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# taz.de -- Polarisierung im Wahlkampf: „Gut“ und „böse“ sind frei erf…
> Es gibt nur halb so viele ausländische Tatverdächtige, genannt werden sie
> fünfmal so häufig. Wie die willkürliche Einteilung von Gruppen
> funktioniert.
Bild: Migration, die angebliche „Mutter aller Probleme“
Es gibt in der jüngeren Geschichte wenige Menschen, die das Geschäft der
Polarisierung so erfolgreich betreiben wie Donald Trump. An jenem
verhängnisvollen Tag im Juni 2015 fuhr der Geschäftsmann in seinem Trump
Tower in New York eine Rolltreppe herunter, um vor Publikum zu verkünden,
dass er Präsident der Vereinigten Staaten werden wolle.
In dieser allerersten Rede tat er etwas, was sich durch seine gesamte
politische Karriere ziehen wird: [1][Er beschimpfte Migranten]. Mexiko, so
Trump damals, schicke nicht seine besten Leute. Im Gegenteil. „Sie bringen
Drogen. Sie bringen Kriminalität. Sie sind Vergewaltiger“, sagte er. Der
Grundstein für seinen Erfolg war gelegt: Er teilte die Bevölkerung in
Gruppen von „gut“ und „böse“ auf und verkaufte sich als Retter der „…
Teile und herrsche – eine Methode so alt, wie es Herrschaft gibt.
Menschen neigen dazu, zu Gruppen gehören zu wollen. Es gibt in der
Psychologie eine Methode, mit der dieses Gruppenverhalten analysiert wird:
das minimal group paradigm. Das Minimale Gruppenparadigma besagt, dass ein
willkürliches Kriterium genügt, um eine Gruppe als in-group zu definieren
und eine andere Gruppe zur out-group zu erklären.
Es kann ein banales Kriterium wie ein rotes Armband bei der eigenen Gruppe
sein, während die andere Gruppe ein grünes Armband trägt – das allein füh…
dazu, dass Menschen die jeweils andere Gruppe schlechter behandeln und
abwerten. Manche Menschen neigen stark zu diesem Gruppenverhalten, andere
weniger stark, wieder andere neigen überhaupt nicht dazu.
Das Kriterium, das zur Abgrenzung benutzt wird, ist konstruiert. Es kann
ein rotes Armband sein, Geschlecht, Herkunft, ganz egal. Das ist ein
mächtiges politisches Werkzeug, neben physischer Gewalt wohl das mächtigste
Werkzeug der Politik. Trumps politischer Erfolg basiert darauf, das minimal
group paradigm auszunutzen. Es ist ihm gelungen, Menschen davon zu
überzeugen, dass „die Migranten“, die „Woken“, die „radikal Linken�…
ihrem Leid, der schlechten wirtschaftlichen Situation, dem vermeintlichen
Niedergang des Landes Schuld trügen.
Und damit nach Deutschland: Auch hier zeigt sich die Wirkung der
politischen Instrumentalisierung des Gruppenverhaltens. In erster Linie
[2][geht es im Wahlkampf um „Migranten“]. Als Feind markiert werden die
„illegalen“ Migranten sowie alle, die diesen gegenüber zu „freundlich“
gesinnt seien. Es ist vor allem die AfD, die diese Spaltung betreibt, ihre
20 Prozent in den Umfragen basieren darauf, dass sie „Migranten“ zur Wurzel
allen Übels erklärt. Das tun auch CDU/CSU, SPD, Grüne, BSW, FDP: Sie alle
spielen das „Migration ist die Mutter aller Probleme“-Spiel mit. Und hoffen
so, das Erfolgsrezept der AfD für sich zu nutzen.
