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# taz.de -- Debatte nach Angriffen: Auf der Suche nach Hilfe
> Nach Attacken von psychisch Kranken wie gerade in Hamburg wächst der
> Wunsch nach den einfachen Lösungen. Hilfreich wäre aber Vorbeugung.
Bild: Spurensicherung nach dem Messerangriff im Hamburger Hauptbahnhof
Am Hamburger Hauptbahnhof wurden vergangene Woche 18 Menschen bei einem
Messerangriff von einer psychisch kranken Frau verletzt, einige von ihnen
lebensgefährlich. Wie nach ähnlichen Vorfällen steht die Frage im Raum, wie
sich die Tat hätte verhindern lassen. Die Sehnsucht nach einfachen
Antworten scheint groß. Im Fokus der breiten Öffentlichkeit stehen
Menschen, die an der einen oder anderen Stelle eine falsche Entscheidung
getroffen haben könnten. Etwa ein Arzt in einem der Krankenhäuser, in denen
die mutmaßliche Täterin zuletzt behandelt wurde.
Die Innenminister der Bundesländer, die sich im Juni treffen, suchen die
Antwort in einer von ihnen ausgemachten Gesetzeslücke. So hatten sie im
Januar nach der Tat in Aschaffenburg, bei der ein psychisch Kranker ein
Kleinkind und einen Erwachsenen getötet hatte, gefordert, den [1][Schutz
von Patient:innendaten bei psychischer Erkrankung aufzuweichen].
Auch dahinter steckt die Idee, dass man ein System etablieren könne, in dem
das Gefährdungspotenzial von Menschen in einem psychischen Ausnahmezustand
rechtzeitig und treffsicher erkannt wird, um sie dann wegzusperren. Das
klingt so absurd, wie es ist. Menschen sind keine Maschinen – und selbst
bei denen lässt sich nicht hundertprozentig voraussagen, wann sie
auseinanderfallen. Und Wegsperren ist weder in der Theorie noch in der
Praxis so einfach, wie es klingt.
## Das komplizierte Ganze
Zudem verstellt die Konzentration auf den Einzelfall den Blick aufs Ganze.
Das ist leider kompliziert, zumal es um das deutsche Gesundheitswesen geht.
Das ist zum einen zweigeteilt in einen ambulanten und einen stationären
Sektor, und die neiden sich gegenseitig das Geld der Krankenkassen.
Zum anderen funktioniert es nach dem Grundsatz der Behandlung von
Krankheiten und nicht der Verhinderung von deren Entstehen. Bei somatischen
Erkrankungen klappt das einigermaßen: Wer mit einem gebrochenen Bein ins
Krankenhaus kommt, verlässt dieses in der Regel gesünder. Bei psychischen
Erkrankungen werden im besten Fall die Symptome in der Klinik gelindert –
einer ursächlichen Behandlung steht der stationäre Aufenthalt eher
entgegen.
Deshalb setzen einige Kliniken wie in Bremen und Schleswig-Holstein auf
sogenannte Regionalbudgets, die es möglich machen, mehr Patient:innen
zu Hause zu behandeln.
Angebote, die präventiv wirken, werden nur als Modellprojekte unterstützt.
Oder gar nicht, weil sie nicht als individuelle Maßnahmen konzipiert sind,
sondern für Gruppen wie „Brynja“, ein Bremer „Fitnessstudio für die
Psyche“.
Nachdenklich machen könnten auch Fälle wie jüngst in Bremen, wo ein Mann in
psychotischen Zuständen [2][in der Klinik Mitpatientinnen vergewaltigte].
Er hatte zuvor sieben Jahre im niedersächsischen Umland gelebt, wo eine
Flüchtlingshelferin und ein Hausarzt dafür sorgten, dass er einmal im Monat
Medikamente nahm. „Ich bin freitagnachmittags zu ihm gefahren, wenn er
nicht zum verabredeten Termin kam“, erzählt der Arzt der taz am Telefon.
Und weil der junge Mann ihm vertraut habe, ließ er sich die Spritze geben.
Gesundheitsfördernd seien wohl auch andere soziale Kontakte vor Ort
gewesen.
Auffällig ist eine weitere Leerstelle in der öffentlichen Debatte: Medien
berichten zwar ausführlich über Angriffe von psychisch Kranken, fragen aber
nicht nach der eigenen Verantwortung für die Häufung. „Täterin stach
wahllos zu“ [3][titelt beispielsweise die Website der Frankfurter
Rundschau] und zeigt 25 Bilder. Auf einem sind nur Blutflecken auf dem
Boden zu sehen. Dabei gibt es Hinweise darauf, dass bestimmte Formen der
Berichterstattung Nachahmungstaten fördern können.
28 May 2025
## LINKS
[1] https://www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/2025_01…
[2] /Sexualisierte-Gewalt-in-der-Psychiatrie/!6085227
[3] https://www.fr.de/panorama/die-bilder-messerangriff-in-hamburg-aktuell-frau…
## AUTOREN
Eiken Bruhn
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Messerangriff
Psychische Erkrankungen
Prävention
Hamburg
Hamburg
Islamismus
Psychiatrie
psychische Gesundheit
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