| # taz.de -- Migration neu denken: So könnte eine humane Fluchtpolitik aussehen | |
| > Seit Jahren dominieren Rechte und Konservative das Thema Einwanderung. | |
| > Dabei ginge es auch anders. | |
| Bild: Protest beim Migrationsgipfel der EU-Innenminister*innen auf der Zugspitz… | |
| Progressive Fluchtpolitik ist in Deutschland gelebte Realität. Zumindest | |
| von unten: Ehrenamtliche bringen geflüchteten Kindern Deutsch bei, | |
| Geflüchtete kämpfen dafür, Teil dieser Gesellschaft zu bleiben und nicht | |
| abgeschoben zu werden, Gemeinden gewähren ihnen Kirchenasyl. Menschen | |
| unterstützen sich gegenseitig, um Leistungskürzungen oder Arbeitsverbote zu | |
| überbrücken. | |
| 2015 sah es kurz so aus, als ob auch die Politik und die Mitte der | |
| Gesellschaft eine Wende hin zu mehr Menschlichkeit in der | |
| Migrationspolitik vollführen könnte. Die Neuankömmlinge wurden an den | |
| Bahnhöfen beklatscht und sogar CDU-Politiker*innen inszenierten sich damals | |
| als Flüchtlingshelfer*innen. | |
| Plötzlich schien es gar nicht mehr so utopisch, über sichere Fluchtrouten | |
| zu sprechen, oder dauerhaften Familiennachzug, über ein Ende der | |
| Massenunterkünfte, freien Zugang zum Arbeitsmarkt und die Abkehr von | |
| Abschiebungen. Sie schien greifbar: eine Fluchtpolitik, in der Grenzen ihre | |
| Macht über Menschen verlieren – sowohl die Zäune und Mauern auf dem Weg, | |
| als auch die versperrten Zugänge zu einem selbstbestimmten Leben mit | |
| Teilhabe. | |
| Von dieser Hoffnung ist nicht viel übrig. Im Mai dieses Jahres ordnete | |
| CSU-Bundesinnenminister Alexander Dobrindt die Zurückweisung von | |
| Asylsuchenden an deutschen Grenzen an. [1][Laut Deutschlandtrend sprachen | |
| sich zuvor knapp 60 Prozent der Befragten grundsätzlich dafür aus]. Zwei | |
| Drittel sind zudem der Meinung, dass Deutschland weniger Geflüchtete | |
| aufnehmen sollte. Die Mehrheit unterstützt den Kurs von Dobrindt und | |
| CDU-Bundeskanzler Friedrich Merz. | |
| Bis weit in die politische Mitte hinein wird über Fluchtmigration in | |
| Deutschland heute vor allem als Problem gesprochen. Es geht dabei meist um | |
| die Begrenzung der Migration oder gar die Abschaffung des Asylrechts. Als | |
| Argumente dienen die Überforderung von Behörden und Kommunen, Kosten für | |
| den Staat, Abwehrreflexe in der Bevölkerung und medial befeuerte Sorgen vor | |
| Terroranschlägen. Vieles davon spielt mit Ressentiments oder dient einer | |
| rechten Agenda. Der Diskurs hat sich von realen Herausforderungen wie etwa | |
| der Vermittlung von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt weit entfernt. | |
| „Auf dem Feld der Migrationspolitik wird der Unmut über das politische | |
| System artikuliert“, sagt Politikwissenschaftler Hannes Schammann. | |
| Ähnliches beobachtet Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Integrations- | |
| und Migrationsforschung. „Unsere Gesellschaft befindet sich in multiplen | |
| Krisen und Menschen fürchten eine Verschlechterung ihrer | |
| Lebensbedingungen“, sagt Engler. „Das ist das eigentliche Problem.“ Aber | |
| von einer ehrlichen Diskussion über eine gerechtere Gesellschaft für alle | |
| hat sich die Politik seit Beginn der Regierung Merz noch weiter entfernt. | |
| Muss man sich also damit abfinden, dass das Asylrecht von | |
| Politiker*innen immer weiter demontiert wird, die sich davon Stimmen | |
| frustrierter Wähler*innen erhoffen? | |
| Im Gegenteil. Statt einfach zuzusehen, braucht es [2][konkrete Ideen für | |
| eine progressive Fluchtpolitik], die sowohl Wohlergehen und Würde der | |
| Geflüchteten schützt, als auch neuen Rückhalt in der Bevölkerung findet. | |
