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# taz.de -- Wagenplätze in Berlin: Wagen bleibt prekär
> Die rot-rot-grüne Koalition in Berlin wollte Rechtssicherheit für
> Wagenplätze schaffen. Fünf Jahre später fällt die Bilanz aber verhalten
> aus.
Bild: Idylle auf dem Ratibor-Wagenplatz in Berlin-Kreuzberg
Die Rummelsburger Bucht an der südlichen Grenze des Stadtteils
Friedrichshain und des Bezirks Lichtenberg ist eine einzige Baustelle.
Zäune stehen dort, wo man vor einem Jahr noch sinnierend aufs Wasser
blicken oder – etwas dynamischer – ein Tretboot ausleihen konnte.
„My Bay“ wirbt hier mit großen Schildern für Eigentumswohnungen am Wasser,
„BauWatch“ verspricht Sicherheit für den Baustellenbetreiber. Dahinter an
der Lichtenberger Hauptstraße stehen noch zwei graubraune Altbauten wie
übrig gebliebene Backenzähne trotzig in der Trümmerlandschaft. Zwischen
alldem, umringt von zum Teil bereits abgerissenen Garagen und Werkstätten,
Bauzäunen, Baggern und einigen wenigen übrig gebliebenen Pappeln, befindet
sich die „Wagenkunst Rummelsburg“.
Der kleine Wagenplatz ist einer von noch etwa 20 Plätzen, die zu den
letzten urbanen Freiräumen in Berlin gehören. Ihre Bewohner*innen
spiegeln das gesamte alternative Spektrum von radikal bis verpeilt wider:
Viele sind Handwerker*innen und Künstler*innen, es finden sich unter
ihnen aber ebenso Anwält*innen wie auch Menschen, die sich in den Normen
der Gesellschaft nur schwer zurechtfinden. Einige Wagenplätze bieten
Kleinkunst, Konzerte und günstiges Essen für alle an, andere schotten sich
eher ab. Auf vielen Plätzen leben auch Eltern mit Kindern.
Die meisten Wagenplätze sind als Verein organisiert und zahlen Miete,
Wasser und Strom. Trotzdem bewegen sie sich in einer rechtlichen Grauzone
und hangeln sich oft nur von einer Duldung seitens des jeweils zuständigen
Bezirksamts zur nächsten.
## Alternatives Zukunftsmodell
Dabei könnten sie ein alternatives Zukunftsmodell sein in einer Stadt, in
der Wohnraum immer knapper wird. Die „Wagenkunst“ teilt sich das Gelände
mit einem weiteren kleinen Wagenplatz, den „Mollies“, zusammen leben hier
15 bis 20 Menschen. Sie haben das Gelände von der Kulturstätte Rummelsbucht
gemietet, die ihre Pforten soeben zu ihrer vermutlich allerletzten
Sommersaison geöffnet hat.
Ein bisschen wirkt der Wagenplatz zwischen den Baustellen wie das berühmte
gallische Dorf. Hinten dem Zaun mit Eingangstor stehen einige umgebaute
Lkws und Bauwägen, links das aus Holz gebaute Wohnzimmer. Durch die Fenster
kann man eine Sitzecke und eine Gitarre sehen, es sieht sehr gemütlich aus.
