# taz.de -- Nach dem Anschlag in Magdeburg: Das Weihnachten danach | |
> Neonazis und AfD instrumentalisieren die Amokfahrt für Hetze gegen | |
> Migrant:innen. Die Stimmung in Magdeburg ist bedrohlich. | |
Bild: Grabesruhe. Magdeburg am ersten Weihnachtstag | |
Grabkerzen sind eigentlich keine typische Weihnachtsdekoration. Trotzdem | |
stehen die roten Lichter am Morgen des ersten Weihnachtstags überall in der | |
Magdeburger Innenstadt. Auf digitalen Anzeigetafeln brennen Trauerkerzen | |
auf schwarzem Untergrund. Wenige Tage nachdem ein 50-jähriger Mann aus | |
Saudi-Arabien mit einem schwarzen Mietwagen BMW X3 über den Weihnachtsmarkt | |
gerast war, fünf Menschen tötete, darunter ein Kind, und Hunderte teils | |
schwer verletzte, ist klar: Dieses Weihnachten in Magdeburg ist anders. | |
Schock und Trauer überlagern das Fest. | |
„Frohe Weihnachten“, sagt Abdalla al-H., und überreicht eine Schachtel | |
Schokolade. Der 18-Jährige steht am Weihnachtstag unweit des Anschlagsorts | |
am Alten Markt. Al-H. studiert Bauingenieurwesen, er trägt einen schicken | |
Pullover, dazu eine Anzughose. Nur die angeschwollene Unterlippe stört das | |
Bild: „Hier bin ich am Abend des 20. Dezember entlanggelaufen“, erinnert er | |
sich. | |
Al-H. war selbst nicht auf dem Weihnachtsmarkt, als der Anschlag um 19 Uhr | |
am Freitagabend passierte. Aber als er etwa drei Stunden später dort | |
vorbeilief, auf dem Heimweg von einem Termin, da sei er von einer Gruppe | |
von sechs Männern angepöbelt worden. „Sie haben ausländerfeindliche Sachen | |
in meine Richtung gerufen“, erinnert er sich. Die Männer hätten begonnen, | |
ihn zu schubsen, er habe sich gewehrt. Wie aus dem Nichts habe er dann eine | |
Faust im Gesicht gehabt. Seine Lippe platzte auf, zwei seiner Zähne | |
lockerten sich. In der Nähe steht ein Streifenwagen der Polizei – doch die | |
Polizisten, an die er sich hilfesuchend gewandt habe, hätten ihn | |
durchsucht, statt sich um die Angreifer zu kümmern. | |
Der junge Mann veröffentlicht den Vorfall als Video auf der | |
Social-Media-Plattform TikTok, als Warnung für andere, wie er sagt. Und | |
al-H. ist mit seiner Erfahrung nicht alleine: Zahlreiche Menschen wurden | |
Opfer von rassistischen Übergriffen bereits unmittelbar nach der Tat von | |
Magdeburg, wie etwa auch das Landesnetzwerk Migrantenorganisationen | |
Sachsen-Anhalt (Lamsa) e. V., bestätigt, das eine Telefonseelsorge | |
eingerichtet hat. Obwohl schnell die Runde machte, dass Taleb | |
al-Abdulmohsen offenbar AfD-Sympathisant war und den Islam verabscheute – | |
die Tatsache, dass er aus Saudi-Arabien stammte, war ausreichend, um einen | |
rechten Mob auf die Straße zu bringen. | |
Auch der 28-jährige Tawfeek al-Sheikh erlebte noch am Abend der Tat, wie | |
auf den Anschlag, dem er nur um ein Haar entging, sofort Hass folgte. Um 19 | |
Uhr war der studierte Sozialarbeiter noch mit Freunden auf dem | |
Weihnachtsmarkt. Der Syrer al-Sheikh kam 2015 nach Deutschland, lebte eine | |
Zeitlang in Magdeburg und war über die Weihnachtsfeiertage zu Besuch. „Es | |
herrschte weihnachtliche Stimmung, wie man es halt so kennt“, sagt er über | |
den Freitagabend. | |
Dann die Amokfahrt, die Polizei räumt das Gelände, und auch als man noch | |
gar nicht gewusst habe, wer der Täter genau war, habe er bereits gemerkt: | |
„Die Menschen haben einfach angefangen, mich so richtig komisch anzustarren | |
