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# taz.de -- Gedenken an die Opfer von Magdeburg: Drei schreckliche Minuten
> Auf Mahnwachen gedenken Magdeburger:innen der Opfer des Anschlags auf
> den Weihnachtsmarkt. Währenddessen versuchen Rechte, die Tat zu
> instrumentalisieren.
Bild: Leere statt vorweihnachtlicher Gemütlichkeit: Magdeburg zwischen Schock …
Magdeburg taz | Kerzen leuchten auf dem Platz vor dem Dom in Magdeburg an
diesem kalten Samstagabend. Viele von ihnen haben Mitglieder des queeren
Vereins CSD Magdeburg verteilt, 250 haben sie zum stillen Gedenken an die
Opfer des [1][Anschlags auf den Weihnachtsmarkt] mitgebracht. Auch
CSD-Vorstandsmitglied Falko Jentsch hält eine Kerze in der Hand. Im Dunkeln
lässt sich schwer schätzen, wie viele Menschen insgesamt da sind, doch mehr
als tausend dürften es sein.
Trotz des anhaltenden Nieselregens steht Jentsch ohne Kapuze vor dem Dom
und wartet darauf, dass der ökumenische Gottesdienst beginnt, der per
Leinwand nach draußen übertragen wird. Die respektvolle Stille finde er
gut. Weil sein Verein auf dem Weihnachtsmarkt einen Stand hatte, war
Jentsch am Vorabend während des Anschlags da und Sekunden später bei den
Opfern.
Die Amokfahrt dauerte laut Angaben der Polizei drei Minuten. Um kurz nach
19 Uhr sei der mutmaßliche Täter mit einem Auto durch die Menschenmenge auf
dem Weihnachtsmarkt in der Magdeburger Innenstadt gefahren. Mittlerweile
ist er verhaftet. Laut der Stadt Magdeburg sind bislang vier Frauen und ein
neunjähriger Junge gestorben. Zudem gibt es 200 Verletzte, darunter 41
Schwerverletzte. Der Weihnachtsmarkt ist in diesem Jahr beendet, aus
Respekt vor den Opfern. Die Frage, inwieweit das Sicherheitskonzept versagt
hat, steht nun im Fokus der Aufarbeitung.
Beim Gedenken auf dem Domplatz ist ein Helikopter zu hören, der über der
Stadt kreist. Aus der Ferne tönt undeutliches Gebrüll. Ein paar hundert
Meter weiter haben sich laut Polizei [2][2.100 Neonazis und andere
Rechtsextreme versammelt]. „Furchtbar“, sagt Jentsch. Später ergänzt er,
das zeige, wie „gespalten ja auch teilweise die Gesellschaft mit ihrer
Trauer ist“.
## Anspannung in Mageburg
Rund um den geschlossenen Weihnachtsmarkt haben Menschen Kuscheltiere und
Kerzen abgelegt. An mehreren Gedenkorten in der Stadt liegen viele Blumen
und Kränze. International äußerten Politiker:innen Bestürzung über den
Anschlag in Magdeburg. Mehrere Bundesländer, etwa Hamburg und
Schleswig-Holstein, erhöhten die Polizeipräsenz auf Weihnachtsmärkten.
Deutsche Spitzenpolitiker besuchten am Samstag den Tatort in Magdeburg und
versprachen, die Betroffenen zu unterstützen.
Aber in der Stadt selbst ist neben Trauer auch Anspannung zu spüren. Für
Jentsch wurde das schon Minuten nach dem Anschlag deutlich.
CSD Magdeburg konnte auf dem Weihnachtsmarkt am Freitagabend in der
sogenannten Vereinshütte eigene Aktionen präsentieren und sich
Interessierten vorstellen. Jentsch war dazu gerade vor dem Stand im
Gespräch, als ihn ein plötzliches Krachen erschreckte. Darauf seien Schreie
zu ertönt, „und die hörten nicht mehr auf“.
Er sei um den Stand herumgelaufen, habe die vielen Verletzten gesehen.
Während erfahrene Ersthelfer:innen denen zur Hilfe geeilt seien, habe
sich Jentsch um Traumatisierte gekümmert. Und genau da, daran erinnere er
sich noch gut, habe jemand in Richtung des CSD-Stands gerufen: „Ihr seid
mit schuld, weil ihr habt den ganzen Mist ja gewählt.“
## Täter aus Saudi-Arabien
Andernorts ordneten Rechtsextreme den Anschlag schnell als mutmaßlich
islamistisch ein und betonen die nichtdeutsche Herkunft des Täters: Taleb
A., ein 50-Jähriger, der die saudi-arabische Staatsbürgerschaft hat und
2006 nach Deutschland kam. Er hatte demnach einen unbefristeten
Aufenthaltstitel, unterstützte Geflüchtete und arbeitete zuletzt als
Psychiater in Bernburg, etwa 50 Kilometer von Magdeburg entfernt.
Warum er den Anschlag begangen hat, lässt sich bislang nur spekulieren. In
Interviews und auf Social Media äußerte sich A. immer wieder feindlich über
den Islam und lobte die Politik der AfD. Er verbreitete
Verschwörungstheorien, etwa, dass Deutschland eine Islamisierung Europas
vorantreibe.
Doch auch die deutschen Ermittlungsbehörden machten bislang noch keine
abschließenden Angaben zu seinen Motiven. Der leitende Oberstaatsanwalt
Horst Walter Nopens sagte am Samstagnachmittag bei einer Pressekonferenz in
Magdeburg, dass „Unzufriedenheit mit dem Umgang mit saudi-arabischen
Flüchtlingen in Deutschland“ der Grund für die Tat gewesen sein könnte.
