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# taz.de -- Protest gegen Energie- und Sozialpolitik: Wem gehört der Montag?
> Die Linke ruft zu einem „heißen Herbst“ auf, am Montag will die
> Parteispitze in Leipzig demonstrieren. Auch die AfD und andere Rechte
> wollen kommen.
Bild: Nicht ganz Massenbewegung: Linke Wissler am Dienstag mit etwa 200 Mensc…
Leipzig/Frankfurt (Oder) taz | Sören Pellmann hat für das Gespräch einen
geschichtsträchtigen Raum gewählt. Er sitzt im Karl-Liebknecht-Haus in der
Leipziger Südvorstadt, der Geschäftsstelle der Leipziger Linken. Hier lebte
einst der SPD-Gründer Wilhelm Liebknecht, hier wurde sein Sohn Karl
geboren. Pellmann, direkt gewählter Bundestagsabgeordneter der Linken, der
zuletzt erfolglos versuchte, auch Parteichef zu werden, hat im ehemaligen
Wohnzimmer der Familie Liebknecht Platz genommen. Der 45-Jährige trägt ein
schwarzes T-Shirt und dunkelblaue Jeans. Er hat in diesen Tagen viel zu
tun.
Am Montag, 5. September, will Pellmann in Leipzig auf dem Augustusplatz
stehen. Und mit ihm die Parteispitze: der Linken-Vorsitzende Martin
Schirdewan, Fraktionschefin Amira Mohamed Ali, Publikumsliebling Gregor
Gysi. „Heißer Herbst gegen soziale Kälte“ lautet der Titel, den Pellmann
für die Kundgebung gewählt hat. Vor gut zwei Wochen rief er dazu auf und
löste damit einigen Wirbel aus. Nun steht er nicht nur in Dauerkontakt zu
seiner Partei, sondern auch zu Polizei und Ordnungsamt, muss
Redner:innen organisieren, ihre Reihenfolge festlegen.
Pellmann will mit der Veranstaltung einen Protestreigen seiner Partei gegen
die Energie- und Sozialpolitik der Bundesregierung eröffnen. „Es gibt
großen Unmut in der Bevölkerung und das Verlangen, gegen die hohen Preise
für Strom und Gas zu protestieren“, sagt er. „Wir dürfen dieses Thema und
die Straßen nicht den Neonazis überlassen, sondern müssen den Protest links
besetzen.“ Mit 3.000 bis 4.000 Menschen rechnet er zum Auftakt, wegen der
bundesweiten Berichterstattung vielleicht auch mehr.
Damit dürfte der Montag zum ersten größeren Linken-Protest des Herbsts
werden – und zu einer doppelten Nagelprobe. Gelingt es der in einer
Existenzkrise steckenden Partei, breitere Sozialproteste gegen die
Energiepolitik der Bundesregierung zu organisieren? Und: Schafft sie es,
sich dabei von Rechtsextremen abzugrenzen, die auch auf das Thema setzen?
Die Rechtsextremen haben sich am Montag schon mal zu Pellmanns Demo
angekündigt. Diese sei „für Patrioten und Freiheitsfreunde eigentlich ein
Muss“, erklärt Jürgen Elsässer, Herausgeber des rechtsextremen Compact
Magazins, in einem Video. „Weil das Regime sich schwertun wird, eine Demo,
die von einem Linken organisiert wird, gleich in die Naziecke zu rücken.“
Von bis zu 50.000 Leuten fabuliert Elsässer. Wenn man da mit Deutschland-
oder Russlandfahnen komme, „fällt das überhaupt nicht auf“.
Die „Freien Sachsen“, eine rechtsextreme Splitterpartei um den Anwalt
Martin Kohlmann, zuletzt Antreiber der Coronaproteste im Freistaat,
mobilisieren auch für Leipzig. „Das ist ein Zeichen“, jubelten sie, als
Pellmann zur Demo aufrief. „Nächsten Montag steht die Bürgerallianz auf dem
Augustusplatz.“ Man dürfe sich „nicht mehr künstlich in verschiedene
Lager spalten lassen“. Beworben wird das mit einem Bild, auf dem Kohlmann,
Elsässer, Pellmann und Gysi scheinbar gemeinsam zum Protest aufrufen.
Die AfD steigt auch mit ein. „Wir freuen uns, dass nun auch Teile der
Linkspartei aufgewacht sind“, kommentierte der sächsische AfD-Abgeordnete
Sebastian Wippel den Aufruf. Dies sei eine Chance, mit „vereinten Kräften“
auf die Regierung einzuwirken. Auch AfD-Bundeschef Tino Chrupalla sagte zu
möglichen Montagsdemos, dass „Links-rechts-Schablonen“ nicht mehr
funktionierten.
