| # taz.de -- Wagenplätze in Berlin: Wagen bleibt prekär | |
| > Die rot-rot-grüne Koalition in Berlin wollte Rechtssicherheit für | |
| > Wagenplätze schaffen. Fünf Jahre später fällt die Bilanz aber verhalten | |
| > aus. | |
| Bild: Idylle auf dem Ratibor-Wagenplatz in Berlin-Kreuzberg | |
| Die Rummelsburger Bucht an der südlichen Grenze des Stadtteils | |
| Friedrichshain und des Bezirks Lichtenberg ist eine einzige Baustelle. | |
| Zäune stehen dort, wo man vor einem Jahr noch sinnierend aufs Wasser | |
| blicken oder – etwas dynamischer – ein Tretboot ausleihen konnte. | |
| „My Bay“ wirbt hier mit großen Schildern für Eigentumswohnungen am Wasser, | |
| „BauWatch“ verspricht Sicherheit für den Baustellenbetreiber. Dahinter an | |
| der Lichtenberger Hauptstraße stehen noch zwei graubraune Altbauten wie | |
| übrig gebliebene Backenzähne trotzig in der Trümmerlandschaft. Zwischen | |
| alldem, umringt von zum Teil bereits abgerissenen Garagen und Werkstätten, | |
| Bauzäunen, Baggern und einigen wenigen übrig gebliebenen Pappeln, befindet | |
| sich die „Wagenkunst Rummelsburg“. | |
| Der kleine Wagenplatz ist einer von noch etwa 20 Plätzen, die zu den | |
| letzten urbanen Freiräumen in Berlin gehören. Ihre Bewohner*innen | |
| spiegeln das gesamte alternative Spektrum von radikal bis verpeilt wider: | |
| Viele sind Handwerker*innen und Künstler*innen, es finden sich unter | |
| ihnen aber ebenso Anwält*innen wie auch Menschen, die sich in den Normen | |
| der Gesellschaft nur schwer zurechtfinden. Einige Wagenplätze bieten | |
| Kleinkunst, Konzerte und günstiges Essen für alle an, andere schotten sich | |
| eher ab. Auf vielen Plätzen leben auch Eltern mit Kindern. | |
| Die meisten Wagenplätze sind als Verein organisiert und zahlen Miete, | |
| Wasser und Strom. Trotzdem bewegen sie sich in einer rechtlichen Grauzone | |
| und hangeln sich oft nur von einer Duldung seitens des jeweils zuständigen | |
| Bezirksamts zur nächsten. | |
| ## Alternatives Zukunftsmodell | |
| Dabei könnten sie ein alternatives Zukunftsmodell sein in einer Stadt, in | |
| der Wohnraum immer knapper wird. Die „Wagenkunst“ teilt sich das Gelände | |
| mit einem weiteren kleinen Wagenplatz, den „Mollies“, zusammen leben hier | |
| 15 bis 20 Menschen. Sie haben das Gelände von der Kulturstätte Rummelsbucht | |
| gemietet, die ihre Pforten soeben zu ihrer vermutlich allerletzten | |
| Sommersaison geöffnet hat. | |
| Ein bisschen wirkt der Wagenplatz zwischen den Baustellen wie das berühmte | |
| gallische Dorf. Hinten dem Zaun mit Eingangstor stehen einige umgebaute | |
| Lkws und Bauwägen, links das aus Holz gebaute Wohnzimmer. Durch die Fenster | |
| kann man eine Sitzecke und eine Gitarre sehen, es sieht sehr gemütlich aus. | |
| Davor sitzen Maki und Sina, es ist bewölkt, die Stimmung ist gedrückt: In | |
| diesem Herbst soll für die beiden Wagenplätze Schluss sein. „Es war hier | |
| eigentlich ein ziemlich idyllischer Ort“, sagt Maki, der über sieben Jahre | |
| auf dem Platz verbracht hat, „aber das ist vorbei.“ | |
| „Ich habe mich nie ganz dazugehörig gefühlt in der Gesellschaft, nie gut | |
| genug“, ergänzt Sina, die seit fünf Jahren hier in ihrem selbst gezimmerten | |
