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# taz.de -- Die Klimasabotage der Union: Verhindern, verzögern, unterlassen
> Die CDU ist eng mit der fossilen Industrie verbandelt. 20 Jahre lang
> blockierten Partei und Lobbyisten gemeinsam die Klimapolitik. Eine
> taz-Recherche.
Es ist ein Dienstag Ende Mai, der Wirtschaftsrat der CDU hat zu seinem
alljährlichen Höhepunkt geladen: dem „Wirtschaftstag“. Getagt wird unter
riesigen Kronleuchtern im Hotel Marriott, am Rande des Tiergartens im
Berliner Regierungsviertel. Vorstandschef*innen, Verbandsfunktionäre,
Politiker:innen und Unternehmer*innen sind der Einladung gefolgt.
Gemeinsam mit Astrid Hamker, der Präsidentin des Vereins, zieht der grüne
Wirtschaftsminister Robert Habeck in den Saal ein. [1][Die Bild wütet in
diesen Tagen fast täglich gegen Habecks „Heiz-Hammer“] – und die Union
auch.
Der Applaus der über 2.000 Gäste für Habeck verebbt schnell, es ist ruhig
im Saal – und der Weg bis zur Bühne weit. „Sie dürfen auch klatschen“, …
die Moderatorin beschwörend in die Stille hinein. Dann steht Astrid Hamker,
langes blondes Haar, Brille, blaues Kleid, am Redepult, links von ihr sitzt
Habeck auf dem Podium, ziemlich einsam an einem langen Tisch.
Hamker ist Gesellschafterin der Osnabrücker Piepenbrock-Gruppe, einem
Unternehmen mit über 27.000 MitarbeiterInnen und mehr als 600 Millionen
Euro Jahresumsatz. Und sie ist Präsidentin des Wirtschaftsrats. Auf der
Bühne holt sie jetzt den Holzhammer raus. Spricht von „Ernüchterung,
Enttäuschung, Verärgerung“. Die Ampel, vor allem aber Habeck, würde „die
Grundlagen unseres Wohlstands demontieren“. Eine „ideologiegetriebene
Politik“ betreiben, „die sich einzig und allein dem Klimaschutz, aber nicht
dem Wohl der deutschen Wirtschaft verpflichtet fühlt.“ Applaus. So geht es
weiter: Atomausstieg, Verbrenner-Aus, Heizungstausch – aus ihrer Sicht
macht Habeck alles falsch. Dass 16 Jahre lang die CDU an der Spitze der
Regierung stand und manches davon zu verantworten hat – dazu kein Wort.
Während Hamker im Saal des Marriott-Hotels verbal auf ihn eintrümmert,
[2][macht sich Habeck Notizen]. Als er das Wort erhält, outet Habeck sich
als Fan der sozialen Marktwirtschaft, zitiert Norbert Blüm. Die Stärke der
sozialen Marktwirtschaft sei die Fähigkeit, Widersprüche zu vereinen. Es
ist ein rhetorischer Ritt, der den Wirtschaftsrat bei seinen Wurzeln packt.
Habeck fordert „Lauterkeit der Argumente“ und sagt, in der Kritik der
letzten Tage, Wochen und Monate sei einiges nicht durchdacht worden – was
auch für die Worte der Präsidentin gelte.
Habeck wird mit Applaus verabschiedet. Doch an diesem Tag treffen Welten
aufeinander.
In weniger als 22 Jahren soll Deutschland klimaneutral sein, die
Auseinandersetzungen darum nehmen an Schärfe zu. Die Grünen verweisen auf
„16 Jahre Stillstand“ – die Klimabilanz der Union sei der Grund, dass heu…
alles schwieriger ist, als es sein könnte.
Die Bewahrung der Schöpfung sei ein „urkonservatives Thema, das sich die
Union seit je auf die Fahne geschrieben hat“, heißt es bei der Union gern.
Doch der Parteivorsitzende Friedrich Merz findet, Klimaschutz dürfe „nicht
verabsolutiert“ werden, während in Kanada die Wälder brennen und
Südfrankreich kein Wasser mehr hat. Und das zieht: In der Sonntagsfrage
kommt die Union mit 29 Prozent auf Platz 1.
Die Partei verweist gern darauf, dass es die CDUlerin Angela Merkel war,
die 1997 als Umweltministerin den Verhandlungen für das Kyoto-Protokoll zum
Durchbruch verhalf. Und es war die von ihr geführte Große Koalition, die
das Pariser Klimaschutzabkommen 2015 vorantrieb und beschloss – ebenso wie
das Klimaschutzgesetz, das CO2-Neutralität bis 2045 vorsieht.
