| # taz.de -- Die Klimasabotage der Union: Verhindern, verzögern, unterlassen | |
| > Die CDU ist eng mit der fossilen Industrie verbandelt. 20 Jahre lang | |
| > blockierten Partei und Lobbyisten gemeinsam die Klimapolitik. Eine | |
| > taz-Recherche. | |
| Es ist ein Dienstag Ende Mai, der Wirtschaftsrat der CDU hat zu seinem | |
| alljährlichen Höhepunkt geladen: dem „Wirtschaftstag“. Getagt wird unter | |
| riesigen Kronleuchtern im Hotel Marriott, am Rande des Tiergartens im | |
| Berliner Regierungsviertel. Vorstandschef*innen, Verbandsfunktionäre, | |
| Politiker:innen und Unternehmer*innen sind der Einladung gefolgt. | |
| Gemeinsam mit Astrid Hamker, der Präsidentin des Vereins, zieht der grüne | |
| Wirtschaftsminister Robert Habeck in den Saal ein. [1][Die Bild wütet in | |
| diesen Tagen fast täglich gegen Habecks „Heiz-Hammer“] – und die Union | |
| auch. | |
| Der Applaus der über 2.000 Gäste für Habeck verebbt schnell, es ist ruhig | |
| im Saal – und der Weg bis zur Bühne weit. „Sie dürfen auch klatschen“, … | |
| die Moderatorin beschwörend in die Stille hinein. Dann steht Astrid Hamker, | |
| langes blondes Haar, Brille, blaues Kleid, am Redepult, links von ihr sitzt | |
| Habeck auf dem Podium, ziemlich einsam an einem langen Tisch. | |
| Hamker ist Gesellschafterin der Osnabrücker Piepenbrock-Gruppe, einem | |
| Unternehmen mit über 27.000 MitarbeiterInnen und mehr als 600 Millionen | |
| Euro Jahresumsatz. Und sie ist Präsidentin des Wirtschaftsrats. Auf der | |
| Bühne holt sie jetzt den Holzhammer raus. Spricht von „Ernüchterung, | |
| Enttäuschung, Verärgerung“. Die Ampel, vor allem aber Habeck, würde „die | |
| Grundlagen unseres Wohlstands demontieren“. Eine „ideologiegetriebene | |
| Politik“ betreiben, „die sich einzig und allein dem Klimaschutz, aber nicht | |
| dem Wohl der deutschen Wirtschaft verpflichtet fühlt.“ Applaus. So geht es | |
| weiter: Atomausstieg, Verbrenner-Aus, Heizungstausch – aus ihrer Sicht | |
| macht Habeck alles falsch. Dass 16 Jahre lang die CDU an der Spitze der | |
| Regierung stand und manches davon zu verantworten hat – dazu kein Wort. | |
| Während Hamker im Saal des Marriott-Hotels verbal auf ihn eintrümmert, | |
| [2][macht sich Habeck Notizen]. Als er das Wort erhält, outet Habeck sich | |
| als Fan der sozialen Marktwirtschaft, zitiert Norbert Blüm. Die Stärke der | |
| sozialen Marktwirtschaft sei die Fähigkeit, Widersprüche zu vereinen. Es | |
| ist ein rhetorischer Ritt, der den Wirtschaftsrat bei seinen Wurzeln packt. | |
| Habeck fordert „Lauterkeit der Argumente“ und sagt, in der Kritik der | |
| letzten Tage, Wochen und Monate sei einiges nicht durchdacht worden – was | |
| auch für die Worte der Präsidentin gelte. | |
| Habeck wird mit Applaus verabschiedet. Doch an diesem Tag treffen Welten | |
| aufeinander. | |
| In weniger als 22 Jahren soll Deutschland klimaneutral sein, die | |
| Auseinandersetzungen darum nehmen an Schärfe zu. Die Grünen verweisen auf | |
| „16 Jahre Stillstand“ – die Klimabilanz der Union sei der Grund, dass heu… | |
| alles schwieriger ist, als es sein könnte. | |
| Die Bewahrung der Schöpfung sei ein „urkonservatives Thema, das sich die | |
| Union seit je auf die Fahne geschrieben hat“, heißt es bei der Union gern. | |
| Doch der Parteivorsitzende Friedrich Merz findet, Klimaschutz dürfe „nicht | |