## Bild des „gefährlichen Migranten“ ist normal geworden
Dieses Spiel zu betreiben ist nicht schwer. Das Kriterium „Herkunft“ ist
zwar so willkürlich wie das rote Armband – aber es wird historisch am
stärksten zur Aufteilung in Gruppen genutzt, denen dann bestimmte
„Eigenschaften“ zugeschrieben werden. So wundert es nicht, dass das Bild
des „gefährlichen Migranten“ politisch und medial eine Normalität ist, au…
wenn es nicht der Realität entspricht. Das zeigt unter anderem eine
Medienanalyse der Hochschule Macromedia in Berlin, die alle zwei Jahre
untersucht, wie Medienberichterstattung und Polizeistatistik zueinander
stehen.
Zahlen aus dem Jahr 2023 zeigen, dass in der Fernseh- sowie in der
Zeitungsberichterstattung über Gewaltkriminalität ausländische
Tatverdächtige etwa fünfmal so oft wie deutsche erwähnt wurden. Obwohl
ausländische Tatverdächtige 33,3 Prozent und deutsche 66,7 Prozent aller
Tatverdächtigen ausmachten. Es gab also halb so viele ausländische
Tatverdächtige, genannt wurden sie aber fünfmal so häufig.
Das Bild des „kriminellen Migranten“ eignet sich allzu gut als
Gruppenkriterium. Bedeutet das, dass Gewalttaten wie jene in Magdeburg,
Aschaffenburg oder gerade erst in München nicht beachtet werden sollten?
Natürlich heißt es das nicht. Im Gegenteil. Sie müssen endlich ernst
genommen werden. Bislang werden sie das nicht, sondern politisch genutzt.
Politiker, das zeigten im Wahlkampf Friedrich Merz und Olaf Scholz
besonders eindrücklich, stellen sich als hart und entschlossen dar, man
schiebe so viel ab wie noch nie, man werde die Grenzen schließen. Sätze,
die seit Jahren so oder so ähnlich aus der Politik zu hören sind. Allein
geändert hat sich nichts.
## Keine Lösungen
Gerade Gewaltverbrechen haben weitaus komplexere Gründe. Zudem scheinen in
einigen der genannten Fälle Behörden ihre Aufgaben nicht richtig gemacht zu
haben. Es gäbe viel aufzuarbeiten und zu verbessern. Natürlich kann man die
Grenzen schließen, auch, wenn das faktisch nicht möglich ist. Was aber
passiert bei der nächsten Attacke, wenn alle Grenzen zu sind? Probleme
werden auf eine Gruppe projiziert – anstatt sie systematisch und
strukturell anzugehen. Was Politiker im deutschen Wahlkampf aufführen, ist
das, was auch Trump macht: Politiktheater.
Es geht nicht um die großen strukturellen Probleme, mit denen Menschen
tagtäglich zu kämpfen haben: schlechte Infrastruktur, Wohnraummangel,
explodierende Krankenversicherungs- und Pflegekosten, fehlende Lehrkräfte,
zu wenig Kitaplätze und Stellen in der öffentlichen Verwaltung,
Digitalisierung, von der Bahn ganz zu schweigen. Aber gesprochen wird über
„die Migranten“. Die Logik des minimal group paradigm schlägt im Wahlkampf
voll zu. Natürlich gibt es [3][viele Menschen, die Angst haben vor
Gewaltkriminalität]. Da hilft kein Verweis auf die Kriminalstatistik, nach
der Deutschland so sicher ist wie noch nie.
Es ist Aufgabe von Politik, die Ängste ernst zu nehmen, nicht sie
auszunutzen. Viele Menschen blicken auf die Politik und wenden sich
frustriert ab. Die meisten wünschen sich Lösungen. Es sieht aber nicht so
aus, als würden sie die bekommen – auch nicht nach dem 23. Februar.
20 Feb 2025
## LINKS
[1] /-Die-USA-unter-Trump-/!6069607
[2] /Innenminister-zur-Migrationspolitik/!6050110
[3] /Migrationsgeschichte-und-Wahlkampf/!6066719
## AUTOREN
Gilda Sahebi
## TAGS
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