# taz.de -- Unterbringungskrise in Berlin: Krisenmanagement ist keine Lösung | |
> Die durch den Ukraine-Krieg erneut verschärfte „Unterbringungskrise“ | |
> zeigt wieder einmal: Es braucht eine radikale Wende in der | |
> Wohnungspolitik. | |
Bild: Gut gemeint: Der „Weihnachtsmann“ im Ankunftszentrum hilft auch nur t… | |
Keine Frage: Die Herausforderungen waren und sind immens. 360.000 | |
Ukrainer*innen strandeten im vergangenen Jahr als Kriegsflüchtlinge in | |
Berlin, mussten erstversorgt und dann großenteils weiterverteilt werden in | |
andere Bundesländer. Unwillkürlich dachte man bei den Bilder von | |
Menschentrauben am Hauptbahnhof an Szenen von 2015, als tausende | |
Syrer*innen über Österreich in Zügen nach Deutschland kamen. Aber anders | |
als damals musste dieses Mal niemand tage- und nächtelang vor dem | |
Flüchtlingsamt kampieren, um Obdach zu bekommen. Weil die Politik in der | |
Tat schnell reagierte und in Tegel ratzfatz ein Ankunftszentrum als | |
Notaufnahme und Verteil-HUB aus dem Boden stampfte. Noch schneller war die | |
Zivilgesellschaft, die quasi von Tag 1 an den Bahnhöfen das Willkommen | |
organisierte und sich hunderte Menschen Tag und Nacht mit freiwilliger | |
Hilfe überschlugen. | |
Und es blieb nicht bei Teddybären und Trinkpäckchen für die erschöpften | |
Ankömmlinge, die es damals auch für die Syrer*innen gab: Sofort | |
entstanden neue Bürger*innen-Netzwerke zur Vermittlung von Gastgeber*innen, | |
von denen sich tausende, ja sogar zigtausende meldeten, die bereit waren, | |
für Tage, Wochen oder gar Monate Geflüchtete bei sich aufzunehmen. Bis | |
heute ist daher [1][ein Großteil der 60.000 Ukrainer*innen, die in Berlin | |
geblieben sind, privat untergekommen]. (Nur in Klammern sei hier kurz die | |
Frage erlaubt: Warum gab es diese Solidarität eigentlich damals bei den | |
Syrer*innen nicht?) | |
Zwar erkennt die Politik diese große Leistung der Berliner*innen an, in | |
quasi keiner Rede von Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) oder | |
Noch-Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) zum Thema fehlt | |
derzeit ein dickes Lob für das großartige Engagement der Zivilgesellschaft. | |
Gleichzeitig werden Politiker*innen aber auch nicht müde zu betonen, | |
dass es angesichts dieser schieren Menge an Menschen, die zu uns kommen, | |
leider unvermeidlich war, dennoch erneut massenhaft Notunterkünfte | |
aufzubauen. Immerhin habe man „gelernt“ aus 2015/16 und könne die | |
Geflüchteten – statt wie seinerzeit in Turnhallen – heute in „modernen“ | |
Notunterkünften in Leichtbauhallen, mit neuen Sanitäranlagen, | |
abschließbaren Spinden etc. unterbringen. [2][Und wenn schon wieder in den | |
Hangars von Tempelhof, dann immerhin in neuen Containern], die | |
„Privatspähre“ bieten. | |
Doch das Argument der schieren Größe der Aufgabe, die keine andere | |
Möglichkeit lasse, ist nur die halbe Wahrheit. Die grundsätzliche Krux | |
liegt – wieder einmal – in der verfehlten Wohnungspolitik der letzten | |
Jahrzehnte. Weil es nicht genug „sozialen“, also für Menschen mit geringem | |
Einkommen bezahlbaren Wohnraum gibt, gibt es eben eine steigende Zahl von | |
Obdachlosigkeit, die nur teils dadurch verdeckt wird, dasss immer mehr | |
Menschen auf den Sofas von anderen leben, sich Zimmer und zu kleine | |
Wohnungen teilen müssen. Sichtbarer ist das Problem in der zunehmenden Zahl | |
von Obdachlosen- und Flüchtlingsheimen. | |
Auch viele Syrer*innen von 2015/16 leben noch immer in den Unterkünften | |
des Landesflüchtlingsamts – obwohl sie doch nach so vielen Jahren längst | |
keine Geflüchteten mehr sind sondern einfach Bürge*innen dieser Stadt. | |
Für die „neue Generation“ von Geflüchteten, die Ukrainer*innen, ist da ke… | |
Platz mehr. Für sie ist man darum wieder hektisch auf der Suche nach neuen | |
Heimen, neuen Großunterkünften, die man nun möglichst rasch aus dem Boden | |
stampfen muss, damit die Leichtbauhallen in Tegel irgendwann auch wieder | |
leer werden. | |
## Von Notlösung zu Notlösung | |
Ein Konzept ist das natürlich nicht, wieder einmal hangelt sich die Politik | |
von Notlösung zu Notlösung – weil sie zu einem radikalen Umschwenken nicht | |
bereit ist. Dies könnte, meinen viele mit guten Arguemten, in einer | |
Enteignung großer Wohnungsbaukonzerne liegen. Das müsste zudem auch in | |
massiven zusätzlichen Investitionen des Staates in wirklich sozialen | |
Wohnungsbau liegen – bei gleichzeitiger Befreiung der landeseigenen | |
Wohnungsbaubetriebe von der Verpflichtung Gewinn zu machen. Und kann man | |
bitte schön nicht endlich auch über die „Enteignung“ der vielen | |
leerstehenden Wohnungen nachdenken, die als „Ferienwohnungen“ so manchen | |
Bürger*innen hübsche Gewinne bereiten? | |
Und wenn man sie schon nicht enteigenen will oder kann: Warum mietet das | |
Land sie nicht an für die Obdachlosen, seien sie Deutsche, Syrer*innen, | |
Ukrainer*innen oder noch anderer Nationalität? Er zahlt ja auch 30 Euro | |
pro Mensch und Tag für „Läusepensionen“, mit denen die Bezirke nach wie v… | |
Verträge machen um ihrer gesetzlichen Pflicht Menschen vor Obdachlosigkeit | |
zu bewahren nachkommen zu können. Da kommen schon mal monatliche | |
„Mietkosten“ von mehreren tausend Euro für eine Familie zustande – die | |
könnte man besser ausgeben. | |
Die aktuelle Unterbringungskrise, die nicht neu ist, sondern durch die | |
Ukrainer*innen nur mehr zusätzlich verschärft wird, macht erneut | |
deutlich: Es ist allerhöchte Zeit für eine mutige Politik, die alten Tabus | |
der „sozialen Marktwirtschaft“ zu brechen. Leider wird das mit den derzeit | |
im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien nicht möglich sein – egal wie die | |
nächste Koalition zusammen gesetzt sein wird. Es braucht daher nicht viel | |
prophetische Gabe um vorherzusagen: Die Containerdörfer, Massenunterkünfte | |
(Neubau und Altbau) und Läusepensionen werden eher mehr werden als weniger. | |
Aber die Politik wird jubeln, wenn irgendwann die Leichtbauhallen von Tegel | |
wieder leer sind und sie die Menschen irgendwo anders „untergebracht“ hat. | |
Man wird sich auf die Schulter klopfen und von einem erfolgreichen Meistern | |
auch dieser Krise sprechen. Darum an dieser Stelle ein zynischer Tipp: | |
Lassen Sie die Zelte in Tegel doch einfach stehen. Die nächste | |
„Flüchtlingskrise“ kommt bestimmt. | |
25 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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