| verabsolutiert“ werden, während in Kanada die Wälder brennen und | |
| Südfrankreich kein Wasser mehr hat. Und das zieht: In der Sonntagsfrage | |
| kommt die Union mit 29 Prozent auf Platz 1. | |
| Die Partei verweist gern darauf, dass es die CDUlerin Angela Merkel war, | |
| die 1997 als Umweltministerin den Verhandlungen für das Kyoto-Protokoll zum | |
| Durchbruch verhalf. Und es war die von ihr geführte Große Koalition, die | |
| das Pariser Klimaschutzabkommen 2015 vorantrieb und beschloss – ebenso wie | |
| das Klimaschutzgesetz, das CO2-Neutralität bis 2045 vorsieht. | |
| Doch die Bilanz ist eine andere. Ob Kohleausstieg, Verkehrswende, | |
| Erneuerbare, Landwirtschaft: Die Union stellte seit 2005 viele der | |
| zuständigen Minister *innen – und blockierte den Klimaschutz, verschleppte | |
| ihn oder blieb untätig. Und das kommt nicht von ungefähr. Ihre Politik wird | |
| seit Jahrzehnten von Menschen mitbestimmt, die Klimaschutz aus | |
| wirtschaftlichen Interessen oder ideologischen Gründen sabotieren. | |
| ## Der Wirtschaftsrat | |
| [3][Der Wirtschaftsrat] ist dabei ein wichtiger Akteur. Seine Präsidentin | |
| Hamker und Friedrich Merz kennen sich gut. Bevor Merz Parteichef wurde, war | |
| er Hamkers Stellvertreter im Wirtschaftsrat und saß im Präsidium. Das | |
| aktuelle Ziel der Lobbyorganisation steht ganz im Einklang mit jenem der | |
| CDU: das Gebäudeenergiegesetz zu verhindern. „Das Gesetz muss komplett neu | |
| geschrieben werden“, sagt Hamker. | |
| Sie betont, dass sich der Wirtschaftsrat zu den Klimazielen bekenne. Doch | |
| Klimaschutz und das Wohl der Wirtschaft – aus ihrer Sicht scheinen das | |
| gegensätzliche Pole zu sein. Was wohl heißt, dass man die Wirtschaft vor | |
| dem Klimaschutz schützen muss. Und genau daran arbeitet der Wirtschaftsrat | |
| seit Langem. | |
| Er ist eine einflussreiche Lobbyorganisation, mit 12.000 | |
| Unternehmer*innen als Mitgliedern und in einer merkwürdigen | |
| Zwitterposition. Der Wirtschaftsrat trägt die CDU im Namen, ist aber keine | |
| Parteiorganisation. Doch Präsidentin Hamker gehört qua Amt dem | |
| CDU-Bundesvorstand an. Sie nimmt an dessen Sitzungen teil, hat Rederecht – | |
| und kann die Partei direkt beeinflussen. | |
| Der Wirtschaftsrat, ein eingetragener Verein, ist also nicht an das | |
| Parteiengesetz und dessen Transparenzregeln gebunden. Er vermeidet | |
| gleichzeitig durch seine Parteinähe das negative Image einer | |
| Lobbyorganisation. „Eine problematische Doppelrolle,“ sagt Christina | |
| Deckwirth von der NGO Lobbycontrol. [4][Sie hat eine Studie zur | |
| Klimapolitik des Wirtschaftsrats erstellt]. Ihr Urteil: Der Verein sei ein | |
| „besonders starker und einflussreicher Klimaschutz-Bremser“. | |
| Der Rat warnt vor „Aktionismus beim Klimaschutz“. Im September 2021 | |
| forderte er gar ein „Verbot von Klimaklagen“ gegen Großkonzerne. | |
| Umweltschutzorganisationen versuchen mit solchen Klagen, Konzerne zur | |
| Einhaltung der Klimaschutzziele zu zwingen. | |
| Die Fachkommission Energiepolitik des Wirtschaftsrates leitet das | |
| Eon-Vorstandsmitglied Patrick Lammers. Im Präsidium und Bundesvorstand | |
| sitzen die Auto-, Flugzeug- und Braunkohleindustrie. | |
| 2013 nahm der Wirtschaftsrat das Erneuerbare-Energien-Gesetz unter Beschuss | |
