| # taz.de -- Nach dem Anschlag in Magdeburg: Das Weihnachten danach | |
| > Neonazis und AfD instrumentalisieren die Amokfahrt für Hetze gegen | |
| > Migrant:innen. Die Stimmung in Magdeburg ist bedrohlich. | |
| Bild: Grabesruhe. Magdeburg am ersten Weihnachtstag | |
| Grabkerzen sind eigentlich keine typische Weihnachtsdekoration. Trotzdem | |
| stehen die roten Lichter am Morgen des ersten Weihnachtstags überall in der | |
| Magdeburger Innenstadt. Auf digitalen Anzeigetafeln brennen Trauerkerzen | |
| auf schwarzem Untergrund. Wenige Tage nachdem ein 50-jähriger Mann aus | |
| Saudi-Arabien mit einem schwarzen Mietwagen BMW X3 über den Weihnachtsmarkt | |
| gerast war, fünf Menschen tötete, darunter ein Kind, und Hunderte teils | |
| schwer verletzte, ist klar: Dieses Weihnachten in Magdeburg ist anders. | |
| Schock und Trauer überlagern das Fest. | |
| „Frohe Weihnachten“, sagt Abdalla al-H., und überreicht eine Schachtel | |
| Schokolade. Der 18-Jährige steht am Weihnachtstag unweit des Anschlagsorts | |
| am Alten Markt. Al-H. studiert Bauingenieurwesen, er trägt einen schicken | |
| Pullover, dazu eine Anzughose. Nur die angeschwollene Unterlippe stört das | |
| Bild: „Hier bin ich am Abend des 20. Dezember entlanggelaufen“, erinnert er | |
| sich. | |
| Al-H. war selbst nicht auf dem Weihnachtsmarkt, als der Anschlag um 19 Uhr | |
| am Freitagabend passierte. Aber als er etwa drei Stunden später dort | |
| vorbeilief, auf dem Heimweg von einem Termin, da sei er von einer Gruppe | |
| von sechs Männern angepöbelt worden. „Sie haben ausländerfeindliche Sachen | |
| in meine Richtung gerufen“, erinnert er sich. Die Männer hätten begonnen, | |
| ihn zu schubsen, er habe sich gewehrt. Wie aus dem Nichts habe er dann eine | |
| Faust im Gesicht gehabt. Seine Lippe platzte auf, zwei seiner Zähne | |
| lockerten sich. In der Nähe steht ein Streifenwagen der Polizei – doch die | |
| Polizisten, an die er sich hilfesuchend gewandt habe, hätten ihn | |
| durchsucht, statt sich um die Angreifer zu kümmern. | |
| Der junge Mann veröffentlicht den Vorfall als Video auf der | |
| Social-Media-Plattform TikTok, als Warnung für andere, wie er sagt. Und | |
| al-H. ist mit seiner Erfahrung nicht alleine: Zahlreiche Menschen wurden | |
| Opfer von rassistischen Übergriffen bereits unmittelbar nach der Tat von | |
| Magdeburg, wie etwa auch das Landesnetzwerk Migrantenorganisationen | |
| Sachsen-Anhalt (Lamsa) e. V., bestätigt, das eine Telefonseelsorge | |
| eingerichtet hat. Obwohl schnell die Runde machte, dass Taleb | |
| al-Abdulmohsen offenbar AfD-Sympathisant war und den Islam verabscheute – | |
| die Tatsache, dass er aus Saudi-Arabien stammte, war ausreichend, um einen | |
| rechten Mob auf die Straße zu bringen. | |
| Auch der 28-jährige Tawfeek al-Sheikh erlebte noch am Abend der Tat, wie | |
| auf den Anschlag, dem er nur um ein Haar entging, sofort Hass folgte. Um 19 | |
| Uhr war der studierte Sozialarbeiter noch mit Freunden auf dem | |
| Weihnachtsmarkt. Der Syrer al-Sheikh kam 2015 nach Deutschland, lebte eine | |
| Zeitlang in Magdeburg und war über die Weihnachtsfeiertage zu Besuch. „Es | |
| herrschte weihnachtliche Stimmung, wie man es halt so kennt“, sagt er über | |
| den Freitagabend. | |
| Dann die Amokfahrt, die Polizei räumt das Gelände, und auch als man noch | |
| gar nicht gewusst habe, wer der Täter genau war, habe er bereits gemerkt: | |
| „Die Menschen haben einfach angefangen, mich so richtig komisch anzustarren | |