| Die taz hat Ideen zusammengetragen, wie das gelingen könnte. | |
| Arbeit | |
| Ein großer Teil der Fluchtmigration nach Europa ist sogenannte gemischte | |
| Migration. Die Menschen haben unterschiedliche, sich oft überschneidende | |
| Gründe, ihre Heimat zu verlassen: Kriege, Naturkatastrophen oder Verfolgung | |
| im Herkunftsland einerseits, die Hoffnung auf ein besseres Leben, einen Job | |
| oder eine Zukunftsperspektive andererseits. Wer aber nicht unmittelbar | |
| durch Krieg oder politische Verfolgung bedroht ist, hat nach den Kriterien | |
| des Asylsystems selten Anspruch auf Schutz. | |
| Ein Beispiel aus dem November 2024 veranschaulicht dies. Damals berichteten | |
| viele Medien über zehn Kolumbianer*innen, die in einem Pflegeheim im | |
| niedersächsischen Wilstedt arbeiteten. Sie waren als Geflüchtete gekommen, | |
| doch ihre Asylanträge wurden abgelehnt. Deshalb sollten sie | |
| [3][abgeschoben] werden. Nicht nur die Heimbewohner*innen, sondern auch die | |
| Betreiberfirma protestierte. Der öffentliche Druck wurde schließlich so | |
| groß, dass sich der damalige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach | |
| (SPD) einschaltete und erreichte, dass die zehn bleiben durften. | |
| Für die Kolumbianer*innen war das Asylsystem offensichtlich der | |
| falsche Weg. Es wäre besser gewesen, wenn sie als reguläre | |
| Arbeitsmigrant*innen hätten kommen können. Dann hätten sie sich die | |
| quälende Wartezeit im Asylverfahren sparen können. Der Betreiber des | |
| Pflegeheims hätte die dringend gesuchten Arbeitskräfte gewonnen, ohne dass | |
| ihnen ständig die Abschiebung drohte. Die Behörden wären entlastet worden. | |
| Und: Wer arbeitet, muss keine Sozialleistungen beziehen. Das schont die | |
| Sozialsysteme und nimmt Konservativen und Rechten zugleich eines ihrer | |
| liebsten Argumente gegen Zuwanderung. | |
| Nur: Es gibt bisher kaum legale Einreisewege für Arbeitsmigrant*innen. | |
| Auch wenn die Ampelregierung mit dem Fachkräftezuwanderungsgesetz versucht | |
| hat, die Anerkennung von Berufsabschlüssen zu vereinfachen und Hürden | |
| abzubauen, ist es nach wie vor schwierig, mit einem Arbeitsvisum nach | |
| Deutschland zu kommen. Menschen, die nie die Möglichkeit hatten, eine | |
| reguläre Ausbildung zu machen, haben fast gar keine Chance. | |
| Die „Westbalkanregelung“ zeigt in Ansätzen, dass es auch anders geht. Pro | |
| Jahr können bislang 50.000 Personen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, | |
| Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien zum Arbeiten nach | |
| Deutschland kommen. Das gilt unabhängig von ihrer Qualifikation, allerdings | |
| müssen sie ein konkretes Jobangebot vorweisen können. Der Haken an der | |
| Sache: Parallel zur Einführung dieser Regelung erklärte Deutschland alle | |
| Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern. Dadurch werden die Chancen auf | |
| einen Schutzstatus im Asylverfahren reduziert, juristische Gegenwehr | |
| erschwert und Abschiebungen beschleunigt. | |
| Möglichkeiten für Arbeitsmigration sollten nicht als Vorwand dienen, um das | |
| Recht auf Asyl weiter auszuhöhlen. Der erste Teil des Pakets, der legale | |
| Routen für gelernte wie ungelernte Migrant*innen schaffen soll, ist | |
| jedoch der richtige Weg zu einer realistischen Migrationspolitik. Denn: | |
| Menschen werden weiter migrieren, auch wenn sie dafür immer gefährlichere | |
| Routen nehmen müssen. | |
| Damit Geflüchtete es in einen legalen Aufenthalt schaffen, würde auch der | |
| sogenannte Spurwechsel helfen. Wer während des Asylverfahrens eine | |