| und forderte eine Kürzung der Einspeisevergütung für Photovoltaik. 2019, | |
| während die schwarz-rote Bundesregierung über das Klimapaket stritt, konnte | |
| der Wirtschaftsrat seine Forderung nach „bezahlbarer Energie“ im | |
| CDU/CSU-Konzept ‚Klimaeffizientes Deutschland‘ festschreiben. „Der Einsatz | |
| des Wirtschaftsrats, dass Unternehmen möglichst wenig für die Energiewende | |
| zahlen sollen, kam bei der Union an“, urteilt Lobbycontrol. | |
| Während laut Lobbycontrol andere Verbände Anfang 2020 ihre offiziellen | |
| Stellungnahmen zum Kohleausstieg beim Wirtschaftsministerium einreichten, | |
| drohte der Wirtschaftsrat direkt beim Minister, bei zu schnellem Ausstieg | |
| käme es zu kostspieligen Klagen. Die Ministeriumsspitzen trafen sich mit | |
| den Kohlekraftwerks-Betreibern EnBW, RWE, Uniper, Vattenfall, Steag. Laut | |
| Lobbycontrol hatten drei der fünf anwesenden Unternehmen im Jahr 2020 | |
| Veranstaltungen des Wirtschaftsrats gesponsert, an denen auch der damalige | |
| Wirtschaftsminister Peter Altmaier und sein Staatssekretär Andreas Feicht | |
| teilnahmen. Am Ende, so Lobbycontrol, wurde ein Kohleausstiegsgesetz | |
| beschlossen, das „deutliche Zugeständnisse“ für neuere Steinkohlekraftwer… | |
| enthielt – unter anderem eine „Härtefallregelung“. | |
| Doch was Sabotage wirksamen Klimaschutzes angeht, ist der Wirtschaftsrat | |
| bei Weitem nicht der einzige Akteur in der Union. | |
| ## Das Bermudadreieck | |
| Als Bermudadreieck der Energiewende in der Welt der CDU galten lange drei | |
| Politiker, die teils eng mit dem Wirtschaftsrat verbunden sind: Carsten | |
| Linnemann, Thomas Bareiß und Joachim Pfeiffer. Jede klimapolitische Idee, | |
| jedes Bemühen um substanziellen Klimaschutz, das in der Vergangenheit | |
| zwischen diese einflussreichen Unionspolitiker geriet, ging dort irgendwie | |
| verloren. Eine CO2-Steuer, Sektoren-Einsparziele, die Klimaabgabe für die | |
| Braunkohle, ein deutsches Klimaschutzgesetz – die drei CDUler wussten die | |
| Vorschläge stets zu verhindern oder zumindest zu verzögern. | |
| Da ist zunächst Carsten Linnemann, der von 2013 bis 2021 Vorsitzender der | |
| Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), des Wirtschaftsflügels der CDU, | |
| war: Diese zählt 25.000 Mitglieder und bezeichnet sich selbst als | |
| „einflussreichster parteipolitischer Wirtschaftsverband in Deutschland“. Im | |
| Grundsatzprogramm der MIT, das Linnemann mitformulierte, heißt es: „Das | |
| Fördersystem für erneuerbare Energien gefährdet die Netzstabilität und | |
| verteuert den Strom in unzumutbarem Maße.“ Wegen der hohen Strompreise | |
| drohe die De-Industrialisierung Deutschlands nicht, „sie findet statt“. | |
| Carsten Linnemann war aber nicht nur Chef dieser Parteivereinigung, seit | |
| 2009 ist er auch Abgeordneter und seit 2013 Bundesvorstand der CDU. Das ist | |
| praktisch, denn dadurch konnte er in die Politik der Union das einspeisen, | |
| was seine Organisation fordert: weniger erneuerbare Energie. Als | |
| Bundestagsabgeordneter hat sich Linnemann jahrelang für Abstandsregeln in | |
| der Windkraft starkgemacht. 2020 sagte er: „Ich sehe die Abstandsregeln als | |
| Chance, das Thema zu befrieden.“ Ein Kilometer zwischen Windrad und | |
| nächstem Haus sorgte vielerorts dafür, dass Projekte nicht gebaut werden | |
