:innen erzählen, was ihnen und der Stadt | |
| > verloren ginge. | |
| Bild: Bunt und international: Der Køpi-Wagenplatz in Berlin | |
| taz: Sodoma*, Angie*, ihr wohnt auf dem Wagenplatz der Køpi, einem der | |
| bekanntesten autonomen Hausprojekte der Stadt. Wir kennen uns, deswegen | |
| sage ich Du. Wir machen dieses Interview unter anderem, weil ihr euch durch | |
| einen Text in der taz über den Platz vor einigen Wochen falsch dargestellt | |
| seht – als chaotischer Haufen. Warum, denkt ihr, wird der Platz in der | |
| Öffentlichkeit oft negativ gesehen und beschrieben? | |
| Sodoma: Ich denke, es ist eine in die Jahre gekommene, überholte Sicht auf | |
| uns und den Platz. Es scheint dem Platz seit vielen Jahren ein Ruf | |
| anzuhängen, der sich hartnäckig hält bei vielen. Ein Bild ist schnell | |
| kreiert und bleibt dann auch. Die Sprachbarriere macht es uns zudem auch | |
| nicht leicht – wir sind hier auf dem Platz komplett international, unsere | |
| „Verkehrssprache“ ist Englisch. Deswegen haben wir auch bisher keine | |
| Interviews dieser Art gegeben. Ein taz-Text hat uns enttäuscht, da er unter | |
| anderem ein Køpi-Talks-Video aus unserer Sicht falsch zu Ungunsten des | |
| Platzes zitiert hat. An der Stelle sei auch gesagt, dass unsere Wagen nicht | |
| „ausgemustert“ sind, sondern gemütlich und warm im Winter. Wir haben viele | |
| kreative und handwerklich begabte Leute, die ihren Nachbar:innen helfen. | |
| Diese Dinge sieht man, wenn man genauer hinschaut. Von weit weg entgehen | |
| einem Aspekte des Platzes und seiner Menschen. | |
| Der Wagenplatz ist von Räumung bedroht, am 10. Juni erging vom Landgericht | |
| Berlin ein entsprechender Räumungstitel. Die Bewohner:innen haben | |
| Berufung eingelegt. Was würdet ihr am meisten vermissen, wenn die Räumung | |
| tatsächlich vollstreckt wird? | |
| Angie: Die Menschen und das Gefühl. Die meisten meiner Nachbar:innen | |
| sind mehr als Freund:innen. Ich habe Angst, dass wir unsere Verbindung | |
| verlieren, wenn wir getrennt werden. Und die Freiheit, die Möglichkeit und | |
| den Raum für Veranstaltungen zu haben und weiter aktiv zu sein. | |
| Habt ihr das Gefühl, dass ihr genug Solidarität bekommt? | |
| Angie: Ja, international genauso wie lokal. Wir haben bisher viel | |
| Solidarität erfahren und freuen uns aber genauso über alles, was noch | |
| kommt. | |
| Sodoma: Viele Freund:innen fragen uns, was sie tun können. Wir sind im | |
| Moment total eingebunden damit, alle Anfragen zu beantworten und uns den | |
| Aufgaben zu widmen, mit denen wir wegen der drohenden Räumung konfrontiert | |
| sind. Deswegen mein Appell an alle: Wenn ihr Ideen habt und uns | |
| unterstützen wollt: Legt los! Wir freuen uns über Solidarität. Das | |
| ehemalige Liebig-34-Kollektiv [ein langjähriges linkes Hausprojekt in | |
| Friedrichshain, das im Oktober 2020 geräumt wurde, d. Red.] hat kürzlich | |
| übrigens auch [1][eine Soli-Bekundung] verfasst. | |
| Wie seid ihr beiden zur Køpi gekommen? | |
| Sodoma: Bevor ich auf den Wagenplatz gezogen bin, war ich oft dort bei | |
| guten Freund:innen. Ich lebte in einer WG mit einer Freundin, die Berlin | |
| verlassen sollte. Der Mietvertrag lief auf sie und ich musste was Neues | |
| finden. Ich wusste, dass ein Wagen leer war auf dem Platz, aber ich kannte | |
| die direkte Nachbarin nicht. Deswegen habe ich einen Freund gefragt, der | |
| sie gut kennt, und er hat ein gutes Wort für mich eingelegt. Das war mein | |