| die ganze Zeit“, erzählt Al Sheikh. Kurze Zeit später habe er mit | |
| Freund:innen den Heimweg angetreten. „Verpisst euch! Was habt ihr hier | |
| noch zu suchen?“, habe ein Mann sie angeschrien und ihn und seine Freunde | |
| beschuldigt, zum Täter zu gehören. „Ich habe gar nicht reagiert, ich war | |
| einfach nur geschockt“, so Al Sheikh. In Panik seien er und seine | |
| Freund:innen noch in der Nacht aus der Stadt weg nach Halle an der Saale | |
| gefahren, zu Freunden, erzählt er. | |
| Direkt neben dem Alten Markt ist ein Café, hier herrscht reges Treiben an | |
| Weihnachten. Ein Bier nach dem anderen wandert über den Tresen. Eine Gruppe | |
| älterer Männer starrt immer wieder herüber. Al-Sheikh ist zusammen mit | |
| einem Freund gekommen. Der 25-jährige Palästinenser Mohammad Majde | |
| Abdullmouti war am Freitagabend auch auf dem Weihnachtsmarkt. Mit den | |
| Kollegen des Jugendtreffs, in dem er gerade sein Anerkennungsjahr als | |
| Erzieher macht, wollte er die Feiertage einläuten. | |
| Kurz bevor das Auto in die Menge raste, hatte sich Abdullmouti auf den | |
| Heimweg gemacht. Auch er ist immer noch von den Ereignissen in seiner | |
| Heimatstadt geschockt. Und auch er beschreibt, dass sich die Stimmung | |
| geändert habe in der Stadt: Nebenbei arbeitet Abdullmouti als | |
| Pizzalieferant. „Auf dem Weg, immer wenn ich Pizza liefere, gucken mich die | |
| Leute an, als ob ich der Täter sei“, sagt er. | |
| Am Eingang des Weihnachtsmarkts bleiben al-Sheikh und Abdullmouti an der | |
| dort eingerichteten Gedenkstätte stehen. Beide blicken sichtlich schockiert | |
| auf das Kerzenmeer. Eine Freundin von Abdullmouti kommt zufällig vorbei. | |
| Sie halten sich lange im Arm. Gemeinsam gehen al-Sheikh und Abdullmouti | |
| wieder an den Ort des Geschehens zurück. Kleine Gruppen flanieren den | |
| Tatort entlang. Und da sind sie wieder: die misstrauischen Blicke. Dabei | |
| sind Menschen wie al-Sheikh und Adullmouti genauso von dem Attentat | |
| betroffen – und zählen obendrein vermutlich noch zum Feindbild des | |
| Amokfahrers. | |
| Denn es ist zwar noch nicht abschließend geklärt, was den Todesfahrer, der | |
| in Untersuchungshaft sitzt, am Ende zu seiner Tat brachte. Aber einiges | |
| lässt sich über ihn auf X herausfinden. Dort hatte er mit über 40.000 | |
| Follower:innen eine recht große Anhängerschaft. Unter anderem sprach er | |
| sich dort für die AfD aus, er schrieb, er wolle mit ebendieser kooperieren. | |
| Man kämpfe für die gleiche Sache. | |
| ## Parallelen zu Schüssen im Münchner Einkaufszentrum | |
| Der thüringische Verfassungsschutzchef bestätigte gegenüber dem ZDF, es | |
| gebe bei al-Abdulmohsen Überschneidungen zu rechtsextremen Ideologien. | |
| Extremismusexpert:innen tun sich mit der Einordnung schwerer, die Rede | |
| ist von einem „völlig untypischen Muster“. Das wiederum stimmt in dieser | |
| Absolutheit so nicht. | |
| In München tötete am Abend des 22. Juli 2016 ein 18-Jähriger neun Menschen | |
| im Münchner Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) mit gezielten Schüssen. Fünf | |
| weitere Personen wurden durch Schüsse verletzt. Der Täter, ein | |
| Deutsch-Iraner, hatte gezielt Menschen mit Migrationshintergrund ins Visier | |
| genommen. Dennoch wurde die Tat zunächst als Amoklauf eingestuft und nicht | |
| als rechtsextremistisch motiviert bewertet. Das änderte sich erst nach | |
| einer langen öffentlichen Debatte im Oktober 2019. | |
