| # taz.de -- Psychologin über Gewalttaten: „In der Realität wird die Gefahr … | |
| > Sind Fälle wie der Messerangriff von Bielefeld zu verhindern? Psychologin | |
| > Rebecca Bondü erforscht, wie sich potenzielle Täter durch ihr Verhalten | |
| > verraten. | |
| Bild: Spurensicherung nach dem Angriff eines mutmaßlichen Islamisten auf minde… | |
| taz: Frau Bondü, Sie beschäftigen sich als Psychologin mit dem Verhalten | |
| von Gewalttätern, bevor die ihre Pläne umsetzen. Der [1][Verdächtige von | |
| Bielefeld] soll laut seinen Mitbewohnern ständig vom Töten und | |
| „Abschlachten“ geredet haben. Hätten die Behörden ihn aufhalten können? | |
| Rebecca Bondü: Es ist schwer, das eindeutig zu sagen. Wir wissen einfach | |
| noch nicht genug über den Fall. Aber es scheint, als habe es Warnsignale | |
| gegeben. Wir bezeichnen das als Leaking: Verhaltensweisen, die Ausdruck von | |
| Tatgedanken, Tatfantasien oder konkreten Plänen für eine Gewalttat sind. | |
| Zeitlich sind diese Phänomene aber noch so weit von der Umsetzung entfernt, | |
| dass man intervenieren kann. Wir haben das auch bei vielen anderen | |
| Tatverdächtigen aus dem letzten Jahr gesehen. Nehmen wir das Beispiel | |
| Magdeburg. | |
| taz: Sie meinen den Vorfall aus dem Dezember, [2][bei dem ein Mann sein | |
| Auto in den Weihnachtsmarkt lenkte?] | |
| Bondü: Genau. Der Tatverdächtige war davor schon jahrelang auffällig | |
| gewesen. Beispielsweise drohte er mehrfach mit einem Anschlag, in einem | |
| Fall auch mit der Ermordung von Richtern. Kolleginnen hatten den | |
| Vorgesetzten informiert, dass es im Arbeitskontext verdächtige Äußerungen | |
| gegeben hatte. | |
| taz: Bislang setzt die Polizei oft auf die Analyse sogenannter | |
| Risikofaktoren, um gefährliche Personen zu identifizieren. | |
| Bondü: Ich habe mich während meiner Promotion mit Risikofaktoren für | |
| Amokläufe an Schulen beschäftigt. Da ging es etwa um Suizidgedanken, | |
| Mobbingerfahrungen oder Konsum von Gewaltmedien. Das Problem ist, dass | |
| viele solcher Faktoren sich nicht nur bei späteren Tätern finden, sondern | |
| viele Jugendliche und auch Erwachsene betreffen, die nie gewalttätig | |
| werden. Bei terroristischen Taten finden wir ebenfalls eher unspezifische | |
| Risikofaktoren. Auf das konkrete Verhalten der Personen zu schauen, das auf | |
| eine Tatintention hindeuten kann, ist da viel präziser. | |
| taz: Ist der Blick auf das soziale Umfeld nicht extrem aufschlussreich, | |
| gerade wenn es um mutmaßliche Islamisten geht wie nun in Bielefeld? | |
| Bondü: Zum einen ist es so, dass das nahe soziale Umfeld, Familie, Freunde, | |
| Bekannte, häufig über Informationen zu Leaking verfügt, die für die | |
| Einschätzung eines Tatrisikos sehr wertvoll sein können. Zum anderen können | |
| die sozialen Kontakte selbst in einigen Fällen Hinweise auf eine mögliche | |
| Radikalisierung geben. | |
| taz: Sie haben mit ihren Kolleg*innen mehrere Fragenkataloge erstellt, | |
| anhand derer beispielsweise die Polizei die [3][Gefährlichkeit von | |
| Extremisten] einschätzen kann. Welche Verhaltensweisen sollten die | |
| Beamt*innen besonders alarmieren? | |
| Bondü: In einem durch das Forschungsministerium finanzierten Projekt haben | |
| wir beispielsweise das Risikoanalyseinstrument Lateran-IT entwickelt. Wir | |
| konnten durch unsere Forschung Verhaltensweisen identifizieren, die eine | |
| möglichst hohe Treffsicherheit haben, also wirklich fast nur bei denjenigen | |
| zu beobachten sind, die später gewalttätig werden. Leider nennen wir diese | |
| aus Staatsschutzgründen im Bereich der Terrorismus aber nicht öffentlich. | |
| taz: Sie dürfen nichts sagen? | |
| Bondü: Zu den Extremisten nicht. Wir haben die gleiche Analyse aber auch | |
| für Täter von Partnerinnentötungen durchgeführt, darüber kann ich | |
| sprechen. Wichtige Punkte sind zum Beispiel beobachtbare Tatvorbereitungen | |
| oder Tatankündigung gegenüber Dritten. Interessanterweise sind Drohungen | |
| gegenüber der betroffenen Frau selbst aber kein guter Indikator. | |
| taz: Das machen auch oft Männer, die später keinen solchen Femizid begehen? | |
| Bondü: Genau. Echte Alarmzeichen sind dagegen auch noch eigene | |