| konnten. Es war eine der wirksamsten Bremsen für den Ausbau der Windenergie | |
| in Deutschland. Linnemann hatte im MIT-Grundsatzprogramm argumentiert, dass | |
| Klimaschutz „nicht durch Planwirtschaft, Dirigismus und Verbote“ zu | |
| erreichen sei. 2022 wurde er stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU. | |
| Aktuell leitet er die Kommission für ein neues Grundsatzprogramm der | |
| Partei. | |
| Der zweite im christdemokratischen Bermudadreieck ist [5][Thomas Bareiß], | |
| von 2010 bis 2018 zuständig für Energiepolitik in der Unionsfraktion. | |
| Danach war er bis 2021 parlamentarischer Staatssekretär bei | |
| Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und auch dort zuständig für die | |
| Energiepolitik. Greenpeace listet im „Schwarzbuch Klimabremser“ Bareiß’ | |
| politisches Wirken seit 2005 auf und kommt zu dem Schluss, er habe | |
| „maßgeblich dafür sorgt, dass die Erneuerbaren Energien ausgebremst werden | |
| und die Bundesregierung ihre Klimaziele verpasst“. | |
| Ohne Erdgas sei die Energieversorgung „nicht denkbar“, Gas „unverzichtbar… | |
| sagte Bareiß 2019 in einer Publikation des Lobbyverbands „Zukunft Gas“, in | |
| dem Energiekonzerne wie Shell, Total, Wintershall Dea oder die | |
| Gazprom-Tochter Wingas Mitglied sind. Bareiß saß bis zu seiner Berufung als | |
| Staatssekretär 2018 dort im Beirat. Und bis 2021 war er Vorsitzender des | |
| „Beirats Energie“ der Lobbyorganisation „Gesellschaft zum Studium | |
| strukturpolitischer Fragen“, in dem die Gas- und Braunkohleindustrie sitzt. | |
| Heute unterstützt Bareiß als verkehrspolitischer Sprecher der Union die | |
| Bemühungen der FDP gegen das Verbrenner-Aus. | |
| Joachim Pfeiffer ist die dritte Koordinate im Bermudadreieck der | |
| Energiewende. Wie kaum ein anderer prägte der Betriebswirt aus dem | |
| schwäbischen Waiblingen die Klimapolitik der Union, zuletzt bis 2021 als | |
| wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Als | |
| Mitglied des Wirtschaftsausschusses schrieb der heute 56-Jährige die | |
| energiepolitische Gesetzgebung im Bundestag mit. Pfeiffer nannte | |
| Klimaschutz „Ersatzreligion“, die Debatte über die Erderhitzung | |
| „alarmistisch“, die Photovoltaikbranche bezeichnete er als „Solarmafia“, | |
| Klimaschützer wie die Deutsche Umwelthilfe als „semi-kriminelle | |
| Vereinigung“. Die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Kyoto-Protokoll war für | |
| ihn eine „gezielte Deindustrialisierung Deutschlands“. | |
| Deutsche Technologie zur Kohleverstromung hingegen könne „helfen, das Klima | |
| zu schützen“ – wer sich über solche Aussagen wundert, muss wissen, dass | |
| Pfeiffer langjähriges Mitglied im Beirat der Hitachi Power Europe GmbH saß. | |
| Der japanische Kraftwerkkonzern Hitachi lieferte 2009 unter anderem Kessel | |
| und Dampfturbine für das neue Kohlekraftwerk in Duisburg-Walsum. Pfeiffer | |
| war auch bis Ende 2014 Mitglied im Aufsichtsrat des | |
| Kraftwerk-Dienstleisters Kofler Energies Power AG und verdiente dort bis zu | |
| 30.000 Euro jährlich hinzu. Zudem war Pfeiffer Mitglied im Aufsichtsrat | |
| eines kanadischen Ölmultis. Dieses Mandat legte er Ende 2020 nieder. | |
| In Groko-Zeiten waren fast alle klimapolitisch wichtigen Posten „vom | |
| Wirtschaftsflügel besetzt“, schreibt Greenpeace: „Wirtschaftsliberale, die | |