## Im Notfall soll die Polizei helfen
Pellmann verwahrt sich gegen die Umarmungsversuche. Gegen [1][den
Fake-Aufruf der Freien Sachsen] klagen er und Gysi. Falls die
Rechtsextremen wirklich auftauchen sollten, würden sie von der
Demonstration ausgeschlossen, sagt er – zunächst von den Ordner:innen, und
falls das nicht klappe mithilfe der Polizei. Es werde weder Nationalflaggen
noch Plakate aus dem rechten Spektrum geben. „Wir haben das Hausrecht und
können als Veranstalter sagen, dass Rechte und Neonazis nicht geduldet
sind.“
Versammlungsrechtlich ist das allerdings nicht so leicht, erst bei einer
„groben Störung“ kann die Polizei eingreifen. Und es hängt auch davon ab,
ob die Linken am Montag überhaupt deutlich in der Mehrzahl sind.
Die Amadeu-Antonio-Stiftung warnt bereits vor einem „Herbst der
Demokratiefeindlichkeit“ und einem „Flächenbrand“. Aus der Szene der
Coronaprotestierer habe sich ein demokratiefeindliches Milieu entwickelt,
das „so selbstbewusst wie nie“ auftrete. Thüringens
Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer erwartet bei größeren
Energieengpässen Proteste, gegen welche die jüngsten Coronademonstrationen
„ein Kindergeburtstag“ waren. Im sächsischen Landesamt und im Bundesamt f�…
Verfassungsschutz sieht man dagegen noch keine Anzeichen für
Großmobilisierungen.
David Begrich, Soziologe vom Verein Miteinander aus Sachsen-Anhalt,
beobachtet die rechtsextreme Szene seit Jahrzehnten. „Es gibt noch keinen
Anlass, rechtsextreme Systemstürze zu beschreien“, sagt er. „Noch ist
vieles die übliche, szeneinterne Aufstandsbeschwörung.“ Die geballte
Mobilisierung sei aber auffällig. Wie der Herbst verlaufe, hänge von vielem
ab: Wie schwer die Krise werde. Wie die Regierung reagiere. Und wie viele
demokratische Protestangebote es gebe, jenseits der rechtsextremen.
Tatsächlich schwenkten die Freien Sachsen schon vor Wochen von Corona auf
Energiekosten um. „Es wird Zeit für die Welle der Energieproteste!“, heißt
es dort. Die Regierung aus „Klimafanatikern und Russlandhassern“ fahre „d…
Land an die Wand“. In Kürze will auch die AfD ihre Kampagne „Unser Land
zuerst“ vorstellen. Parteichef Chrupalla kündigte an, dann wöchentlich auf
die Straße zu gehen. Für den 8. Oktober bewirbt er eine geplante Demo in
Berlin. Titel: „Nord Stream 2 statt Gasumlage“. In Magdeburg soll wie in
Leipzig bereits am Montag gegen die „Preisexplosion“ demonstriert werden.
Dass die Rechtsextremen geballt auf das Thema Soziales setzen, kommt nicht
überraschend. Schon 2004, bei den bundesweiten Montagsdemonstrationen gegen
die Einführung von Hartz IV, versuchten sie sich mit „Wir sind das
Volk“-Parolen einzureihen. Und sie machen keinen Hehl daraus, dass sie mehr
als nur Kritik an der Energiepolitik im Sinn haben.
„Es geht um nichts weniger als die Zerstörung Deutschlands“, bläst
Thüringens AfD-Chef Björn Höcke den Protest zur Schicksalsfrage auf. Zuvor
lobte er das Buch „Systemfrage“ von Autor Manfred Kleine-Hartlage als
„brillant“. Der legte eine regelrechte Anleitung zum Umsturz vor –
inklusive Verbot von Parteien, juristischen Schritten gegen politische
Gegner, die Zerschlagung von öffentlich-rechtlichen und privaten Medien
sowie die Marginalisierung von Kirchen und Universitäten.
## Die AfD hatte schon bessere Zeiten
Das Getöne gehört aber auch zur rechtsextremen Strategie. Offen bleibt, wie
viel daraus folgt. Denn auch die AfD hatte schon bessere Zeiten – und sie
hat ein inhaltliches Problem: Die Partei ist in weiten Teilen extrem
Putin-nah. Bei ihrer Kritik lässt sie deswegen meist den Verursacher der
Gasengpässe aus: Putins Russland. Stattdessen fordert sie die Rücknahme
sämtlicher Sanktionen und die Inbetriebnahme der Ostseepipeline Nord
Stream 2.