| [4][Anstellung als Fachkraft] findet, kann bislang nur unter komplizierten | |
| Bedingungen in einen anderen Aufenthaltstitel wechseln. Geflüchteten, deren | |
| Asylantrag abgelehnt wurde oder die aus anderen Gründen eine Duldung haben, | |
| sind zum Teil noch immer Arbeitsverbote auferlegt. In der Folge sind | |
| Menschen häufig in einer Situation gefangen, in der sie staatliche | |
| Leistungen in Anspruch nehmen müssen, obwohl sie eigentlich arbeiten oder | |
| eine Berufsausbildung beginnen wollen. Davon hat niemand etwas. Viel | |
| besser ist es, wenn Menschen sich durch Job, Ausbildung oder Studium eine | |
| selbstbestimmte Existenz aufbauen können – auch wenn ihr Asylantrag | |
| abgelehnt wird. | |
| Ordnung | |
| Was das Schlagwort Migration im politischen Diskurs so vergiftet hat, hängt | |
| maßgeblich mit dem behaupteten „Kontrollverlust“ zusammen, als die Behörd… | |
| im Jahr 2015 mit der Registrierung der Neuankommenden nicht mehr nachkamen. | |
| Bis heute ist es die vermeintlich „unkontrollierte“ Zuwanderung, vor der | |
| konservative und rechte Politiker*innen stets warnen. Egal wie | |
| restriktiv die Grenzpolitik ist, die Angst vor dem Kontrollverlust bleibt | |
| wirkmächtig. | |
| Auch wenn große Fluchtbewegungen oft unübersichtlich sind, gibt es Wege, | |
| für mehr tatsächliche und gefühlte Ordnung zu sorgen. Davon profitieren | |
| auch die Geflüchteten. Resettlementprogramme etwa können hierbei eine | |
| wichtige Rolle spielen. Dabei wählen UN-Mitarbeitende in den Nachbarländern | |
| von Krisenregionen schutzbedürftige Geflüchtete aus. Anschließend werden | |
| die Menschen eingeflogen, ohne dass sie hier noch einmal ein Asylverfahren | |
| durchlaufen müssen. | |
| Bislang sind Resettlementprogramme weltweit eher klein, aber es gibt sie: | |
| Im Jahr 2024 wurden rund 120.000 Menschen damit in Sicherheit gebracht, | |
| Deutschland bot rund 3.000 Aufnahmeplätze. [5][Um die Kapazitäten deutlich | |
| zu steigern, wären große Investitionen nicht nur bei der UN, sondern auch | |
| hierzulande nötig]. Leider tut die aktuelle Bundesregierung das Gegenteil | |
| und hat Resettlementaufnahmen ausgesetzt. | |
| Das zeigt, dass Resettlement alleine anfällig für staatliche Willkür ist. | |
| Aber als alternativer Zugangsweg neben dem individuellen Asylrecht kann es | |
| verbliebene Migrationsrouten entlasten und für mehr Ordnung sorgen. Niemand | |
| sollte bei der Fahrt über das Mittelmeer sein Leben riskieren müssen. Eine | |
| belastbare Resettlementinfrastruktur bei der UN ist auch Bedingung dafür, | |
| dass mehr Länder Geflüchtete aufnehmen. Bislang bleibt die Aufnahme | |
| überwiegend an Ländern mit kleiner oder mittlerer Wirtschaftsleistung | |
| hängen. Staaten, die weniger als 1,3 Prozent des weltweiten | |
| Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften, nehmen 20 Prozent aller | |
| Schutzsuchenden auf. Industrienationen und Schwellenländer wie China, | |
| Japan, Polen oder Australien hingegen nehmen fast niemanden auf. | |
| Deutschland gehört bislang noch zu den größten Aufnahmeländern und sollte | |
| mehr auf Resettlement setzten. Es sollte auch darauf drängen, dass mehr | |
| Staaten sich beteiligen. Denn Resettlements demonstrieren, dass es möglich | |
| ist, Geflüchteten in großem Maßstab Schutz zu bieten – auf sicheren und | |
| legalen Migrationsrouten. | |
| Bildung | |
| Wer will, dass sich Geflüchtete gut in die deutsche Gesellschaft einfinden, | |
| muss dafür sorgen, dass sie schnell Deutsch lernen können. Das | |
| Bildungssystem ist aber auch deshalb wichtig, weil mehr als ein Drittel | |