| Die Initiative „München (OEZ) erinnern!“ sieht mögliche Parallelen: Damals | |
| hätten die Behörden ein rassistisches Motiv verkannt, weil der Täter selbst | |
| als „Ausländer“ markiert worden sei. „Das ist institutioneller Rassismus… | |
| und ein typisches Muster in deutschen Ermittlungsbehörden“, erklärte die | |
| Initiative in der vergangenen Woche: „Wir fordern die Polizei auf, rechte | |
| und rassistische Tatmotivationen erst dann auszuschließen, wenn sie durch | |
| Ermittlungsergebnisse widerlegbar sind.“ | |
| Durch das Wahrzeichen der Stadt, den Magdeburger Dom, schallt am | |
| Weihnachtsmorgen die Orgel, der Chor singt. Halb voll ist die eisig kalte | |
| gotische Kathedrale, etwa 200 Menschen verteilen sich auf den | |
| Kirchenbänken. Friedrich Kramer, der Landesbischof der evangelischen Kirche | |
| in Mitteldeutschland, thematisiert das Attentat immer wieder: „Das Licht | |
| ist stärker als die Dunkelheit. Liebe ist stärker als Hass“, sagt Kramer. | |
| Zum Zeichen des Friedens reichen sich die Besucher:innen die Hand. | |
| In der Sakristei sagt Kramer nach dem Gottesdienst der taz, alle | |
| Kolleg:innen in Mitteldeutschland hätten sich auf die Situation | |
| eingestellt. Wenn schon am Tag nach dem Anschlag versucht werde, die Tat | |
| für politische Zwecke zu missbrauchen, „ist das einfach nicht anständig“, | |
| sagt Kramer. Der Gewalttäter sei einer, der auf den Thron der | |
| Aufmerksamkeit wolle. „Aber wir müssen bei den Betroffenen, bei den Opfern, | |
| bei denen sein, die niedergeschlagen sind, und das können wir als Kirche | |
| sehr gut. Dafür sind wir da und das machen wir auch“, so Kramer. | |
| Das finden auch Barbara und Franz Reckziegel. Die beiden 83-Jährigen kommen | |
| gerade aus dem Gottesdienst. Sie sind Teil der Domgemeinde. Barbara | |
| Reckziegel erzählt, ihr sei es sehr wichtig, mit anderen zusammenzukommen, | |
| die vielleicht die gleichen Sorgen oder Gedanken wie sie hätten. „Ich finde | |
| in der Gemeinschaft den Trost, dass so viele zusammenkommen, um für das | |
| Gute zu beten und auch gemeinsam zu singen und auch fröhlich zu sein in | |
| dieser Zeit“, erzählt die Rentnerin. | |
| Während ein Mann mit Gesichtstätowierung einem Fernsehsender etwas über | |
| „vermeintliche Fachkräfte“, wegen denen er sich nun Sorgen um seine Kinder | |
| mache, erzählt, finden die beiden klare Worte: „Es gibt nun einige ganz | |
| bestimmte Leute, die den Hass schüren und sich daran ergötzen, dass andere | |
| Menschen leiden“, so Franz Reckziegel. | |
| ## Die AfD eröffnet den Bundestagswahlkampf | |
| Auch der Bundesopferbeauftragte Pascal Kober (FDP) besuchte Magdeburg nach | |
| dem Anschlag und warnte [1][im Gespräch mit der taz] vor vorschnellen | |
| politischen Schlussfolgerungen. „Ich glaube, es zeigt keine Souveränität, | |
| wenn man sich zu früh positioniert“. Nach einem solchen Ereignis bräuchten | |
| die Betroffenen vor allem Unterstützung, um sowohl psychisch als auch | |
| physisch wieder gesund zu werden. | |
| Direkt vor der Kathedrale hatte die AfD am Montagabend ihren | |
| Bundestagswahlkampf eröffnet. „Bei aller Trauer spüre ich einen Funken des | |
| Zusammenhalts, den wir nähren sollten, der wachsen sollte“, sagte dort die | |
| Vorsitzende Alice Weidel, die Kanzlerkandidatin der Partei. Welchen | |
| Zusammenhalt sie meinte, blieb allerdings unklar: „Wer Deutschland nicht | |
| liebt, soll Deutschland verlassen“, oder schlicht „abschieben“ skandierten | |