Doch die Bilanz ist eine andere. Ob Kohleausstieg, Verkehrswende,
Erneuerbare, Landwirtschaft: Die Union stellte seit 2005 viele der
zuständigen Minister *innen – und blockierte den Klimaschutz, verschleppte
ihn oder blieb untätig. Und das kommt nicht von ungefähr. Ihre Politik wird
seit Jahrzehnten von Menschen mitbestimmt, die Klimaschutz aus
wirtschaftlichen Interessen oder ideologischen Gründen sabotieren.
## Der Wirtschaftsrat
[3][Der Wirtschaftsrat] ist dabei ein wichtiger Akteur. Seine Präsidentin
Hamker und Friedrich Merz kennen sich gut. Bevor Merz Parteichef wurde, war
er Hamkers Stellvertreter im Wirtschaftsrat und saß im Präsidium. Das
aktuelle Ziel der Lobbyorganisation steht ganz im Einklang mit jenem der
CDU: das Gebäudeenergiegesetz zu verhindern. „Das Gesetz muss komplett neu
geschrieben werden“, sagt Hamker.
Sie betont, dass sich der Wirtschaftsrat zu den Klimazielen bekenne. Doch
Klimaschutz und das Wohl der Wirtschaft – aus ihrer Sicht scheinen das
gegensätzliche Pole zu sein. Was wohl heißt, dass man die Wirtschaft vor
dem Klimaschutz schützen muss. Und genau daran arbeitet der Wirtschaftsrat
seit Langem.
Er ist eine einflussreiche Lobbyorganisation, mit 12.000
Unternehmer*innen als Mitgliedern und in einer merkwürdigen
Zwitterposition. Der Wirtschaftsrat trägt die CDU im Namen, ist aber keine
Parteiorganisation. Doch Präsidentin Hamker gehört qua Amt dem
CDU-Bundesvorstand an. Sie nimmt an dessen Sitzungen teil, hat Rederecht –
und kann die Partei direkt beeinflussen.
Der Wirtschaftsrat, ein eingetragener Verein, ist also nicht an das
Parteiengesetz und dessen Transparenzregeln gebunden. Er vermeidet
gleichzeitig durch seine Parteinähe das negative Image einer
Lobbyorganisation. „Eine problematische Doppelrolle,“ sagt Christina
Deckwirth von der NGO Lobbycontrol. [4][Sie hat eine Studie zur
Klimapolitik des Wirtschaftsrats erstellt]. Ihr Urteil: Der Verein sei ein
„besonders starker und einflussreicher Klimaschutz-Bremser“.
Der Rat warnt vor „Aktionismus beim Klimaschutz“. Im September 2021
forderte er gar ein „Verbot von Klimaklagen“ gegen Großkonzerne.
Umweltschutzorganisationen versuchen mit solchen Klagen, Konzerne zur
Einhaltung der Klimaschutzziele zu zwingen.
Die Fachkommission Energiepolitik des Wirtschaftsrates leitet das
Eon-Vorstandsmitglied Patrick Lammers. Im Präsidium und Bundesvorstand
sitzen die Auto-, Flugzeug- und Braunkohleindustrie.
2013 nahm der Wirtschaftsrat das Erneuerbare-Energien-Gesetz unter Beschuss
und forderte eine Kürzung der Einspeisevergütung für Photovoltaik. 2019,
während die schwarz-rote Bundesregierung über das Klimapaket stritt, konnte
der Wirtschaftsrat seine Forderung nach „bezahlbarer Energie“ im
CDU/CSU-Konzept ‚Klimaeffizientes Deutschland‘ festschreiben. „Der Einsatz
des Wirtschaftsrats, dass Unternehmen möglichst wenig für die Energiewende
zahlen sollen, kam bei der Union an“, urteilt Lobbycontrol.