Kurz nach dem Anschlag mobilisierten Neonazi-Parteien und -Vereine zu einer
Kundgebung beim Magdeburger Hasselbach am Samstagabend. Die Polizei rechnet
vorab mit rund 1.000 Teilnehmer:innen, am Ende sollen es 2.100 gewesen
sein. Um kurz nach 18 Uhr skandierten die Personen auf dem dunklen
Hasselbachplatz: „Wir sind das Volk!“ Viele trugen rechte Szenekleidung,
einige waren vermummt. Auf einem großen Banner stand „Remigration“. Später
marschierten sie bis zum Bahnhof, warfen Böller und bedrängten
Journalist:innen.
Einen direkten Gegenprotest vor Ort aus der Zivilgesellschaft gab es nicht,
nur eine kleine Kundgebung Opernhaus und die stille Gedenkveranstaltung vor
dem Magdeburger Dom. Pascal Begrich, Geschäftsführer des Vereins
Miteinander in Sachsen-Anhalt, erklärte vorab dazu: „Wir wollen mit der
Mahnwache Raum zum stillen Gedenken geben.“ Trotzdem stand die
Instrumentalisierung des Anschlags durch Rechtsextreme dabei nicht im
Mittelpunkt. Darauf hätten sich verschiedene zivilgesellschaftliche
Bündnisse, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände geeinigt. „Bei uns sitzt
der Schock und die Trauer tief“, sagte Begrich.
## Bedrohlich für Migrant:innen
Mit Instrumentalisierung meine er, dass die Tat schon am Freitagabend
genutzt worden sei, um migrationsfeindliche Politik zu bewerben. Auch als
sich abzeichnete, dass der Täter selbst islamfeindlich eingestellt sei,
habe sich das nicht geändert. „Die Akteure der rechten Szene behaupten, da
habe sich Rassismus gegen Weiße Bahn gebrochen.“ In deren Weltbild gehöre
der Täter nicht nach Deutschland. Er sei demnach durch Werte geprägt, die
nicht zu der deutschen Kultur passten und einen Hass auf die westliche
Gesellschaft förderten, erklärt Begrich.
In der Folge kam es in Magdeburg zu Übergriffen auf Personen, die offenbar
als migrantisch oder muslimisch wahrgenommen wurden, wie Hans Goldenbaum,
Bereichsleiter bei der Fach- und Beratungsstelle für Gewalt und
Radikalisierungsprävention „Salam“, berichtet. Es habe Beschimpfungen und
körperliche Übergriffe gegeben. In Chatgruppen verschiedener migrantischer
Communitys kursierten Warnungen, dass die Menschen zu Hause bleiben und
Aufenthalt oder Wege auf der Straße vermeiden sollen. Vor der
Neonazidemonstration am Samstagabend hätten einige zur Sicherheit die Stadt
verlassen.
Am 23. Dezember will nun auch die AfD eine Kundgebung in Magdeburg
abhalten. Zwei AfD-Politiker meldeten sich in Magdeburg schon Freitagabend
zu Wort. „Die politisch Verantwortlichen sitzen in Berlin und in Magdeburg
in der Regierung“, sagte Martin Reichardt, Vorsitzender der AfD in
Sachsen-Anhalt und Mitglied des Bundestags, in einem Video des AfD-nahen
Deutschlandkuriers. Er stand noch am Freitagabend neben dem
Weihnachtsmarkt, hinter ihm blinkte Blaulicht, Rettungskräfte waren im
Einsatz. An seiner Seite stand Ronny Kumpf, Vorsitzender der AfD im
Magdeburger Stadtrat, und ergänzte, die Sicherheitsmaßnahmen hätten
offensichtlich nichts gebracht. „Es ist eine völlig falsche
Migrationspolitik, die hier betrieben wurde“, sagte Kumpf.
Auf dem leeren Weihnachtsmarkt traten tags darauf um kurz nach 12 Uhr
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident
Reiner Haseloff (CDU) vor die Kameras. Die Lage sei „noch schrecklicher“
als am Abend zuerst angenommen. „Bisher hat sich das niemand vorstellen
können“, sagte Haseloff zu dem Anschlag. Den Rettungskräften und der
medizinischen Versorgung der Krankenhäuser im Umland sei es zu verdanken,
dass bislang nicht noch mehr Menschen gestorben sind.
Scholz versicherte die Solidarität aller, die in Deutschland Verantwortung
tragen. „Wir werden und wir müssen zusammenstehen.“ Es sei wichtig,
solidarisch zusammenzustehen und „dass wir diejenigen nicht durchkommen
lassen, die Hass säen wollen“. Zunächst stehe an, die Tat aufzuklären, das
Motiv des Täters zu verstehen, „um dann mit den strafrechtlichen und
notwendigen anderen Konsequenzen darauf zu reagieren“. Als der
Bundeskanzler dann den Weihnachtsmarkt verließ, bepöbelten ihn einige Leute
am Absperrband.
Auf der anderen Seite des Weihnachtsmarkts, an der Johanniskirche, gab es
am Sonntag eine weitere Mahnwache zum Gedenken an die Opfer. Auch Falko
Jentsch war wieder da. Das Blumenmeer vor dem Eingang wachse stündlich,
sagt er. „Das war eine sehr würdevolle, ruhige Atmosphäre.“
22 Dec 2024
## LINKS
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## AUTOREN
David Muschenich
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