| viele der rund 3.500 Teilnehmer:innen. | |
| Man wolle endlich wieder in Sicherheit leben, sagte Weidel. Dass es sich | |
| bei al-Abdulmohsen um einen mutmaßlichen AfD-Anhänger handelt, der auf X | |
| ausländer- und islamfeindliche Äußerungen von sich gab, ignorierte Weidel. | |
| Danach zog die Menge als Trauermarsch einmal um den Block: Die Junge | |
| Alternative vorneweg, um dann mit einem „Wehrt euch endlich“-Banner an der | |
| ersten Strophe von „Stille Nacht, Heilige Nacht“ zu scheitern. Dann zog | |
| eine Gruppe junger Neonazis mit Pyrotechnik und „Antifa Hurensöhne“-Gegrö… | |
| los in Richtung einer gleichzeitig stattfindenden Lichterkette der | |
| Initiative Gib Hass keine Chance, die mit über 7.000 Teilnehmer:innen | |
| auf der Straßen war. Die Polizei stoppte die Neonazis 500 Meter vor der | |
| Lichterkette. Hinter den Neonazis steht die militante Organisation JS | |
| Sachsen-Anhalt. Es ist dasselbe Milieu, aus dem die Angreifer auf diverse | |
| Wahlkämpfer:innen vor den Europa- und Landtagswahlen in diesem Jahr | |
| stammen. Parallel zur Kundgebung verübten Neonazis einen Brandanschlag auf | |
| den [2][linken Magdeburger Szenetreff Libertäres Zentrum (LIZ]). | |
| Die militante Neonaziszene war sehr schnell darin, den Anschlag zu | |
| instrumentalisieren. Bereits am Samstagabend, 24 Stunden nach dem Anschlag | |
| auf den Weihnachtsmarkt, versammeln sich laut Polizei mehr als 2.000 | |
| Menschen am Hasselbachplatz unweit des Hauptbahnhofs. Der Damaskus-Imbiss | |
| am Rand des Platzes beeilt sich an diesem Abend, die Tür zu schließen. | |
| Thorsten Heise, Mitglied im Bundesvorstand von Die Heimat, der | |
| Nachfolgeorganisation der NPD, heizt der Menge ein: „Abschieben, | |
| abschieben, abschieben“, tönt es über den Platz. Am Hauptbahnhof dann die | |
| Eskalation: Mit Pyrotechnik stürmt eine Gruppe los und pöbelt vor dem | |
| Bahnhof eine Person of Color an. Die Polizei drängt die Person grob zur | |
| Seite, weg von den Nazis. Im Zaum halten will oder kann sie die Pöbelnden | |
| offenbar nicht. | |
| ## Gefahrenzone für Migrant:innen | |
| Und auch drei Tage nach der Neonazikundgebung, zu Weihnachten, war der | |
| Hasselbachplatz noch eine Gefahrenzone für Migrant:innen. Wegen der | |
| aufgeheizten Stimmung in der Stadt hatte sich eine Intensivkrankenpflegerin | |
| nach Schichtende von ihrem Mann abholen lassen. Die vergangenen Tage hatte | |
| sie mit Kolleg:innen im Uniklinikum um das Leben der Schwerverletzten | |
| gerungen. Am Telefon schildert Fatima B., deren richtiger Name der taz | |
| bekannt ist, wie ein Betrunkener begonnen habe, sie und ihren Mann zu | |
| beleidigen, als sie sich am Hasselbachplatz noch etwas zu essen holen | |
| wollten. | |
| Scheiß Ausländer, scheiß Araber, verpisst euch aus meinem Land, wir bringen | |
| euch um, wir werden euch vergasen“, habe der Mann gerufen, erinnert sich | |
| Fatima B. Dazu habe der Mann den Hitlergruß gezeigt. „Ich dachte, ich sei | |
| im falschen Film“, erzählt die 22-Jährige. Der Mann habe dann begonnen, | |
| gegen die Fensterscheibe ihres Autos zu schlagen. | |
| Um 22.31 Uhr rief Fatima B. die Polizei. Die habe gesagt, man werde zivile | |
| Einsatzkräfte schicken. In der Zwischenzeit seien sie langsam mit dem Auto | |
| weitergefahren, hätten aber versucht, den Mann nicht aus dem Blick zu | |
| verlieren. „Wir konnten es mit unserem Gewissen einfach nicht vereinbaren, | |