Während laut Lobbycontrol andere Verbände Anfang 2020 ihre offiziellen
Stellungnahmen zum Kohleausstieg beim Wirtschaftsministerium einreichten,
drohte der Wirtschaftsrat direkt beim Minister, bei zu schnellem Ausstieg
käme es zu kostspieligen Klagen. Die Ministeriumsspitzen trafen sich mit
den Kohlekraftwerks-Betreibern EnBW, RWE, Uniper, Vattenfall, Steag. Laut
Lobbycontrol hatten drei der fünf anwesenden Unternehmen im Jahr 2020
Veranstaltungen des Wirtschaftsrats gesponsert, an denen auch der damalige
Wirtschaftsminister Peter Altmaier und sein Staatssekretär Andreas Feicht
teilnahmen. Am Ende, so Lobbycontrol, wurde ein Kohleausstiegsgesetz
beschlossen, das „deutliche Zugeständnisse“ für neuere Steinkohlekraftwer…
enthielt – unter anderem eine „Härtefallregelung“.
Doch was Sabotage wirksamen Klimaschutzes angeht, ist der Wirtschaftsrat
bei Weitem nicht der einzige Akteur in der Union.
## Das Bermudadreieck
Als Bermudadreieck der Energiewende in der Welt der CDU galten lange drei
Politiker, die teils eng mit dem Wirtschaftsrat verbunden sind: Carsten
Linnemann, Thomas Bareiß und Joachim Pfeiffer. Jede klimapolitische Idee,
jedes Bemühen um substanziellen Klimaschutz, das in der Vergangenheit
zwischen diese einflussreichen Unionspolitiker geriet, ging dort irgendwie
verloren. Eine CO2-Steuer, Sektoren-Einsparziele, die Klimaabgabe für die
Braunkohle, ein deutsches Klimaschutzgesetz – die drei CDUler wussten die
Vorschläge stets zu verhindern oder zumindest zu verzögern.
Da ist zunächst Carsten Linnemann, der von 2013 bis 2021 Vorsitzender der
Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), des Wirtschaftsflügels der CDU,
war: Diese zählt 25.000 Mitglieder und bezeichnet sich selbst als
„einflussreichster parteipolitischer Wirtschaftsverband in Deutschland“. Im
Grundsatzprogramm der MIT, das Linnemann mitformulierte, heißt es: „Das
Fördersystem für erneuerbare Energien gefährdet die Netzstabilität und
verteuert den Strom in unzumutbarem Maße.“ Wegen der hohen Strompreise
drohe die De-Industrialisierung Deutschlands nicht, „sie findet statt“.
Carsten Linnemann war aber nicht nur Chef dieser Parteivereinigung, seit
2009 ist er auch Abgeordneter und seit 2013 Bundesvorstand der CDU. Das ist
praktisch, denn dadurch konnte er in die Politik der Union das einspeisen,
was seine Organisation fordert: weniger erneuerbare Energie. Als
Bundestagsabgeordneter hat sich Linnemann jahrelang für Abstandsregeln in
der Windkraft starkgemacht. 2020 sagte er: „Ich sehe die Abstandsregeln als
Chance, das Thema zu befrieden.“ Ein Kilometer zwischen Windrad und
nächstem Haus sorgte vielerorts dafür, dass Projekte nicht gebaut werden
konnten. Es war eine der wirksamsten Bremsen für den Ausbau der Windenergie
in Deutschland. Linnemann hatte im MIT-Grundsatzprogramm argumentiert, dass
Klimaschutz „nicht durch Planwirtschaft, Dirigismus und Verbote“ zu
erreichen sei. 2022 wurde er stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU.
Aktuell leitet er die Kommission für ein neues Grundsatzprogramm der
Partei.
Der zweite im christdemokratischen Bermudadreieck ist [5][Thomas Bareiß],
von 2010 bis 2018 zuständig für Energiepolitik in der Unionsfraktion.
Danach war er bis 2021 parlamentarischer Staatssekretär bei
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und auch dort zuständig für die
Energiepolitik. Greenpeace listet im „Schwarzbuch Klimabremser“ Bareiß’
politisches Wirken seit 2005 auf und kommt zu dem Schluss, er habe
„maßgeblich dafür sorgt, dass die Erneuerbaren Energien ausgebremst werden
und die Bundesregierung ihre Klimaziele verpasst“.
Ohne Erdgas sei die Energieversorgung „nicht denkbar“, Gas „unverzichtbar…
sagte Bareiß 2019 in einer Publikation des Lobbyverbands „Zukunft Gas“, in
dem Energiekonzerne wie Shell, Total, Wintershall Dea oder die
Gazprom-Tochter Wingas Mitglied sind. Bareiß saß bis zu seiner Berufung als
Staatssekretär 2018 dort im Beirat. Und bis 2021 war er Vorsitzender des
„Beirats Energie“ der Lobbyorganisation „Gesellschaft zum Studium
strukturpolitischer Fragen“, in dem die Gas- und Braunkohleindustrie sitzt.