die ganze Zeit“, erzählt Al Sheikh. Kurze Zeit später habe er mit | |
Freund:innen den Heimweg angetreten. „Verpisst euch! Was habt ihr hier | |
noch zu suchen?“, habe ein Mann sie angeschrien und ihn und seine Freunde | |
beschuldigt, zum Täter zu gehören. „Ich habe gar nicht reagiert, ich war | |
einfach nur geschockt“, so Al Sheikh. In Panik seien er und seine | |
Freund:innen noch in der Nacht aus der Stadt weg nach Halle an der Saale | |
gefahren, zu Freunden, erzählt er. | |
Direkt neben dem Alten Markt ist ein Café, hier herrscht reges Treiben an | |
Weihnachten. Ein Bier nach dem anderen wandert über den Tresen. Eine Gruppe | |
älterer Männer starrt immer wieder herüber. Al-Sheikh ist zusammen mit | |
einem Freund gekommen. Der 25-jährige Palästinenser Mohammad Majde | |
Abdullmouti war am Freitagabend auch auf dem Weihnachtsmarkt. Mit den | |
Kollegen des Jugendtreffs, in dem er gerade sein Anerkennungsjahr als | |
Erzieher macht, wollte er die Feiertage einläuten. | |
Kurz bevor das Auto in die Menge raste, hatte sich Abdullmouti auf den | |
Heimweg gemacht. Auch er ist immer noch von den Ereignissen in seiner | |
Heimatstadt geschockt. Und auch er beschreibt, dass sich die Stimmung | |
geändert habe in der Stadt: Nebenbei arbeitet Abdullmouti als | |
Pizzalieferant. „Auf dem Weg, immer wenn ich Pizza liefere, gucken mich die | |
Leute an, als ob ich der Täter sei“, sagt er. | |
Am Eingang des Weihnachtsmarkts bleiben al-Sheikh und Abdullmouti an der | |
dort eingerichteten Gedenkstätte stehen. Beide blicken sichtlich schockiert | |
auf das Kerzenmeer. Eine Freundin von Abdullmouti kommt zufällig vorbei. | |
Sie halten sich lange im Arm. Gemeinsam gehen al-Sheikh und Abdullmouti | |
wieder an den Ort des Geschehens zurück. Kleine Gruppen flanieren den | |
Tatort entlang. Und da sind sie wieder: die misstrauischen Blicke. Dabei | |
sind Menschen wie al-Sheikh und Adullmouti genauso von dem Attentat | |
betroffen – und zählen obendrein vermutlich noch zum Feindbild des | |
Amokfahrers. | |
Denn es ist zwar noch nicht abschließend geklärt, was den Todesfahrer, der | |
in Untersuchungshaft sitzt, am Ende zu seiner Tat brachte. Aber einiges | |
lässt sich über ihn auf X herausfinden. Dort hatte er mit über 40.000 | |
Follower:innen eine recht große Anhängerschaft. Unter anderem sprach er | |
sich dort für die AfD aus, er schrieb, er wolle mit ebendieser kooperieren. | |
Man kämpfe für die gleiche Sache. | |
## Parallelen zu Schüssen im Münchner Einkaufszentrum | |
Der thüringische Verfassungsschutzchef bestätigte gegenüber dem ZDF, es | |
gebe bei al-Abdulmohsen Überschneidungen zu rechtsextremen Ideologien. | |
Extremismusexpert:innen tun sich mit der Einordnung schwerer, die Rede | |
ist von einem „völlig untypischen Muster“. Das wiederum stimmt in dieser | |
Absolutheit so nicht. | |
In München tötete am Abend des 22. Juli 2016 ein 18-Jähriger neun Menschen | |
im Münchner Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) mit gezielten Schüssen. Fünf | |
weitere Personen wurden durch Schüsse verletzt. Der Täter, ein | |
Deutsch-Iraner, hatte gezielt Menschen mit Migrationshintergrund ins Visier | |
genommen. Dennoch wurde die Tat zunächst als Amoklauf eingestuft und nicht | |
als rechtsextremistisch motiviert bewertet. Das änderte sich erst nach | |
einer langen öffentlichen Debatte im Oktober 2019. | |