| dass so jemand umherläuft und wir nichts machen“, sagt Fatima B. Als sie | |
| anhielten, um mit einem Pärchen zu sprechen, die fragten, ob alles in | |
| Ordnung sei, habe der Mann die Chance genutzt und durch das offene Fenster | |
| ihrem Mann mehrfach brutal ins Gesicht geschlagen. Als sie versuchte, zu | |
| intervenieren, traf der Angreifer auch Fatima B. mit seiner Faust im | |
| Gesicht. Kurz darauf, gegen 22.45 Uhr, nahm die Polizei den Angreifer in | |
| Gewahrsam, der sich vehement wehrte. Das zeigen Videos, die der taz | |
| vorliegen. | |
| Famita B. und ihr Mann landeten in der Notaufnahme des | |
| Universitätsklinikums Magdeburg, in dem die Intensivschwester selbst bis | |
| vor wenigen Stunden noch gearbeitet hatte. Der Mann soll bereits zuvor | |
| Migrant:innen angefeindet haben. So beschreibt ein Imbissbetreiber der | |
| taz, wie er von demselben Mann am Hasselbachplatz angespuckt und beleidigt | |
| worden sei. „Ich fühle mich einfach nicht mehr sicher und habe Angst um | |
| mich, meine Familie und meine Freunde, weil ich einfach weiß, dass es nicht | |
| das erste und das letzte Mal ist und wir nicht die Einzigen sind, die davon | |
| betroffen sind“, sagt Fatima B. | |
| Die Polizei äußerte sich bisher trotz mehrmaliger Nachfrage nicht zu den | |
| aktuellen Zahlen rassistischer Gewalt nach dem Anschlag. In einem Telefonat | |
| mit der taz betonte ein Sprecher, dass man überlastet sei. Allerdings hatte | |
| die Polizei dem MDR am Sonntag mitgeteilt, dass ihr keine Informationen | |
| über rassistisch motivierte Angriffe vorlägen. taz-Recherchen zeigen | |
| jedoch: Mehrere Betroffene haben bereits Anzeige erstattet. | |
| In Magdeburg, wo etwa 10 Prozent der Stadt keine deutsche | |
| Staatsangehörigkeit haben, zeigen die Schilderungen der Betroffenen, wie | |
| angespannt die Situation nach dem Anschlag dort ist. Nach dem Anschlag habe | |
| große Unsicherheit in der migrantischen Community geherrscht, berichtet | |
| auch der Geschäftsführer des Landesnetzwerks Migrantenorganisationen | |
| Sachsen-Anhalt, Mamad Mohamad. Um Betroffene zu unterstützen und die | |
| Vorfälle zu dokumentieren, habe der Verein eine Hotline eingerichtet. „Das | |
| hat zwei Ziele: Einerseits wollen wir die Fälle erfassen und strukturieren. | |
| Andererseits geht es darum, die Betroffenen zu ermutigen, Anzeige zu | |
| erstatten, Opferberatungen in Anspruch zu nehmen oder einfach das Gefühl zu | |
| vermitteln, dass sie nicht alleine sind.“ | |
| Seitdem seien dem Verein zahlreiche Vorfälle gemeldet worden – von | |
| Angriffen auf Menschen, die an einer Menschenkette teilnahmen, bis hin zu | |
| einem Pizzafahrer, der während seiner Lieferung attackiert wurde. „In | |
| Ostdeutschland, vor allem in Sachsen-Anhalt, haben wir leider immer wieder | |
| mit rassistischen Vorfällen zu kämpfen“, sagt Mohamad. Aber die | |
| Konzentration auf Magdeburg habe seit dem Anschlag eine neue Qualität | |
| bekommen. | |
| ## Mehr Empathie bei der Hilfe | |
| Von dem angegriffenen Lieferando-Mitarbeiter berichtet auch Saeed Saeed, | |
| Migrationsbeirat der Stadt Magdeburg und Vorstand des Syrisch-Deutschen | |
| Kulturvereins. Seit mehreren Tagen sei er mit zahlreichen Menschen aus der | |
| Community in Kontakt, berichtet er. Unter anderem soll es zu einem Angriff | |
| auf ein 13-jähriges Kind im Aufzug von dessen Wohnhaus gekommen sein. | |
| Außerdem sollen Fahrer:innen der öffentlichen Verkehrsmittel in | |
| Magdeburg mit Migrationsbiografie versuchen, Schichten zu bestimmten Zeiten | |