Heute unterstützt Bareiß als verkehrspolitischer Sprecher der Union die
Bemühungen der FDP gegen das Verbrenner-Aus.
Joachim Pfeiffer ist die dritte Koordinate im Bermudadreieck der
Energiewende. Wie kaum ein anderer prägte der Betriebswirt aus dem
schwäbischen Waiblingen die Klimapolitik der Union, zuletzt bis 2021 als
wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Als
Mitglied des Wirtschaftsausschusses schrieb der heute 56-Jährige die
energiepolitische Gesetzgebung im Bundestag mit. Pfeiffer nannte
Klimaschutz „Ersatzreligion“, die Debatte über die Erderhitzung
„alarmistisch“, die Photovoltaikbranche bezeichnete er als „Solarmafia“,
Klimaschützer wie die Deutsche Umwelthilfe als „semi-kriminelle
Vereinigung“. Die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Kyoto-Protokoll war für
ihn eine „gezielte Deindustrialisierung Deutschlands“.
Deutsche Technologie zur Kohleverstromung hingegen könne „helfen, das Klima
zu schützen“ – wer sich über solche Aussagen wundert, muss wissen, dass
Pfeiffer langjähriges Mitglied im Beirat der Hitachi Power Europe GmbH saß.
Der japanische Kraftwerkkonzern Hitachi lieferte 2009 unter anderem Kessel
und Dampfturbine für das neue Kohlekraftwerk in Duisburg-Walsum. Pfeiffer
war auch bis Ende 2014 Mitglied im Aufsichtsrat des
Kraftwerk-Dienstleisters Kofler Energies Power AG und verdiente dort bis zu
30.000 Euro jährlich hinzu. Zudem war Pfeiffer Mitglied im Aufsichtsrat
eines kanadischen Ölmultis. Dieses Mandat legte er Ende 2020 nieder.
In Groko-Zeiten waren fast alle klimapolitisch wichtigen Posten „vom
Wirtschaftsflügel besetzt“, schreibt Greenpeace: „Wirtschaftsliberale, die
im Klimaschutz vor allem Wettbewerbsnachteile sehen.“
Das hatte Folgen.
## Die Merkeljahre
Die skandinavischen Länder fingen an, Wärmepumpen zu installieren, als
Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde. Heute heizen dort bis zu 60 Prozent
aller Haushalte mit einer Wärmepumpe – in Deutschland sind es 2,8 Prozent.
Zu Beginn von Merkels Amtszeit stieß der deutsche Verkehr etwa 150
Millionen Tonnen CO2 im Jahr aus – 2021 war es fast exakt genauso viel.
Japan drückte die Verkehrsemissionen in derselben Zeit um ein Drittel. In
Merkels Amtszeit ging der jährliche Zubau der Solarenergie-Leistung von 46
Prozent im Jahr 2005 auf 9,6 Prozent im Jahr 2021 zurück. Dazwischen lag
ein einzigartiger Abbau der Förderung erneuerbarer Energien, inklusive
massenhafter Firmenpleiten.
Er „gebe zu, dass wir in den letzten Jahren auch Fehler gemacht und zu spät
gehandelt haben“, sagte der Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier in einem
Interview zur Klimabilanz schon im Jahr 2020. Doch viele andere in der
Partei wollen diese Verantwortung bis heute nicht anerkennen. Lieber giften
sie gegen das Heizungsgesetz der Ampel. Die Union verspricht den Menschen,
ihnen die vermeintlichen Zumutungen des Klimaschutzes zu ersparen – und hat
damit Erfolg. In Berlin stellt sie nach einem Anti-Verkehrswende-Wahlkampf
den Bürgermeister – und der will Präventivhaft für Klimakleber und hält d…
Ausbau der Autobahn A 100 mitten durch die Stadt für „ganz entscheidend“.
Aus alldem ergibt sich das Bild einer Partei, die nie Programm-, sondern
immer in erster Linie Machtpartei war. Deshalb hat sie bis heute statt
einem echten Klimaschutzprogramm vor allem technokratische Luftschlösser
und einen unerschütterlichen Glauben an den Markt, der das Klima schon
retten werde, wenn man nur die richtigen Anreize setze.
