# taz.de -- Streitgespräch über ein Verbot der AfD: „Wir brauchen eine Atem… | |
> Die AfD wird immer radikaler. Hilft jetzt nur noch ein Verbot? Marco | |
> Wanderwitz von der CDU und Sebastian Fiedler von der SPD streiten | |
> darüber. | |
Bild: Soll diese Partei verboten werden? Überklebtes Wahlplakat 2021 in Berlin | |
wochentaz: Herr Wanderwitz, Sie wollen ein AfD-Verbotsverfahren auf den Weg | |
bringen und suchen dafür Mitstreiter im Bundestag. Warum ist das der | |
richtige Weg? | |
Marco Wanderwitz: Es hat ja einen guten Grund, dass uns das Grundgesetz die | |
Möglichkeit zu einem Parteiverbot gibt: Weil eine wehrhafte Demokratie | |
gegen ihre größten Feinde auch ganz scharfe Schwerter führen muss. Ich bin, | |
auch durch Erfahrungen aus meiner sächsischen Lebenswirklichkeit, zu dem | |
Ergebnis gekommen, dass die AfD mittlerweile unzweifelhaft rechtsradikal | |
ist. Dass sie wirklich Böses im Schilde führt und das auch ernsthaft | |
betreibt. Deshalb ist das Verbotsverfahren der richtige Weg. Und da neben | |
der Bundesregierung und dem Bundesrat auch der Bundestag, zu dem ich | |
gehöre, einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht stellen kann, | |
sammle ich dort Unterstützer. Der Antragsentwurf liegt hier vor mir. | |
Wären Sie dabei, Herr Fiedler? | |
Sebastian Fiedler: Nein, Stand heute bin ich nicht dabei – aus juristischen | |
und politischen Gründen. Ich bin kein Verfassungsjurist, aber nach allem, | |
was ich weiß, darf man durchaus Zweifel haben, ob ein solches Verfahren | |
erfolgreich wäre. Für ein Verbot reicht es nicht, wenn sich eine Partei | |
gegen die Menschenwürde, Demokratie und den Rechtsstaat richtet. Da | |
müssten, bildlich gesprochen, schon Waffenarsenale im Keller liegen – es | |
muss ein aggressives Vorgehen gegen den demokratischen Rechtsstaat | |
nachgewiesen werden können. Aber selbst der Verfassungsschutz hat die AfD | |
erst in zwei Bundesländern als erwiesen rechtsextrem eingestuft. Man kann | |
also alles andere als siegesgewiss nach Karlsruhe gehen. Und ein | |
erfolgloses Verfahren wäre eine Katastrophe. | |
Schon 2017 scheiterte ein NPD-Verbotsverfahren. Das | |
Bundesverfassungsgericht attestierte der Partei zwar, verfassungsfeindlich | |
zu sein – aber zu durchsetzungsschwach, um die Demokratie wirklich | |
angreifen zu können. | |
Wanderwitz: Es stimmt, man kann nicht sicher sein und ein nicht gelingendes | |
Verfahren wäre eine ziemliche Katastrophe. Aber in der Abwägung würde ich | |
dieses Risiko eingehen. Ohne Verbotsverfahren werden wir die AfD nicht mehr | |
los. Jetzt haben sie nur einen Landrat und einen Bürgermeister. Aber ich | |
fürchte, der erste Ministerpräsident in einem ostdeutschen Bundesland ist | |
nicht mehr fern. Zu einer absoluten Mehrheit könnten zum Beispiel in | |
Thüringen gut 40 Prozent reichen, wenn SPD, FDP und Grüne an der | |
Fünfprozenthürde scheitern. Ich höre jetzt oft, bei diesen | |
Zustimmungswerten für die AfD kann man ein Verbot nicht mehr machen. Vorher | |
aber hieß es, das ist alles noch beherrschbar. Ich befürchte nur, die Zeit | |
dazwischen hat es nie gegeben. | |
Fiedler: Es darf aber doch nicht der Eindruck entstehen, dass wir mit einem | |
Verbotsverfahren den bequemeren Weg wählen, weil wir es anders nicht | |
hinbekommen. | |
Wanderwitz: Wir würden ja nicht beschließen, einen politischen Mitbewerber | |
zu verbieten. Sondern wir leiten ein rechtsstaatliches Verfahren ein, an | |
dessen Ende das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Wir brauchen eine | |
Atempause für die Demokratie. Die AfD in den Parlamenten treibt uns jeden | |
Tag vor sich her. Sie hat Tausende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, | |
die 24 Stunden am Tag vom Steuerzahler bezahlt das Internet und die | |