| im Klimaschutz vor allem Wettbewerbsnachteile sehen.“ | |
| Das hatte Folgen. | |
| ## Die Merkeljahre | |
| Die skandinavischen Länder fingen an, Wärmepumpen zu installieren, als | |
| Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde. Heute heizen dort bis zu 60 Prozent | |
| aller Haushalte mit einer Wärmepumpe – in Deutschland sind es 2,8 Prozent. | |
| Zu Beginn von Merkels Amtszeit stieß der deutsche Verkehr etwa 150 | |
| Millionen Tonnen CO2 im Jahr aus – 2021 war es fast exakt genauso viel. | |
| Japan drückte die Verkehrsemissionen in derselben Zeit um ein Drittel. In | |
| Merkels Amtszeit ging der jährliche Zubau der Solarenergie-Leistung von 46 | |
| Prozent im Jahr 2005 auf 9,6 Prozent im Jahr 2021 zurück. Dazwischen lag | |
| ein einzigartiger Abbau der Förderung erneuerbarer Energien, inklusive | |
| massenhafter Firmenpleiten. | |
| Er „gebe zu, dass wir in den letzten Jahren auch Fehler gemacht und zu spät | |
| gehandelt haben“, sagte der Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier in einem | |
| Interview zur Klimabilanz schon im Jahr 2020. Doch viele andere in der | |
| Partei wollen diese Verantwortung bis heute nicht anerkennen. Lieber giften | |
| sie gegen das Heizungsgesetz der Ampel. Die Union verspricht den Menschen, | |
| ihnen die vermeintlichen Zumutungen des Klimaschutzes zu ersparen – und hat | |
| damit Erfolg. In Berlin stellt sie nach einem Anti-Verkehrswende-Wahlkampf | |
| den Bürgermeister – und der will Präventivhaft für Klimakleber und hält d… | |
| Ausbau der Autobahn A 100 mitten durch die Stadt für „ganz entscheidend“. | |
| Aus alldem ergibt sich das Bild einer Partei, die nie Programm-, sondern | |
| immer in erster Linie Machtpartei war. Deshalb hat sie bis heute statt | |
| einem echten Klimaschutzprogramm vor allem technokratische Luftschlösser | |
| und einen unerschütterlichen Glauben an den Markt, der das Klima schon | |
| retten werde, wenn man nur die richtigen Anreize setze. | |
| Und deshalb kann sie auch der Versuchung nicht widerstehen, mit | |
| populistischem Klimaschutzbashing die Macht zurückzuerlangen. Nicht | |
| einfacher macht es der CDU ihr rechter Rand, für den Klimaschutz vor allem | |
| ein weiteres Feld im Kulturkampf ist. Dass aus den Reihen der Partei | |
| Habecks Heizungsgesetz als „Energie-Stasi“ attackiert wird, ist da nur | |
| folgerichtig. | |
| ## Die grüne Union | |
| Dabei gibt es innerhalb der Union auch Stimmen, die sich für den | |
| Klimaschutz einsetzen: Marlon Bröhr etwa, Bundestagsabgeordneter und | |
| Aufsichtsratsvorsitzender der „HunsrückSonne Kastellaun eG“, einer | |
| Bürgerenergiegenossenschaft mit fast 150 Mitgliedern. Oder Andreas Jung, | |
| der viele Jahre als Umweltpolitiker in der Fraktion arbeitete und heute | |
| stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU und klima- und | |
| energiepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist. | |
| Und es gibt [6][Wiebke Winter]. | |
| Die zögert, als es darum geht, einen Interviewtermin zu machen, gar nicht | |
| mal aus ideologischen Gründen. Eher wegen der Zeit. Die 27-Jährige ist in | |
| den vergangenen vier Jahren das klimapolitische Gesicht der Union gewesen, | |
| bundesweit. Nach dem Bremer Wahlkampf, in dem Winter neben dem Landwirt | |
| Frank Imhoff das Spitzenduo für die Bürgerschaftswahl gebildet hatte, | |