| Haus wohnt, „und hier hat sich das enorm verbessert. Der Wagenplatz ist ein | |
| Ort, an dem Menschen, die nicht hundert Prozent den gewollten Normen | |
| entsprechen, so sein können, wie sie wollen.“ Aber es sei „schon krass mit | |
| anzusehen, wie viel jetzt abgerissen worden ist. Auch dass das Camp nebenan | |
| weg ist, ist krass.“ Damit meint sie das große Obdachlosencamp, das im | |
| Februar in einer umstrittenen Aktion bei Eiseskälte geräumt worden ist. „Es | |
| fühlt sich zunehmend nach dem Ende an.“ | |
| Dabei war von vornherein klar gewesen, dass ihr Aufenthalt an der | |
| Rummelsburger Bucht befristet ist. Das Gelände gehört dem berüchtigten | |
| Immobilienhändler Padovicz und ist Teil des Bebauungsplans Ostkreuz. Seit | |
| Langem sucht die Bewohner*innen der „Wagenkunst Rummelsburg“ eine | |
| Ausweichfläche, vor etwa zwei Jahren hätten sie bereits ausziehen sollen, | |
| der Termin ist dann aber immer wieder verschoben worden. „Emotionale | |
| Achterbahnen“ nennt Sina das: „Keine Planungssicherheit zu haben, das hat | |
| schon alle hier ganz schön belastet“, sagt sie. „Immer wieder Sorge zu | |
| haben, dass man jetzt wieder ohne Zuhause dastehen könnte und noch nichts | |
| gefunden hat.“ | |
| Planungssicherheit würden sich auch die Bewohner*innen vom Ratiborplatz | |
| wünschen, die seit über 20 Jahren auf einem 1.200 qm kleinen Gelände am | |
| Kreuzberger „Dreiländereck“ leben, eingezwängt zwischen Ratiborstraße, | |
| Gewerbehöfen und Landwehrkanal. | |
| Es ist sehr grün und sehr ruhig hier, nur ein Spatz schimpft im Gebüsch. An | |
| den Tischtennisplatten 30 Meter weiter kämpfen Sportsfreund*innen | |
| unermüdlich um ihre persönliche Meisterschaft. Auf einer selbst gebauten | |
| Aussichtsplattform sitzt Marc und späht hinter dicken Brillengläsern ins | |
| grüne Dickicht. „Wir sind eine gelebte Alternative zum Hamsterrad“, sagt | |
| der Mitbegründer der Ratibor, der eigentlich anders heißt. „Natürlich gehen | |
| auch wir arbeiten, zahlen Steuern und sind Teil der gesellschaftlichen | |
| Verwertungslogik. Aber wir zeigen auch einen Weg raus aus dem Kampf um | |
| völlig überhöhte Mietpreise, aus der Spekulation mit Wohnraum.“ | |
| Nachdem sie 1999 eine Freifläche in Friedrichshain besetzt hatten, haben | |
| die Bewohner*innen ein Jahr darauf dieses Gelände gepachtet. Man würde | |
| den Wagenplatz von außen kaum wahrnehmen, wäre da nicht eine große | |
| Infotafel. Denn seit mittlerweile fünf Jahren wird über den Fortbestand der | |
| Ratibor verhandelt und noch immer gibt es keine Lösung. Die Lage ist | |
| kompliziert: Das Gelände, auf dem sich der Wagenplatz, ein Biergarten und | |
| einige Handwerksbetriebe befinden, ist Eigentum der Bundesanstalt für | |
| Immobilienaufgaben (Bima). | |
| Vor fünf Jahren wurde das Areal für den Bau von modularen | |
| Geflüchtetenunterkünften, sogenannten MUF, ausgewiesen. Seitdem verhandeln | |
| die Initiativen gemeinsam als Genossenschaft mit Senat und Bezirk über die | |
| Modalitäten, die es ihnen erlauben, zu bleiben, ohne Wohnungen für | |
| Geflüchtete zu verhindern. | |
| Zunächst seien die Verhandlungen mit Bezirk und Berliner | |
