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# taz.de -- Kriminologe über Täter von München: „Potenzielle Nachahmer seh…
> Wie lassen sich Taten wie in München verhindern? Der Kriminologe Manuel
> Heinemann fordert Gewaltschutzzentren. Die Rolle der Medien sieht er
> kritisch.
Bild: Schnee fällt auf Kerzen und Blumen, die am Straßenrand in der Nähe des…
taz: Herr Heinemann, was haben Sie gedacht, als Sie [1][von der Gewalttat
in München] gehört haben?
Manuel Heinemann: Da war natürlich erstmal eine große Bestürzung. Auf der
anderen Seite fürchte ich auch die gesellschaftlichen Auswirkungen. Wir
müssen an der Sicherheitsarchitektur etwas verändern, damit wir solche
Ereignisse im Idealfall im Vorfeld verhindern können.
taz: Was schlagen Sie vor?
Heinemann: Wenn Menschen aus dem Umfeld eines möglichen Täters
Informationen haben, gibt es keine guten Strukturen, um diese
weiterzugeben. Dafür brauchen wir Konzepte. Österreich hat zum Beispiel ein
sehr gutes Konzept. Die haben sogenannte Gewaltschutzzentren, an die sich
öffentliche Einrichtungen, aber auch Menschen in der Allgemeinbevölkerung
wenden können. Diese Zentren sammeln die Informationen und geben sie
gegebenenfalls an die Polizei weiter. Sowas benötigen wir aus meiner Sicht
auch in Deutschland.
taz: Aber im Verdachtfall kann sich doch schon jeder an die Polizei wenden.
Heinemann: Da gibt es aber eine große Hemmschwelle. Bevor sie sich dort
hinwenden, denken viele: Ich möchte niemanden umsonst oder fälschlich
verdächtigen. Was passiert denn, wenn ich falsch liege? Kriege ich dann
Ärger? In Österreich sehen wir auch, dass das nicht zu einem
Denunziantentum führt.
taz: Wie bewerten Sie die mediale Berichterstattung zu der tödlichen Fahrt
in München?
Heinemann: Je nach Medium, besser oder schlechter. Wenn ich sehe, dass
Bilder vom Tatort gezeigt werden, oder vom Schaden, der angerichtet wurde,
wenn ich Bilder von einem eingeklemmten Kinderwagen sehe, oder wie der
Täter zu Boden gedrückt wird, dann ist das ein Problem. Eine zu tiefe
Berichterstattung verstärkt das Nachahmer-Potenzial. Dann riskieren wir als
Gesellschaft, [2][dass solche Amokfahrten häufiger werden].
taz: Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hat nach der Tat [3][falsche
Informationen verbreitet], etwa über den Aufenthaltsstatus des Täters. Aber
gibt es nicht auch ein berechtigtes Interesse in der Gesellschaft,
möglichst viel über die Hintergründe der Tat und über den Täter zu
erfahren?
Heinemann: Ich sehe durchaus ein öffentliches Interesse an
Berichterstattung und natürlich auch ein Recht auf Information. Der Punkt
aber ist: Wie tief berichte ich? Muss ich im ersten Beitrag wieder
spekulieren, welche Nationalität der Angreifer hat? Ist das in dem Moment
die relevante Information, oder eignet sich das eher für ein Politikum?
Wenn man solche Details über die Täter nach außen bringt, dann schafft man
diese mögliche Identifikation. Potenzielle Nachahmer sehen solche Personen
als Helden.
taz: Über das Motiv des mutmaßlichen Täters gab es zunächst nur
Spekulationen: War es eine Amokfahrt? Oder ein politisch-religiöses Motiv?
Die Ermittler in München gehen jetzt von einem islamistischen Hintergrund
aus. Wie läuft die Radikalisierung in beiden Fällen ab?
Heinemann: Amok und Terror unterscheiden sich darin, dass Amok keine
politische oder religiöse Motivation hat. Aber die medialen Dynamiken haben
in beiden Fällen ähnliche Auswirkungen. Jemand sieht im Fernsehen: Okay, da
hat jemand eine Amokfahrt begangen. Das tut den Leuten weh, die Leute sind
traurig. Er sieht dann, wie der [4][Täter in Handschellen fixiert am Boden
gezeigt] wird. Und denkt dann: Da hat offenbar jemand eine Lösung für sein
Problem gefunden. Ich suche ja auch eine Lösung für mein Problem.
taz: Wie sieht der zeitliche Horizont dabei aus? Wie lange brauchen
Nachahmer, um sich zur Tat zu entscheiden?
Heinemann: Im vergangenen Herbst gab es eine [5][Serie von Bombendrohungen
gegen Schulen]. Da hatten wir relativ schnell einen Nachahmungseffekt. Aber
wenn es um die Entscheidung geht, eine solche Gewalttat zu begehen, dauert
es oft Tage, bis Wochen oder sogar Monate. Da haben wir also eine gewisse
Verzögerung. Personen, die Bilder und Videos von der Tat, fangen in den
Wochen nach der Inititalberichterstattung an, solches Material besonders
intensiv zu konsumieren, und entwickeln dann eigene Ideen von Gewalt.
taz: Wie können Medien besser über Terroranschläge oder Amokläufe
berichten?
Heinemann: Vor allem unaufgeregt. Wichtig ist, dass auf Schuldzuweisungen
verzichtet wird. Oft gibt es diesen medialen Reflex, sofort die Frage zu
stellen: Wer ist dafür verantwortlich? Wieso hat man das nicht früher
bemerkt? Und das führt zu einem Rechtfertigungsreflex auf Seiten der
Polizei und der Behörden. Die Polizei sollte jetzt erstmal ermitteln und
herausfinden, was dem zugrunde liegt. Im Nachgang muss man sich dann
unaufgeregt damit auseinandersetzen, und überlegen, wie man das in Zukunft
verhindert. Aktuell ist der gesellschaftliche Diskurs stark
emotionalisiert. Die Medien sollten da eine beruhigende Funktion haben.
14 Feb 2025
## LINKS
[1] /Nach-der-Amokfahrt-in-Muenchen/!6069608
[2] /Anschlag-auf-Magdeburger-Weihnachtsmarkt/!6058115
[3] https://www.spiegel.de/panorama/justiz/muenchen-innenminister-joachim-herrm…
[4] /Berichterstattung-zum-Halle-Prozess/!5695585
[5] https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2024/11/brandenburg-rathenow-schule-d…
## AUTOREN
Leon Holly
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Gewaltverbrechen
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