Davor sitzen Maki und Sina, es ist bewölkt, die Stimmung ist gedrückt: In
diesem Herbst soll für die beiden Wagenplätze Schluss sein. „Es war hier
eigentlich ein ziemlich idyllischer Ort“, sagt Maki, der über sieben Jahre
auf dem Platz verbracht hat, „aber das ist vorbei.“
„Ich habe mich nie ganz dazugehörig gefühlt in der Gesellschaft, nie gut
genug“, ergänzt Sina, die seit fünf Jahren hier in ihrem selbst gezimmerten
Haus wohnt, „und hier hat sich das enorm verbessert. Der Wagenplatz ist ein
Ort, an dem Menschen, die nicht hundert Prozent den gewollten Normen
entsprechen, so sein können, wie sie wollen.“ Aber es sei „schon krass mit
anzusehen, wie viel jetzt abgerissen worden ist. Auch dass das Camp nebenan
weg ist, ist krass.“ Damit meint sie das große Obdachlosencamp, das im
Februar in einer umstrittenen Aktion bei Eiseskälte geräumt worden ist. „Es
fühlt sich zunehmend nach dem Ende an.“
Dabei war von vornherein klar gewesen, dass ihr Aufenthalt an der
Rummelsburger Bucht befristet ist. Das Gelände gehört dem berüchtigten
Immobilienhändler Padovicz und ist Teil des Bebauungsplans Ostkreuz. Seit
Langem sucht die Bewohner*innen der „Wagenkunst Rummelsburg“ eine
Ausweichfläche, vor etwa zwei Jahren hätten sie bereits ausziehen sollen,
der Termin ist dann aber immer wieder verschoben worden. „Emotionale
Achterbahnen“ nennt Sina das: „Keine Planungssicherheit zu haben, das hat
schon alle hier ganz schön belastet“, sagt sie. „Immer wieder Sorge zu
haben, dass man jetzt wieder ohne Zuhause dastehen könnte und noch nichts
gefunden hat.“
Planungssicherheit würden sich auch die Bewohner*innen vom Ratiborplatz
wünschen, die seit über 20 Jahren auf einem 1.200 qm kleinen Gelände am
Kreuzberger „Dreiländereck“ leben, eingezwängt zwischen Ratiborstraße,
Gewerbehöfen und Landwehrkanal.
Es ist sehr grün und sehr ruhig hier, nur ein Spatz schimpft im Gebüsch. An
den Tischtennisplatten 30 Meter weiter kämpfen Sportsfreund*innen
unermüdlich um ihre persönliche Meisterschaft. Auf einer selbst gebauten
Aussichtsplattform sitzt Marc und späht hinter dicken Brillengläsern ins
grüne Dickicht. „Wir sind eine gelebte Alternative zum Hamsterrad“, sagt
der Mitbegründer der Ratibor, der eigentlich anders heißt. „Natürlich gehen
auch wir arbeiten, zahlen Steuern und sind Teil der gesellschaftlichen
Verwertungslogik. Aber wir zeigen auch einen Weg raus aus dem Kampf um
völlig überhöhte Mietpreise, aus der Spekulation mit Wohnraum.“
Nachdem sie 1999 eine Freifläche in Friedrichshain besetzt hatten, haben
die Bewohner*innen ein Jahr darauf dieses Gelände gepachtet. Man würde
den Wagenplatz von außen kaum wahrnehmen, wäre da nicht eine große
Infotafel. Denn seit mittlerweile fünf Jahren wird über den Fortbestand der
Ratibor verhandelt und noch immer gibt es keine Lösung. Die Lage ist
kompliziert: Das Gelände, auf dem sich der Wagenplatz, ein Biergarten und
einige Handwerksbetriebe befinden, ist Eigentum der Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben (Bima).
Vor fünf Jahren wurde das Areal für den Bau von modularen
Geflüchtetenunterkünften, sogenannten MUF, ausgewiesen. Seitdem verhandeln
die Initiativen gemeinsam als Genossenschaft mit Senat und Bezirk über die
Modalitäten, die es ihnen erlauben, zu bleiben, ohne Wohnungen für
Geflüchtete zu verhindern.
Zunächst seien die Verhandlungen mit Bezirk und Berliner
Immobilienmanagement (BIM) gut gelaufen, es gab einen Lösungsvorschlag, so
Marc: „Auf dem Wagenplatzgelände würde diese Unterkunft für Geflüchtete
gebaut werden, wir würden dafür ein paar hundert Meter weiter auf den Rest
des Geländes ziehen, die Handwerksbetriebe etwas zusammenrücken und für uns
wäre dann ein ähnlich großes Gelände da, wie wir es hier haben.“
Ein Mietvertrag war im Gespräch – aber dann war Funkstille, anderthalb
Jahre lang. Im Juni 2020 erfahren die Bewohner*innen, dass der Senat für
Finanzen nach kurzer Nutzung als Unterkunft für Geflüchtete auf dem Gelände
anteilig hochpreisiges Wohnen durchsetzen wolle, weil sich nur so der
Neubau des MUF rechnen würde. „Natürlich muss Deutschland Menschen
aufnehmen“, findet Marc. „Auf dieser Basis haben wir uns als linkes Projekt
bereit erklärt, zusammenzurutschen und Platz zu schaffen; und jetzt kommen
sie um die Ecke mit ihrem hochpreisigen Wohnen. Da kommen wir uns schon
verarscht vor.“ Es gibt zudem Kritik an einer befürchteten Gentrifizierung,
fehlenden Sozialwohnungen und einem undemokratischen Bauverfahren.