Zugleich ringt die Partei auch um Distanz zu den Freien Sachsen, die auf
ihrer Unvereinbarkeitsliste stehen. Man habe es nicht nötig, mit diesen auf
die Straße zu gehen, erklärte Chrupalla – worüber sich die Kleinstpartei
prompt empörte.
Nicht nur in der Linkspartei beobachten dennoch viele mit großer Sorge die
rechten Vereinnahmungsversuche. Der Sozialverein Tacheles betont etwa, dass
es überfällig sei, zu protestieren. Gleichzeitig dürfe es „mit Rechten und
Nazis in keinem Fall ein gemeinsames Handeln geben“.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow kritisierte Sören Pellmann, weil
dieser ausgerechnet zu Montagsdemos aufrufe. Es sei wichtig, Abstand zu
rechtsradikalen Organisatoren zu halten. „Die Rechten wurden zu Recht
kritisiert, als sie sich der Symbolik der Montagsdemonstrationen bemächtigt
haben“, sagte Ramelow mit Blick auf Pegida und deren Ableger. Die
sächsische Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz warnte vor einer „Querfront�…
Und die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner forderte eine klare
Abgrenzung und ein progressives Bündnis, von Gewerkschaften bis Fridays for
Future, in „engen Absprachen“ mit lokalen Antifa-Gruppen.
## Eine One-Man-Show?
Noch deutlicher wird Juliane Nagel, Linken-Stadträtin in Leipzig und direkt
gewählte Landtagsabgeordnete. „Pellmann hat weder mit der Leipziger Linken
noch mit der Bundespartei abgesprochen, die Montagsdemonstrationen als
Anknüpfungspunkt für die Proteste zu nehmen“, sagt sie am Telefon. „Ich
halte Proteste gegen die drohende soziale Krise für absolut richtig, sie
sollten aber nicht in der Tradition der Montagsdemos stattfinden – gerade
nicht in Sachsen.“ Während es in Leipzig vielleicht noch gelingen könne,
„die Montage mit einem linken Protest zu füllen“, habe man in kleineren
Orten Sachsens keine Chance. „Hier gehen Menschen auf die Straße, die erst
gegen die Asylpolitik protestierten, dann gegen die Coronaregeln und nun
gegen die Russlandpolitik. Es ist einfach keine erfolgversprechende Idee,
die Montagsdemos zu okkupieren.“
Juliane Nagels Wort hat in der linken Szene Leipzigs Gewicht. Im Stadtteil
Connewitz genießt sie eine Art Heldinnenstatus, hier liegt ihr Büro
Linxxnet, ein Treffpunkt der linken Szene. Doch auch Pellmann ist populär:
Bei den Bundestagswahlen 2017 und 2021 gewann er in Leipzig Direktmandate –
und sicherte der Linken so zuletzt auch den Fraktionsstatus im Bundestag.
Das jüngste Scheitern bei der Parteivorsitzendenwahl quittierte er dagegen
mit Groll, weshalb einige in der Partei seinen Vorstoß als erneuten
Profilierungsversuch sehen.
Nagel warf Pellmann auf Twitter eine „Leuchtturm-One-Man-Show“ vor, zu der
er Prominenz einlade, aber Bemühungen um gesellschaftliche Bündnisse
ignoriere. Sie erzählt, wie das Linxxnet bereits Anfang August ein Treffen
in Leipzig mit sozialen Initiativen, Gewerkschaften,
Mieter:innenvereinen und Klimagruppen organisierte, um Proteste gegen
die soziale Krise zu planen. „Die Einladung hat auch Sören Pellmann
erreicht. Trotzdem ist er alleine vorgeprescht und hat uns nicht mit
eingebunden.“ Es brauche über die Partei hinaus aber eine breit getragene
Bewegung.
Trotz ihrer Kritik mobilisiert Nagel aber auch für den 5. September. „Wir
müssen dafür sorgen, dass es eine linke Veranstaltung bleibt.“ Sie selbst
habe dafür eine Demonstration angemeldet, die zum Augustusplatz führt. Und
auch die linksradikale Szene mobilisiert inzwischen dorthin. „[2][Heißer
Herbst] wir sind dabei“, heißt es dort. Man dürfe „Massenproteste nicht d…
Nazis überlassen“.