Parlamente mit rechtsradikalen Inhalten fluten. | |
Fiedler: Herr Wanderwitz, Ihr Parteifreund Norbert Lammert hat einmal | |
sinngemäß den klugen Satz gesagt: Demokratische Rechtsstaaten – er | |
ergänzte: insbesondere gut funktionierende Rechtsstaaten – sind gegen das | |
Wahlverhalten der eigenen Bevölkerung nicht gefeit. Für dieses | |
Wahlverhalten sind aber alle Parteien verantwortlich. Wir müssen Konzepte | |
anbieten, die überzeugen – hier und jetzt. Natürlich versucht die AfD, den | |
Staat von innen heraus anzugreifen, aber der Rechtsstaat ist wehrhaft. | |
Wanderwitz: Der Rechtsstaat war nicht in der Lage, die AfD-Politikerin | |
[1][Birgit Malsack-Winkemann aus dem Richteramt zu entfernen], jetzt muss | |
sie sich bald [2][wegen Terrorverdachts vor Gericht] verantworten. | |
Fiedler: Das stimmt. Aber wir hatten [3][an anderer Stelle eine | |
Rechtsprechung, nach der der ehemalige AfD-Abgeordnete Jens Maier jetzt | |
nicht mehr auf einem Richterstuhl sitzt.] Gerade erst haben wir im | |
Bundestag festgelegt, dass bei Schöffinnen und Schöffen das Bekenntnis zur | |
freiheitlich demokratischen Grundordnung ganz klar sein muss. Wir haben | |
[4][das Gesetz zu den parteinahen Stiftungen] auf den Weg gebracht, womit | |
es nun eine aktive Verfassungstreue braucht, um finanziert zu werden – für | |
alle Parteien. Und bei dieser Wehrhaftigkeit des Rechtsstaats würde ich | |
gerne noch nachschärfen. | |
Wo denn? | |
Fiedler: Wir müssen eine Lücke beim Verfassungsschutz schließen und ihn in | |
die Lage versetzen, bei der Finanzierung von nicht gewaltorientiertem | |
Extremismus hinzugucken. Bisher kann er das, vereinfacht gesprochen, nur | |
bei der Terrorismusfinanzierung. Eine zusätzliche Befugnis zur Überwachung | |
von Extremismusfinanzierung ist aber nicht nur für die Aufklärung des | |
Rechtsextremismus, sondern etwa auch beim Islamismus relevant. Wenn wir | |
über Schwerter des Rechtsstaats sprechen, dann haben wir das noch nicht | |
ausgepackt. Gerade bei der AfD ist oft unklar, woher ihre Gelder kommen, | |
vielleicht auch aus Russland oder anderswo. | |
Wanderwitz: Absolut, das sehe ich auch so. | |
Die Frage ist: Reicht das? | |
Fiedler: Ich habe nicht gesagt, dass das reicht. Ich habe Beispiele | |
genannt, die zeigen, dass wir durchaus etwas tun. Aber wir haben eine | |
Partei, die schon jetzt bundesweit 20 Prozent der Wählerstimmen auf sich | |
vereint, in manchen Bundesländern deutlich mehr. Das Verfahren würde Jahre | |
dauern. In dieser Zeit würde sich die AfD noch mehr in die Opferrolle | |
begeben, als sie das ohnehin schon tut. | |
Wanderwitz: Ich glaube auch, dass sie noch ein bisschen lauter schreien | |
würden. Aber es wäre nur ein weiterer Teil der AfD-Erzählung, dass wir sie | |
undemokratisch aus dem Weg räumen wollen. Und ich bin überzeugt, dass die | |
AfD im Grunde große Angst vor dem Verbotsverfahren hat. | |
Fiedler: Aber in den USA sehen wir ja, dass Gerichtsverfahren den | |
Rechtsaußen nicht unbedingt schaden müssen. Dort laufen strafrechtliche | |
[5][Verfahren gegen Trump und es stärkt ihn]. Ich habe Sorge, dass das hier | |
auch so wäre. Deshalb überwiegt bei mir die Skepsis. Außerdem diskutieren | |
Sie nur das bestmögliche Szenario, Herr Wanderwitz. Ein schlechteres wäre, | |
dass sich die AfD durch das Verfahren weiter radikalisiert. Und ich würde | |
nicht ausschließen, dass durch weitere Krisen – im Osten, bei der | |
wirtschaftlichen Entwicklung oder Arbeitslosigkeit – dann noch ganz andere | |
Bekloppte zusammenkommen, wie wir das in der Coronazeit gesehen haben. Dann | |
würde ein reines AfD-Verbot auch nichts helfen. | |
Wanderwitz: Es ist zu befürchten, dass sich die AfD durch ein | |