## Lange Tradition in Berlin
Wagenplätze und Hüttendörfer haben in Berlin eine lange Tradition –
Misstrauen und Vorurteile ihnen gegenüber ebenso. „Vor allem der
Innenminister und das Polizeipräsidium (…) drängten auf ein hartes Vorgehen
gegen die Siedlungen. (…) Obwohl von der bürgerlichen Presse durchaus teils
mit Wohlwollen, teils mit Mitleid betrachtet, setzte sich am Ende eine
rigide Verdrängungspolitik durch.“ Gemeint ist hier nicht die umstrittene
Räumung des Obdachlosencamps an der Rummelsburger Bucht im Februar 2021,
sondern die bereits fast 150 Jahre früher, nämlich 1872 erfolgte Räumung
der „Republik Barackien“ am Kottbusser Tor, so notiert von der
Filmemacherin Susanne Dzeik in ihrem Begleittext zu einer Ausstellung über
Hüttendörfer und Wagenplätze in Berlin.
Die ersten modernen Berliner Wagenplätze entstanden Anfang der 1980er Jahre
im Schatten der Mauer oder alternativer Hausprojekte. Bis heute existieren
die „Wagenburg Kreuzdorf“ und der Kinderbauernhof Mauerplatz. Nach dem Fall
der Mauer waren zunächst zahlreiche Freiflächen zum Besetzen vorhanden,
doch Wagenplätze wie an der East Side Gallery, dem Potsdamer Platz oder der
Schillingbrücke fielen der Stadtumstrukturierung zum Opfer und verschwanden
oder wurden an den Stadtrand gedrängt.
Inzwischen werden die Freiflächen in der Stadt immer weniger und sind umso
härter umkämpft. Freiraum wollen die einen, Gewinne mit Wohnraum machen die
anderen – doch am Ende scheinen sich immer die Investor*innen
durchzusetzen. „Durch die Flächenkonkurrenzen in Berlin sind auch
Wagenplätze stärker bedroht als bisher“, sagt Hendrikje Klein. Sie ist
Abgeordnete der Linkspartei im Abgeordnetenhaus und setzt sich aktiv für
die verbleibenden Wagenplatzbewohner*innen an der Rummelsburger
Bucht ein.
Maki und die Wagenkunst hätten ihren Platz dort für einen partizipativen
Prozess mit Wohnraum für alle gerne geräumt, sagt er, doch so „fühlt man
sich vertrieben von Marktinteressen und Verwertungszwängen“. Es gebe wenig
Möglichkeiten, einen anderen Ort zu finden, ergänzt Sina. „Scheinbar sind
Wagenplätze gar nicht mehr gewollt im Stadtbild, obwohl sie ja schon so so
viele Jahre dazu gehören. Man wird quasi in so ein bürgerliches
Wohnungsleben gezwungen, was aber einfach nicht für jeden Menschen gemacht
ist.“
## „… und die Stadt gehört euch“
Manche hatten sich von einer linken Berliner Landesregierung eine
Verbesserung der Wohnsituation erhofft. So hatte die Linkspartei im
Wahlkampf 2016 „… und die Stadt gehört euch“ suggeriert. Und tatsächlich
schrieb der rot-rot-grüne Senat einen denkwürdigen Satz in den
Koalitionsvertrag: „Die Koalition sucht nach Lösungen, um für Menschen auf
sogenannten Wagenplätzen Sicherheit für ihre Lebensform zu schaffen und den
derzeitigen Zustand der Duldung zu beseitigen.“
Viele in der Wagenplatz-Community waren damals skeptisch. „Ich persönlich
habe an diesen neuen Senat gar keine Erwartungen gehabt“, sagt Marc von der
Ratibor in Kreuzberg, auch wenn er weiß, dass er von einem schwarz-gelben
Senat weniger Verständnis für alternative Lebensentwürfe zu erwarten hätte.