| der Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen, jünger sind als 16 Jahre. | |
| Im Jahr 2016 [6][untersuchten] Forscher*innen, wie geflüchtete Kinder in | |
| Berliner Grundschulen aufgenommen wurden. Die meisten zugewanderten Kinder | |
| besuchten sogenannte Willkommensklassen, in denen sie möglichst intensiv | |
| Deutsch lernen sollten. Einige der Grundschulkinder aus der Studie | |
| besuchten aber auch Schulen, in denen sie sofort am Unterricht der | |
| Regelklassen teilnahmen und meist zusätzlich Deutschunterricht erhielten. | |
| Das Ergebnis: Kinder in Willkommensklassen waren an vielen Schulen vom | |
| regulären Schulalltag separiert. Aufgrund der ständigen Fluktuation in den | |
| Klassen – verursacht durch Verlegungen, Abschiebungen und neu hinzukommende | |
| Kinder – war kontinuierliches Lernen schwierig. Spätere [7][Studien] | |
| zeigen, dass Kinder in den Willkommensklassen weniger Deutsch lernen und | |
| auch in anderen Fächern schlechter abschneiden. Zudem schaffen sie seltener | |
| den Sprung aufs Gymnasium. | |
| Kinder, die im Schulalter nach Deutschland kommen und keinen geschützten | |
| Raum in Form von Willkommensklassen benötigen, sollten also direkt in | |
| Regelklassen eingeschult werden und dort zusätzlichen Deutschunterricht | |
| erhalten. Insbesondere bei Grundschülern gibt es kaum Gründe, sie separiert | |
| zu beschulen. Geflüchtete Kinder sollten außerdem nicht erst nach der | |
| Zuweisung an eine Kommune, sondern auch während der Zeit in der | |
| Erstaufnahmeeinrichtung in die Schule gehen, wie es in einigen | |
| Bundesländern üblich ist. Je kürzer die Bildungsverläufe unterbrochen sind, | |
| desto einfacher ist es, gut in den Schulalltag zurückzufinden. | |
| Nicht vergessen werden dürfen Bildungsangebote für erwachsene Geflüchtete. | |
| Derzeit besuchen sie sogenannte Integrationskurse, in denen ihnen | |
| grundlegende Kenntnisse über die deutsche Gesellschaft und vor allem die | |
| deutsche Sprache vermittelt werden. Allerdings ist das System in schlechtem | |
| Zustand. Die meist sehr engagierten Sprachlehrer*innen werden schlecht | |
| bezahlt und sind bei den meisten Trägerorganisationen nicht einmal fest | |
| angestellt. Die Unterrichtsräume sind teils marode, außerdem gibt es | |
| schlicht zu wenige Plätze. Zuletzt betrug die Zeit zwischen der | |
| Berechtigung zur Teilnahme an einem Kurs und Unterrichtsbeginn mehr als | |
| vier Monate. | |
| Hintergrund sind die Wirrungen um deren Finanzierung aufgrund des | |
| Sparkurses der Ampel, der lange unklaren Haushaltslage für das laufende | |
| Jahr und widersprüchlichen Informationen aus den Ministerien. Die offenen | |
| Fragen sind inzwischen ausgeräumt und die Finanzierung zumindest für 2025 | |
| gesichert. Doch es bräuchte noch einmal deutlich größere Investitionen, um | |
| das gesamte System so zu gestalten, dass alle Geflüchteten schnell die | |
| erforderlichen Kenntnisse vermittelt bekommen, um wirklich ankommen zu | |
| können. | |
| Wohnen | |
| Bislang werden Geflüchtete nach dem Königsteiner Schlüssel zunächst auf die | |
| Bundesländer und später auf die Kommunen verteilt. Zunächst dürfen sie die | |
| Kommune nicht verlassen, auch später bleibt ihr Wohnort vorgegeben. Das | |
| erzeugt Frust. Weder haben die Geflüchteten Einfluss darauf, wo sie | |
| unterkommen, noch haben die Kommunen Einfluss darauf, wen sie zugeteilt | |
| bekommen. | |
| Im schlimmsten Fall strandet ein geflüchteter Metallbauer in einem Dorf, in | |
| dem es keine Arbeitsplätze gibt, dafür aber viele AfD-Wähler*innen. | |
| Wegziehen darf er nicht. Dass andernorts Firmen verzweifelt Arbeitskräfte | |
