| # taz.de -- 100 Tage Atomausstieg: Deutschlands Bilanz kippt | |
| > Deutschland importiert derzeit mehr Strom, als es exportiert. Doch das | |
| > liegt nicht allein an der Abschaltung der letzten AKWs. | |
| Bild: Von hier kommt der Importstrom: Offshore-Windkraftanlagen in Dänemark | |
| Freiburg taz | Die Bilanz nach 100 Tagen [1][Atomausstieg] zeigt, dass | |
| Deutschland zunehmend Strom importiert. Nachdem das Land in den Monaten | |
| Januar bis März noch einen Exportüberschuss von neun Terawattstunden (TWh) | |
| erzielte, kippten nach einem weitgehend ausgeglichenen April die Monate Mai | |
| bis Juli deutlich in Richtung Import. | |
| Mit einem Saldo von 3,0 beziehungsweise 3,7 TWh waren der Mai und der Juni | |
| sogar die importstärksten Monate überhaupt in den Energy-Charts, die vom | |
| Fraunhofer ISE in Freiburg bereitgestellt werden. In der bisherigen | |
| Gesamtbilanz des laufenden Jahres gleichen Importe und Exporte sich noch | |
| aus. | |
| In der Stromhandelsbilanz spiegelt sich einerseits [2][die Abschaltung der | |
| letzten drei Atomkraftwerke] wider, denn dadurch reduzierte sich die | |
| hiesige Stromerzeugung um zwei bis drei TWh pro Monat. Andererseits ist die | |
| Entwicklung auch vom typischen jahreszeitlichen Verlauf geprägt. Denn das | |
| Winterhalbjahr ist für Deutschland traditionell sehr exportstark, während | |
| es im Sommer auch in der Vergangenheit schon Monate mit Importüberschuss | |
| gab. | |
| Da die sommerlichen Importe aber nun deutlich gestiegen sind, könnte | |
| Deutschland erstmals seit 2002 am Ende des Jahres unterm Strich wieder ein | |
| Importland sein. Gleichwohl heißt das nicht, dass hierzulande die | |
| Kraftwerke fehlen. Die grenzüberschreitenden Stromflüsse ergeben sich | |
| nämlich in der Regel nicht aufgrund eines Mangels an Erzeugungskapazitäten, | |
| sondern aus der ökonomischen Logik heraus. | |
| ## Wenn Strom im Ausland billiger ist, wird importiert | |
| Wenn der Strom im Großhandel in Nachbarländern billiger ist und die | |
| Netzkapazitäten es erlauben, dann werden Kraftwerke im eigenen Land | |
| gedrosselt und es wird Strom importiert. Konkret hieß das im vergangenen | |
| Quartal, dass Deutschland vor allem in Dänemark, Norwegen, Frankreich und | |
| den Niederlanden Strom einkaufte, weil dort die Preise oft niedriger waren | |
| als hierzulande. | |
| Dass Deutschland seine Kapazitäten in den letzten Monaten längst nicht | |
| ausnutzte, zeigt sich daran, dass die Stromerzeugung der fossilen | |
| Kraftwerke im zweiten Quartal auf den zweitniedrigsten Stand bisher fiel. | |
| Lediglich im zweiten Quartal 2020, das durch den Corona-Lockdown geprägt | |
| war, produzierten sie weniger. | |
| Aus Sicht des Klimaschutzes kann man die Importe sogar positiv sehen. Denn | |
| mit Ausnahme der Niederlande verfügen jene Länder, die Deutschland zuletzt | |
| vor allem belieferten, über einen deutlich CO2-ärmeren Strommix: Dänemark | |
| durch seine Windkraft und Norwegen durch seine Wasserkraft und | |
| [3][Frankreich durch seinen Atomstrom]. | |
| Mit welchem Vorzeichen die deutsche Strombilanz für 2023 enden wird, ist | |
| zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar, denn auch in diesem Herbst dürften die | |
| Exporte wieder zunehmen. Ob am Ende ein Plus oder Minus steht, wird dann | |
| vor allem in einer Hinsicht relevant sein: Die jeweiligen Akteure werden | |
| die Bilanz als Symbol werten – im Jahr des Atomausstiegs. | |
| 24 Jul 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bernward Janzing | |
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