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# taz.de -- Der Täter von Magdeburg: Aus dem Raster gefallen
> Taleb A. ist ein 50-jähriger Arzt aus Saudi-Arabien. Er hasst den Islam,
> sympathisiert mit der AfD und drohte mehrfach mit Gewalttaten im Netz.
Bild: Ermittler sichern nach dem Anschlag Spuren am Auto des Täters
Berlin taz | Für vier Frauen und einen neunjährigen Jungen endete der
Besuch auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt am Freitagabend tödlich. Taleb
A. raste 400 Meter mit einem geliehenen schwarzen BMW über den Alten Markt
und verletzte über 200 Menschen teils schwer.
Offenbar direkt nach seiner Fahrt setzte der 50-Jährige dabei seine vorerst
letzte Nachricht auf der Plattform „X“ ab. Vier kurze Videos waren es, in
denen er kritisiert, dass Deutschland Islamkritiker verfolgen würde. Auch
wirft er „Agenten“ vor, dass sie einen USB-Stick aus seinem Briefkasten
gestohlen hätten. Auf diesem will er Hinweise auf angeblich kriminelles
Verhalten einer saudi-arabischen Frauenrechtlerin gesammelt haben, die 2015
nach Deutschland floh.
Es sind vielseitige und wirre Vorwürfe, vorgetragen auf Englisch, wie Taleb
A. sie seit Jahren erhob. Kurz danach wird er von Polizisten am Tatort
festgenommen. Seitdem sitzt der 50-Jährige in Haft, am Sonntagmorgen haben
die Behörden Haftbefehl erlassen. Die Staatsanwaltschaft wirft A.
inzwischen fünffachen Mord und 200-fachen versuchten Mord vor. Es heißt, er
sei Einzeltäter gewesen.
Auch BKA-Präsident Holger Münch erklärte am Sonntag im ZDF, man habe
„keinen Hinweis auf einen islamistisch motivierten Anschlag, ganz im
Gegenteil“. Der Fall zeige eine „völlig andere Motivationslage“, es sei
ein „untypischer Täter, der nicht in ein solches Raster passt“. Seine
Postings seien letztlich „unspezifisch“ gewesen. Zudem sei der
Festgenommene nie mit Gewalthandlungen aufgefallen.
## Psychotherapeut im Maßregelvollzug
Über das Wochenende sind mehr und mehr Details über die Hintergründe von A.
bekannt geworden: Seit 2006 lebt Taleb A. in Deutschland, damals regulär
eingereist mit einem Visum, um hier eine Facharztausbildung zu beginnen.
Aktuell arbeitete er an einer Klinik in Bernburg als Psychotherapeut im
Maßregelvollzug. Laut seinem Arbeitgeber war er seit Oktober „krankheits-
und urlaubsbedingt“ nicht mehr im Dienst.
2016 soll A. einen Asylantrag gestellt haben, gab sich als verfolgter
saudi-arabischer Dissident aus und als Vermittler für Frauen aus dem Land,
die hier Asyl beantragen wollten. Auch ein Onlineforum richtete er dafür
ein – wo er zuletzt aber warnte: „Bittet nicht um Asyl in Deutschland“.
Sein Asylantrag war später erfolgreich. Einen Antrag Saudi-Arabiens 2023,
A. wegen angeblicher terroristischer Aktivitäten festzunehmen zu lassen,
soll Deutschland abgelehnt haben.
Tatsächlich präsentierte sich Taleb A. in Onlinepostings immer wieder als
Ex-Muslim, kritisierte dort die Verfolgung von Religionsaussteigern in
Saudi-Arabien, gab dazu auch Zeitungsinterviews in der FAZ oder Frankfurter
Rundschau. „Ich bin der aggressivste Kritiker des Islams in der
Geschichte“, sagte er dort.
## Nach rechts abgedriftet
Über die Zeit richteten sich seine Angriffe aber zunehmend auch gegen
deutsche Behörden oder Nichtregierungsorganisationen, die angeblich
hierzulande ebenso „Islamkritiker“ verfolgen würden. Immer wieder
attackierte er diese in Onlinepostings, stellte dazu auch bei Behörden
Anzeigen. In den sozialen Medien wurde er immer radikaler, driftete nach
rechts ab. Deutschland wolle „Europa islamisieren“, schrieb er.
Als Vorbilder nannte er Männer wie [1][Elon Musk], aber auch den
holländischen Rechtsextremen [2][Geert Wilders]. Auch träumte A. von einem
gemeinsamen Projekt mit der AfD: einer Akademie für Ex-Muslime. „Wer sonst
bekämpft den Islam in Deutschland?“, fragte er auf X. Angela Merkel
wünschte er den Tod für ihr „kriminelles Geheimprojekt, Europa zu
islamisieren“.
Als Profilbild hatte A. ein Sturmgewehr und fragte: „Gibt es einen Weg zur
Gerechtigkeit in Deutschland, ohne eine deutsche Botschaft in die Luft zu
sprengen oder wahllos deutsche Bürger zu massakrieren? Ich suche seit
Januar 2019 nach diesem friedlichen Weg und habe ihn nicht gefunden.“ Seit
Wochen und Monaten ging das so: A. teilte hunderte
verschwörungsideologische Beiträge, aus dem Kontext gerissene Videos und
zeigte sich offen als AfD-Sympathisant.