Und deshalb kann sie auch der Versuchung nicht widerstehen, mit
populistischem Klimaschutzbashing die Macht zurückzuerlangen. Nicht
einfacher macht es der CDU ihr rechter Rand, für den Klimaschutz vor allem
ein weiteres Feld im Kulturkampf ist. Dass aus den Reihen der Partei
Habecks Heizungsgesetz als „Energie-Stasi“ attackiert wird, ist da nur
folgerichtig.
## Die grüne Union
Dabei gibt es innerhalb der Union auch Stimmen, die sich für den
Klimaschutz einsetzen: Marlon Bröhr etwa, Bundestagsabgeordneter und
Aufsichtsratsvorsitzender der „HunsrückSonne Kastellaun eG“, einer
Bürgerenergiegenossenschaft mit fast 150 Mitgliedern. Oder Andreas Jung,
der viele Jahre als Umweltpolitiker in der Fraktion arbeitete und heute
stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU und klima- und
energiepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist.
Und es gibt [6][Wiebke Winter].
Die zögert, als es darum geht, einen Interviewtermin zu machen, gar nicht
mal aus ideologischen Gründen. Eher wegen der Zeit. Die 27-Jährige ist in
den vergangenen vier Jahren das klimapolitische Gesicht der Union gewesen,
bundesweit. Nach dem Bremer Wahlkampf, in dem Winter neben dem Landwirt
Frank Imhoff das Spitzenduo für die Bürgerschaftswahl gebildet hatte,
büffelt Winter jetzt wieder Jura. Das zweite Staatsexamen fehlt ihr noch.
Ihr bislang größter Coup war die Gründung des Vereins „KlimaUnion“ – d…
sie stellvertretende Vorsitzende. Und, ja doch, mindestens solange Armin
Laschet im Wahlkampf 2021 Frontmann der Partei war, konnte es auf
Außenstehende so wirken, als würde Winter für voll genommen. Das Klimathema
hatte in Laschets Wahlprogramm Raum erhalten.
Sie nennt den „Zukunftskongress“ im Berliner Tempodrom Ende April als Beleg
für den klimapolitischen Aufbruch ihrer Partei. Ihr Vorsitzender Friedrich
Merz hatte zwar zeitgleich im Zeit-Interview mit der Einschätzung für
Aufsehen gesorgt, Klimaschutz werde überbewertet. Aber das ist eine
Wahrnehmung, die Winter falsch findet: „Manchmal habe ich den Eindruck,
dass die CDU in eine Ecke geschoben wird, in die sie aus meiner Sicht in
gar keinem Fall hingehört“, sagt sie. Klar gebe es Diskussionen um den
richtigen Weg zur Klimaneutralität, man sei schließlich Volkspartei. Aber
„für uns ist ganz klar, Deutschland muss bis 2045 klimaneutral werden“.
Es passt, das kann man als vorbildlich diszipliniert loben, kein Blatt
zwischen Winter und ihre Partei. Sie lobt die von ihrem Parteikollegen
Peter Liese federführend ausgehandelte Reform des Zertifikatehandels in
Brüssel und den „Green Deal“ von Kommissionspräsidentin Ursula von der
Leyen.
Im Bundestagswahlkampf forderte Winter, „dass der Einbau von Wärmepumpen
schnellstmöglich an Fahrt aufnimmt“, zudem „eine ambitionierte Novelle des
Gebäudeenergiegesetzes“. An der aggressiven Kampagne, mit der die Union
jetzt Stimmung dagegen gemacht hat, mag Winter trotzdem nichts falsch
finden. „Die Wärmewende kann nur funktionieren, wenn unsere Bevölkerung das
mitträgt und richtig findet“. Niemand sage ja, dass wir die Wärmewende
nicht brauchen, sagt Winter. Das Gesetze habe eben „handwerkliche Fehler“.
Diese zu benennen fällt der Juristin allerdings schwer. Es sei „viel zu
früh kommuniziert worden, es fehlten Einigungen zum sozialen Ausgleich und
es hat dadurch für Verunsicherung gesorgt“, das ist der einzige
substanzielle Vorwurf, der bleibt.