Spricht man Pellmann auf die Kritik an seiner „One-Man-Show“ an, sagt er:
„Ich wäre gar nicht in der Lage, das alleine hinzubekommen.“ Dann erzählt
er, wie er zuerst Netzwerke in der Partei knüpfte – in der Fraktion, dem
Parteivorstand, dem Landesverband und der Leipziger Linken. Danach habe er
Kontakt zur IG Metall und dem DGB aufgenommen, zu den Sozialverbänden VdK
und Volkssolidarität, zur Tafel, zum Leipziger Erwerbslosenzentrum und dem
Aktionsbündnis „Leipzig nimmt Platz“. Wer alles mitmache, stehe noch nicht
endgültig fest, aber es würden täglich mehr.
Und der Montagstermin? Darauf zu verzichten, hält er für falsch. „Ich
demonstriere, seit ich 13 Jahre alt bin, gegen Nazis und Faschisten und bin
der festen Überzeugung, dass es keinen Wochentag gibt, an denen man ihnen
die Straßen überlassen darf – auch den Montag nicht.“
Die Linken-Bundesspitze stellt sich inzwischen hinter Sören Pellmann. Zwar
betont Parteichefin Janine Wissler, dass dessen Protest nicht vom
Parteivorstand, sondern in Leipzig und von der Bundestagsfraktion
organisiert werde. Aber auch Wissler ruft zu einem „heißen Herbst“ auf. Die
Entlastungen der Ampel seien „viel zu gering und sozial unausgewogen“. Es
komme nun auf die Linke an, Druck zu machen. Am 17. September, einem
Samstag, soll es einen bundesweiten Aktionstag geben,: „Je stärker die
Proteste von links sind, desto kleiner werden die von rechts sein“, sagt
Wissler. Klar sei: Wo immer die Linke Proteste organisiere, dürften keine
rechtsextremen Transparente oder Redner:innen akzeptiert werden.
Tatsächlich ist die Energiekrise ein Momentum, das die Linke ergreifen
muss, will sie noch eine Daseinsberechtigung haben. Die Frage ist nur, ob
sie zu Großprotesten noch in der Lage ist. In Umfragen klebt sie an der
5-Prozent-Hürde, im Osten schrumpft sie, im Westen ist sie teils nicht mehr
existent. Wissler verweist dagegen auf 254 Linken-Kreisverbände, die
Material für die Protestkampagne angefordert hätten.
Am vergangenen Dienstagabend steht Wissler auf dem graugepflasterten
Marktplatz in Frankfurt (Oder). Die lokale Linke hat hier erstmals zum
„Dienstagsprotest“ aufgerufen, zusammen mit Verdi, dem DGB und dem
Aktionsbündnis Frankfurter Montagsdemo, das schon 2004 demonstrierte.
„Schluss mit teuer“, lautet der Slogan, dem 200 Teilnehmende folgen –
Rentnerinnen, mittelalte Pärchen, Parteinachwuchs mit Fahne. Einige haben
Kochtöpfe mitgebracht, um mehr Lärm machen zu können.
„Es ist höchste Zeit, dass die Menschen auf die Straße gehen“, ruft Wissl…
ins Mikrofon. Es brauche einen Preisdeckel für Gas und Strom, das
Einstampfen der Gasumlage, eine Übergewinnsteuer. Die Dienstagsprotestler
applaudieren, dann drehen sie eine Minirunde durch die Innenstadt, Wissler
mit dem Frontbanner vorneweg.
Rechtsextreme und AfD-Leute sind in Frankfurt (Oder) nicht zu erkennen.
Demo-Anmelder Joachim Wawrzyniak, ein Verdi-Mann, hatte sich vorbereitet.
„Wären die Rechtsextremen wirklich in Masse gekommen, hätte ich das
abgebrochen.“ Allerdings: Die Rechten kamen auch deshalb nicht, weil sie
schon tags zuvor mit ihrem „Montagsspaziergang“ demonstrierten – und zwar
in noch größerer Zahl.
Wer dagegen gekommen ist, sind offensichtlich Russlandfreunde. „Durch die
Politik der Ampel bezahlen wir den Krieg der USA gegen Europa“, heißt es
auf einem Banner. Auf dem eines anderen Mannes steht: „Nicht Russland ist
das Problem, sondern der Kriegstreiber USA.“ Der Mann wird von Ordnern
hinausgebeten. Doch in Gesprächen in der Menge wird klar: Er ist nicht
allein mit seiner Meinung.
## Auch Wagenknecht sollte dabei sein
Darauf angesprochen, verweist Wissler auf den jüngsten Parteitagsbeschluss,
der den „verbrecherischen Angriffskrieg Russlands“ verurteilt.