Die Initiative „München (OEZ) erinnern!“ sieht mögliche Parallelen: Damals | |
hätten die Behörden ein rassistisches Motiv verkannt, weil der Täter selbst | |
als „Ausländer“ markiert worden sei. „Das ist institutioneller Rassismus… | |
und ein typisches Muster in deutschen Ermittlungsbehörden“, erklärte die | |
Initiative in der vergangenen Woche: „Wir fordern die Polizei auf, rechte | |
und rassistische Tatmotivationen erst dann auszuschließen, wenn sie durch | |
Ermittlungsergebnisse widerlegbar sind.“ | |
Durch das Wahrzeichen der Stadt, den Magdeburger Dom, schallt am | |
Weihnachtsmorgen die Orgel, der Chor singt. Halb voll ist die eisig kalte | |
gotische Kathedrale, etwa 200 Menschen verteilen sich auf den | |
Kirchenbänken. Friedrich Kramer, der Landesbischof der evangelischen Kirche | |
in Mitteldeutschland, thematisiert das Attentat immer wieder: „Das Licht | |
ist stärker als die Dunkelheit. Liebe ist stärker als Hass“, sagt Kramer. | |
Zum Zeichen des Friedens reichen sich die Besucher:innen die Hand. | |
In der Sakristei sagt Kramer nach dem Gottesdienst der taz, alle | |
Kolleg:innen in Mitteldeutschland hätten sich auf die Situation | |
eingestellt. Wenn schon am Tag nach dem Anschlag versucht werde, die Tat | |
für politische Zwecke zu missbrauchen, „ist das einfach nicht anständig“, | |
sagt Kramer. Der Gewalttäter sei einer, der auf den Thron der | |
Aufmerksamkeit wolle. „Aber wir müssen bei den Betroffenen, bei den Opfern, | |
bei denen sein, die niedergeschlagen sind, und das können wir als Kirche | |
sehr gut. Dafür sind wir da und das machen wir auch“, so Kramer. | |
Das finden auch Barbara und Franz Reckziegel. Die beiden 83-Jährigen kommen | |
gerade aus dem Gottesdienst. Sie sind Teil der Domgemeinde. Barbara | |
Reckziegel erzählt, ihr sei es sehr wichtig, mit anderen zusammenzukommen, | |
die vielleicht die gleichen Sorgen oder Gedanken wie sie hätten. „Ich finde | |
in der Gemeinschaft den Trost, dass so viele zusammenkommen, um für das | |
Gute zu beten und auch gemeinsam zu singen und auch fröhlich zu sein in | |
dieser Zeit“, erzählt die Rentnerin. | |
Während ein Mann mit Gesichtstätowierung einem Fernsehsender etwas über | |
„vermeintliche Fachkräfte“, wegen denen er sich nun Sorgen um seine Kinder | |
mache, erzählt, finden die beiden klare Worte: „Es gibt nun einige ganz | |
bestimmte Leute, die den Hass schüren und sich daran ergötzen, dass andere | |
Menschen leiden“, so Franz Reckziegel. | |
## Die AfD eröffnet den Bundestagswahlkampf | |
Auch der Bundesopferbeauftragte Pascal Kober (FDP) besuchte Magdeburg nach | |
dem Anschlag und warnte [1][im Gespräch mit der taz] vor vorschnellen | |
politischen Schlussfolgerungen. „Ich glaube, es zeigt keine Souveränität, | |
wenn man sich zu früh positioniert“. Nach einem solchen Ereignis bräuchten | |
die Betroffenen vor allem Unterstützung, um sowohl psychisch als auch | |
physisch wieder gesund zu werden. | |
Direkt vor der Kathedrale hatte die AfD am Montagabend ihren | |
Bundestagswahlkampf eröffnet. „Bei aller Trauer spüre ich einen Funken des | |
Zusammenhalts, den wir nähren sollten, der wachsen sollte“, sagte dort die | |
Vorsitzende Alice Weidel, die Kanzlerkandidatin der Partei. Welchen | |
Zusammenhalt sie meinte, blieb allerdings unklar: „Wer Deutschland nicht | |
liebt, soll Deutschland verlassen“, oder schlicht „abschieben“ skandierten | |
