| # taz.de -- Prekäres Wohnen in Lichtenberg: Dunkle Zeiten im Trailerpark | |
| > Die Bewohner*innen des Trailerparks in Karlshorst sitzen im Dunkeln | |
| > und in der Kälte: Das Bezirksamt Lichtenberg hat ihnen den Strom | |
| > abgestellt. | |
| Bild: Ohne Strom kaum noch lebenswürdig: Wohnwagen am Wiesenweg | |
| Berlin taz | Es ist kalt geworden, und das merken die Bewohner*innen | |
| des Trailerparks am Hönower Wiesenweg in Karlshorst ganz besonders: Seit | |
| einer Woche haben sie weder Strom noch warmes Wasser. Die landeseigene | |
| Stromnetz Berlin GmbH hat auf Veranlassung des Bezirksamts Lichtenberg am | |
| Donnerstag auch den Zugang zum letzten Stromkasten gekappt, nachdem der | |
| Strom für die meisten Bewohner*innen bereits Ende September gesperrt | |
| worden war. | |
| Auf dem Gelände stehen einige Dutzend Wohnwagen und Container, vor einigen | |
| liegt etwas Müll. Der Platz wirkt leer und trostlos, die Kälte hat die | |
| Menschen in die Wagen oder ganz vom Platz vertrieben. Diejenigen, die zu | |
| sehen sind, räumen irgendwas herum, eine nervöse Spannung liegt in der | |
| Luft. In einer improvisierten Feuertonne glimmt etwas Holz, ein Junge wirft | |
| lustlos noch ein Brett hinein. Daneben sucht eine struppige Katze nach | |
| Essen, im Hintergrund brummt ein kleiner Generator. Der Wohnwagen am | |
| Eingang ist mit Grußbotschaften und Lichterketten verziert – die 53-jährige | |
| Bewohnerin ist im September an Krebs verstorben. | |
| Nun sitzen die verbliebenen Bewohner*innen in der Kälte und nachts im | |
| Dunkeln. Durch die Kälte komme sie an freien Tagen kaum noch hoch, erzählt | |
| Jana, die seit anderthalb Jahren auf dem Platz wohnt und an fünf Tagen in | |
| der Woche in Frühschicht arbeitet. „Ich kann mir mittlerweile besser | |
| vorstellen, wie das für Leute auf der Straße ist“, sagt sie. | |
| ## „Das hier ist unser Zuhause“ | |
| „Ohne Strom- und Wasserversorgung ist es lebensbedrohlich“, ergänzt Denise | |
| Bandekow. Die drahtige Frau wohnt seit fast zwei Jahren hier und versucht | |
| den Platz nach außen zu vertreten. Immer wieder kommen einzelne Leute zu | |
| ihr mit Fragen oder Hinweisen. Sie hat auch schon mit Bezirksstadtrat Kevin | |
| Hönicke (SPD) über Ersatzangebote gesprochen, über Hostels und Hotels für | |
| 26 Euro pro Nacht. Nur Obdachlosenheime, „da kann ich niemals hinziehen“, | |
| betont Bandekow: „Dieser Platz ist unser Zuhause.“ | |
| Seit der Strom gekappt ist, haben einige Menschen den Platz verlassen, es | |
| gibt Auflösungserscheinungen. „Wenn wir Strom bekämen, wäre der | |
| Zusammenhalt wieder da“, glaubt Jana. Für manche sei die aktuelle Situation | |
| lebensbedrohlich: „Viele stürzen jetzt ab.“ Jana glaubt, es gehe | |
| „eigentlich darum, Uli eins auszuwischen – aber sie wischen uns eins aus. | |
| Der Uli ist ’n Netter“, findet sie. | |
| „Der Uli“ ist Trailerpark-Eigentümer Ulrich Ziegler, der noch andere | |
| Grundstücke in Berlin besitzt. Mit Anzeigen wie „Wohnen in Naturnähe auf | |
| kleinstem Raum“ werden Wohnwagen oder Container lukrativ vermietet. Auch | |
| Denise und Jana zahlen um die 500 Euro für ihre Bleibe, im Fall von Denise | |
| übernahm das bis vor einem halben Jahr das Jobcenter. | |
| Ein hoher Preis – aber was ist die Alternative? Hier leben von Armut | |
| Betroffene, Migrant*innen, Alkoholabhängige, Sinti und Roma, psychisch | |
| Auffällige – Menschen, die auf dem „freien Wohnungsmarkt“ so gut wie kei… | |
| Chance haben. Ziegler vermietet ihnen ihre eigenen vier Wände, kam bislang | |
| für Strom und Infrastruktur auf. Deshalb nennt er seine Containersiedlungen | |
| auch „soziale Wohnprojekte“. Hier könnten die Menschen selbstbestimmt leben | |
| und hätten eine Meldeadresse. | |
| ## „Kriminelles Gebaren“? | |
| Die Bezirksämter sehen das anders. Sie werfen Ziegler „kriminelles Gebaren“ | |
| vor, denn er darf auf seinen Grundstücken keinen Wohnraum vermieten. | |
| [1][Ein ähnliches Gelände in der Treptower Moosstraße wurde daher im Sommer | |
| geräumt.] Auch am Wiesenweg heißt es, der Trailerpark sei illegal, denn er | |
| liegt im Gewerbegebiet, wo nicht gewohnt werden darf. Jahrelang störte das | |
| offenbar niemanden, die Trailer wurden geduldet. | |
| „Ihr grünes Zuhause zwischen Natur und Innenstadt“, heißt es genau | |
| gegenüber. Dort baut der Projektentwickler Bonava hochpreisige Wohnungen, | |