Verbotsverfahren noch weiter radikalisiert. Aber das würde nicht den großen | |
Unterschied machen. Für mich bleibt die Abwägung: Was kann ich gewinnen und | |
welche Gefahren lauern auf dem Weg dahin? | |
Herr Wanderwitz, sehen Sie das aggressive Vorgehen der AfD eher, weil Sie | |
aus Sachsen kommen – und nicht aus NRW wie Herr Fiedler? | |
Wanderwitz: Ja, das ist bei uns schon deutlicher zu sehen. In Sachsen steht | |
die AfD bei 35 Prozent, vielerorts bestimmt sie den Ton und der ist | |
brachialer als im Westen. Der AfDler bei mir zu Hause hat 2019 bei der | |
Aufstellungsversammlung zur Bundestagswahl gesagt, dass man die, die jetzt | |
in den Parlamenten sitzen, jagen und erlegen muss. | |
Fiedler: Das hat [6][Alexander Gauland] so ähnlich auch gesagt. | |
Wanderwitz: Genau. Und dann hat der Mann aus meiner Heimat noch dazu | |
gesagt, dass man sie rausschlagen muss aus den Parlamenten. So etwas findet | |
man bei fast allen, man muss nur ein bisschen googeln. Die Moderaten in der | |
AfD sind alle aufgefressen worden. [7][Maximilian Krah, den | |
AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl,] den kenne ich seit 30 Jahren, | |
wir waren mal gemeinsam in der Jungen Union. Da war das ein anderer Mensch. | |
Fiedler: Ich glaube, bei der Bewertung der AfD haben wir keine zwei | |
Meinungen. | |
Wanderwitz: Ich erlebe in Sachsen regelmäßig bei Veranstaltungen, auch mit | |
unserem Ministerpräsidenten, dass uns brennender Hass entgegenschlägt, wir | |
werden angeschrien und bedroht. Da bin ich froh, dass vor der Tür eine | |
Hundertschaft zwischen denen und uns steht. Das ist schon etwas, das sich | |
in etwa anfühlt, wie ich mir den Beginn der 30er Jahre vorstelle. | |
Aber die vor der Tür, das sind doch vor allem Leute der rechtsextremen | |
Kleinpartei Freie Sachsen, oder? | |
Wanderwitz: Ja, aber auch AfD-Mitglieder. Und wenn es gegen uns Demokraten | |
geht, legen die eh zusammen. Die AfD saugt ja alles auf, was es im | |
rechtsradikalen Spektrum gibt. Nehmen wir diesen Herrn [8][Halemba im | |
bayerischen Landtag], der im Gästebuch seiner Burschenschaft mit „Sieg | |
Heil“ unterschrieben haben soll. Auch diese Leute sind in der AfD dezidiert | |
willkommen. Da will man noch den letzten Hitler-Wiedergänger abholen, um am | |
Ende das Land umzukippen. | |
Für ein erfolgreiches Verbotsverfahren braucht es laut | |
Bundesverfassungsgericht nicht unbedingt Waffen und Gewalt, sondern ein | |
planvolles Vorgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung | |
abzuschaffen … | |
Wanderwitz: Ich beziehe mich vor allen Dingen auf Artikel 1 des | |
Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das hat ja auch der | |
Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt gerade in den Mittelpunkt gestellt, als | |
er die dortige AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft hat. Die übergroße | |
Zahl der AfD-Mitglieder vertritt ein Bild vom Menschen und vom Volk, das | |
nicht zu unserem Grundgesetz passt. Da soll eine Bundestagsvizepräsidentin, | |
Aydan Özoguz, die in Hamburg geboren und deutsche Staatsbürgerin ist, „in | |
Anatolien entsorgt“ werden, weil sie einen türkischen Migrationshintergrund | |
hat. Die große Frage ist: Glauben wir, dass die AfD in dem Moment, wo sie | |
die Möglichkeit hätte, das auch in die Tat umsetzen würde? Die AfD kommt | |
etwas schafspelziger daher als die NPD, aber sie ist genauso gefährlich. | |
Lässt sich dieses planvolle Vorgehen der AfD wirklich vor Gericht beweisen? | |
Fiedler: Das ist genau die Schwierigkeit. Man muss das dem Gericht ganz | |
objektiv in vielen Akten belegen. | |
Wanderwitz: Wir wissen, dass Rechtsprechung änderungsfähig ist. Insofern | |
geht es auch um eine Einschätzungsfrage des Bundesverfassungsgerichts. Es | |