viele der rund 3.500 Teilnehmer:innen. | |
Man wolle endlich wieder in Sicherheit leben, sagte Weidel. Dass es sich | |
bei al-Abdulmohsen um einen mutmaßlichen AfD-Anhänger handelt, der auf X | |
ausländer- und islamfeindliche Äußerungen von sich gab, ignorierte Weidel. | |
Danach zog die Menge als Trauermarsch einmal um den Block: Die Junge | |
Alternative vorneweg, um dann mit einem „Wehrt euch endlich“-Banner an der | |
ersten Strophe von „Stille Nacht, Heilige Nacht“ zu scheitern. Dann zog | |
eine Gruppe junger Neonazis mit Pyrotechnik und „Antifa Hurensöhne“-Gegrö… | |
los in Richtung einer gleichzeitig stattfindenden Lichterkette der | |
Initiative Gib Hass keine Chance, die mit über 7.000 Teilnehmer:innen | |
auf der Straßen war. Die Polizei stoppte die Neonazis 500 Meter vor der | |
Lichterkette. Hinter den Neonazis steht die militante Organisation JS | |
Sachsen-Anhalt. Es ist dasselbe Milieu, aus dem die Angreifer auf diverse | |
Wahlkämpfer:innen vor den Europa- und Landtagswahlen in diesem Jahr | |
stammen. Parallel zur Kundgebung verübten Neonazis einen Brandanschlag auf | |
den [2][linken Magdeburger Szenetreff Libertäres Zentrum (LIZ]). | |
Die militante Neonaziszene war sehr schnell darin, den Anschlag zu | |
instrumentalisieren. Bereits am Samstagabend, 24 Stunden nach dem Anschlag | |
auf den Weihnachtsmarkt, versammeln sich laut Polizei mehr als 2.000 | |
Menschen am Hasselbachplatz unweit des Hauptbahnhofs. Der Damaskus-Imbiss | |
am Rand des Platzes beeilt sich an diesem Abend, die Tür zu schließen. | |
Thorsten Heise, Mitglied im Bundesvorstand von Die Heimat, der | |
Nachfolgeorganisation der NPD, heizt der Menge ein: „Abschieben, | |
abschieben, abschieben“, tönt es über den Platz. Am Hauptbahnhof dann die | |
Eskalation: Mit Pyrotechnik stürmt eine Gruppe los und pöbelt vor dem | |
Bahnhof eine Person of Color an. Die Polizei drängt die Person grob zur | |
Seite, weg von den Nazis. Im Zaum halten will oder kann sie die Pöbelnden | |
offenbar nicht. | |
## Gefahrenzone für Migrant:innen | |
Und auch drei Tage nach der Neonazikundgebung, zu Weihnachten, war der | |
Hasselbachplatz noch eine Gefahrenzone für Migrant:innen. Wegen der | |
aufgeheizten Stimmung in der Stadt hatte sich eine Intensivkrankenpflegerin | |
nach Schichtende von ihrem Mann abholen lassen. Die vergangenen Tage hatte | |
sie mit Kolleg:innen im Uniklinikum um das Leben der Schwerverletzten | |
gerungen. Am Telefon schildert Fatima B., deren richtiger Name der taz | |
bekannt ist, wie ein Betrunkener begonnen habe, sie und ihren Mann zu | |
beleidigen, als sie sich am Hasselbachplatz noch etwas zu essen holen | |
wollten. | |
Scheiß Ausländer, scheiß Araber, verpisst euch aus meinem Land, wir bringen | |
euch um, wir werden euch vergasen“, habe der Mann gerufen, erinnert sich | |
Fatima B. Dazu habe der Mann den Hitlergruß gezeigt. „Ich dachte, ich sei | |
im falschen Film“, erzählt die 22-Jährige. Der Mann habe dann begonnen, | |
gegen die Fensterscheibe ihres Autos zu schlagen. | |
Um 22.31 Uhr rief Fatima B. die Polizei. Die habe gesagt, man werde zivile | |
Einsatzkräfte schicken. In der Zwischenzeit seien sie langsam mit dem Auto | |
weitergefahren, hätten aber versucht, den Mann nicht aus dem Blick zu | |
verlieren. „Wir konnten es mit unserem Gewissen einfach nicht vereinbaren, | |
dass so jemand umherläuft und wir nichts machen“, sagt Fatima B. Als sie | |