„Für uns war immer eher der Bezirk der Ansprechpartner, und der ist ja seit
Jahrzehnten grün hier. Insofern hat sich an unserem Umgang mit der Politik,
die uns eher wohlwollend-freundlich entgegen kommt, ohne sich jetzt die
Beine für uns auszureißen, nicht viel geändert.“
2018 waren dem Senat 17 Wagenplätze namentlich bekannt, auch heute dürfte
ihre Zahl unverändert bei 15 bis 20 liegen. Einige Wagenplätze sind keine
eingetragenen Vereine, sie bleiben lieber unter dem Radar, weil sie
Restriktionen befürchten. Aber Wagenbewohner*innen sind kreativ und
flexibel, sie suchen und finden Gesetzeslücken. So entstehen immer wieder
neue Plätze, ohne dass sie offiziell Wagenplätze sind. Mit einem legalen
Status könnten sie hingegen besser Miet- oder Nutzungsverträge abschließen.
Doch gibt es diesen Status für Wagenplätze in Berlin auch am Ende der
Legislaturperiode noch immer nicht.
Und einem angedachten Wagenplatzgesetz stehen viele Wagenplätze eher
ablehnend gegenüber. Zu groß scheint die Gefahr einer staatlichen
Regulierung des selbst organisierten Lebens: Baugesetz,
Brandschutzverordnung, Wasserversorgung müssten nach Normen deutscher
Bürokratie geregelt werden – „und dann fällt halt ein Großteil der
Attraktivität des Im-Wagen-Wohnens weg“, findet Marc.
Maki hingegen hatte gehofft, dass sich die Situation der Wagenplätze über
„Verbündete in der Politik“ entspannen würde: „Wir haben versucht, übe…
institutionellen Wege alles zu machen, über Anhörungen in
Bezirksverordnetenversammlungen, über Runde Tische mit der Politik, über
Unterschriftenaktionen, Demonstrationen und dergleichen. Und auch im
Austausch mit anderen Gruppen, die eher informellere Wege versuchen, haben
wir immer gesagt, lasst uns doch mal probieren, mit der Politik
zusammenzuarbeiten und auf formalem Weg was zu erreichen. Doch mit dieser
Strategie sind wir bislang leider gescheitert.“
## „Sondergebiet alternatives Wohnen“
Bereits 2018 hatte der Senat auf eine Anfrage der taz erklärt, keine
Maßnahmen zum Schutz der Wagenplätze treffen zu wollen und bei den
Entscheidungen über eine Duldung auf die jeweiligen Bezirke verwiesen.
Anfang 2018 konnte der Verein „KosmoLaut“ noch unter Vermittlung von
Hendrikje Klein auf ein Ersatzgrundstück innerhalb von Karlshorst umziehen.
Die kleine queere Wagengruppe „DieselA“ hingegen versuchte mehrfach
erfolglos, sich brachliegende Gelände anzueignen. 2019 wurde DieselA von
einem Gelände der Deutschen Bahn in Marzahn geräumt. „Wir sind jederzeit
für Nutzungsüberlegungen für unsere Grundstücke offen und freuen uns über
Vorschläge, sicherlich aber nicht im Rahmen einer rechtswidrigen
Besetzung“, ließ der Berliner Konzernbevollmächtigte der Bahn, Alexander
Kaczmarek (CDU), damals verlauten. Doch zu Verhandlungen kam es nie.
Im April 2020 wurde an der Rummelsburger Bucht der kleine „Sabot Garden“
geräumt. Die Wagenkunst Rummelsburg, DieselA und die Mollies hatten 2020
ein Flurstück am Tempelhofer Feld im Besitz des Bundeseisenbahnvermögens
(BEV) ausfindig gemacht und vergeblich versucht, darüber zu verhandeln.
Eine schriftliche Anfrage der taz an BEV blieb unbeantwortet. Die DB AG
hingegen zeige sich „immer gesprächsbereit“, erklärt ein Bahnsprecher auf
Nachfrage; doch sei es „selbstverständlich, dass jegliches Handeln aller
Seiten immer rechtskonform sein muss“.
Aber eine „rechtskonforme“ Grundlage für Wagenplätze gibt es eben noch
nicht. Was ist also übrig geblieben vom Versprechen der Koalition, den
Wagenplatzbewohner*innen „Sicherheit für ihre Lebensform zu schaffen
und den derzeitigen Zustand der Duldung zu beseitigen“? Mit dem nahenden
Ende dieser rot-rot-grünen Koalition ist die Bilanz gemischt. Mehrere linke
Projekte sind geräumt worden, einige im Windschatten der Pandemie; das hat
für Verunsicherung und auch Unmut unter Wagenplatzbewohner*innen
gesorgt.