| Glück. | |
| Angie: Ich war schon einige Male in Berlin und in der Køpi, bevor ich nach | |
| Deutschland kam. Ein guter Freund aus Israel wohnte damals bereits auf dem | |
| Platz, und als ich in Berlin ankam, konnte ich erst mal ein paar Monate mit | |
| in seinem Wagen wohnen. Als ein Wagen frei wurde auf dem Platz, durfte ich | |
| diesen übernehmen. | |
| Gibt es einen Unterschied, ob man auf dem Wagenplatz oder im Haus der Køpi | |
| wohnt? | |
| Angie: Nachdem ich auf den Platz gezogen bin, habe ich das Angebot bekommen | |
| im Haus zu wohnen. Aber das Wagenplatz-Leben ist anders, es ist besser für | |
| mich als ein Zimmer in einer WG. Das Gemeinschaftsgefühl ist viel | |
| ausgeprägter auf dem Wagenplatz. Man kann viel direkter mit den anderen | |
| drum herum interagieren. Außerdem ist man nie alleine. Keine Stille. | |
| Sodoma: Du kannst die Türe vom Wagen einfach offen lassen, wenn du | |
| Gesellschaft willst. Wenn die Türe zu ist, respektieren das auch alle. Dann | |
| ist man privat, mit eigener Küche, und so weiter. Es gibt keinen Ärger | |
| wegen Abwasch oder Ähnlichem. Wir haben, außer einem geteilten Bad und | |
| Toilette, keine gemeinsamen Räume, und die bleiben in einem guten Zustand. | |
| Das Leben im Wagen hat mich auch bisher schon vor einigen | |
| Winterdepressionen bewahrt. Man kann sich nicht einsperren. Man muss | |
| ständig raus. Etwa zum Wasserholen, Holzhacken oder um ins Bad zu gehen. | |
| Wir haben einen guten Gemeinschaftssinn auf dem Platz, auch wenn es hier | |
| und da Unstimmigkeiten gibt. Aber wir haben bisher nie Plena gebraucht – | |
| außer für die Organisation von Konzerten. Wenn etwas stört, kann man auch | |
| direkt mit der betreffenden Person reden und Dinge so klären. | |
| Könnte die Køpi woanders wieder aufgebaut werden, wenn der Wagenplatz | |
| tatsächlich weichen müsste? | |
| Sodoma: Die Køpi ist ein Ergebnis der Zeit. Sie existiert nun seit mehr als | |
| drei Jahrzehnten. Sie ist mehr als ein Wohnkomplex. Viele Menschen kommen | |
| seit jeher regelmäßig her, um an unseren Aktivitäten teilzunehmen. Auch | |
| diese Leute sind Køpi. Køpi ist Aktivismus, und der ist unzerstörbar. | |
| Angie: Ein wichtiger Faktor der Køpi ist ihre zentrale Lage und die gute | |
| Erreichbarkeit. Die leichte Zugänglichkeit ist Teil des Projekts und des | |
| Erfolgs. | |
| Hättet ihr eine Ausweichmöglichkeit, wenn ihr den Wagenplatz verlassen | |
| müsstet? | |
| Sodoma: Einige von uns haben Angebote. Am Ende sind das alles aber keine | |
| Optionen. Es bricht uns das Herz. Man wird uns auseinanderreißen und wir | |
| verlieren die Køpi: unsere Familie, den Wagenplatz und das Haus. Viele | |
| Leute sind noch gar nicht in der Lage, die Situation wirklich begreifen zu | |
| können. Wir haben auch Angebote vom Haus der Køpi erhalten, dort | |
| einzuziehen. Aber für mich persönlich ist die Vorstellung unerträglich, | |
| neben den Überresten unseres geräumten Platzes zu leben. | |
| Angie: Ich habe auch Angebote erhalten. Aber was immer auch kommen mag, ich | |
| kämpfe weiter dafür, auf dem Køpi-Wagenplatz zu bleiben. Und egal, wo ich | |
| irgendwann leben sollte, ich werde immer für die Køpi und die Idee dahinter | |
| kämpfen. | |
| *Namen geändert | |
| 16 Jul 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Desiree Fischbach | |
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| Elke Breitenbach | |
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