# taz.de -- Schutz für wohnungslose Frauen: Meistens ist das Bett schon weg | |
> In einem Berliner Hostel kommen obdachlose Frauen unter. Zu Besuch: Die | |
> Bauministerin, die an einem Aktionsplan gegen Obdachlosigkeit arbeitet. | |
Bild: Viele Obdachlose suchen, wie hier in Hamburg, Schutz unter Brücken und U… | |
BERLIN taz | Von außen sieht das Happy Bed Hostel in Berlin-Kreuzberg etwas | |
unscheinbar aus. Das siebenstöckige Gebäude fügt sich ein in das Grau, das | |
in diesen Tagen über Berlin liegt. Draußen sind es 2 Grad, der Himmel ist | |
bewölkt. Doch anders als der Name vermuten lässt, verbirgt sich hinter der | |
grauen Fassade kein Hostel, in denen Berlinreisende Unterschlupf finden, | |
sondern eine Notunterkunft speziell für obdachlose Frauen. | |
Vor zwei Jahren in der Coronapandemie wurde das ehemalige Hostel | |
umfunktioniert. 65 Zimmer mit anliegendem Bad gibt es hier, Sozialberatung | |
und die Möglichkeit, sich psychologische Hilfe zu holen. Die Frauen können | |
hier drei Mahlzeiten am Tag bekommen. „Die Einzelzimmer haben sich sehr gut | |
bewährt“, erklärt die Einrichtungsleiterin Elke Löbel am Montag. Hier haben | |
die Frauen „einen eigenen Rückzugsraum“, können zur Ruhe kommen, ihr | |
weniges Hab und Gut verstauen. „Die meisten Bewohner*innen wollen | |
tatsächlich erst mal schlafen, wenn sie hier ankommen, weil sie vorher oft | |
durch das Leben auf der Straße gar nicht geschlafen haben“, sagt Löbel. | |
Löbel sitzt im siebten Stock im Speisesaal der Notunterkunft mit breiter | |
Fensterfront. Die Wände sind in einem warmen Gelb gestrichen, die Tische | |
aus Holz. An diesem Montag im November hat hochrangiger Besuch Platz | |
genommen. [1][Bundesbau- und Wohnungsministerin Klara Geywitz] und | |
[2][Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (beide SPD)], wollen gerade | |
jetzt, wo die Temperaturen in Deutschland um den Gefrierpunkt liegen, auf | |
ein spezielles Thema aufmerksam machen: die Nöte von Frauen, die ohne | |
Bleibe sind. | |
Das Treffen findet aber auch vor dem Hintergrund statt, dass derzeit mit | |
Vertreter*innen aus Bund, Ländern und Kommunen sowie Wissenschaft und | |
Zivilgesellschaft ein Nationaler Aktionsplan zur Überwindung von | |
Obdachlosigkeit erarbeitet wird. Bis 2030 soll in Deutschland und in der EU | |
niemand mehr auf der Straße leben. | |
Ein Punkt ist Klara Geywitz besonders wichtig. „Wir haben in weiten Teilen | |
einen sehr gut ausgebauten Sozialstaat, aber gerade bei der Frage, wie | |
Obdachlosenunterkünfte aussehen, gibt es keinen festen Standard“, | |
kritisiert sie. Sie will Qualitätskriterien einführen, die überall in | |
Deutschland gelten – das könne den Personalschlüssel betreffen oder auch | |
spezielle Angebote für Frauen. Ganz viele dächten „bei Odachlosen an den | |
alten Mann“, doch es gäbe auch weibliche Obdachlosigkeit, sagt Geywitz. Es | |
gäbe auch mehr „versteckte Obdachlosigkeit“, oft seien Frauen „gezwungen, | |
in toxischen Situationen zu bleiben“. | |
## Unsicherheit bei der Finanzierung | |
Das Besondere an dieser Unterkunft ist: Es ist eine 24/7-Notunterkunft, das | |
heißt: Frauen, die hier Schutz finden, müssen im Gegensatz zu anderen | |
Kälteschutzeinrichtungen ihren wenigen Besitz am Morgen nicht wieder | |
zusammenpacken und werden erneut in die Kälte entlassen. Sie können so | |
lange bleiben, wie sie wollen. In ganz Berlin gibt es zwei solcher | |
Einrichtungen, nur eine speziell für Frauen. | |
Bis vor Kurzem war nicht klar, ob die Einrichtungen weiter finanziert | |
werden können, erklärt die Berliner Sozialsenatorin Kiziltepe. Dabei fehle | |
es nicht nur in Berlin an „frauenspezifischen Einrichtungen“. Doch nun sei | |
dieses „wichtige, niedrigschwellige Angebot“ im Berliner Doppelhaushalt | |
2024/25 gesichert. Der Bedarf ist dennoch sehr viel größer. | |
„Jeden Tag melden sich zwischen 10 und 20 Frauen am Tag bei uns, die wir | |
abweisen müssen“, sagt Hanna Höher, die in der Einrichtung als einzige | |
Psychologin auf einer Teilzeitstelle arbeitet. Manchmal käme nachts auch | |
die Polizei mit Frauen vorbei, die häusliche Gewalt erleben. Doch auch die | |
müssten meist weggeschickt werden. Eine Warteliste wird in der | |
Notunterkunft nicht geführt. Wenn ein Zimmer frei wird, sei es meist | |
innerhalb der ersten 30 Minuten wieder belegt, so Höher. | |
Die Psychologin berät und unterstützt die Frauen, wenn sie es selbst | |
wünschen. Häufig zeigten sich neben „großer Erschöpfung auch multikomplexe | |
Problemlagen, die sich über die Wohnungsnot hinaus auftun“. Das kann laut | |
Höher von Gesundheitsproblemen, Beziehungsproblemen, Behördenangst bis hin | |
zu schweren psychischen Problemen und suizidalen Gedanken reichen. Die | |
unklare Finanzierungslage habe zu einer „sehr großen Krisenanfälligkeit | |
geführt“. | |
Doch es gäbe auch Erfolge durch die enge Betreuung. Zwei Frauen wurden in | |
[3][Housing-First-Projekte] vermittelt, ein Ansatz in der Obdachlosenhilfe, | |
wo Menschen bedingungslos eine Wohnung bekommen können. „Wichtig ist, dass | |
man Plätze erhält, aber natürlich auch, dass man [4][genügend | |
Sozialwohnungen] hat, in die man vermitteln kann“, sagt Geywitz. | |
Nach den [5][jüngsten Hochrechnungen der Bundesarbeitsgemeinschaft | |
Wohnungslosenhilfe (BAGW)] ist die Zahl der wohnungslosen Menschen erneut | |
dramatisch gestiegen. 2021 waren es 383.000, 2022 etwa 607.000. Davon | |
lebten rund 50.000 auf der Straße. | |
27 Nov 2023 | |
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[1] /Bundesbauministerin-Klara-Geywitz/!5939857 | |
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[4] /Zu-wenig-Sozialwohnungen/!5947927 | |
[5] /Wohnungslosigkeit-in-Deutschland/!5971851 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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