| büffelt Winter jetzt wieder Jura. Das zweite Staatsexamen fehlt ihr noch. | |
| Ihr bislang größter Coup war die Gründung des Vereins „KlimaUnion“ – d… | |
| sie stellvertretende Vorsitzende. Und, ja doch, mindestens solange Armin | |
| Laschet im Wahlkampf 2021 Frontmann der Partei war, konnte es auf | |
| Außenstehende so wirken, als würde Winter für voll genommen. Das Klimathema | |
| hatte in Laschets Wahlprogramm Raum erhalten. | |
| Sie nennt den „Zukunftskongress“ im Berliner Tempodrom Ende April als Beleg | |
| für den klimapolitischen Aufbruch ihrer Partei. Ihr Vorsitzender Friedrich | |
| Merz hatte zwar zeitgleich im Zeit-Interview mit der Einschätzung für | |
| Aufsehen gesorgt, Klimaschutz werde überbewertet. Aber das ist eine | |
| Wahrnehmung, die Winter falsch findet: „Manchmal habe ich den Eindruck, | |
| dass die CDU in eine Ecke geschoben wird, in die sie aus meiner Sicht in | |
| gar keinem Fall hingehört“, sagt sie. Klar gebe es Diskussionen um den | |
| richtigen Weg zur Klimaneutralität, man sei schließlich Volkspartei. Aber | |
| „für uns ist ganz klar, Deutschland muss bis 2045 klimaneutral werden“. | |
| Es passt, das kann man als vorbildlich diszipliniert loben, kein Blatt | |
| zwischen Winter und ihre Partei. Sie lobt die von ihrem Parteikollegen | |
| Peter Liese federführend ausgehandelte Reform des Zertifikatehandels in | |
| Brüssel und den „Green Deal“ von Kommissionspräsidentin Ursula von der | |
| Leyen. | |
| Im Bundestagswahlkampf forderte Winter, „dass der Einbau von Wärmepumpen | |
| schnellstmöglich an Fahrt aufnimmt“, zudem „eine ambitionierte Novelle des | |
| Gebäudeenergiegesetzes“. An der aggressiven Kampagne, mit der die Union | |
| jetzt Stimmung dagegen gemacht hat, mag Winter trotzdem nichts falsch | |
| finden. „Die Wärmewende kann nur funktionieren, wenn unsere Bevölkerung das | |
| mitträgt und richtig findet“. Niemand sage ja, dass wir die Wärmewende | |
| nicht brauchen, sagt Winter. Das Gesetze habe eben „handwerkliche Fehler“. | |
| Diese zu benennen fällt der Juristin allerdings schwer. Es sei „viel zu | |
| früh kommuniziert worden, es fehlten Einigungen zum sozialen Ausgleich und | |
| es hat dadurch für Verunsicherung gesorgt“, das ist der einzige | |
| substanzielle Vorwurf, der bleibt. | |
| „Viele machen sich bei uns Gedanken, wie können wir klimaneutral werden“, | |
| versichert Winter. Es sei wichtig, dass es in der Frage nicht nur den | |
| Ansatz von Fridays for Future gebe, die glaubten, das kapitalistische | |
| System überwinden zu müssen, um die Klimakatastrophe zu stoppen. „Wir sagen | |
| dagegen: Nein, wir brauchen die soziale Marktwirtschaft, um klimaneutrale | |
| Technologien auch zu exportieren.“ | |
| Eine klimaneutrale Welt, dank Marktwirtschaft und neuer Technologien, | |
| weitgehend ohne Einbußen. Was Winter andeutet, sagt Friedrich Merz | |
| deutlicher: Das Klimaproblem löse man „vor allem mit technischen | |
| Innovationen“ und schlug die – in Deutschland bislang verbotene – | |
| CO2-Abscheidung und -Verwertung vor. | |
| Es sind solche Antworten, die CDUler gern geben: Kernfusion, E-Fuels, | |
| negative Emissionen, Fracking. Technologieoffenheit statt „ideologischer | |
| Denkverbote“. Die Vorschläge sind meist entweder nicht verfügbar oder | |