anhielten, um mit einem Pärchen zu sprechen, die fragten, ob alles in | |
Ordnung sei, habe der Mann die Chance genutzt und durch das offene Fenster | |
ihrem Mann mehrfach brutal ins Gesicht geschlagen. Als sie versuchte, zu | |
intervenieren, traf der Angreifer auch Fatima B. mit seiner Faust im | |
Gesicht. Kurz darauf, gegen 22.45 Uhr, nahm die Polizei den Angreifer in | |
Gewahrsam, der sich vehement wehrte. Das zeigen Videos, die der taz | |
vorliegen. | |
Famita B. und ihr Mann landeten in der Notaufnahme des | |
Universitätsklinikums Magdeburg, in dem die Intensivschwester selbst bis | |
vor wenigen Stunden noch gearbeitet hatte. Der Mann soll bereits zuvor | |
Migrant:innen angefeindet haben. So beschreibt ein Imbissbetreiber der | |
taz, wie er von demselben Mann am Hasselbachplatz angespuckt und beleidigt | |
worden sei. „Ich fühle mich einfach nicht mehr sicher und habe Angst um | |
mich, meine Familie und meine Freunde, weil ich einfach weiß, dass es nicht | |
das erste und das letzte Mal ist und wir nicht die Einzigen sind, die davon | |
betroffen sind“, sagt Fatima B. | |
Die Polizei äußerte sich bisher trotz mehrmaliger Nachfrage nicht zu den | |
aktuellen Zahlen rassistischer Gewalt nach dem Anschlag. In einem Telefonat | |
mit der taz betonte ein Sprecher, dass man überlastet sei. Allerdings hatte | |
die Polizei dem MDR am Sonntag mitgeteilt, dass ihr keine Informationen | |
über rassistisch motivierte Angriffe vorlägen. taz-Recherchen zeigen | |
jedoch: Mehrere Betroffene haben bereits Anzeige erstattet. | |
In Magdeburg, wo etwa 10 Prozent der Stadt keine deutsche | |
Staatsangehörigkeit haben, zeigen die Schilderungen der Betroffenen, wie | |
angespannt die Situation nach dem Anschlag dort ist. Nach dem Anschlag habe | |
große Unsicherheit in der migrantischen Community geherrscht, berichtet | |
auch der Geschäftsführer des Landesnetzwerks Migrantenorganisationen | |
Sachsen-Anhalt, Mamad Mohamad. Um Betroffene zu unterstützen und die | |
Vorfälle zu dokumentieren, habe der Verein eine Hotline eingerichtet. „Das | |
hat zwei Ziele: Einerseits wollen wir die Fälle erfassen und strukturieren. | |
Andererseits geht es darum, die Betroffenen zu ermutigen, Anzeige zu | |
erstatten, Opferberatungen in Anspruch zu nehmen oder einfach das Gefühl zu | |
vermitteln, dass sie nicht alleine sind.“ | |
Seitdem seien dem Verein zahlreiche Vorfälle gemeldet worden – von | |
Angriffen auf Menschen, die an einer Menschenkette teilnahmen, bis hin zu | |
einem Pizzafahrer, der während seiner Lieferung attackiert wurde. „In | |
Ostdeutschland, vor allem in Sachsen-Anhalt, haben wir leider immer wieder | |
mit rassistischen Vorfällen zu kämpfen“, sagt Mohamad. Aber die | |
Konzentration auf Magdeburg habe seit dem Anschlag eine neue Qualität | |
bekommen. | |
## Mehr Empathie bei der Hilfe | |
Von dem angegriffenen Lieferando-Mitarbeiter berichtet auch Saeed Saeed, | |
Migrationsbeirat der Stadt Magdeburg und Vorstand des Syrisch-Deutschen | |
Kulturvereins. Seit mehreren Tagen sei er mit zahlreichen Menschen aus der | |
Community in Kontakt, berichtet er. Unter anderem soll es zu einem Angriff | |
auf ein 13-jähriges Kind im Aufzug von dessen Wohnhaus gekommen sein. | |
Außerdem sollen Fahrer:innen der öffentlichen Verkehrsmittel in | |
Magdeburg mit Migrationsbiografie versuchen, Schichten zu bestimmten Zeiten | |