„Viele machen sich bei uns Gedanken, wie können wir klimaneutral werden“,
versichert Winter. Es sei wichtig, dass es in der Frage nicht nur den
Ansatz von Fridays for Future gebe, die glaubten, das kapitalistische
System überwinden zu müssen, um die Klimakatastrophe zu stoppen. „Wir sagen
dagegen: Nein, wir brauchen die soziale Marktwirtschaft, um klimaneutrale
Technologien auch zu exportieren.“
Eine klimaneutrale Welt, dank Marktwirtschaft und neuer Technologien,
weitgehend ohne Einbußen. Was Winter andeutet, sagt Friedrich Merz
deutlicher: Das Klimaproblem löse man „vor allem mit technischen
Innovationen“ und schlug die – in Deutschland bislang verbotene –
CO2-Abscheidung und -Verwertung vor.
Es sind solche Antworten, die CDUler gern geben: Kernfusion, E-Fuels,
negative Emissionen, Fracking. Technologieoffenheit statt „ideologischer
Denkverbote“. Die Vorschläge sind meist entweder nicht verfügbar oder
bringen dem Klima nichts. E-Fuels nennt die Fraunhofer-Gesellschaft „nicht
sinnvoll“, Kernfusion könnte frühestens in Jahrzehnten verfügbar sein,
Anlagen zur Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre ebenfalls.
Solche Vorschläge halten aber die Illusion aufrecht, dass die Menschen
ihren Lebensstil nicht ändern müssten. Es ist ein Konservatismus, der dem
Subjekt nichts zumuten mag – und damit die Natur zerstört.
Seit Jahren kündigt die Union ein neues Grundsatzprogramm an, um zu klären,
was genau ihr Kern heute sein soll – und was das für den Schutz des Klimas
heißt. Die Partei ist zerrissen zwischen halbwegs fortschrittlichen
Geistern wie Andreas Jung und Wiebke Winter und einem rechten Flügel, der
auf Kulturkampf setzt und in Richtung AfD abzurutschen droht.
## Es fehlt: eine Idee
Dirk van Laak ist Historiker an der Universität Leipzig. Er erforscht die
Geschichte der Technik und hat sich dabei mit technokratischen
Fortschrittsversprechen beschäftigt. Laak sagt, die Technokratie habe in
der Vergangenheit davon gelebt, der Gesellschaft Verbesserung durch
Effizienz und technische Rationalisierung zu verschaffen.
Heute lebt die Idee in dem Versprechen fort, die Rettung des Klimas durch
Technologie mit dem Erhalt des Wohlstandes vereinen zu können – eine vor
allem bei Konservativen beliebte Antwort auf die Krise. Deren Wurzeln
reichen zurück zum „technokratischen Konservatismus“ der 1960er Jahre. Und
so stecken Konservative „ganz natürlich in den Gedankenspuren der
Wachstumsgesellschaft und wollen davon ungern lassen“, sagt van Laak. Diese
Haltung ziehe eine starke Überzeugungskraft daraus, dass die Technologie
200 Jahre lang so erfolgreich war, dass sie alle anderen Lebensmodelle
beiseitegeräumt habe.
Das Beharren auf Wachstum und der Glaube an die Technik sticht im modernen
Konservatismus den Gedanken an die Bewahrung der Schöpfung aus. Dabei sei
der Grundgedanke des Konservatismus, dass sich das „Neue gegenüber dem
Alten zu rechtfertigen hat“, sagt van Laak. Doch im technokratischen
Konservatismus jüngerer Spielart stecke die utopische Erwartung, die Dinge
schon irgendwie mit neuer Technik lösen zu können. Es sei „ein Optimismus,
der dem Konservatismus nicht zu eigen sei“, sagt van Laak.
Was der Union fehlt, ist jede Idee für eine postfossile Gesellschaft.
Deshalb hält sie an Verbrennermotoren fest, die Deutschlands Wirtschaft
groß machten, die aber in der Welt von morgen niemand fahren wird. Und
darin ist sie ein Spiegel weiter Teile der Gesellschaft, die sich ebenso
schwer damit tun, eine neue Wirtschafts- und vielleicht auch Lebensweise
anzunehmen.
Transparenzhinweis: Wiebke Winter hat 2021 das Buch „Deutschland 2050.
Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird“ von taz-Autor Nick Reimer
vorgestellt.
11 Jun 2023
## LINKS
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[3] /Wirtschaftsrat-der-CDU/!5754798
[4] https://www.lobbycontrol.de/studie-wirtschaftsrat/
[5] /Staatssekretaer-verschwieg-Kontakte/!5769458
[6] /CDU-Politikerin-zur-Klimakrise/!5815044
## AUTOREN
Sabine am Orde
Christian Jakob
Nick Reimer
Benno Schirrmeister
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