| bringen dem Klima nichts. E-Fuels nennt die Fraunhofer-Gesellschaft „nicht | |
| sinnvoll“, Kernfusion könnte frühestens in Jahrzehnten verfügbar sein, | |
| Anlagen zur Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre ebenfalls. | |
| Solche Vorschläge halten aber die Illusion aufrecht, dass die Menschen | |
| ihren Lebensstil nicht ändern müssten. Es ist ein Konservatismus, der dem | |
| Subjekt nichts zumuten mag – und damit die Natur zerstört. | |
| Seit Jahren kündigt die Union ein neues Grundsatzprogramm an, um zu klären, | |
| was genau ihr Kern heute sein soll – und was das für den Schutz des Klimas | |
| heißt. Die Partei ist zerrissen zwischen halbwegs fortschrittlichen | |
| Geistern wie Andreas Jung und Wiebke Winter und einem rechten Flügel, der | |
| auf Kulturkampf setzt und in Richtung AfD abzurutschen droht. | |
| ## Es fehlt: eine Idee | |
| Dirk van Laak ist Historiker an der Universität Leipzig. Er erforscht die | |
| Geschichte der Technik und hat sich dabei mit technokratischen | |
| Fortschrittsversprechen beschäftigt. Laak sagt, die Technokratie habe in | |
| der Vergangenheit davon gelebt, der Gesellschaft Verbesserung durch | |
| Effizienz und technische Rationalisierung zu verschaffen. | |
| Heute lebt die Idee in dem Versprechen fort, die Rettung des Klimas durch | |
| Technologie mit dem Erhalt des Wohlstandes vereinen zu können – eine vor | |
| allem bei Konservativen beliebte Antwort auf die Krise. Deren Wurzeln | |
| reichen zurück zum „technokratischen Konservatismus“ der 1960er Jahre. Und | |
| so stecken Konservative „ganz natürlich in den Gedankenspuren der | |
| Wachstumsgesellschaft und wollen davon ungern lassen“, sagt van Laak. Diese | |
| Haltung ziehe eine starke Überzeugungskraft daraus, dass die Technologie | |
| 200 Jahre lang so erfolgreich war, dass sie alle anderen Lebensmodelle | |
| beiseitegeräumt habe. | |
| Das Beharren auf Wachstum und der Glaube an die Technik sticht im modernen | |
| Konservatismus den Gedanken an die Bewahrung der Schöpfung aus. Dabei sei | |
| der Grundgedanke des Konservatismus, dass sich das „Neue gegenüber dem | |
| Alten zu rechtfertigen hat“, sagt van Laak. Doch im technokratischen | |
| Konservatismus jüngerer Spielart stecke die utopische Erwartung, die Dinge | |
| schon irgendwie mit neuer Technik lösen zu können. Es sei „ein Optimismus, | |
| der dem Konservatismus nicht zu eigen sei“, sagt van Laak. | |
| Was der Union fehlt, ist jede Idee für eine postfossile Gesellschaft. | |
| Deshalb hält sie an Verbrennermotoren fest, die Deutschlands Wirtschaft | |
| groß machten, die aber in der Welt von morgen niemand fahren wird. Und | |
| darin ist sie ein Spiegel weiter Teile der Gesellschaft, die sich ebenso | |
| schwer damit tun, eine neue Wirtschafts- und vielleicht auch Lebensweise | |
| anzunehmen. | |
| Transparenzhinweis: Wiebke Winter hat 2021 das Buch „Deutschland 2050. | |
| Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird“ von taz-Autor Nick Reimer | |
| vorgestellt. | |
| 11 Jun 2023 | |
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| [3] /Wirtschaftsrat-der-CDU/!5754798 | |
| [4] https://www.lobbycontrol.de/studie-wirtschaftsrat/ | |
| [5] /Staatssekretaer-verschwieg-Kontakte/!5769458 | |
| [6] /CDU-Politikerin-zur-Klimakrise/!5815044 | |
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