| Immobilienmanagement (BIM) gut gelaufen, es gab einen Lösungsvorschlag, so | |
| Marc: „Auf dem Wagenplatzgelände würde diese Unterkunft für Geflüchtete | |
| gebaut werden, wir würden dafür ein paar hundert Meter weiter auf den Rest | |
| des Geländes ziehen, die Handwerksbetriebe etwas zusammenrücken und für uns | |
| wäre dann ein ähnlich großes Gelände da, wie wir es hier haben.“ | |
| Ein Mietvertrag war im Gespräch – aber dann war Funkstille, anderthalb | |
| Jahre lang. Im Juni 2020 erfahren die Bewohner*innen, dass der Senat für | |
| Finanzen nach kurzer Nutzung als Unterkunft für Geflüchtete auf dem Gelände | |
| anteilig hochpreisiges Wohnen durchsetzen wolle, weil sich nur so der | |
| Neubau des MUF rechnen würde. „Natürlich muss Deutschland Menschen | |
| aufnehmen“, findet Marc. „Auf dieser Basis haben wir uns als linkes Projekt | |
| bereit erklärt, zusammenzurutschen und Platz zu schaffen; und jetzt kommen | |
| sie um die Ecke mit ihrem hochpreisigen Wohnen. Da kommen wir uns schon | |
| verarscht vor.“ Es gibt zudem Kritik an einer befürchteten Gentrifizierung, | |
| fehlenden Sozialwohnungen und einem undemokratischen Bauverfahren. | |
| ## Lange Tradition in Berlin | |
| Wagenplätze und Hüttendörfer haben in Berlin eine lange Tradition – | |
| Misstrauen und Vorurteile ihnen gegenüber ebenso. „Vor allem der | |
| Innenminister und das Polizeipräsidium (…) drängten auf ein hartes Vorgehen | |
| gegen die Siedlungen. (…) Obwohl von der bürgerlichen Presse durchaus teils | |
| mit Wohlwollen, teils mit Mitleid betrachtet, setzte sich am Ende eine | |
| rigide Verdrängungspolitik durch.“ Gemeint ist hier nicht die umstrittene | |
| Räumung des Obdachlosencamps an der Rummelsburger Bucht im Februar 2021, | |
| sondern die bereits fast 150 Jahre früher, nämlich 1872 erfolgte Räumung | |
| der „Republik Barackien“ am Kottbusser Tor, so notiert von der | |
| Filmemacherin Susanne Dzeik in ihrem Begleittext zu einer Ausstellung über | |
| Hüttendörfer und Wagenplätze in Berlin. | |
| Die ersten modernen Berliner Wagenplätze entstanden Anfang der 1980er Jahre | |
| im Schatten der Mauer oder alternativer Hausprojekte. Bis heute existieren | |
| die „Wagenburg Kreuzdorf“ und der Kinderbauernhof Mauerplatz. Nach dem Fall | |
| der Mauer waren zunächst zahlreiche Freiflächen zum Besetzen vorhanden, | |
| doch Wagenplätze wie an der East Side Gallery, dem Potsdamer Platz oder der | |
| Schillingbrücke fielen der Stadtumstrukturierung zum Opfer und verschwanden | |
| oder wurden an den Stadtrand gedrängt. | |
| Inzwischen werden die Freiflächen in der Stadt immer weniger und sind umso | |
| härter umkämpft. Freiraum wollen die einen, Gewinne mit Wohnraum machen die | |
| anderen – doch am Ende scheinen sich immer die Investor*innen | |
| durchzusetzen. „Durch die Flächenkonkurrenzen in Berlin sind auch | |
| Wagenplätze stärker bedroht als bisher“, sagt Hendrikje Klein. Sie ist | |
| Abgeordnete der Linkspartei im Abgeordnetenhaus und setzt sich aktiv für | |
| die verbleibenden Wagenplatzbewohner*innen an der Rummelsburger | |
| Bucht ein. | |
| Maki und die Wagenkunst hätten ihren Platz dort für einen partizipativen | |