„So ein bisschen enttäuscht ist man schon“, sagt Maki, „auch wenn man in
dem Bewusstsein ist, dass die Situation unter einem CDU-regierten Senat
wohl noch sehr viel schlimmer wäre.“ Dennoch „gibt es derzeit einige
Wagenplätze und linke Strukturen, die bedroht sind oder sich in Auflösung
befinden. Das hinterlässt schon einen schalen Beigeschmack, insbesondere
hier in Lichtenberg, wo ja sogar die Linke den Bezirksbürgermeister
stellt.“
Obwohl die Gruppe von einzelnen Politiker*innen auch aktiv unterstützt
wird, ist Maki ernüchtert: „Von Seiten der Politik und der Verwaltung wurde
bezüglich des Bebauungsplans Ostkreuz immer argumentiert, dass das halt
alles schon vor Jahren beschlossen wurde und man da nichts machen kann. Und
dann kommt so ein Großinvestor wie Coral World, und plötzlich wird der
ganze Bebauungsplan nochmal umgeschrieben. Und darum ist die Konsequenz,
dass selbst unter Rot-Rot-Grün jetzt halt zunehmend die Situation prekärer
wird; der Verwertungsdruck steigt weiter und die Perspektiven schwinden.“
„Rechtlich gesehen ist das Ganze leider sehr schwierig“, gibt die
Linken-Abgeordnete Hendrikje Klein zu, die auch Sprecherin für
Bürgerbeteiligung und Engagement ist. „Wir haben alles hoch und runter
geprüft. Mittlerweile sind wir der Meinung, dass ein Wagenplatzschutzgesetz
die einzige Variante ist, die wir als Land Berlin machen können. Hier
sollen Wagenplätzen und Safe Spaces besonderer Schutz eingeräumt werden.
Dieses Gesetz ist nicht unser Favorit, besser wäre eine Änderung des
Baugesetzbuches auf Bundesebene; ich gehe nur davon aus, dass die aktuelle
Koalition da nichts machen wird.“
Das bestätigt auch die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und
Soziales. „Ein Wagenplatz kann nach gültigem Bundesrecht und unter
Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung nicht geplant und nicht
genehmigt werden“, schreibt deren Pressesprecher auf taz-Anfrage. „Der
Bundesgesetzgeber müsste in der Novelle des BauGB z.B. eine Gleichsetzung
von Wagenplätzen mit Campingplätzen vornehmen, um eine Planungs- und
Genehmigungsfähigkeit perspektivisch zu erreichen. Die politischen
Mehrheiten für eine solche Änderung sind derzeit nicht gegeben.“
Der Senat habe sehr wohl Handlungsspielraum, meint hingegen Katrin
Schmidberger, Sprecherin für Wohnen und Mieten der Grünen-Fraktion im
Abgeordnetenhaus. Die Berliner Bauordnung liege in der Zuständigkeit der
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. „Hier könnten Regelungen
über Wagenplätze aufgenommen werden. Darüber hinaus wäre ein Berliner
Wohnwagengesetz mit dem Ziel denkbar, die Genehmigung von Wagenplätzen zu
vereinfachen, schlägt sie vor. Berlin solle prüfen, ob sich Standorte für
Bauwagenplätze als „Grünfläche mit Sondernutzung Wagenburg“ oder
„Sondergebiet alternatives Wohnen“ offiziell im Flächennutzungsplan
eintragen ließen.
Sina hat ihre bislang letzte „Achterbahn“ im März erlebt. Ein Gelände neb…
einer Schule, nur wenige hundert Meter vom jetzigen Standort entfernt,
hätte ein geeigneter Ausweichort sein können. Doch die Lichtenberger CDU
hatte vorab ein Flugblatt mit dem Slogan „Keine Wagenburg in Rummelsburg“
verteilt. Bei der Ortsbegehung waren dann einige Anwohner*innen
anwesend, die aufgescheucht von der Lokalpolitik ihren Unmut gegenüber
einem Wagenplatz in ihrer Nachbarschaft bekundeten. „Dass es da keine
Chance gab, überhaupt ins Gespräch zu kommen, war wirklich traurig“, sagt
Sina.
