Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Linken-Chef Schirdewan zur Energiekrise: „Axt an den sozialen Fri…
> Der Linken-Vorsitzende Martin Schirdewan macht der Ampelkoalition schwere
> Vorwürfe. Gegen die „soziale Kälte“ ruft er zu Protesten auf – ohne d…
> Rechten.
Bild: „Wir wollen sozialen Protest auf die Straße bringen“, sagt Linken-Ch…
taz: Herr Schirdewan, wegen der aus Ihrer Sicht unsozialen Verteilung der
Krisenfolgen rufen Sie zu einem „heißen Herbst der sozialen Proteste“ auf.
Was hat man sich darunter vorzustellen?
Martin Schirdewan: Der Unmut in der Bevölkerung wächst zusehends, er ist
mit Händen greifbar. Die Reaktionen auf unseren Aufruf zu einem heißen
Herbst kommen aus allen Richtungen der Republik und sind sehr ermutigend.
Angefangen von Haustürgesprächen in besonders betroffenen Vierteln und
Orten über Aktionstage und Kundgebungen bis hin zu großen Demonstrationen
wird es eine ganze Palette von Aktivitäten geben.
Was versprechen Sie sich davon?
Wir wollen sozialen Protest auf die Straße bringen, um die Bundesregierung
dazu zu bewegen, Politik für die Mehrheit der Bevölkerung zu machen und
nicht nur die großen Unternehmen sicher durch die Krise zu bringen. Ich bin
der festen Überzeugung, dass gesellschaftliche Linke und aktive
Zivilgesellschaft jetzt eine historische Verantwortung haben, gemeinsam
dafür zu sorgen, dass der Protest gegen die soziale Schieflage in
Deutschland gleichermaßen massiv und fortschrittlich wird.
Was müsste die Bundesregierung denn in dieser objektiv schwierigen
Situation angesichts des Kriegs Russlands gegen die Ukraine aus ihrer Sicht
anders machen?
Die gerechte Verteilung der Krisenlasten ist eine ganz zentrale Frage,
sonst droht der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft weiter zu
erodieren. Tatsächlich legt die Ampelkoalition im Moment jedoch eher die
Axt an den sozialen Frieden – und damit auch an die Stabilität unserer
Demokratie insgesamt. Die Bürgerinnen und Bürger, die Gas brauchen zum
Heizen, Kochen und Duschen, zahlen jetzt für die Rettung der großen
Gasversorger. Das ist völlig absurd. Statt einer Gasumlage [1][bräuchten
wir einen Gaspreisdeckel], doch den will die Ampelkoalition nicht. Ein
gesetzliches Verbot von Gas- und Stromabsperrungen, damit am Ende des
Monats jeder noch heizen kann und nicht im Dunkeln sitzt, sollte ohnehin
eine Selbstverständlichkeit sein.
Immerhin wird jetzt die [2][Mehrwertsteuer auf Gas abgesenkt].
Wir freuen uns über jede Entlastung, aber das ist ein Tropfen auf den
heißen Stein. Das gleicht bestenfalls die Extra-Erhöhung durch die – von
der Bundesregierung selbst beschlossene – Gasumlage aus, an den
explodierenden Energiepreisen und Lebensmittelpreisen der letzten Monate
ändert das nichts. Da geht es um noch mehr Geld. Notwendig ist eine
deutliche Entlastung von Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen,
damit sie den drastischen Anstieg der Lebenshaltungskosten einigermaßen
bewältigen können. Stattdessen werden Krisenprofiteure und Kriegsgewinnler
gehätschelt, denen die Regierung eine Übergewinnsteuer, wie es sie in
etlichen anderen europäischen Ländern gibt, nicht zumuten will. Die
Ampelkoalition setzt die völlig falschen Prioritäten: Für ein gigantisches
Aufrüstungsprogramm sind spontan 100 Milliarden da, aber für die
Fortsetzung des Neun-Euro-Tickets soll kein Geld da sein? Das ist doch ein
Armutszeugnis. Dank der ideologischen Verblendung des neoliberalen
Finanzministers befördert die Politik der Bundesregierung die Spaltung der
Gesellschaft. Das schadet dem sozialen Frieden im Land mehr, als es alle
Putin-Trolle vermögen.
Sollte die Regierung auch die Sanktionen gegen Russland aufheben, [3][wie
das Klaus Ernst, Sahra Wagenknecht oder Sevim Dağdelen vehement fordern]?