## Hinweise sind offenbar untergegangen
Bei den Sicherheitsbehörden wurde Taleb A. nach taz-Informationen trotz
alledem nicht als Extremist oder Gefährder geführt. Ein saudi-arabischer
Geheimdienst soll deutsche Dienste und das BKA aber bereits im November
2023 auf Onlinepostings des 50-Jährigen hingewiesen haben, die als
Gewaltankündigungen verstanden werden konnten. Später fragten die Saudis
nach, was daraus geworden sei. Der Hinweis soll an die Polizei in
Sachsen-Anhalt weitergeleitet worden sein.
Am Samstag erklärte Tom-Oliver Langhans, Direktor der Polizei Magdeburg,
nur, dass bei Taleb A. wegen einer Strafanzeige eine Gefährderansprache
geplant gewesen sei. Dazu sei es aber letztlich nicht gekommen. Warum
nicht, werde nun geklärt. Doch Hinweise auf gewaltankündigende Postings
von Taleb A. kamen auch von anderen. So räumte das BAMF ein, dass es im
Spätsommer 2023 über Social-Media-Kanäle Hinweise auf den Mann bekam. Die
hinweisgebende Person sei an zuständige Behörden verwiesen worden, da man
für Ermittlungen nicht zuständig sei.
Ebenso [3][berichtete der Zentralrat der Ex-Muslime], dass A. die säkulare
Flüchtlingshilfe über mehrere Jahre hinweg terrorisiert habe. Auch dort
heißt es, A. habe Überzeugungen aus dem ultrarechten Spektrum der AfD
geteilt und an eine großangelegte Verschwörung geglaubt, die darauf
abzielte, Deutschland zu islamisieren. Seine Wahnvorstellungen seien dabei
so weit gegangen, dass er annahm, selbst islamismuskritische Organisationen
seien Teil der islamistischen Verschwörung.
## Auch Strafverfahren liefen gegen A.
Zudem liefen auch mehrere Strafverfahren gegen A., zuletzt in Berlin. Im
Februar 2024 soll A. auf einer Berliner Polizeiwache versucht haben, eine
Anzeige zu erstatten. Als er mit dem Ergebnis unzufrieden war, soll er den
Notruf angerufen haben. Er erhielt einen Strafbefehl wegen „Missbrauchs von
Notrufen“, legte Einspruch ein. Erst am Donnerstag, einen Tag vor der Tat
in Magdeburg, sollte A. deshalb vor dem Amtsgericht Tiergarten erscheinen –
was er nicht tat.
Zum Motiv der Amokfahrt auf den Weihnachtsmarkt sagte der Leitende
Oberstaatsanwalt Horst Walter Nopens am Wochenende nur, ein möglicher
Auslöser könnte „Unzufriedenheit mit dem Umgang mit saudi-arabischen
Flüchtlingen“ gewesen sein. Alles Weitere sei nun zu ermitteln. Geprüft
wird auch, ob Taleb A. bei der Tat unter Drogen stand. Ein erster Test soll
positiv gewesen sein. Bei seiner ersten Aussage soll Taleb A. laut
Medienberichten wirr und voll Verschwörungstheorien gewesen sein.
Der Extremismusforscher Matthias Quent sprach angesichts des in keine
typische Tätergruppe passenden A. von „Salatbar-Extremismus oder
-Terrorismus.“ Es kämen persönliche Motive und Kränkungen zusammen, die zu
einem individuelle geformten Bild kämen – bei A. eines, das vor allem
antimuslimischen und anti-islamorientierte ausgeprägt sei.
Etwas ratlos wirkte der Terrorexperte Peter R. Neumann, selbst
CDU-Mitglied, der sagte: „Nach 25 Jahren in diesem ‚Geschäft‘ denkst du,
nichts könnte dich mehr überraschen. Aber ein 50-jähriger, saudischer
Ex-Muslim, der in Ostdeutschland lebt, die AfD liebt und Deutschland für
seine Toleranz gegenüber Islamisten bestrafen will – das hatte ich wirklich
nicht auf dem Zettel.“
Der Radikalisierungsforscher Hans Goldenbaum wiederum sieht A. als Teil des
globalen Rechtsextremismus – auch wenn dieser paranoide Wahnzüge aufweise.
Das werde vor allem mit Blick auf die von A. bedienten zentralen
Verschwörungsnarrative des Rechtsextremismus deutlich – etwa die Erzählung
vom „Großen Austausch“ durch den „Zuzug von Migranten“ und eine befür…
„Islamisierung“.
Den Behörden wollte Goldenbaum noch keinen Vorwurf machen: Man müsse
abwarten, was die Behörden zu welchem Zeitpunkt gewusst hätten und ob die
Informationen zentral zusammen liefen. Angesichts der Unübersichtlichkeit
des Online-Raumes könne man aber den Sicherheitsbehörden nicht automatisch
einen Vorwurf machen.
22 Dec 2024
## LINKS
[1] /Radikalisierung-von-Elon-Musk/!6026915
[2] /Rechtsruck-in-den-Niederlanden/!6042943
[3] https://exmuslim.de/der-attentaeter-von-magdeburg-hasst-nicht-nur-muslime-s…
## AUTOREN
Konrad Litschko
Gareth Joswig
## TAGS
Anschlag in Magdeburg
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Attentat
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