Maki hat sich inzwischen, auch aus familiären Gründen, ins Exil nach
Brandenburg begeben. Aber etwas Hoffnung hat er noch, denn das letzte Wort
im Bauvorhaben Rummelsburger Bucht ist noch nicht gesprochen: Die
Naturfreunde Berlin haben im Namen der Initiative „Bucht für Alle“ ein
Normenkontrollverfahren eingereicht, um den Vollzug des Bebauungsplans
Ostkreuz doch noch zu stoppen.
Auch das Konzept von Tiny Houses und Mobilheimen etabliere sich gerade,
glaubt Maki, daher hofft er darauf, dass sich im Fahrwasser dieser Konzepte
die rechtlichen Rahmenbedingungen lockern lassen könnten. Er regt außerdem
an, einen Einblick in die Listen der BIM zu erhalten, um zu schauen, welche
Grundstücke das Land zumindest temporär überhaupt zur Verfügung hätte.
Marc fordert, experimentelle Wohnformen ernst zu nehmen und
Zwischennutzungen unter spezifischen Rahmenbedingungen zuzulassen. Und auch
in den Fall der Ratibor-Genossenschaft ist nun doch noch Bewegung gekommen.
Die Stadt fordert den Wagenplatz auf, seinen Teil des Geländes bis zum 30.
September 2021 zu räumen. Gleichzeitig soll das zukünftige Gelände der
Genossenschaft vermessen werden. Der Wagenplatz soll einen Mietvertrag, die
Genossenschaft einen langfristigen Pachtvertrag erhalten. Über die
Bedingungen des Pachtvertrages besteht allerdings noch Uneinigkeit.
Nach wie vor laufen die Duldungen öffentlicher Flächen über die
Bezirksämter. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg setze sich seit
Jahrzehnten für den Erhalt von Wagenplätzen ein, schreibt Katrin
Schmidberger, und auch Marc von der Ratibor bescheinigt dem Amt „eine ganz
gute Gesprächsebene“. Der Wagenplatz an der Lohmühle hat geräuschlos eine
Duldung um weitere viereinhalb Jahre erhalten. Auch das Bezirksamt
Lichtenberg hat sich häufig dialogbereit gezeigt. Aber was ist, wenn sich
die Machtverhältnisse ändern? In Marzahn-Hellersdorf etwa besteht die reale
Möglichkeit, dass die AfD stärkste Fraktion wird und den
Bezirksbürgermeister stellt.
Die Spitzenkandidatin der Berliner SPD, Franziska Giffey, hat sich schon
für den Weiterbau der Autobahn A100 ausgesprochen. Dieser würde das Aus
gleich für mehrere Wagenplätze bedeuten, unter anderem Rummelplatz,
Scheffelstraße und Fips sowie die linken Projekte Villa Kuriosum und den
legendären Hangar.
Währenddessen besteht die akute Räumungsgefahr für einige Projekte weiter.
Am 25. Mai hielt der Köpi-Wagenplatz eine improvisierte Pressekonferenz vor
der Köpi in Mitte ab. Der Wagenplatz hat nach 20-jährigem Bestehen im
Februar einen Räumungsbescheid erhalten. Zwar setzt sich die BVV Mitte für
eine politische Lösung ein, hat aber nur geringe Einflussmöglichkeiten.
„Als Köpi haben wir starkes Misstrauen gegenüber den Eigentümern“, erkl�…
ein Sprecher. Kein Wunder, denn seit 2007 wurden Haus und Gelände mehrfach
von Unterfirmen gekauft, verkauft und versteigert, die alle mit der Sanus
AG und ihrem Vorstand Siegfried Nehls verflochten sind. Die Köpi vermutet,
dass die Sanus AG das Gelände nur räumen will, um es dann erneut
gewinnbringend zu verkaufen. Sie plant deshalb mit ihren
Unterstützer*innen zahlreiche Protestaktionen. Am 10. Juni findet die
Gerichtsverhandlung statt.
29 May 2021
## AUTOREN
Darius Ossami
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R2G Berlin
Schwerpunkt Wohnen ist Heimat
Rummelsburger Bucht
Lesestück Interview
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
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