| suchen, es Wohnraum gibt und vielleicht sogar schon Verwandte vor Ort | |
| leben, wird ignoriert. | |
| Zwei Pilotprojekte zeigen, wie es anders gehen könnte. Re:Match und | |
| Match’In. In beiden [8][Projekten] geben Geflüchtete an, was ihnen wichtig | |
| ist, und die Kommunen sagen, wen sie besonders gut unterbringen können. Ein | |
| Algorithmus ordnet die Personen und Kommunen dann so zueinander, dass sie | |
| möglichst gut zusammenpassen. Im besten Fall kann der Metallbauer dann bei | |
| seinen Verwandten einziehen, während der Wärmepumpenhersteller eine neue | |
| Fachkraft gewinnt. Freizügigkeit sollte sich aber nicht nur auf die | |
| beschränken, die bestimmte Qualifikationen vorweisen können, sondern für | |
| alle gelten. | |
| Ein Problem ist aber auch die Art der Unterkünfte selbst. Vielerorts | |
| dominieren große Sammelunterkünfte mit wenig Privatsphäre. In den oft | |
| abgelegenen Einrichtungen sind die Menschen vom Rest der Gesellschaft | |
| abgeschnitten. Das macht es schwer, sich einzufinden, Deutsch zu lernen | |
| oder einen Job zu finden. Anwohner*innen versuchen oft, den Bau neuer | |
| Sammelunterkünfte zu verhindern – teils aus rassistischen Ressentiments, | |
| aber auch, weil anliegende Flüchtlingsunterkünfte in einer rassistischen | |
| Gesellschaft einen Wertverlust der eigenen Immobilien bedeuten können. | |
| Neben diesen sozialen Spannungen bedeuten die Sammelunterkünfte für die | |
| Kommunen auch hohe Kosten. Zwielichtige Betreiberfirmen sparen oft an | |
| Instandhaltung oder dem Essen, erhalten von den Kommunen aber Summen, die | |
| weit über den üblichen Mieten auf dem privaten Markt liegen. | |
| Eine Alternative ist die Unterbringung von Geflüchteten in regulären | |
| Mietwohnungen. Diese sind oft billiger, bieten bessere Lebensbedingungen | |
| und fördern den Kontakt zu Alteingesessenen. Beim Gespräch im Treppenhaus | |
| merkt vielleicht auch der eine oder andere Aufnahme-Skeptiker, dass die | |
| neuen Nachbarn eigentlich ganz nett sind. | |
| Das offensichtliche Problem ist der vielerorts sehr angespannte Mietmarkt, | |
| auf dem Geflüchtete mit ihren anfänglich schlechten Sprachkenntnissen und | |
| wenigen Kontakten kaum eine Chance haben. Es würde zumindest etwas | |
| leichter, wenn die Wohnsitzauflage gestrichen würde, die | |
| Asylbewerber*innen an eine bestimmte Kommune fesselt. Ein größerer | |
| Suchradius bedeutet schließlich auch mehr potenzielle Treffer. Dass dies | |
| die Chancen zumindest etwas verbessert, hat sich 2022 bei den aus der | |
| Ukraine geflüchteten Menschen gezeigt, für die diese Auflage nicht galt. | |
| Außerdem könnten die Kommunen verstärkt darauf setzen, selbst | |
| Privatwohnungen anzumieten, um dort Geflüchtete unterzubringen. | |
| Letztendlich bräuchte es aber wohl das, was allen anderen Mieter*innen | |
| auch hilft: Mietpreisdeckel und Neubau in großem Stil. | |
| Sicherheit | |
| Gewalttaten, die von Geflüchteten begangen werden, bekommen deutlich mehr | |
| öffentliche Aufmerksamkeit und werden anders diskutiert als Taten von | |
| Nichtzugewanderten. Während bei deutschen Täter*innen das Motiv im | |
| Vordergrund steht, geht es bei tatverdächtigen Asylsuchenden sofort um | |
| Aufenthaltsstatus und Herkunft. [9][Diese Doppelstandards sind nachgewiesen | |
| und verzerren das Bild von Geflüchteten]. | |
| Gleichzeitig gilt: Jede Gewalttat ist eine zu viel. Die Taten einzelner | |
| Geflüchteter treffen nicht nur die Opfer und Angehörigen, sondern auch | |
| Geflüchtete. Denn für ihre gesellschaftliche Akzeptanz sind diese Fälle | |
| Gift. Auf die islamistische Messerattacke von Solingen im Herbst 2024 durch | |