Die Sanktionen im Öl-Bereich – das sind ja die einzigen, die es derzeit im
Energiesektor gibt – führen natürlich dazu, dass in bestimmten Regionen,
insbesondere im Osten Deutschlands, die Raffinerien vor große Probleme
gestellt werden. Die Bundesregierung hat auch hier noch keine ausreichende
Antwort darauf gegeben, wie die Zukunft für die Menschen in Schwedt oder
Leuna aussieht. Deshalb fordern wir einen Garantieplan für die Region und
eine Arbeitsplatzgarantie, um den dort lebenden Menschen eine Perspektive
zu geben.
Das ist aber jetzt keine Antwort auf die Frage, ob Sie denn auch wie die
drei erwähnten Linken-Abgeordneten für die Aufhebung der Sanktionen gegen
Russland sind.
Nein, der Parteitag hat sich da ganz klar positioniert. Ich halte gezielte
Sanktionen gegen Putin und seinen Machtapparat, also die Russland
dominierende Oligarchenclique, auch für völlig richtig. Das gilt genauso
für Sanktionen gegen den militärisch industriellen Komplex, um die
Angriffsfähigkeit Russlands einzuschränken. Wir wollen zudem
Energieunabhängigkeit und dafür den schnellstmöglichen Ausbau Erneuerbarer
Energien. Und offensichtlich erzeugen die Sanktionen ja auch Wirkung, wenn
man sich ansieht, dass Putin Teile seiner Industrie schon auf
Kriegswirtschaft umstellen musste. Das ist der richtige Weg, um mit zivilen
Mitteln Druck auf Putins Regime auszuüben, und den muss man weitergehen.
Selbstverständlich würde ich mich freuen, wenn manche Genossinnen und
Genossen bei ihren öffentlichen Äußerungen diese Position der Partei
stärker berücksichtigen würden.
Die Linkspartei [4][gilt als heillos zerstritten] und befindet sich in
einem kritischen Zustand. Wäre sie überhaupt in der Lage, die von Ihnen
propagierten Proteste zu organisieren?
Wir sind eine diskussionsfreudige Partei und die Krisen unserer Zeit werden
bei uns offen verhandelt. Aber [5][der Parteitag hat klare inhaltliche und
strategische Entscheidungen getroffen]. Und wir sind uns einig, dass es
jetzt gilt, einen heißen Herbst der Proteste gegen die soziale Kälte der
Bundesregierung auf die Straße zu bringen. Das Feedback, das ich aus den
Parteigliederungen kriege, ist absolut positiv. Es entstehen ganz viele
kreative Ideen, wie vor Ort auf Straßen, Marktplätzen und vor den
Rathäusern Lärm erzeugt werden kann gegen die ungerechte Politik der
Regierung. Wobei wir das nicht alleine organisieren wollen, sondern wir
streben breite Bündnisse an – von den Sozialverbänden über die
Gewerkschaften bis zu Fridays for Future.
Fridays for Future? Haben Sie tatsächlich die Hoffnung, dass sich
Klimabewegung und sozialer Protest zusammenführen lassen?
Das passiert bereits. Ich erkenne auf beiden Seiten, dass die Erkenntnis
reift, wie eng die soziale und die ökologische Frage miteinander verwoben
sind. Zuallererst leiden unter dem Klimawandel immer die Menschen mit
geringem Einkommen oder in sozial prekären Situationen. Und gegenwärtig
droht nicht nur der soziale Zusammenhalt verloren zu gehen, sondern drohen
auch die Klimaziele auf der Strecke zu bleiben. Statt [6][100 Milliarden
für Aufrüstung und Militär] auszugeben, hätten sofort 100 Milliarden in
eine beschleunigte Energiewende investiert werden müssen, um raus aus der
Situation der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu gelangen und
gleichzeitig die Inflationskosten für die Bevölkerung zu dämmen. Das war
von Anfang an unsere Position. Von daher sehe ich große Überschneidungen.
Klimabewegung und sozialer Protest gehören zusammen. Es ist an der Zeit,
gemeinsam zu handeln.
Sören Pellmann, Ihr [7][Gegenkandidat auf dem Erfurter Parteitag], ruft zu
„Montagsdemos“ auf und hat auch schon die erste für den 5. September in
Leipzig angemeldet. Werden Sie auch mit dabei sein?
