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# taz.de -- Sondierungspapier von Union und SPD: Bürger*innen erster und zweit…
> Was bedeuten die schwarz-roten Ausbürgerungspläne? Jurist*innen halten
> die Bestrafung mit Verlust der Staatsangehörigkeit für hochproblematisch.
Bild: Rund 3 Millionen Menschen in der Bundesrepublik sind Doppelstaatler*inn…
Berlin taz | So hatte Arne Semsrott sich das wohl nicht gedacht, als er in
seinem Buch „Machtübernahme“ aufzeigte, was eine AfD-Regierung alles
anrichten könnte. Sie werde wohl prüfen, unter welchem Umständen Personen
einfacher die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden könne,
[1][schrieb Semsrott dort 2024]. Nun findet sich eine ähnliche Formulierung
tatsächlich im [2][Sondierungspapier der wohl nächsten Bundesregierung].
Verfasst hat dieses Papier allerdings nicht die AfD, sondern Union und SPD.
„Mein Buch in der Wirklichkeit“, schrieb Semsrott dazu auf Instagram, samt
[3][Screenshot der entsprechenden Stelle im Sondierungspapier]. Dort heißt
es: „Wir werden verfassungsrechtlich prüfen, ob wir Terrorunterstützern,
Antisemiten und Extremisten, die zur Abschaffung der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen, die deutsche
Staatsbürgerschaft entziehen können, wenn sie eine weitere
Staatsangehörigkeit besitzen.“
Sollte die Fragestellung wirklich so lauten, dürfte die Prüfung sehr
schnell erledigt sein. In Artikel 16 des Grundgesetzes heißt es sehr klar –
auch als Lehre aus der deutschen Geschichte: „Die deutsche
Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.“ Entzug also nein, möglich
ist aber ein „Verlust“ der Staatsangehörigkeit aufgrund eines Gesetzes und
„wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird“.
[4][Bislang fallen darunter] der freiwillige Verzicht, wenn
Doppelstaatler*innen in ausländische Streitkräfte eintreten oder sich
an Kampfhandlungen terroristischer Vereinigungen im Ausland betätigen, oder
innerhalb von zehn Jahren nach der Einbürgerung, wenn diese etwa wegen
„arglistiger Täuschung, Drohung oder Bestechung“ rechtswidrig war.
## Lehre aus der deutschen Geschichte
Was aber den verbotenen Entzug vom unter bestimmten Voraussetzungen
zulässigen Verlust unterscheidet, ist selbst unter Jurist*innen
umstritten. „Nach welchen Kriterien ein Verlust der Staatsangehörigkeit
rechtmäßig möglich ist, dazu gibt es kaum Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts“, sagte der Rechtswissenschaftler Thomas Groß von
der Universität Osnabrück der taz. Klar sei aber: „Sie dürfen nicht
diskriminierend sein. Und da habe ich bei den Plänen aus dem
Sondierungspapier große Zweifel.“
Was SPD und Union prüfen wollen, hätte den Charakter einer „doppelten
Sanktion“, so Groß. Völlig zu Recht ahnde der Staat eine Straftat wie etwa
die Unterstützung von Terrororganisationen – schließe dann aber als zweite
Strafe noch die Ausbürgerung an. „Die Staatsangehörigkeit ist etwas so
Grundlegendes, dass man sie auf keinen Fall zu Bestrafungszwecken nutzen
sollte – gerade mit Blick auf die deutsche Geschichte.“
Aus seiner Sicht sei eine solche Regelung verfassungsrechtlich nicht
zulässig. Das liege auch daran, dass eine solche Sanktion sich ganz klar
nur an Eingewanderte und ihre Nachkommen richte. Extremist*innen mit
nur deutscher Staatsangehörigkeit würden von dieser Strafe gar nicht
tangiert. „Sanktionen, die nur einen Teil der Bevölkerung treffen, sind
unter dem im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgesichtspunkt
hochproblematisch.“
Wichtig wäre aus Groß’ Sicht, Extremismus im Ganzen in den Blick zu nehmen
und nicht nur eine bestimmte Gruppe. „Rechtsextreme Terrorunterstützer etwa
haben eher selten eine zweite Staatsangehörigkeit, und auch nicht auf alle
islamistischen Extremisten trifft das zu.“
## Terrorismus bekämpfen ja – aber nicht so
Zudem seien die Kriterien viel zu unklar: Wo beginnen und wo enden
Terrorunterstützung, Extremismus und Antisemitismus? Gerade bei Letzterem
gäbe es noch immer keine „konsensfähige Definition“. Natürlich müsse der
Staat diese Phänomene bekämpfen, so Groß. Das Staatsangehörigkeitsrecht
aber sei der falsche Weg. „Wie immer gilt: Prävention ist wichtiger als
Repression. Davon steht aber im Sondierungspapier nichts.“
Schon als 2019 die Kampfhandlungen für eine Terrororganisation ins Gesetz
aufgenommen wurden, gab es daran harsche Kritik. „Staatsangehörigkeit
begründet staatsbürgerliche Gleichheit“, [5][schrieb damals etwa die
Rechtswissenschaftlerin und heutige Richterin am Bundesverfassungsgericht
Astrid Wallrabenstein im „Verfassungsblog]“. „So wichtig es ist, dass die
Bundesrepublik Deutschland Terrorismus effektiv bekämpft, so wenig darf sie
dabei einen Unterschied nach der Staatsangehörigkeit machen.“
Wallrabenstein sprach im Zusammenhang mit dem damaligen Gesetzentwurf vom
„Keim einer Zweiklassenstaatsangehörigkeit“. Ähnlich sieht es Groß heute.
„Auch, wenn die Regelung sich nur auf Extremisten und Terrorunterstützer
beziehen soll, sendet sie doch ganz klar ein Signal: Die
Staatsangehörigkeit der einen ist weniger wert als die der anderen“, sagt
er.
Nun ist ein Sondierungspapier kein Koalitionsvertrag. Und zumindest
manche*r in der SPD hält wenig von dem, was dort niedergeschrieben ist.
Auf genau diesen Passus angesprochen, sagte [6][am Montag bei „Hart aber
Fair“] die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger: „Es darf kei…
Deutschen erster und zweiter Klasse geben.“
Im Papier sei von einer Prüfung die Rede. Sie habe „ein Gefühl dafür, was
bei dieser Prüfung möglicherweise rauskommt“, sagte sie. Es tue ihr leid,
dass Menschen sich sorgten, was das in der Zukunft und mit anderen
Mehrheiten für sie bedeuten könne. „Und deswegen darf das aus meiner Sicht
so nicht passieren.“
Klar ist aber: Die Botschaft, die vor allem die Union senden wollte – sie
dürfte wohl vor allem bei den [7][rund 3 Millionen
Doppelstaatler*innen] in der Bundesrepublik angekommen sein.
13 Mar 2025
## LINKS
[1] /Arne-Semsrott-ueber-Widerstand-gegen-AfD/!6026376
[2] https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Sonstiges/20250308_Sondierungspapier…
[3] https://www.instagram.com/p/DG9DIAOsCbw/
[4] https://www.gesetze-im-internet.de/stag/BJNR005830913.html
[5] https://verfassungsblog.de/die-egalisierungsfunktion-der-staatsangehoerigke…
[6] https://www1.wdr.de/daserste/hartaberfair/videos/hart-aber-fair-schulden-oh…
[7] https://de.statista.com/infografik/33723/haeufigste-auslaendische-staatsang…
## AUTOREN
Dinah Riese
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