| # taz.de -- Montagsdemonstrationen in Sachsen: Rechter Aufzug blockiert | |
| > In Leipzig gingen am Montag tausende Menschen gegen rechte Mobilisierung | |
| > auf die Straßen. Mit Sitzblockaden wurden Demorouten der Rechten gestört. | |
| Bild: Gegendemonstranten blockieren den Aufzug der „Freien Sachsen“ | |
| Leipzig taz | Die Abschlusskundgebung der aus dem Querdenken-Umfeld | |
| organisierten Demonstration „Für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung“ | |
| ist gerade vorbei, als Frank Irmler um 18 Uhr auf dem Augustusplatz steht. | |
| Hinter ihm befindet sich die Leipziger Oper. Er ist der Vater von einem der | |
| sieben Jugendlichen, die vergangene Woche Montag in Leipzig von | |
| Rechtsextremen aus einer Demo heraus angegriffen und verletzt wurden – vier | |
| davon so schwer, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten. | |
| Irmlers 15 Jahre alter Sohn, der an dem Abend mit seinen Freund:innen | |
| gegen die [1][rechte Montagsdemonstration] protestierte, habe einen Schlag | |
| auf den Hinterkopf abbekommen und nun ein großes Hämatom, erzählt sein | |
| Vater. „Mich macht dieses Ereignis fassungslos. Die aus der Querdenkerdemo | |
| losgelaufenen Schläger wurden als erwachsene Männer in meinem Alter | |
| beschrieben. Sie waren doppelt so viele wie die Jugendlichen“, sagt Irlmer | |
| ins Mikrofon. „Allein das zeigt die Fiesheit, Feigheit, Boshaftigkeit und | |
| Perfidität dieser Leute.“ Auf seine Worte folgt kräftiger Applaus. | |
| Dem Vater stehen gut tausend Menschen gegenüber. Sie alle demonstrieren am | |
| [2][Tag der Deutschen Einheit] gegen die rechte Demo „Für Frieden, Freiheit | |
| und Selbstbestimmung“, viele von ihnen schon seit Stunden. Zu dem | |
| Gegenprotest aufgerufen hatte das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ – | |
| in Reaktion auf den brutalen Angriff vergangene Woche. Das Motto der Demo: | |
| Legida 2.0 verhindern. „Wir können nicht hinnehmen, dass jeden Montag | |
| Faschist*innen zusammen mit deutlich über tausend anderen Rechten durch | |
| unsere Stadt marschieren und den antifaschistischen Gegenprotest | |
| angreifen“, teilte das Bündnis im Vorfeld mit. „Lasst uns zeigen, wofür w… | |
| als Gesellschaft stehen und dass wir die Opfer körperlicher Angriffe nicht | |
| alleinlassen.“ | |
| ## Verschwörungsideologische und rechtsextreme Parolen | |
| Schon seit Monaten ziehen in Leipzig jeden Montag Anhänger:innen | |
| rechter Gruppierungen durch die Innenstadt. Einst protestierten sie gegen | |
| die Coronamaßnahmen, nun [3][wettern sie gegen die Energiepolitik] der | |
| Bundesregierung und fordern den [4][Stopp sämtlicher Russland-Sanktionen.] | |
| Auf ihren Demos verbreiten sie Verschwörungsideologien und rechtsextreme | |
| Inhalte. Seit dem 5. September – dem Tag, an dem Linke und Rechtsextreme | |
| auf dem Augustusplatz zeitgleich gegen die hohen Energiepreise | |
| protestierten – ist die Zahl der rechten Demonstrant:innen in Leipzig | |
| stark gestiegen. Während vor einem Monat um die 1.000 Menschen an der | |
| rechten Demo teilnahmen, waren es vergangene Woche knapp 2.500. Am | |
| gestrigen Montag lag die Teilnehmer:innenzahl laut Leipziger Polizei | |
| „im unteren vierstelligen Bereich“. | |
| Wie viele Menschen dem Aufruf von „Leipzig nimmt Platz“ folgten, konnte die | |
| Polizei am Montagabend nicht sagen, da das Demonstrationsgeschehen „sehr | |
| dynamisch“ gewesen sei und die Gegendemonstrant:innen an vielen | |
| verschiedenen Orten in der Innenstadt gleichzeitig protestiert hätten. | |
| Auch die Versammlungsbehörde Leipzig hat Dienstagmorgen noch keine Zahlen | |
| vorliegen. Irena Rudolph-Kokot, Sprecherin von „Leipzig nimmt Platz“, geht | |
| von „mehr als 5.000 Teilnehmer:innen“ aus. Sie ist sich sicher: „An unser… | |
