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# taz.de -- Obdachlosencamp geräumt: Nächtliche Hauruckaktion
> Das Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht wird mit Polizei und
> Baggern geräumt. Kritik von den Grünen. Sympathisanten demonstrieren.
Bild: Die Polizei unterstützt die Räumung des Obdachlosencamps an der Rummels…
Berlin taz | Am Samstagnachmittag versuchen einige ehemalige
Bewohner*innen des Camps an der Rummelsburger Bucht noch zu retten, was
zu retten ist. Zwei Menschen schieben einen Handwagen, beladen mit
zerfransten Koffern, durch das Loch im Zaun an der Kynaststraße unweit vom
Ostkreuz. Polizei und Security überwachen das Geschehen, nur unter
Begleitung dürfen die Bewohner*innen auf das Gelände, um ihre Habe aus
ihren Behausungen mitzunehmen. Wenige Meter weiter reißen
Bauarbeiter*innen mit Baggern bereits erste Verschläge weg. Vor dem
Zaun protestieren knapp hundert Menschen gegen die Räumung.
Am Freitagabend hatte das Bezirksamt Lichtenberg beschlossen, das
Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht, eines der größten in Berlin, zu
räumen. Angesichts des Wintereinbruchs mitsamt tiefen Minusgraden und
starken Schneefällen könne die Sicherheit der Bewohner*innen in dem
Camp nicht mehr gewährleistet werden, so Kevin Hönicke (SPD),
stellvertretender Bürgermeister des Bezirk Lichtenbergs, der am Samstag
ebenfalls vor Ort war. „Die Lage ist sehr bedrohlich.“
Laut offizieller Darstellung des Bezirks seien ab Freitagabend
Sozialarbeiter*innen im Camp gewesen, um die Entscheidung den
Bewohner*innen mitzuteilen. Ab 22 Uhr war dann auch die Polizei vor
Ort, um das Camp zu evakuieren, der Einsatz ging bis spät in die Nacht.
Physischer Zwang sei nicht angewendet worden, hieß es. Den Menschen sei
angeboten worden, eine bislang ungenutzte Unterkunft der Kältehilfe in der
Nähe zu beziehen. „50 Leute haben das Angebot auch angenommen“, sagte
Hönicke. Diese seien mit angemieteten BVG-Bussen in die Unterkunft gebracht
worden.
Doch fragt man Bewohner*innen, zeichnet sich ein etwas anderes Bild. Viele
von ihnen fühlten sich von der nächtlichen Aktion überrumpelt. „Man hätte
wenigstens ein paar Tage vorher Bescheid sagen können“, kritisiert Raffi,
der schon seit mehreren Monaten in dem Camp lebt. „Dann hätte ich wenigsten
in Ruhe meine Sachen zusammensuchen können.“
## Von den Grünen kritisiert
Raffi berichtet, er sei Freitag erst nachts zum Camp zurückgekehrt. Die
Polizei habe ihn nicht mehr aufs Gelände gelassen, er musste „die Nacht bei
Minusgraden im Freien verbringen“. Im Camp hatte er eine kleine Hütte mit
einem Ofen – jetzt muss er sich mitten im Winter einen neuen Ort suchen und
bei null anfangen. In die Sammelunterkunft der Kältehilfe möchte Raffi
nicht.
Noch schlimmer erging es Jess, sie lebte in einem Wohnwagen auf der Brache.
„Man sagte mir, ich solle den Wohnwagen heute abholen“, berichtet die
37-Jährige sichtlich erschüttert, „aber als ich heute vormittag kam, war er
bereits komplett zerstört“. Ein Twitter-User filmte, wie einer der Bagger
den Wagen zerstörte, auch die taz konnte die Überreste vor Ort begutachten.
Scharf kritisiert wurde die Räumung auch von den Grünen: „Mein Eindruck
ist, dass das Bezirksamt eine sehr kurzfristige nächtliche Hauruckaktion
veranlasst hat. Ein Angebot zum Umzug hätte auch heute bei Tageslicht
veranlasst werden können“, kritisiert Bezirksverordnete Daniela Ehlers in
einer Pressemitteilung. Unklar sei auch, was mit denen passiere, die das
Angebot der Unterbringung nicht angenommen hätten.
Unterstützer*innen des Camps mobilisierten am Samstag zu einer
Protestkundgebung vor dem Camp. Die Protestierenden halten das Argument der
Kältehilfe nur für vorgeschoben, um die lange beabsichtigte Räumung des
Camps zu rechtfertigen. „Die kälteste Woche des Jahres, und die Berliner
Polizei und Politik hat nichts Besseres zu tun, als den Ärmsten der Armen
ihre Unterkunft, Feuerstellen und Besitz wegzunehmen“, heißt es in dem
Aufruf.
## Die Bagger kommen
Zeitweise schien es, als wolle der Eigentümer, die Coral World GmbH,
schnellstmöglich mit Baggern Fakten schaffen. Auf Einwirken des Bezirks
konnte zunächst eine weitere Zerstörung des Camps verhindert werden. „Eine
Beräumung wurde zunächst untersagt“, erklärte Hönicke noch am
Samstagmittag. Bei Verhandlungen mit einer Vertreterin des Eigentümers
konnte erreicht werden, dass die Bewohner*innen bis nächsten Freitag
die Gelegenheit hätten, ihr Habe zu sichern.
Doch nur wenige Minuten später rissen die Bagger weitere Verschläge weg.
Zwischenzeitlich gelang es einigen Aktivist*innen, einen Bagger zum
Stillstand zu bringen, indem sie sich auf den Greifarm setzten. Wenige
Stunden später wurden sie allerdings von der Polizei geräumt. Kevin Hönicke
sagte dazu, der Bezirk habe bei der privaten Fläche wenige Möglichkeiten:
„Die Verantwortung dafür, was dort geschieht, liegt bei dem Eigentümer.“
Caspar Tate, ein Mitarbeiter des Vereins Trans*Sexworks, die einige trans*
Sexarbeiter*innen aus Bulgarien in dem Camp betreute, kritisierte die
schlechte Kommunikation im Vorfeld der Räumung. „Es wurde ohne
Dolmetscher*innen in das Camp gegangen, außerdem waren die
Sexarbeiter*innen zu der Zeit gar nicht zu Hause.“
7 Feb 2021
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
## TAGS
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
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Räumung
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