| einen Geflüchteten reagierte die Ampelkoalition mit einer massiven | |
| Verschärfung des Asylrechts. Als ein psychisch kranker Geflüchteter in | |
| Aschaffenburg ein Kleinkind und einen Erwachsenen erstach, stimmten Union | |
| und AfD erstmals gemeinsam für die Zurückweisung von Asylsuchenden an den | |
| Grenzen. | |
| Geflüchtete werden außerdem selbst oft Opfer von Gewalttaten. Im Jahr 2024 | |
| registrierten die Behörden insgesamt 1.905 rechte Straftaten gegen | |
| Geflüchtete außerhalb von Unterkünften, darunter 237 Gewalttaten. Hinzu | |
| kamen rund 200 politische Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, bei denen | |
| teilweise Menschen körperlich verletzt wurden. Die Dunkelziffern liegen | |
| wohl noch viel höher. Auch in der Statistik aller politischen Gewalttaten | |
| dominieren rechte Täter*innen. | |
| Die Sicherheitslage verbessern könnte eine bessere Zusammenarbeit der | |
| Landes- und Bundesbehörden, die bis heute unterschiedliche Datenplattformen | |
| und Schnittstellen nutzen. Erkenntnisse über gefährliche Personen kommen so | |
| teils nicht bei den zuständigen Stellen an. | |
| Helfen könnte aber auch ein Ansatz aus den USA. Bei der | |
| [10][Leaking-Analyse] werden Tatankündigungen durch Hinweise aus der | |
| Bevölkerung in speziellen Anlaufstellen gesammelt. Denn es gibt typische | |
| Verhaltensmuster, die fast ausschließlich von Personen gezeigt werden, die | |
| später tatsächlich Verbrechen begehen. Wer etwa plant, viele Menschen zu | |
| töten, befindet sich in einer psychischen Ausnahmesituation und hinterlässt | |
| zwangsläufig Hinweise, macht Andeutungen und sucht im Internet nach ganz | |
| bestimmten Begriffen. | |
| Bislang versuchen die Behörden, gefährliche Personen hauptsächlich anhand | |
| von Risikofaktoren zu identifizieren, beispielsweise persönliche | |
| Verbindungen zu bekannten Islamist*innen oder Rechtsextremist*innen. | |
| Das trifft jedoch auch auf sehr viele Menschen zu, die niemals gewalttätig | |
| werden. | |
| Hilfreich wären auch mehr Mittel für Präventionsprojekte und | |
| Deradikalisierungsprogramme, die sich sowohl gegen Islamismus als auch | |
| gegen Rechtsextremismus richten. Ein verbesserter Zugang zu psychologischer | |
| Betreuung für Geflüchtete könnte möglicherweise einzelne Gewalttaten | |
| verhindern. Bisher gibt es solche Angebote nur von den unterfinanzierten | |
| psychosozialen Zentren. | |
| Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass sich nicht alle Taten verhindern | |
| lassen werden. Zumal die politische Stimmung die Lage derzeit eher anheizt. | |
| Dass Geflüchtete stigmatisiert und diskriminiert werden, in | |
| Massenunterkünften untergebracht und ohne Arbeits- oder | |
| Ausbildungsperspektive in der Schwebe gehalten werden, kann schwere | |
| psychische Krankheiten oder auch Radikalisierung begünstigen. Eine ehrliche | |
| Sicherheitspolitik müsste sich diesen Herausforderungen stellen. | |
| 16 Aug 2025 | |
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| [1] https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-3456.html | |
| [2] /Forscher-ueber-Einwanderungspolitik/!6068188 | |
| [3] /Abschiebung-von-Pflegekraeften/!6045722 | |
| [4] /Fluechtlingsheim-in-Schmerwitz/!6086794 | |
| [5] /Bericht-des-UNHCR-zu-Resettlement/!5662068 | |
| [6] https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/Expertise_Willkommens… | |
| [7] https://pressemitteilungen.pr.uni-halle.de/index.php?modus=pmanzeige&pm… | |
| [8] /Ein-Algorithmus-fuer-bessere-Integration/!6034867/ | |
| [9] /Todesfahrt-in-Mannheim/!6070428 | |
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