| Demo haben definitiv mehr Menschen teilgenommen als an der rechten.“ | |
| Es ist 13.30 Uhr, als der Gegenprotest unter dem Motto „Legida 2.0 | |
| verhindern“ im alternativen Stadtteil Connewitz mit mehreren hundert | |
| Teilnehmer:innen startet. Gegen 14.30 Uhr erreicht der Demozug den | |
| Wilhelm-Leuschner-Platz, wo eine erste Kundgebung stattfindet. Mehr als | |
| tausend Menschen haben sich hier versammelt, darunter viele Jugendliche und | |
| Studierende, aber auch Familien mit Kindern und Rentner:innen. Auch eine | |
| [5][„Oma gegen rechts“] ist mit ihrem Fahrrad gekommen. „Seit dem 5. | |
| September hat sich die Zahl der rechten Demonstrant:innen in Leipzig | |
| stark erhöht“, sagt sie. Viele Bürger:innen hätten keine | |
| Berührungsängste, mit Rechten zu demonstrieren. „Es besteht | |
| Legdida-Potenzial“, warnt die 64 Jahre alte Leipzigerin, die jeden Montag | |
| gegen die Rechten demonstriert. | |
| ## Gegenprotest ist lauter als rechte Demo | |
| Parallel zu der Kundgebung von „Leipzig nimmt Platz“ findet auf dem wenige | |
| hundert Meter entfernten Augustusplatz die rechte Versammlung „Für Frieden, | |
| Freiheit und Selbstbestimmung“ statt. Daran nehmen laut Polizei „Personen | |
| im mittleren dreistelligen Bereich“ teil. Es wehen Deutschland- und | |
| Russlandflaggen, Fahnen der [6][rechtsextremen Splitterpartei „Freie | |
| Sachsen“] sowie Fahnen mit Friedenstauben. Gegen 15.30 Uhr setzt sich die | |
| Runde in Bewegung und läuft über den Stadtring in Richtung | |
| Wilhelm-Leuschner-Platz. Die Demonstrant:innen rufen „für die Heimat, | |
| für das Land, Leipzig leistet Widerstand“. Als sie am | |
| Wilhelm-Leuschner-Platz vorbeigehen – auf dem sich hunderte | |
| Gegendemonstrant:innen befinden –, rufen Letztere Parolen wie „Nazis | |
| raus, Nazis raus!“ und „Alle zusammen gegen den Faschismus“. Eine Frau h�… | |
| ein Plakat hoch, auf dem steht: „ökologische soziale Wende statt | |
| Volksgeschwurbel“. | |
| Viele Gegendemonstrant:innen zeigen den Mittelfinger in Richtung des | |
| vorbeiziehenden Aufzugs, sie pfeifen, trommeln, grölen. Der Gegenprotest | |
| ist deutlich lauter als die rechte Demo. Da die Polizei den | |
| Wilhelm-Leuschner-Platz mit ihren Bullis komplett umstellt hat und sie die | |
| Lücken zwischen den Fahrzeugen bewacht, können die beiden Gruppierungen | |
| nicht aufeinandertreffen. | |
| Als die Teilnehmer:innen der Demo „Für Frieden, Freiheit und | |
| Selbstbestimmung“ den Wilhelm-Leuschner-Platz hinter sich lassen und weiter | |
| geradeaus gehen, können sie an der nahe gelegenen Kreuzung nicht wie | |
| geplant rechts auf den Innenstadtring abbiegen. Wegen einer Sitzblockade | |
| von Gegendemonstrant:innen müssen sie ihre Route ändern. | |
| Im Laufe des Nachmittags kommt es immer wieder zu Sitzblockaden auf dem | |
| Leipziger Innenstadtring, zum Beispiel auf dem Ranstädter Steinweg Ecke | |
| Goerdelerring. Hier sitzen um 16.15 Uhr knapp 50 junge Erwachsene im | |
| Schneidersitz auf dem Asphalt und blockieren die breite Straße. Fast alle | |
| von ihnen tragen schwarze Regenjacken, FFP2-Masken und Kapuzen. Die | |
| Sitzblockade wird sofort von zahlreichen Polizeibeamt:innen | |
| eingekesselt. Knapp zehn Minuten später rückt die Polizei mit zwei | |
| Wasserwerfern an, die allerdings nicht zum Einsatz kommen. Die | |
| Gegendemonstrant:innen dürfen sitzen bleiben. Aufgrund der | |
| Sitzblockaden, die teilweise als Spontanversammlungen angemeldet wurden, | |
| muss die Polizei den rechten Demozug mehrmals stoppen und umleiten. „Die | |
| Route war eigentlich ganz anders“, teilt eine Sprecherin der Polizei der | |
| taz am Montagabend mit. | |
| Auch die Abschlusskundgebung der Rechten und Querdenker:innen muss | |
| verlegt werden – auf den Wilhelm-Leuschner-Platz, wo einst der Gegenprotest | |