Klar ist aber: Die Abgrenzung bei den Protesten der Linken wird auch gegen
Putin-Freunde in den eigenen Reihen zu führen sein. Wie hart sie Sören
Pellmann führen wird, ist dabei unklar. Im Wahlkampf 2021 trat er mit dem
russischen Generalkonsul auf, noch zuletzt kritisierte er einen
„Wirtschaftskrieg mit Russland“.
Und Pellmann wollte eigentlich auch Sahra Wagenknecht auf seiner Demo als
Rednerin haben. Mit ihrem russlandfreundlichen Kurs findet sie auch in weit
rechten Kreisen Anklang. Inzwischen ist Wagenknecht wieder ausgeladen
worden, auf Druck der Parteispitze, wie sie in einer SMS beklagte. Wissler
und Pellmann bestreiten eine Ausladung von oben. Pellmann aber betont, die
Diskussion sei „sehr bedauerlich“. Gerade jetzt brauche es „eine
geschlossene Linke“.
Die Freien Sachsen mobilisieren derweil weiter zu Pellmanns Kundgebung. Der
fügte seinem Aufruf deshalb hinzu, dass „Rassisten, Neonazis und
Demokratiefeinde bei uns nichts zu suchen haben“. Und er verweist darauf,
dass die Rechten inzwischen eigene Kundgebungen auf dem Augustusplatz
angemeldet hätten – eine wirkliche Unterwanderung sei also nicht mehr
geplant.
Experte David Begrich will sich das vor Ort anschauen. „Es wird am Montag
darauf ankommen, wer am Ende die Bilder bestimmt“, sagt er. Ob wirklich
eine große Protestwelle im Land folge und welche Richtung sie nehme,
entscheide sich aber nicht in Leipzig, sondern in den kleinen Städten. „Es
hängt an den politisch nicht Verorteten, welche Angebote man ihnen macht
und auf welche sie eingehen.“ Für Begrich spricht einiges dafür, dass so am
Ende politisch heterogene Proteste entstehen, mit von Region zu Region
anderer Ausrichtung.
Entscheidend dürfte auch das Agieren der Sozialverbände und Gewerkschaften
sein. Mit Protestaufrufen hält man sich dort bisher zurück – auch weil
derzeit noch Gespräche wegen der „Konzertierten Aktion“ mit der Regierung
und den Arbeitgebern laufen. Man wolle zunächst die konkreten Beschlüsse
der Regierung abwarten, heißt es von Verdi. Entschärften diese aber nicht
die Probleme, sei Protest „ein angemessenes Mittel“.
## Wissler gibt sich gelassen
Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands,
sieht den Protestherbst bereits fest kommen: „Wir gehen davon aus, dass im
Herbst viele NGOs ihren zivilgesellschaftlichen Protest für eine
solidarische, sozial und ökologisch gerechte Krisenbewältigung auf die
Straße bringen.“ Man führe dazu bereits Gespräche, in zwei Wochen habe man
Klarheit, „wie wir aktiv werden“. Welches Potenzial besteht, wenn die
Verbände in den Protest mit einsteigen, zeigte sich bei den
Montagsdemonstrationen vor 18 Jahren: Bis zu 100.000 Demonstrierende gingen
damals auf die Straße. Auch bei den jüngsten „Unteilbar“-Aufzügen waren …
Zehntausende.
Pellmann will nun wöchentlich auf die Straße gehen. In Frankfurt (Oder)
will die Linke Gleiches tun, jeden Dienstag. „Total zufrieden“ sei sie mit
dem Auftakt, sagt Janine Wissler dort. Dass 200 Teilnehmende weit von
Massenprotesten entfernt sind, sieht sie gelassen. Vor knapp 20 Jahren
schon habe sie den Ableger der Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV in
Frankfurt am Main mitorganisiert. Da seien anfangs auch nur wenige Hundert
Leute gekommen. „Am Ende war es eine bundesweite Bewegung.“
Und Wissler erinnert sich auch, wie damals schon Rechtsextreme versuchten,
an die Proteste anzudocken. „Hätten wir uns da zurückziehen sollen?“, fra…
sie. „Nein. Hätten wir das gemacht, dann wäre die AfD schon 2005
entstanden.“
4 Sep 2022
## LINKS
[1] /Rechtsextreme-Freie-Sachsen/!5875254
[2] /Linkspartei-kuendigt-Proteste-an/!5874900
## AUTOREN
Gareth Joswig
Konrad Litschko
Rieke Wiemann
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Rechtsextremismus
Die Linke
Protest
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Protest
Kolumne Der rechte Rand
Montagsdemonstration
Rechte Szene
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
#Unteilbar
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Schwerpunkt AfD
Rechtsextremismus
Protestforscher
Olaf Scholz
Sozialproteste
Sozialer Zusammenhalt
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