| Suizidversuche und Aussagen, in denen andere Femizide gerechtfertigt | |
| werden. Und dann haben wir eine ganze Reihe von Indikatoren, die zum | |
| sogenannten Opferleaking gehören. Etwa, wenn die betroffene Frau Hilfe | |
| sucht oder Kinder außerhalb der Familie über Drohungen berichten. Auch | |
| andere Formen von Leaking können aber wichtig sein, weil sie Anlass bieten | |
| können, das Verhalten der Person näher zu betrachten. | |
| taz: Wenn betroffene Frauen Hilfe suchen, sollte doch für jede*n leicht | |
| erkennbar sein, dass da etwas im Argen liegt … | |
| Bondü: Es scheint so, aber in der Realität wird die Gefahr oft nicht | |
| erkannt. Es braucht dringend mehr Wissen über Leaking: Bei Sozialarbeitern, | |
| Menschen in Beratungsstellen, Gefängnispersonal, Personal in Frauenhäusern | |
| oder beim Jugendamt. Oft sind es aber auch einfach Familienmitglieder, die | |
| etwas mitbekommen. Deswegen braucht es in der Gesamtbevölkerung Aufklärung. | |
| Sonst beobachten die Leute zwar Leaking, gehen aber nicht zu Meldestellen | |
| oder zur Polizei. | |
| taz: Warum nicht? | |
| Bondü: Die Leute sind unsicher. Da wird eine Aussage dann schnell als | |
| Scherz abgetan. Oder man will eine Person, die einem nahesteht, nicht den | |
| Behörden ausliefern. Manche haben auch einfach selbst Angst vor der | |
| Polizei. | |
| taz: Wie lässt sich das ändern? | |
| Bondü: Studien zeigen, dass sich Menschen eher an die Polizei oder an | |
| Beratungsstellen beispielsweise zur Extremismusprävention wenden, wenn sie | |
| um das Phänomen Leaking wissen. Wir müssen aber auch Hürden senken, etwa | |
| indem anonyme Meldungen leichter möglich werden. Andere wollen lieber | |
| direkt mit einer Person reden, statt ein Formular auszufüllen. Außerdem | |
| hilft es, wenn sich die Leute sicher sein können, dass sie bei der Polizei | |
| mit Experten sprechen, die nicht überreagieren und Fälle sehr gut | |
| einschätzen können. | |
| taz: Bleibt noch die Frage, ob die Polizei aus solchen Meldungen dann die | |
| richtigen Schlüsse zieht. Im Fall des Tatverdächtigen von Magdeburg hatten | |
| die Sicherheitsbehörden ja vorab Hinweise. An der Tat gehindert haben sie | |
| ihn nicht. | |
| Bondü: Die Polizei muss Meldungen ernst nehmen, Infos müssen ausgetauscht | |
| und gebündelt werden, um die Geschehnisse in der Gesamtschau bewerten zu | |
| können. Polizisten sagen mir aber auch immer wieder, dass sie aus | |
| Datenschutzgründen Probleme haben, an Daten aus vorangegangenen Fällen zu | |
| kommen. Hier sollten Wege zum sicheren Austausch von Informationen gefunden | |
| werden. | |
| taz: Mal angenommen, alle Infos landen bei der Polizei und die zieht daraus | |
| auch die richtigen Schlüsse. Was dann? | |
| Bondü: Der Blick auf Leaking ermöglicht es der Polizei, Prioritäten zu | |
| setzen. Personal und Technik können auf Fälle konzentriert werden, bei | |
| denen wirklich Gefahr droht, während ungefährliche Personen aussortiert | |
| werden. | |
| taz: Einfach verhaften kann man Gefährder aber nicht. | |
| Bondü: Aber die Behörden können Druck machen, etwa durch Durchsuchungen. Im | |
| Fall häuslicher Gewalt könnten auch etwa elektronische Fußfesseln Sinn | |
| machen, die gerade ja verstärkt diskutiert werden. Psychisch kranke | |
| Personen können zumindest zeitweise in Kliniken eingewiesen werden. Und es | |
| gibt einen Ansatzpunkt für Sozialarbeiter oder andere Experten von | |
| Deradikalisierungsprogrammen. | |
| taz: Wie weit sind wir davon entfernt, dass die Behörden flächendeckend für | |
| Leaking sensibilisiert sind? | |
| Bondü: Wir wissen nicht genau, wie viele Polizisten schon mit unseren | |
| Instrumenten arbeiten. Überall ist es auf jeden Fall noch nicht im Einsatz. | |
| Es wäre gut, wenn die Innenminister der Länder sich damit beschäftigen | |
| würden. Es braucht vor allem auch Geld: Die Schulungen zu Leaking und | |
| unseren Instrumenten wie Lateran-IT, die wir für Polizisten und andere | |
| Berufsgruppen anbieten, bezahlen wir im Moment teils aus | |
| Universitätsmitteln. | |
| 21 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Frederik Eikmanns | |
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