| stattfand. Die Rechten erreichen den Platz um 17.30 Uhr. An dessen Rand | |
| stehen einige Gegendemonstrant:innen. Sie rufen lautstark „Lauft mit Nazis | |
| Hand in Hand, ihr seid nicht der Widerstand“ oder „Ihr könnt nach Hause | |
| gehen“ und stören damit die Redebeiträge der Rechten. Gegen 17.45 Uhr endet | |
| deren Abschlusskundgebung, danach begleitet die Polizei rechte | |
| Demonstrant:innen zum Bahnhof. | |
| ## Polizei ermittelt wegen Angriff auf Gegendemonstrant:innen | |
| Zeitgleich steht Irena Rudolph-Kokot von „Leipzig nimmt Platz“ auf dem | |
| Augustusplatz und blickt zufrieden in die Menge. Es sind nur noch wenige | |
| Minuten, bis Frank Irmler, der Vater des verletzten Jugendlichen, auf der | |
| abendlichen Kundgebung des Bündnisses spricht. „Das Platznehmen hat heute | |
| an ganz vielen Stellen geklappt“, sagt Rudolph-Kokot stolz. Mindestens | |
| sieben Sitzblockaden habe es gegeben. „Damit konnte die Route der Rechten | |
| empfindlich gekürzt werden.“ Später am Abend [7][schreibt sie auf Twitter:] | |
| „Die rechte Melange konnte nur ein Ministück Ring und ein wenig in | |
| Zentrum-West hin-her laufen. Danke #Leipzig fürs #platznehmen #le0310.“ | |
| Insgesamt waren am Montag rund 1.000 Polizeibeamte im Einsatz. Unterstützt | |
| wurden die Leipziger Polizist:innen von der sächsischen | |
| Bereitschaftspolizei sowie von Polizeikräften aus Nordrhein-Westfalen und | |
| Berlin. Wegen der Sitzblockaden sei es ein „teilweise dynamischer, aber | |
| grundsätzlich friedlicher Einsatz gewesen“, sagte die Polizei am | |
| Montagabend. Was den gewalttätigen Angriff auf die sieben | |
| Gegendemonstrant:innen vergangene Woche Montag betrifft, ermittelt | |
| die Polizei momentan gegen „unbekannte Tatverdächtige“ sowie gegen die | |
| verletzten Jugendlichen. Letztere wurden wegen des Anfangsverdachts der | |
| gefährlichen Körperverletzung angezeigt. Es gebe Hinweise darauf, dass sie | |
| die Angreifer:innen ebenfalls verletzt hätten, teilte eine Sprecherin | |
| der Polizei Leipzig der taz mit. | |
| ## Kritische Aufarbeitung durch die Polizei gefordert | |
| Augenzeug:innen zufolge habe die Polizei die Täter:innen, die nach dem | |
| Angriff auf die Gegendemonstrant:innen weggerannt seien, nicht | |
| verfolgt. Spricht man die Leipziger Polizei darauf an, entgegnet sie, dass | |
| die Lage sehr dynamisch gewesen sei. Die Polizei geht nicht von einem | |
| einseitigen Angriff auf die jungen Gegendemonstrant:innen aus, | |
| sondern von einer „Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen“. | |
| Frank Irmler, dessen 15 Jahre alter Sohn bei der Montagsdemo vergangene | |
| Woche verletzt wurde, fordert von der Polizei, dass sie den Vorfall | |
| „kritisch aufarbeitet“. Die Beamt:innen müssten diejenigen festnehmen, | |
| „die nur da sind, um Gewalt auszuüben und unsere demokratische Grundordnung | |
| mit Füßen zu treten“, sagt Irmler. Sein Sohn, der nach dem Vorfall | |
| fälschlicherweise für einen Täter gehalten und kurzzeitig verhaftet wurde, | |
| sei noch nicht wieder in der Lage, auf eine Demo zu gehen. | |
| Die nächste linke Großdemo in Leipzig findet am 15. Oktober statt. Dann | |
| demonstriert das Leipziger Aktionsbündnis „Jetzt reicht's! – Wir frieren | |
| nicht für Profite!“, das aus mehr als 30 Gewerkschaften, Klimagruppen, | |
| Mieter:inneninitiativen und anderen sozialen Gruppen besteht, gegen | |
| die Energie- und Sozialpolitik der Regierung. | |
| 4 Oct 2022 | |
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| [6] /Rechtsextreme-Freie-Sachsen/!5875254 | |
| [7] https://twitter.com/IrenaKOKOT/status/1577027795037081600?ref_src=twsrc%5Eg… | |
| ## AUTOREN | |
| Rieke Wiemann | |
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