Ich finde es wichtig, dass die Leute auf die Straße gehen. Der Wochentag
ist mir egal. Ob am Montag, am Dienstag, am Mittwoch, am Donnerstag, am
Freitag, am Samstag oder am Sonntag – mir ist jeder Tag recht.
Thüringens linker Ministerpräsident Bodo Ramelow warnt eindringlich davor,
an die Symbolik der „Montagsdemos“ anzuknüpfen. Liegt er damit falsch?
Natürlich haben Montagsdemos im Osten durch die DDR-Bürgerrechtsbewegung in
der Wendezeit eine ganz eigene Prägung erfahren. Aber die Montagsdemos
haben unterschiedliche Traditionslinien. In Stuttgart wird [8][seit über
zehn Jahren an Montagen gegen „Stuttgart 21“] demonstriert, in Frankfurt am
Main gegen den Flughafenausbau. Sören Pellmann hat an die großen
montäglichen Demos 2004 gegen Hartz IV erinnert.
Und dann gibt es da noch die ganzen montäglichen Rechtenaufmärsche, die
2014 mit Pegida in Dresden begannen.
Man muss realistischerweise feststellen, dass Montagsdemos in einigen
Regionen in Ostdeutschland von rechts zweckentfremdet werden. Aber was ist
die Konsequenz daraus? Ich finde nicht, dass man den Rechten einen
Wochentag überlassen darf, wenn es darum geht, die Demokratie und den
sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft zu verteidigen. Dazu müssen wir
an jedem Tag bereit sein.
Ramelow hat auch dazu aufgefordert, die Abstandsregel zu Pegidisten,
Putinisten und sonstigen Rechten zu beachten. Ist eine solche Aufforderung
inzwischen nötig?
Für unsere Mitglieder sicher nicht. Ich habe die Äußerungen von Bodo
Ramelow als sinnvolle Klarstellung verstanden: Für rechte Menschenfeinde
und ihre antidemokratischen Bestrebungen ist auf unseren Demonstrationen
und Kundgebungen kein Platz. Das ist so, da zeigen wir von je her klare
Kante. AfD & Co. versuchen mit Verschwörungstheorien den berechtigten Zorn
für ihr autoritäres Programm zu missbrauchen. Und sie machen eine falsche
Gegenüberstellung auf: entweder soziale Krise oder Unterordnung unter
Putin. Dagegen stellen wir uns mit aller Kraft.
Wie wollen Sie denn sicherstellen, dass sich gerade im Osten nicht rechter
mit linkem Protest vermischt?
Ich finde es fatal, in eine Diskussion zu geraten, wo sozialer und
demokratischer Protest von vornherein delegitimiert wird. Der Fokus muss
darauf liegen, den fortschrittlichen Protest so laut zu machen, dass die
Rechten keine Rolle mehr spielen. Die Leute haben die Nase voll davon, dass
die Bundesregierung keine zufriedenstellenden Antworten auf ihre
existenziellen Nöte geben kann oder will. Wenn wir nicht zum Protest
aufrufen und ihn voranbringen, dann entsteht genau die Gefahr, dass die
berechtigte Unzufriedenheit von rechts instrumentalisiert wird. Auch damit
das nicht geschieht braucht es uns. Wir sind als Antifaschisten die
entschiedensten Gegner der extremen Rechten. Das gehört zu unserem
Gründungskonsens. Und natürlich stellen wir uns mit allem, was wir haben,
gegen die Instrumentalisierung sozialer und demokratischer Proteste von
rechts.
21 Aug 2022
## LINKS
[1] /Fuenf-Punkte-Plan-gegen-Gaspreiskrise/!5868982
[2] /7-statt-19-Prozent/!5872187
[3] /Streit-ueber-Russland-Sanktionen/!5866127
[4] /Junge-Welt-veroeffentlicht-Reisedaten/!5871975
[5] /Bundesparteitag-der-Linken/!5860858
[6] /Sondervermoegen-fuer-Bundeswehr/!5855322
[7] /Linkspartei-waehlt-neue-Fuehrungsspitze/!5863421
[8] /Zehn-Jahre-Stuttgart-21/!5657742
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
Sozialer Zusammenhalt
Martin Schirdewan
Die Linke
Protest
Bundesregierung
GNS
Energiekrise
Schwerpunkt AfD
Janine Wissler
Sevim Dagdelen
Robert Habeck
Verschwörungsmythen und Corona
Energie
Energiesparen
SPD
Energiekrise
Energiekrise
Berlin
Martin Schirdewan
Russland
Sozialproteste
Energiekrise
## ARTIKEL ZUM THEMA
Protest gegen Energie- und Sozialpolitik: Wem gehört der Montag?