wegen befürchteter Anfeindungen zu tauschen. „Die Stimmung gegen Ausländer | |
hat sich spürbar verändert“, sagt Saeed. Als Teil der Magdeburger | |
Gesellschaft sei er – wie viele andere – in tiefer Trauer. „Das hat uns | |
einfach zerstört“, so der 24-Jährige, und er appelliert an Politik und | |
Gesellschaft, sich aktiv für Veränderung einzusetzen, „bevor wir noch mehr | |
Menschen verlieren“. | |
Der [3][Bundesopferbeauftragte Pascal Kober warnt], dass die tatsächliche | |
Zahl der Betroffenen des Anschlags in den kommenden Tagen noch deutlich | |
steigen könnte, da viele erfahrungsgemäß erst später Unterstützungsbedarf | |
anmeldeten, etwa weil sie traumatisierende Szenen beobachtet haben. Zu | |
diesem Zweck wurde eine Telefonhotline unter der Nummer 08 00–0 00 95 46 | |
eingerichtet, die rund um die Uhr für Betroffene – darunter Hinterbliebene, | |
Verletzte, deren Angehörige sowie Augenzeugen der Tat – erreichbar ist. | |
„Mich persönlich macht es natürlich auch betroffen, wenn ich sehe, wie die | |
Menschen leiden“, sagt Kober, der selbst in der vergangenen Woche in | |
Magdeburg war. „Ich lerne viele der Betroffenen persönlich kennen – nicht | |
unmittelbar nach dem Anschlag, aber in den Wochen und Monaten danach, wenn | |
sie Gespräche mit mir wünschen.“ | |
Gemeinsam mit der Opferbeauftragten des Landes Sachsen-Anhalt habe er zudem | |
ein Schreiben an alle bisher bekannten Hinterbliebenen, Verletzten und | |
Tatzeugen verschickt. „Diese Maßnahmen richten sich an alle Betroffenen, | |
auch an Menschen, die sich erst später bei uns melden, da sie zunächst | |
Abstand gewinnen wollen“, erklärt Kober. „Unser Angebot bleibt dauerhaft | |
bestehen, und wir stehen den Betroffenen weiterhin als Ansprechpartner zur | |
Verfügung.“ | |
Besonders wichtig sei es nun, dass die Leistungen des Sozialstaats die | |
Betroffenen schnell, unkompliziert und mit möglichst wenig Belastung | |
erreichten. Nach dem Attentat eines Islamisten auf den Weihnachtsmarkt am | |
Berliner Breitscheidplatz im Jahr 2016 mit mehreren Toten und ebenfalls | |
sehr vielen Verletzten war ein Kritikpunkt von Opfern, dass die Hilfe sehr | |
bürokratisch organisiert war und als empathielos wahrgenommen wurde. | |
Auch die politische Aufarbeitung des Anschlags geht weiter. Am 30. Dezember | |
kommen im Bundestag der Innenausschuss und das parlamentarische | |
Kontrollgremium zusammen. Es soll aufgearbeitet werden, welche Hinweise zu | |
al-Abdulmohsen die Behörden wann hatten, ob der Anschlag mit dem Wissen | |
hätte verhindert werden können. | |
Unterdessen werden mögliche Sicherheitsmängel konkreter: Ein Polizeiwagen | |
soll als mobile Sperre nicht am zugewiesenen Platz gewesen sein, wie unter | |
anderem das ZDF am Mittwoch unter Berufung auf das Innenministerium | |
berichtete. al-Abdulmohsen habe das Auto so ungehindert auf den | |
Weihnachtsmarkt steuern können. Gegen die Stadt Magdeburg als Betreiber des | |
Weihnachtsmarkts und die zuständige Polizeidienststelle sei Anzeige | |
erstattet worden. | |
26 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Anschlag-von-Magdeburg/!6052301 | |
[2] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/magdeburg/magdeburg/brand-pol… | |
[3] /Bundesopferbeauftragter-ueber-Magdeburg/!6059069 | |
## AUTOREN | |
Yağmur Ekim Çay | |
Michael Trammer | |
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