| Prozess mit Wohnraum für alle gerne geräumt, sagt er, doch so „fühlt man | |
| sich vertrieben von Marktinteressen und Verwertungszwängen“. Es gebe wenig | |
| Möglichkeiten, einen anderen Ort zu finden, ergänzt Sina. „Scheinbar sind | |
| Wagenplätze gar nicht mehr gewollt im Stadtbild, obwohl sie ja schon so so | |
| viele Jahre dazu gehören. Man wird quasi in so ein bürgerliches | |
| Wohnungsleben gezwungen, was aber einfach nicht für jeden Menschen gemacht | |
| ist.“ | |
| ## „… und die Stadt gehört euch“ | |
| Manche hatten sich von einer linken Berliner Landesregierung eine | |
| Verbesserung der Wohnsituation erhofft. So hatte die Linkspartei im | |
| Wahlkampf 2016 „… und die Stadt gehört euch“ suggeriert. Und tatsächlich | |
| schrieb der rot-rot-grüne Senat einen denkwürdigen Satz in den | |
| Koalitionsvertrag: „Die Koalition sucht nach Lösungen, um für Menschen auf | |
| sogenannten Wagenplätzen Sicherheit für ihre Lebensform zu schaffen und den | |
| derzeitigen Zustand der Duldung zu beseitigen.“ | |
| Viele in der Wagenplatz-Community waren damals skeptisch. „Ich persönlich | |
| habe an diesen neuen Senat gar keine Erwartungen gehabt“, sagt Marc von der | |
| Ratibor in Kreuzberg, auch wenn er weiß, dass er von einem schwarz-gelben | |
| Senat weniger Verständnis für alternative Lebensentwürfe zu erwarten hätte. | |
| „Für uns war immer eher der Bezirk der Ansprechpartner, und der ist ja seit | |
| Jahrzehnten grün hier. Insofern hat sich an unserem Umgang mit der Politik, | |
| die uns eher wohlwollend-freundlich entgegen kommt, ohne sich jetzt die | |
| Beine für uns auszureißen, nicht viel geändert.“ | |
| 2018 waren dem Senat 17 Wagenplätze namentlich bekannt, auch heute dürfte | |
| ihre Zahl unverändert bei 15 bis 20 liegen. Einige Wagenplätze sind keine | |
| eingetragenen Vereine, sie bleiben lieber unter dem Radar, weil sie | |
| Restriktionen befürchten. Aber Wagenbewohner*innen sind kreativ und | |
| flexibel, sie suchen und finden Gesetzeslücken. So entstehen immer wieder | |
| neue Plätze, ohne dass sie offiziell Wagenplätze sind. Mit einem legalen | |
| Status könnten sie hingegen besser Miet- oder Nutzungsverträge abschließen. | |
| Doch gibt es diesen Status für Wagenplätze in Berlin auch am Ende der | |
| Legislaturperiode noch immer nicht. | |
| Und einem angedachten Wagenplatzgesetz stehen viele Wagenplätze eher | |
| ablehnend gegenüber. Zu groß scheint die Gefahr einer staatlichen | |
| Regulierung des selbst organisierten Lebens: Baugesetz, | |
| Brandschutzverordnung, Wasserversorgung müssten nach Normen deutscher | |
| Bürokratie geregelt werden – „und dann fällt halt ein Großteil der | |
| Attraktivität des Im-Wagen-Wohnens weg“, findet Marc. | |
| Maki hingegen hatte gehofft, dass sich die Situation der Wagenplätze über | |
| „Verbündete in der Politik“ entspannen würde: „Wir haben versucht, übe… | |
| institutionellen Wege alles zu machen, über Anhörungen in | |
| Bezirksverordnetenversammlungen, über Runde Tische mit der Politik, über | |
| Unterschriftenaktionen, Demonstrationen und dergleichen. Und auch im | |
| Austausch mit anderen Gruppen, die eher informellere Wege versuchen, haben | |