ist eben schwer zu sagen, ob es reicht oder nicht. Aber jeder Tag und jede | |
Stunde, die wir hier im Bundestag Debatten führen, bestehen daraus, dass | |
die AfD unsere Demokratie und ihre Institutionen verächtlich macht. Das ist | |
genau das planvolle Vorgehen. Ich schieße die Demokratie so lange | |
sturmreif, bis die Wählerinnen und Wähler mich mit solch großen Mehrheiten | |
wählen, dass ich sie dann von innen zerstören kann. | |
Fiedler: Beim Verächtlichmachen des Rechtsstaats sind wir uns einig. Aber | |
das ist ja nicht die Frage, sondern die beabsichtigte Abschaffung muss | |
belegt werden. Nun kenne ich die vielen Akten nicht, die der | |
Verfassungsschutz über die AfD angelegt hat. Aber die Dinge, die dort vor | |
Gericht präsentiert werden müssen, sind komplizierter in der Beweisführung, | |
als zu sagen, die machen den Rechtsstaat verächtlich. Und natürlich dürfen | |
wir nicht nur auf Deutschland schauen, sondern auch nach Europa. In der EVP | |
etwa … | |
… der Europäischen Volkspartei, zu der die CDU gehört. | |
Fiedler: In der EVP wird das ganz anders diskutiert. Dass Manfred Weber von | |
der CSU mit Berlusconi Wahlkampf für eine Postfaschistin macht, das wäre | |
hier hoffentlich undenkbar. Aber egal ob in Europa oder bei uns, die | |
Strategien sind dem Grunde nach gleich. Die Rechtsextremen leben von den | |
Krisen, Angst steht im Mittelpunkt. Wenn wir uns jetzt nicht aktuell mit | |
Migrationsfragen zu befassen hätten, wären die Umfragewerte bei 8 Prozent | |
Wanderwitz: Das glaube ich nicht. Die AfD wäre trotzdem zweistellig, | |
natürlich wäre die Bedrohungslage kleiner. Aber das ist sie nicht – und | |
wird sie kurzfristig wohl auch nicht. Zu der großen Krise des russischen | |
Angriffskriegs in der Ukraine ist jetzt die Krise im Nahen Osten | |
dazugekommen. Und wir wissen nicht, was als Nächstes kommt. So lange sitzt | |
die AfD im Sauerstoffzelt. Was Europa betrifft: Da haben wir ein schönes | |
Beispiel dafür, wie es schon einmal so geklappt hat, wie ich mir das | |
vorstelle: das Verbot der Goldenen Morgenröte in Griechenland. Danach haben | |
viele deren Wählerinnen und Wähler wieder demokratische Parteien gewählt – | |
weil eben die Rechtsradikalen nicht mehr wählbar waren. Zwar gibt es jetzt | |
eine neue rechtsradikale Partei, die bei 5 oder 6 Prozent liegt. Aber da | |
hat es diese Atempause für die Demokratie gegeben. | |
Fiedler: Die AfD jetzt zu verbieten, ist doch eine Operation am offenen | |
Herzen, das sollten wir uns wirklich gut überlegen. | |
Wanderwitz: Ich dachte auch, wir kriegen die schon klein. Wir machen gute | |
Politik, wir reden mit den Menschen, wir vermitteln den Wert der | |
Demokratie. Das haben wir auch gemacht – und jetzt steht die AfD bei 20 | |
plus bundesweit. Und wir haben [9][eine Europawahl] vor der Brust, wo der | |
AfD-Mobilisierungsslogan ist, von Herrn Höcke benannt: „Diese EU muss | |
sterben, damit das wahre Europa leben kann.“ Nazisprech, ganz bewusst | |
natürlich. Und wenn wir Pech haben, wird die AfD da bundesweit stärkste | |
Partei. Wir müssen dringend anfangen mit diesem Verfahren, bevor die Sache | |
uns über den Kopf wächst. | |
Das Deutsche Institut für Menschenrechte kommt in einer [10][Analyse zu dem | |
Schluss, dass ein Verbot möglich ist.] Der Verfassungsschutz hat aber nur | |
zwei AfD-Landesverbände, [11][Thüringen und Sachsen-Anhalt, als erwiesen | |
rechtsextrem eingestuft.] Wäre nicht der erste Schritt, dass der | |
Verfassungsschutz die ganze Partei als gesichert rechtsextrem einstuft? | |
Wanderwitz: Natürlich ist der Verfassungsschutz eine Institution, die eine | |
wichtige Rolle spielt. Aber dessen Einstufung hat nur Indiz-Charakter für | |
Karlsruhe. Die AfD hat gegen die Einstufung der Gesamtpartei als | |
