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# taz.de -- Verbot der AfD?: Abgebrühte Liberalität
> Extremismus politisch bekämpfen? Muss man sich leisten können. Auf ein
> AfD-Verbotsverfahren zu verzichten hieße, die Leidtragenden im Stich zu
> lassen.
Bild: Ist das AfD-Verbot eine Sackgasse? Oder die AfD für diese Demokratie?
Personaltableau, politische Agenda und Agieren belegen: Die AfD ist fest im
Griff rechtsextremistischer Mitglieder, die die Partei strategisch
ausrichten und steuern. Jüngst wurde daher auch ein Parteiverbot ins Spiel
gebracht. Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer
Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu
beeinträchtigen oder zu beseitigen, sind [1][nach Artikel 21 Absatz 2] des
Grundgesetzes verfassungswidrig.
Über ein Verbot entscheidet aber ausschließlich das
Bundesverfassungsgericht, das die Hürden hoch gehängt hat, auch um der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Rechnung zu
tragen.
Das Gericht hatte 2017 in seiner Entscheidung über den NPD-Verbotsantrag
mit Verweis auf den „Ausnahmecharakter des Parteiverbots“ konkrete
Anhaltspunkte von Gewicht gefordert, dass eine Partei mit ihrer
verfassungsfeindlichen Agenda am Ende erfolgreich sein könnte.
Das führt zum bekannten Dilemma: Ist eine Partei zu klein und bedeutungslos
(wie damals die NPD), scheitert ein Verbot, weil es noch keines Schutzes
der Verfassung bedarf. Ist eine Partei hingegen erst einmal fest in den
Parlamenten verankert und gewinnt an Stimmenanteilen, ist ein Verbot damit
belastet, unmittelbar in den demokratischen Prozess einzugreifen und
demokratisch errungene Repräsentation zu beschneiden.
Pflichtschuldig wird hierauf klassisch liberal geantwortet: [2][Man müsse
Extremismus politisch bekämpfen, nicht autoritativ mit Verboten]. So viel
Liberalität muss man sich leisten können. Die Verteidigung des
demokratischen Rechtsstaats ist kein Seminar in Politischer Theorie,
sondern pragmatischer Ausgleich auf Zeit, ein muddling through, das
fortwährend Risiken abwägen muss. Liberales Urvertrauen in die Vernunft des
politischen Diskurses kann unvernünftig sein, weil Demokratie immer mit den
Menschen leben muss, die sie nun einmal hat.
Demokratie ist [3][voluntaristisch], aufgeklärte Rationalität ist nicht
garantiert. Es gibt eben nicht wenige Menschen, die die antidemokratische
oder rassistische Ideologie einer Partei nicht abschreckt, vielleicht auch
in der Fehlannahme, selbst dadurch nichts zu verlieren. Die Kosten
abgebrühter Liberalität sind meist auch recht ungleich verteilt. Die ersten
Leidtragenden sind vor allem vulnerable Personengruppen, die längst als
Feindbild markiert wurden und dann Repressalien unterworfen werden.
Ausgangs- und Fluchtpunkt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung,
so hat es das Bundesverfassungsgericht [4][in seiner NPD-Entscheidung]
herauspräpariert, ist die Menschenwürde. Das Gericht stellt
unmissverständlich klar, dass ein ethnischer Volksbegriff, Rassismus und
Antisemitismus die Menschenwürde verletzen. Zur Menschenwürde gehört aber
auch die elementare Rechtsgleichheit. „Menschenwürde ist egalitär“, so das
Gericht. Das bedeutet zwar nicht, die – von der Verfassung explizit
vorausgesetzte – Staatsangehörigkeit aufzugeben, die Unterschiede in der
politischen Teilhabe (wie vor allem das Wahlrecht) rechtfertigt.
Würdewidrig sind aber kategorial ausgrenzende oder demütigende
Diskriminierungen. Die Menschenwürde verletzen würde es, Menschen aufgrund
ihrer Herkunft oder rassistischer Zuschreibungen eine Mitgliedschaft im
deutschen Staatsvolk abzusprechen oder unzumutbare Zugangshürden zur
deutschen Staatsangehörigkeit zu errichten. Auch „ethnopluralistische“
Positionen, die zwar als anders markierten Menschen nicht generell eine
gleiche Würde abzusprechen meinen, sie aber diskriminierend auf
vermeintliche Heimatterritorien verbannen oder kulturell segregieren
wollen, verletzen die Menschenwürde.
## Verbot einzelner Landesverbände möglich
Ein Nachweis, dass jedenfalls prägende Kräfte in der AfD einem solchen
ethnisch-identitären Volksverständnis anhängen und im Falle der
Herrschaftsbeteiligung hieraus auch Konsequenzen ziehen würden, dürfte
nicht sonderlich schwer zu führen sein. Manche Landesverbände agieren ganz
offen rechtsextremistisch und kokettieren mit dem Willen zum Systemumsturz.
Die Verfassung ließe es durchaus zu, Verbotsverfahren gegen einzelne
Landesverbände einzuleiten. Ob ein Parteiverbotsverfahren – das lange Zeit
beim Bundesverfassungsgericht anhängig wäre – ein probates Mittel ist,
Rechtsextremismus einzudämmen, oder am Ende nur ein Forum bietet, sich als
Systemopfer darzustellen, muss politisch gut abgewogen werden.
Die Einleitung eines Verbotsverfahrens steht im politischen Ermessen.
Beherztes Vorgehen, mit dem sich die Demokratie wehrhaft zeigt, müsste aber
rechtzeitig erfolgen. Hat die AfD mit demokratischen Mitteln erst
Herrschaftsteilhabe erlangt, ist es zu spät.
## Die ersten Opfer wären die Schwächeren
Menschenwürde ist auch ein Schutzversprechen. Menschenwürde verweist auf
Zerbrechlichkeit, auf die Verwundbarkeit der Menschen. Sie ist nicht das
Recht des Stärkeren, sondern der Schwächeren. Demokratische Egalität wird
nicht erst konkret gefährdet, wenn Extremisten Machtmittel einsetzen; sie
ist bereits gestört, wenn Teile der Bevölkerung am demokratischen Prozess
nur noch unter einer Kulisse der Einschüchterung teilnehmen können und bei
einer politischen Wende die ersten Opfer wären, mit denen man „aufräumt“.
Auf ein mögliches Parteiverbotsverfahren zu verzichten, kann daher auch
bedeuten, diese Menschen im Stich zu lassen.
Demokratie, Rechtsstaat und Menschenwürde sind weder mit altlinker
Staatsskepsis noch mit liberalem Vernunftvertrauen allein zu schützen,
sondern nur mit resilienten Institutionen. Diese müssen im Krisenfall
bereit sein, robust zu handeln, um eine Unterwanderung oder feindliche
Übernahme abzuwehren. Das ist traditionell eher konservatives
Institutionenvertrauen at its best. Mit dem demokratischen Rechtsstaat gibt
es etwas zu bewahren, auf das alle Menschen angewiesen sind, die ihr
Miteinander auf der Grundlage gleicher Freiheit gestalten wollen.
11 Aug 2023
## LINKS
[1] /Studie-zur-AfD/!5939276
[2] /Moegliches-Verbot-der-Partei/!5944180
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Voluntarismus
[4] /Fortschreitende-Radikalisierung-der-AfD/!5948233
## AUTOREN
Klaus Ferdinand Gärditz
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