| wir immer gesagt, lasst uns doch mal probieren, mit der Politik | |
| zusammenzuarbeiten und auf formalem Weg was zu erreichen. Doch mit dieser | |
| Strategie sind wir bislang leider gescheitert.“ | |
| ## „Sondergebiet alternatives Wohnen“ | |
| Bereits 2018 hatte der Senat auf eine Anfrage der taz erklärt, keine | |
| Maßnahmen zum Schutz der Wagenplätze treffen zu wollen und bei den | |
| Entscheidungen über eine Duldung auf die jeweiligen Bezirke verwiesen. | |
| Anfang 2018 konnte der Verein „KosmoLaut“ noch unter Vermittlung von | |
| Hendrikje Klein auf ein Ersatzgrundstück innerhalb von Karlshorst umziehen. | |
| Die kleine queere Wagengruppe „DieselA“ hingegen versuchte mehrfach | |
| erfolglos, sich brachliegende Gelände anzueignen. 2019 wurde DieselA von | |
| einem Gelände der Deutschen Bahn in Marzahn geräumt. „Wir sind jederzeit | |
| für Nutzungsüberlegungen für unsere Grundstücke offen und freuen uns über | |
| Vorschläge, sicherlich aber nicht im Rahmen einer rechtswidrigen | |
| Besetzung“, ließ der Berliner Konzernbevollmächtigte der Bahn, Alexander | |
| Kaczmarek (CDU), damals verlauten. Doch zu Verhandlungen kam es nie. | |
| Im April 2020 wurde an der Rummelsburger Bucht der kleine „Sabot Garden“ | |
| geräumt. Die Wagenkunst Rummelsburg, DieselA und die Mollies hatten 2020 | |
| ein Flurstück am Tempelhofer Feld im Besitz des Bundeseisenbahnvermögens | |
| (BEV) ausfindig gemacht und vergeblich versucht, darüber zu verhandeln. | |
| Eine schriftliche Anfrage der taz an BEV blieb unbeantwortet. Die DB AG | |
| hingegen zeige sich „immer gesprächsbereit“, erklärt ein Bahnsprecher auf | |
| Nachfrage; doch sei es „selbstverständlich, dass jegliches Handeln aller | |
| Seiten immer rechtskonform sein muss“. | |
| Aber eine „rechtskonforme“ Grundlage für Wagenplätze gibt es eben noch | |
| nicht. Was ist also übrig geblieben vom Versprechen der Koalition, den | |
| Wagenplatzbewohner*innen „Sicherheit für ihre Lebensform zu schaffen | |
| und den derzeitigen Zustand der Duldung zu beseitigen“? Mit dem nahenden | |
| Ende dieser rot-rot-grünen Koalition ist die Bilanz gemischt. Mehrere linke | |
| Projekte sind geräumt worden, einige im Windschatten der Pandemie; das hat | |
| für Verunsicherung und auch Unmut unter Wagenplatzbewohner*innen | |
| gesorgt. | |
| „So ein bisschen enttäuscht ist man schon“, sagt Maki, „auch wenn man in | |
| dem Bewusstsein ist, dass die Situation unter einem CDU-regierten Senat | |
| wohl noch sehr viel schlimmer wäre.“ Dennoch „gibt es derzeit einige | |
| Wagenplätze und linke Strukturen, die bedroht sind oder sich in Auflösung | |
| befinden. Das hinterlässt schon einen schalen Beigeschmack, insbesondere | |
| hier in Lichtenberg, wo ja sogar die Linke den Bezirksbürgermeister | |
| stellt.“ | |
| Obwohl die Gruppe von einzelnen Politiker*innen auch aktiv unterstützt | |
| wird, ist Maki ernüchtert: „Von Seiten der Politik und der Verwaltung wurde | |
| bezüglich des Bebauungsplans Ostkreuz immer argumentiert, dass das halt | |
| alles schon vor Jahren beschlossen wurde und man da nichts machen kann. Und | |
| dann kommt so ein Großinvestor wie Coral World, und plötzlich wird der | |
| ganze Bebauungsplan nochmal umgeschrieben. Und darum ist die Konsequenz, | |