| wegen befürchteter Anfeindungen zu tauschen. „Die Stimmung gegen Ausländer | |
| hat sich spürbar verändert“, sagt Saeed. Als Teil der Magdeburger | |
| Gesellschaft sei er – wie viele andere – in tiefer Trauer. „Das hat uns | |
| einfach zerstört“, so der 24-Jährige, und er appelliert an Politik und | |
| Gesellschaft, sich aktiv für Veränderung einzusetzen, „bevor wir noch mehr | |
| Menschen verlieren“. | |
| Der [3][Bundesopferbeauftragte Pascal Kober warnt], dass die tatsächliche | |
| Zahl der Betroffenen des Anschlags in den kommenden Tagen noch deutlich | |
| steigen könnte, da viele erfahrungsgemäß erst später Unterstützungsbedarf | |
| anmeldeten, etwa weil sie traumatisierende Szenen beobachtet haben. Zu | |
| diesem Zweck wurde eine Telefonhotline unter der Nummer 08 00–0 00 95 46 | |
| eingerichtet, die rund um die Uhr für Betroffene – darunter Hinterbliebene, | |
| Verletzte, deren Angehörige sowie Augenzeugen der Tat – erreichbar ist. | |
| „Mich persönlich macht es natürlich auch betroffen, wenn ich sehe, wie die | |
| Menschen leiden“, sagt Kober, der selbst in der vergangenen Woche in | |
| Magdeburg war. „Ich lerne viele der Betroffenen persönlich kennen – nicht | |
| unmittelbar nach dem Anschlag, aber in den Wochen und Monaten danach, wenn | |
| sie Gespräche mit mir wünschen.“ | |
| Gemeinsam mit der Opferbeauftragten des Landes Sachsen-Anhalt habe er zudem | |
| ein Schreiben an alle bisher bekannten Hinterbliebenen, Verletzten und | |
| Tatzeugen verschickt. „Diese Maßnahmen richten sich an alle Betroffenen, | |
| auch an Menschen, die sich erst später bei uns melden, da sie zunächst | |
| Abstand gewinnen wollen“, erklärt Kober. „Unser Angebot bleibt dauerhaft | |
| bestehen, und wir stehen den Betroffenen weiterhin als Ansprechpartner zur | |
| Verfügung.“ | |
| Besonders wichtig sei es nun, dass die Leistungen des Sozialstaats die | |
| Betroffenen schnell, unkompliziert und mit möglichst wenig Belastung | |
| erreichten. Nach dem Attentat eines Islamisten auf den Weihnachtsmarkt am | |
| Berliner Breitscheidplatz im Jahr 2016 mit mehreren Toten und ebenfalls | |
| sehr vielen Verletzten war ein Kritikpunkt von Opfern, dass die Hilfe sehr | |
| bürokratisch organisiert war und als empathielos wahrgenommen wurde. | |
| Auch die politische Aufarbeitung des Anschlags geht weiter. Am 30. Dezember | |
| kommen im Bundestag der Innenausschuss und das parlamentarische | |
| Kontrollgremium zusammen. Es soll aufgearbeitet werden, welche Hinweise zu | |
| al-Abdulmohsen die Behörden wann hatten, ob der Anschlag mit dem Wissen | |
| hätte verhindert werden können. | |
| Unterdessen werden mögliche Sicherheitsmängel konkreter: Ein Polizeiwagen | |
| soll als mobile Sperre nicht am zugewiesenen Platz gewesen sein, wie unter | |
| anderem das ZDF am Mittwoch unter Berufung auf das Innenministerium | |
| berichtete. al-Abdulmohsen habe das Auto so ungehindert auf den | |
| Weihnachtsmarkt steuern können. Gegen die Stadt Magdeburg als Betreiber des | |
| Weihnachtsmarkts und die zuständige Polizeidienststelle sei Anzeige | |
| erstattet worden. | |
| 26 Dec 2024 | |
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| [2] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/magdeburg/magdeburg/brand-pol… | |
| [3] /Bundesopferbeauftragter-ueber-Magdeburg/!6059069 | |
| ## AUTOREN | |
| Yağmur Ekim Çay | |
| Michael Trammer | |
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