rechtsextremer Verdachtsfall geklagt, die Sache liegt jetzt seit anderthalb | |
Jahren beim Oberverwaltungsgericht Münster. Nach den Einlassungen von | |
Verfassungsschutzpräsident Haldenwang rund um den letzten AfD-Parteitag | |
denke ich schon, dass der Tag der Einstufung der gesamten AfD als erwiesen | |
rechtsextrem gar nicht so fern ist. Und da hat mich sehr gefreut, Herr | |
Fiedler, dass Ihre Parteichefin Saskia Esken gesagt hat, wenn dieser Fall | |
eintritt, dann spricht viel dafür, ein Verbotsverfahren auf den Weg zu | |
bringen. | |
Fiedler: Das entbindet uns trotzdem nicht davon, uns über die politischen | |
Notwendigkeiten Gedanken zu machen. Wie können wir Lösungen für die | |
Probleme herbeiführen, die die Leute überzeugen? Und ich sehe ein Defizit: | |
Es wird viel zu wenig über die teils absurden Inhalte der AfD gesprochen. | |
Ein Beispiel: Wenn die Partei einen Austritt aus der EU fordert und | |
gleichzeitig den Einsatz von Frontex im Mittelmeer – das passt nicht | |
zusammen. Wenn wir immer nur rufen, das sind Rechtsextreme, dann schalten | |
viele Menschen inzwischen ab. | |
Wanderwitz: Aber Sie müssen auch sehen: [12][Laut Mitte-Studie lag der | |
Anteil derer, die ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben, zuletzt | |
bei 8 Prozent] – in den ostdeutschen Bundesländern dürften es doppelt so | |
viel sein. Die wählen die AfD, weil sie so rechtsradikal ist. Die werden | |
bedient mit der Aussage, unsere Obergrenze bei der Aufnahme von | |
Flüchtlingen ist null. Die wollen selbst Leuten in der dritten Generation | |
die Pässe wegnehmen oder denen, die anders aussehen oder Muslime sind. | |
Diese Menschen können wir nicht abholen, sondern nur dagegenhalten. | |
Fiedler: Diese Leute habe ich auch nicht gemeint. | |
Wanderwitz: Aber die sind halt verdammt viele. | |
Aber deren Einstellungen bekommen Sie auch mit einem Verbot nicht weg. | |
Wanderwitz: Beim harten Kern nicht. Aber ich würde ihnen mit dem Verbot | |
ihren parlamentarischen Arm aus dem Spiel nehmen. Und ich glaube schon, | |
dass ein Verbot bei einer nicht kleinen Zahl von Leuten noch mal etwas | |
macht. | |
Es gäbe ja auch Alternativen: nur ein Teilverbot von besonders extremen | |
Landesverbänden wie der Thüringer AfD. Oder einen Entzug der | |
Parteienfinanzierung. Wäre nicht auch das ein gangbarer Weg? | |
Fiedler: Finanzen streichen ist aus meiner Sicht ein super Punkt, | |
definitiv. Das halte ich für eines der schärfsten Schwerter, die man auch | |
nutzen sollte. Beim gescheiterten NPD-Verbotsverfahren hatte das | |
Bundesverfassungsgericht diesen Weg ja explizit vorgeschlagen und der wird | |
bei dieser Partei ja auch bereits gegangen. | |
Wanderwitz: Natürlich, alles hilft. Vielleicht kommt am Ende ein Teilverbot | |
der AfD heraus. Das kann der Bundestag aber rechtlich bisher nicht in | |
Karlsruhe beantragen, sondern das kann nur dort entschieden werden. | |
Herr Wanderwitz, Sie brauchen 37 Abgeordnete für einen Verbotsantrag. Wie | |
viele haben Sie denn schon? | |
Wanderwitz: Ich führe viele Gespräche, auch in den Ampelfraktionen. Und wir | |
zwei, Herr Fiedler, haben ja jetzt auch gesprochen. | |
Hat Marco Wanderwitz Sie überzeugt, Herr Fiedler? | |
Fiedler: Nein, Stand heute nicht. | |
Herr Wanderwitz, Ihr eigener Fraktions- und Parteichef, Friedrich Merz, ist | |
gegen ein AfD-Verbotsverfahren. | |
Wanderwitz: Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass ich ihn für das Thema | |
gewinnen kann. Viele Kolleginnen und Kollegen ringen mit dieser Frage. Wir | |
sind als Abgeordnete nur unserem Gewissen verpflichtet. Und Gruppenanträge | |
im Bundestag sind nicht so selten. Ich sag mal so: Es wird. | |
19 Nov 2023 | |
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