| dass selbst unter Rot-Rot-Grün jetzt halt zunehmend die Situation prekärer | |
| wird; der Verwertungsdruck steigt weiter und die Perspektiven schwinden.“ | |
| „Rechtlich gesehen ist das Ganze leider sehr schwierig“, gibt die | |
| Linken-Abgeordnete Hendrikje Klein zu, die auch Sprecherin für | |
| Bürgerbeteiligung und Engagement ist. „Wir haben alles hoch und runter | |
| geprüft. Mittlerweile sind wir der Meinung, dass ein Wagenplatzschutzgesetz | |
| die einzige Variante ist, die wir als Land Berlin machen können. Hier | |
| sollen Wagenplätzen und Safe Spaces besonderer Schutz eingeräumt werden. | |
| Dieses Gesetz ist nicht unser Favorit, besser wäre eine Änderung des | |
| Baugesetzbuches auf Bundesebene; ich gehe nur davon aus, dass die aktuelle | |
| Koalition da nichts machen wird.“ | |
| Das bestätigt auch die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und | |
| Soziales. „Ein Wagenplatz kann nach gültigem Bundesrecht und unter | |
| Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung nicht geplant und nicht | |
| genehmigt werden“, schreibt deren Pressesprecher auf taz-Anfrage. „Der | |
| Bundesgesetzgeber müsste in der Novelle des BauGB z.B. eine Gleichsetzung | |
| von Wagenplätzen mit Campingplätzen vornehmen, um eine Planungs- und | |
| Genehmigungsfähigkeit perspektivisch zu erreichen. Die politischen | |
| Mehrheiten für eine solche Änderung sind derzeit nicht gegeben.“ | |
| Der Senat habe sehr wohl Handlungsspielraum, meint hingegen Katrin | |
| Schmidberger, Sprecherin für Wohnen und Mieten der Grünen-Fraktion im | |
| Abgeordnetenhaus. Die Berliner Bauordnung liege in der Zuständigkeit der | |
| Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. „Hier könnten Regelungen | |
| über Wagenplätze aufgenommen werden. Darüber hinaus wäre ein Berliner | |
| Wohnwagengesetz mit dem Ziel denkbar, die Genehmigung von Wagenplätzen zu | |
| vereinfachen, schlägt sie vor. Berlin solle prüfen, ob sich Standorte für | |
| Bauwagenplätze als „Grünfläche mit Sondernutzung Wagenburg“ oder | |
| „Sondergebiet alternatives Wohnen“ offiziell im Flächennutzungsplan | |
| eintragen ließen. | |
| Sina hat ihre bislang letzte „Achterbahn“ im März erlebt. Ein Gelände neb… | |
| einer Schule, nur wenige hundert Meter vom jetzigen Standort entfernt, | |
| hätte ein geeigneter Ausweichort sein können. Doch die Lichtenberger CDU | |
| hatte vorab ein Flugblatt mit dem Slogan „Keine Wagenburg in Rummelsburg“ | |
| verteilt. Bei der Ortsbegehung waren dann einige Anwohner*innen | |
| anwesend, die aufgescheucht von der Lokalpolitik ihren Unmut gegenüber | |
| einem Wagenplatz in ihrer Nachbarschaft bekundeten. „Dass es da keine | |
| Chance gab, überhaupt ins Gespräch zu kommen, war wirklich traurig“, sagt | |
| Sina. | |
| Maki hat sich inzwischen, auch aus familiären Gründen, ins Exil nach | |
| Brandenburg begeben. Aber etwas Hoffnung hat er noch, denn das letzte Wort | |
| im Bauvorhaben Rummelsburger Bucht ist noch nicht gesprochen: Die | |
| Naturfreunde Berlin haben im Namen der Initiative „Bucht für Alle“ ein | |
| Normenkontrollverfahren eingereicht, um den Vollzug des Bebauungsplans | |