| die „Parkstadt Karlshorst“ ist fast fertig. Der Trailerpark ist da | |
| anscheinend ein Dorn im Auge. Der Aufschüttung einer Straße, die die Bonava | |
| wollte, war der Zaun des Trailerparks im Weg. Im Juni ließ ihn der Bezirk | |
| mit Polizeiaufgebot abreißen. | |
| Für das Gelände am Wiesenweg gab es eigentlich eine Einigung vor Gericht: | |
| Die Bewohner*innen sollten bis Mai 2024 bleiben dürfen – wenn der | |
| Eigentümer dafür sorgt, dass keine weiteren Container aufgestellt werden. | |
| Das ist offenbar nicht geschehen: Anfang Oktober waren etwa 220 Personen | |
| dort gemeldet, einige hatten sich erst nach dem gerichtlichen Vergleich | |
| angemeldet. Er werde das nicht akzeptieren, schrieb Hönicke am 6. Oktober, | |
| wie aus einem Schriftverkehr hervorgeht, der der taz vorliegt. | |
| Ende September wurde der Strom für einen Großteil der Bewohner*innen | |
| gekappt, „aufgrund von Fragen der Sicherheit und wegen illegalen | |
| Stromerwerbs“, so das Bezirksamt. Der Strom werde wieder angestellt, wenn | |
| der Eigentümer „die sichere Stromverteilung und einen legalen Stromerwerb“ | |
| absichere. Stattdessen wurde am 12. Oktober der Strom ganz abgestellt. Die | |
| Stromnetz Berlin bestätigt die Darstellung des Bezirksamts, wonach ein | |
| Sachverständiger „gravierende Mängel festgestellt“ und eine sofortige | |
| „Trennung vom Stromnetz veranlasst“ habe. „Verantwortlich für die | |
| entstandene Situation ist der Eigentümer, da er den mangelhaften Zustand | |
| geduldet bzw. nicht beseitigt hat“, so das Unternehmen. | |
| ## „Bezirk müsste für Ersatz sorgen“ | |
| Ulrich Ziegler selbst hat sich seitdem nicht öffentlich geäußert. Umso mehr | |
| dafür Klaus Langer, der sich als „Streetworker“ bezeichnet, der das | |
| „alternativ-soziale Wohnprojekt begleitet“, von den Bewohner*innen aber | |
| als Freund des Eigentümers gesehen wird. Laut Langer verweigert das | |
| Bezirksamt die Zustimmung zur Nutzung der Anschlüsse: „Der Bezirk müsste in | |
| Ersatzvornahme eine Notstromversorgung installieren, Eigentümer und | |
| Betreiber haben bereits erklärt, dass sie die Kosten tragen würden“, sagt | |
| er. Er befürchtet allerdings, dass das Bezirksamt „neue Vorwände | |
| konstruieren wird“. | |
| Der Grund: „Für die Bewohner soll es ungemütlich werden, sodass die | |
| angebotenen Asyle angenommen und das Grundstück beräumt werden kann.“ Damit | |
| spielt er auf die umstrittene Räumung des Obdachlosencamps an der | |
| Rummelsburger Bucht im Februar 2021 an, die bei eisigen Temperaturen | |
| stattfand und ebenfalls von Hönicke verantwortet wurde. | |
| Nun ist Hönicke am Montag überraschend von Lichtenbergs | |
| Bezirksbürgermeister Martin Schaefer (CDU) „vorübergehend freigestellt“ | |
| worden. Ein Grund wurde zunächst nicht genannt. Klaus Langer schrieb | |
| umgehend einen Brief an Schaefer, in dem er eine Zusammenarbeit anbietet | |
| und erneut darauf hinweist, dass der Eigentümer dem Bezirk bereits vor | |
| Monaten vorgeschlagen hatte, das Grundstück unentgeltlich für zehn Jahre | |
| als Safe Space nutzen. Er hofft auf eine „Mediation und einvernehmliche | |
| Verständigung“ zur Beendigung der Wohnnutzung: „Im Allgemeinen gilt der | |
| Bezirk Lichtenberg nicht als unsozial gegenüber hilfebedürftigen Menschen.“ | |
| Dass das Bezirksamt auf das Angebot eingeht, ob mit oder ohne Hönicke, ist | |
| mehr als fraglich. Die CDU Lichtenberg findet es „unverständlich“, warum | |
| das Bezirksamt „vor dem Hintergrund der Unbewohnbarkeit immer noch keine | |
| Räumung des Camps“ angeordnet habe. | |
| Und dann ist da noch die Bonava mit ihren 1.000 Wohnungen genau gegenüber. | |
| Und auch für das Grundstück im Hönower Wiesenweg 23, direkt neben dem | |
| Trailerpark, hat die Bonava einen Bauantrag für fünf Mehrfamilienhäuser | |
| gestellt. Dafür müsste die Lichtenberger BVV allerdings der | |
| Flächennutzungsplan ändern. Das ist vermutlich leichter ohne den | |
| Trailerpark. | |
| Ob die verbliebenen Bewohner*innen bis dahin im Dunkeln sitzen? Auf dem | |
| Platz gibt es auch Kinder. Denise Bandekow hat einen Sohn. Er glaube an den | |
| Weihnachtsmann, und der habe letztes Jahr zu ihrem Sohn gesagt: „Wir sollen | |
| doch bitte alle Strom sparen.“ Bandekow wiederholt: „Das Wichtigste ist | |
| Strom.“ | |
| 19 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Darius Ossami | |
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