| # taz.de -- Nach Taten in München und Aschaffenburg: Sicherheit, aber menschli… | |
| > Sicherheitsthemen dominieren den Wahlkampf. Die vielbeschworene Wende in | |
| > der Migrationspolitik dürfte nicht helfen – erfolgversprechend sind | |
| > andere Ansätze. | |
| Bild: München, 13. Februar: Polizisten an dem Ort, an dem ein Auto in eine Ver… | |
| Berlin taz | Deutschland hat ein Sicherheitsproblem. Mannheim, Solingen, | |
| Magdeburg, Aschaffenburg und [1][nun München]: Fünf Mal kam es im | |
| vergangenen Jahr zu Gewalttaten, die zwischen Terror und Amok rangieren. | |
| Vier der fünf Tatverdächtigen sind Geflüchtete. Der Wahlkampf dreht sich | |
| seitdem in großen Teilen darum, Asylsuchende fernzuhalten. Belege für einen | |
| Zusammenhang von Flucht, Gewalt und Kriminalität gibt es aber nicht. Was | |
| könnte Deutschland also wirklich sicherer machen? Die taz hat | |
| Expert*innen gefragt. | |
| ## Psychologische Betreuung verbessern | |
| Bei den Tatverdächtigen aus Magdeburg und Aschaffenburg gibt es Hinweise | |
| auf schwere psychische Erkrankungen. Auch zeigen Studien, dass Menschen, | |
| die wie der Tatverdächtige aus Aschaffenburg an paranoider Schizophrenie | |
| leiden, öfter gewalttätig werden als psychisch gesunde. Um zu helfen, muss | |
| die psychologische und psychiatrische Versorgung in Deutschland verbessert | |
| werden. | |
| Das fordern auch 70 Psychiater*innen in einem offenen Brief an | |
| CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Es fehle an Kontinuität, sagt der | |
| Initiator des Briefes Thomas Bock, Psychologe und Vorstand im Verein „irre | |
| menschlich“. „Wenn die psychiatrischen Hilfsangebote aber von immer neuen | |
| Kürzungen betroffen sind, entsteht eine unmögliche Situation.“ Bock betont | |
| gleichzeitig, dass psychisch Kranke genauso wenig pauschal zu Straftätern | |
| erklärt werden dürfen wie Menschen mit Migrationserfahrung. „Die | |
| Wahrscheinlichkeit, mit einer Psychose Opfer zu werden, ist ungleich | |
| größer, als Täter zu werden.“ | |
| Für falsch hält Bock auch, Gesetze zu verschärfen, wie es die | |
| Ministerpräsidenten der Länder ankündigten. „Wenn jemand psychisch krank | |
| und selbst- oder fremdgefährdend ist, dann gibt es längst die rechtlichen | |
| Möglichkeiten, diese Person zwangseinzuweisen.“ Auch für den Täter von | |
| Aschaffenburg wäre das möglich gewesen. Er hatte zuvor mehrmals versucht, | |
| sich Hilfe zu holen, sei aber nach kurzer Zeit immer wieder aus | |
| Psychiatrien entlassen worden. | |
| ## Lebensbedingungen von Geflüchteten verbessern | |
| Im Moment übt das deutsche Asylsystem gewaltigen Druck auf die Menschen | |
| aus, die ohnehin oft schon traumatisiert sind. Bis zu 30 Prozent haben eine | |
| posttraumatische Belastungsstörung oder Depressionen. Das führt keinesfalls | |
| direkt zu Gewalt. Aber in Einzelfällen kann zusätzlicher Stress wohl die | |
| Chance erhöhen, dass jemand doch auffällig wird. | |
| Eines der Kernprobleme ist die Unterbringung. David Schiefer vom Deutschen | |
| Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) sagt: | |
| „Gemeinschaftsunterkünfte bedeuten für die Bewohner*innen regelmäßig | |
| massiven Stress, der psychisch krank machen kann und die Menschen | |
| destabilisiert.“ Dagegen ließe sich angehen, indem Geflüchtete in Wohnungen | |
| untergebracht werden. | |
| Auch die verbliebenen Arbeitsverbote für Geflüchtete sollten abgeschafft | |
| werden, um Integration zu fördern. Helfen könnte es zudem, Asylverfahren zu | |
| beschleunigen, denn jahrelanges Warten zermürbt. | |
| Nötig sind auch mehr sozialarbeiterische und [2][psychologische Angebote]. | |
| Die Ampel tat das Gegenteil. Asylsuchende erhalten inzwischen erst nach | |
| drei Jahren freien Zugang zum Gesundheitssystem über eine Notversorgung | |
| hinaus. Und die psychosozialen Zentren, die einspringen, bekamen zuletzt | |
| weniger Geld, 2025 droht eine weitere Kürzung um bis zu 50 Prozent. | |
| ## Islamismus bekämpfen | |
| Ein islamistisches Motiv spielte offenbar in Mannheim, Solingen und München | |
| eine Rolle, doch radikalisiert haben sich die Tatverdächtigen wohl erst | |
| nach der Einreise. Das zeigt, wie wichtig Präventionsarbeit in Deutschland | |
| ist. Dabei geht es nicht nur darum, zu verhindern, dass sich anfällige | |