| Ostkreuz doch noch zu stoppen. | |
| Auch das Konzept von Tiny Houses und Mobilheimen etabliere sich gerade, | |
| glaubt Maki, daher hofft er darauf, dass sich im Fahrwasser dieser Konzepte | |
| die rechtlichen Rahmenbedingungen lockern lassen könnten. Er regt außerdem | |
| an, einen Einblick in die Listen der BIM zu erhalten, um zu schauen, welche | |
| Grundstücke das Land zumindest temporär überhaupt zur Verfügung hätte. | |
| Marc fordert, experimentelle Wohnformen ernst zu nehmen und | |
| Zwischennutzungen unter spezifischen Rahmenbedingungen zuzulassen. Und auch | |
| in den Fall der Ratibor-Genossenschaft ist nun doch noch Bewegung gekommen. | |
| Die Stadt fordert den Wagenplatz auf, seinen Teil des Geländes bis zum 30. | |
| September 2021 zu räumen. Gleichzeitig soll das zukünftige Gelände der | |
| Genossenschaft vermessen werden. Der Wagenplatz soll einen Mietvertrag, die | |
| Genossenschaft einen langfristigen Pachtvertrag erhalten. Über die | |
| Bedingungen des Pachtvertrages besteht allerdings noch Uneinigkeit. | |
| Nach wie vor laufen die Duldungen öffentlicher Flächen über die | |
| Bezirksämter. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg setze sich seit | |
| Jahrzehnten für den Erhalt von Wagenplätzen ein, schreibt Katrin | |
| Schmidberger, und auch Marc von der Ratibor bescheinigt dem Amt „eine ganz | |
| gute Gesprächsebene“. Der Wagenplatz an der Lohmühle hat geräuschlos eine | |
| Duldung um weitere viereinhalb Jahre erhalten. Auch das Bezirksamt | |
| Lichtenberg hat sich häufig dialogbereit gezeigt. Aber was ist, wenn sich | |
| die Machtverhältnisse ändern? In Marzahn-Hellersdorf etwa besteht die reale | |
| Möglichkeit, dass die AfD stärkste Fraktion wird und den | |
| Bezirksbürgermeister stellt. | |
| Die Spitzenkandidatin der Berliner SPD, Franziska Giffey, hat sich schon | |
| für den Weiterbau der Autobahn A100 ausgesprochen. Dieser würde das Aus | |
| gleich für mehrere Wagenplätze bedeuten, unter anderem Rummelplatz, | |
| Scheffelstraße und Fips sowie die linken Projekte Villa Kuriosum und den | |
| legendären Hangar. | |
| Währenddessen besteht die akute Räumungsgefahr für einige Projekte weiter. | |
| Am 25. Mai hielt der Köpi-Wagenplatz eine improvisierte Pressekonferenz vor | |
| der Köpi in Mitte ab. Der Wagenplatz hat nach 20-jährigem Bestehen im | |
| Februar einen Räumungsbescheid erhalten. Zwar setzt sich die BVV Mitte für | |
| eine politische Lösung ein, hat aber nur geringe Einflussmöglichkeiten. | |
| „Als Köpi haben wir starkes Misstrauen gegenüber den Eigentümern“, erkl�… | |
| ein Sprecher. Kein Wunder, denn seit 2007 wurden Haus und Gelände mehrfach | |
| von Unterfirmen gekauft, verkauft und versteigert, die alle mit der Sanus | |
| AG und ihrem Vorstand Siegfried Nehls verflochten sind. Die Köpi vermutet, | |
| dass die Sanus AG das Gelände nur räumen will, um es dann erneut | |
| gewinnbringend zu verkaufen. Sie plant deshalb mit ihren | |
| Unterstützer*innen zahlreiche Protestaktionen. Am 10. Juni findet die | |
| Gerichtsverhandlung statt. | |
| 29 May 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Darius Ossami | |
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