Die Linke ruft zu einem „heißen Herbst“ auf, am Montag will die
Parteispitze in Leipzig demonstrieren. Auch die AfD und andere Rechte
wollen kommen.
Linkspartei kündigt Proteste an: Heißer Herbst auch von links
Die Linkspartei ruft zu Sozialprotesten auf. Gerade weil auch Rechte
demonstrieren wollen, müsse man ihnen die Straße streitig machen.
Abspaltungstendenzen von der Linkspartei: Konkurrenzkandidatur zur EU-Wahl?
Auf einem Fest der DKP ziehen Noch- und Ex-Abgeordnete der Linken über ihre
Partei her. Das Wagenknecht-Lager scheint auf dem Absprung zu sein.
Ärger um die Gasumlage: Deutsche Dummheit
Wirtschaftsminister Habeck irrlichtert bei der Gasumlage. Die Ampel zeigt
sich uneins und unfähig, die Eliten an den Krisenkosten zu beteiligen.
Rechte mobilisieren gegen Energiepolitik: „Es droht ein Flächenbrand“
Rechtsextreme beschwören einen „heißen Herbst“. Die Amadeu Antonio Stiftu…
warnt die demokratischen Parteien, gemeinsame Sache mit ihnen zu machen.
Kühnert fordert schärfere Kriterien: Ampel im Clinch wegen Gasumlage
Auch Vertreter der Ampel drängen Habeck zu Änderung: Profitable Konzerne
sollen die von Kunden bezahlte Umlage nicht in Anspruch nehmen dürfen.
Tipps zum Energiesparen: Waschlappen war gestern
Politiker*innen wollen Bürger*innen mit Empfehlungen aus dem
eigenen Leben zum Stromsparen animieren. Acht Tipps, die dabei noch fehlen.
SPD-Politiker zur Vermögensabgabe: „10 Prozent wären ein guter Wert“
Der SPD-Abgeordnete Tim Klüssendorf fordert eine Vermögensabgabe und eine
Übergewinnsteuer. Vom FDP-Finanzminister erwartet er eine ideologiefreie
Debatte.
Kritik an Gasimporteuren: Gasumlage trotz Milliardengewinn
Die Kritik an der Hilfe für Gasimporteure wächst. Eine Empfänger-Liste
zeigt, dass Steuergelder auch an hochprofitable Konzerne fließen.
Entlastungspläne der Bundesregierung: Rufe nach zielgenauerer Hilfe
Die Debatte um Entlastungen wegen der hohen Preissteigerungen hält an.
Besonders im Fokus sind dabei Geringerverdiener:innen.
Berliner SPD-Chef kritisiert Ampel: „Das Geld dafür ist da“
SPD-Chef Raed Saleh kritisiert die Politik von FDP und Grünen im Bund. Mehr
Hilfe für die breite Bevölkerung sei nötig – und Geld vorhanden, sagt er.
Linksparteichef zur Energiekrise: „Für Rechte ist bei uns kein Platz“
Martin Schirdewan verteidigt im taz-Interview seinen Aufruf zum heißen
Herbst. Protest gegen die soziale Krise dürfe nicht delegitimiert werden.
Sozialproteste und Russlandpolitik: Wo ist die Linkspartei?
Der Linken fehlt der Wille zum Bruch mit Putins Sprechpuppen. Dabei braucht
es die Partei angesichts der elitären Krisenpolitik der Ampel dringend.
Sozialprotest vor FDP-Parteizentrale: Das erste Zucken der Sozialproteste
Am Mittwoch fand ein Sozialprotest vor der FDP-Zentrale statt. Einiges
spricht dafür, dass der Protest noch wachsen wird. Ein Wochenkommentar.
Geringere Mehrwertsteuer auf Gas: Der Preis bleibt heiß
Die Ankündigung des Kanzlers ist nur ein Anfang. Der anstehende Winter
könnte ziemlich kalt werden – nicht im übertragenen Sinn, sondern ganz
real.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.