| Menschen radikalisieren, sondern auch darum, Aussteiger*innen zu | |
| helfen. „Wir sind nicht machtlos“, sagt Jamuna Oehlmann, Geschäftsführerin | |
| der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus. Mithilfe | |
| von Beratungsangeboten gelinge es meist sehr gut, Radikalisierungsprozesse | |
| zu unterbrechen. Statistiken gibt es dazu aber nicht. | |
| Schwierig wird es, wenn sich Personen unbemerkt von ihrem sozialen Umfeld | |
| radikalisieren und auch die Behörden es nicht mitbekommen – so wie wohl in | |
| München, Mannheim und Solingen geschehen. In solchen Fällen spielt das | |
| Internet oft eine wichtige Rolle. | |
| Hier sieht Oehlmann eine große Lücke in Deutschland: „Die Politik hat | |
| gerade Tiktok lange als Plattform zum Singen und Tanzen verharmlost.“ Gegen | |
| die Islamisten dort brauche es „kreative Gegenangebote, die junge Menschen | |
| ansprechen, ihnen Orientierung bieten und extremistische Narrative | |
| entlarven“. | |
| ## Sicherheitsbehörden an den richtigen Stellen stärken | |
| Zuletzt haben die Behörden teils versagt: Mit dem Tatverdächtigen von | |
| Magdeburg beschäftigten sich die Behörden über 100 Mal, ausländische | |
| Geheimdienste wiesen mehrmals auf sein Gefahrenpotential hin. Der | |
| Tatverdächtige von Aschaffenburg war bereits mit einer Gewalttat | |
| aufgefallen. Und in München waren Polizisten sogar direkt vor Ort, ohne | |
| dass sie die Tat verhindern konnten. | |
| Helfen könnte ein koordinierterer Umgang mit Daten: Die Infos, die | |
| verschiedene Ämter haben, müssen besser zusammengeführt werden. Ein erster | |
| Schritt wäre wohl schon, dass die Landesbehörden einheitliche | |
| Datenverarbeitungsprogramme nutzen. [3][Der Kriminologe Manuel Heinemann] | |
| spricht sich zudem für Gewaltschutzzentren aus, die eine niedrigschwellige | |
| Möglichkeit für die Bevölkerung bieten, auf Gefahrenquellen hinzuweisen. | |
| Vincenz Leuschner, ebenfalls Kriminologe, schlägt vor, kontinuierliche | |
| Bedrohungsanalysen auszuweiten. „Man muss die Entwicklung potenziell | |
| gefährlicher Personen strukturierter bewerten“, sagt Leuschner. Bislang | |
| passiere das nur bei wenigen, als Gefährder eingestuften Personen mit | |
| islamistischem oder rechtsextremem Hintergrund. Das Verfahren könne auch | |
| auf Personen ausgeweitet werden, die nicht so klar einzuordnen sind. | |
| Heikel ist die Frage nach mehr elektronischer Überwachung. Gelingt es | |
| deutschen Behörden, Anschläge zu verhindern, liegt das bislang fast immer | |
| daran, dass sie von US-Geheimdiensten gewarnt werden. Diese überwachen das | |
| Internet weiträumig. Die Idee, deutschen Behörden derartige Befugnisse zu | |
| geben, sieht Leuschner aber kritisch. Zu groß seien die Risiken für den | |
| Datenschutz, zu gering der Nutzen. | |
| ## Die Debatte abkühlen und Vorfälle einordnen | |
| Als 2019 eine Frau von ihrem deutschen Nachbarn in Lörrach erstochen wurde, | |
| verschwand die Nachricht schnell wieder aus den Schlagzeilen. Der tödliche | |
| Angriff eines 28-jährigen Asylsuchenden auf seine Freundin in Worms wurde | |
| dagegen hundertfach aufgegriffen. | |
| Wie die Bevölkerung die Sicherheitslage wahrnehme, sei deshalb stark von | |
| der Berichterstattung abhängig, sagt der Medienwissenschaftler Thomas | |
| Hestermann. Den Redaktionen empfiehlt er mehr Achtsamkeit in der | |
| Gewaltberichterstattung. Es sei keine Relativierung, so Hestermann, „wenn | |
| Medien über Gewalt berichten, und dabei auch zeigen, wie sehr die eine Tat | |
| beleuchtet wird, während die andere im Dunkeln bleibt“. | |
| Wie über Kriminalität, Amok und Terror berichtet, gesprochen und | |
| geschrieben wird, wirkt sich indirekt auch auf die Sicherheitslage aus. | |
| Psychiater:innen, Extremismusforscher:innen und | |
| Sicherheitsexpert:innen betonten gegenüber der taz, wie | |
| kontraproduktiv die derzeitige Debatte sei. So bedeuteten | |
| Abschiebungsforderungen für Asylsuchende eine zusätzliche psychische | |
| Belastung. Anti-muslimischer Rassismus lieferte Islamisten neues Material | |
| für ihre Propaganda. Und psychisch Kranke suchten sich seltener Hilfe, wenn | |
| sie fürchten müssen, nur als Sicherheitsrisiko gesehen zu werden. | |
| 20 Feb 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Frederik Eikmanns | |
| Amelie Sittenauer | |
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