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# taz.de -- Migration neu denken: So könnte eine humane Fluchtpolitik aussehen
> Seit Jahren dominieren Rechte und Konservative das Thema Einwanderung.
> Dabei ginge es auch anders.
Bild: Protest beim Migrationsgipfel der EU-Innenminister*innen auf der Zugspitz…
Progressive Fluchtpolitik ist in Deutschland gelebte Realität. Zumindest
von unten: Ehrenamtliche bringen geflüchteten Kindern Deutsch bei,
Geflüchtete kämpfen dafür, Teil dieser Gesellschaft zu bleiben und nicht
abgeschoben zu werden, Gemeinden gewähren ihnen Kirchenasyl. Menschen
unterstützen sich gegenseitig, um Leistungskürzungen oder Arbeitsverbote zu
überbrücken.
2015 sah es kurz so aus, als ob auch die Politik und die Mitte der
Gesellschaft eine Wende hin zu mehr Menschlichkeit in der
Migrationspolitik vollführen könnte. Die Neuankömmlinge wurden an den
Bahnhöfen beklatscht und sogar CDU-Politiker*innen inszenierten sich damals
als Flüchtlingshelfer*innen.
Plötzlich schien es gar nicht mehr so utopisch, über sichere Fluchtrouten
zu sprechen, oder dauerhaften Familiennachzug, über ein Ende der
Massenunterkünfte, freien Zugang zum Arbeitsmarkt und die Abkehr von
Abschiebungen. Sie schien greifbar: eine Fluchtpolitik, in der Grenzen ihre
Macht über Menschen verlieren – sowohl die Zäune und Mauern auf dem Weg,
als auch die versperrten Zugänge zu einem selbstbestimmten Leben mit
Teilhabe.
Von dieser Hoffnung ist nicht viel übrig. Im Mai dieses Jahres ordnete
CSU-Bundesinnenminister Alexander Dobrindt die Zurückweisung von
Asylsuchenden an deutschen Grenzen an. [1][Laut Deutschlandtrend sprachen
sich zuvor knapp 60 Prozent der Befragten grundsätzlich dafür aus]. Zwei
Drittel sind zudem der Meinung, dass Deutschland weniger Geflüchtete
aufnehmen sollte. Die Mehrheit unterstützt den Kurs von Dobrindt und
CDU-Bundeskanzler Friedrich Merz.
Bis weit in die politische Mitte hinein wird über Fluchtmigration in
Deutschland heute vor allem als Problem gesprochen. Es geht dabei meist um
die Begrenzung der Migration oder gar die Abschaffung des Asylrechts. Als
Argumente dienen die Überforderung von Behörden und Kommunen, Kosten für
den Staat, Abwehrreflexe in der Bevölkerung und medial befeuerte Sorgen vor
Terroranschlägen. Vieles davon spielt mit Ressentiments oder dient einer
rechten Agenda. Der Diskurs hat sich von realen Herausforderungen wie etwa
der Vermittlung von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt weit entfernt.
„Auf dem Feld der Migrationspolitik wird der Unmut über das politische
System artikuliert“, sagt Politikwissenschaftler Hannes Schammann.
Ähnliches beobachtet Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Integrations-
und Migrationsforschung. „Unsere Gesellschaft befindet sich in multiplen
Krisen und Menschen fürchten eine Verschlechterung ihrer
Lebensbedingungen“, sagt Engler. „Das ist das eigentliche Problem.“ Aber
von einer ehrlichen Diskussion über eine gerechtere Gesellschaft für alle
hat sich die Politik seit Beginn der Regierung Merz noch weiter entfernt.
Muss man sich also damit abfinden, dass das Asylrecht von
Politiker*innen immer weiter demontiert wird, die sich davon Stimmen
frustrierter Wähler*innen erhoffen?
Im Gegenteil. Statt einfach zuzusehen, braucht es [2][konkrete Ideen für
eine progressive Fluchtpolitik], die sowohl Wohlergehen und Würde der
Geflüchteten schützt, als auch neuen Rückhalt in der Bevölkerung findet.
Die taz hat Ideen zusammengetragen, wie das gelingen könnte.
Arbeit
Ein großer Teil der Fluchtmigration nach Europa ist sogenannte gemischte
Migration. Die Menschen haben unterschiedliche, sich oft überschneidende
Gründe, ihre Heimat zu verlassen: Kriege, Naturkatastrophen oder Verfolgung
im Herkunftsland einerseits, die Hoffnung auf ein besseres Leben, einen Job
oder eine Zukunftsperspektive andererseits. Wer aber nicht unmittelbar
durch Krieg oder politische Verfolgung bedroht ist, hat nach den Kriterien
des Asylsystems selten Anspruch auf Schutz.
Ein Beispiel aus dem November 2024 veranschaulicht dies. Damals berichteten
viele Medien über zehn Kolumbianer*innen, die in einem Pflegeheim im
niedersächsischen Wilstedt arbeiteten. Sie waren als Geflüchtete gekommen,
doch ihre Asylanträge wurden abgelehnt. Deshalb sollten sie
[3][abgeschoben] werden. Nicht nur die Heimbewohner*innen, sondern auch die
Betreiberfirma protestierte. Der öffentliche Druck wurde schließlich so
groß, dass sich der damalige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach
(SPD) einschaltete und erreichte, dass die zehn bleiben durften.
Für die Kolumbianer*innen war das Asylsystem offensichtlich der
falsche Weg. Es wäre besser gewesen, wenn sie als reguläre
Arbeitsmigrant*innen hätten kommen können. Dann hätten sie sich die
quälende Wartezeit im Asylverfahren sparen können. Der Betreiber des
Pflegeheims hätte die dringend gesuchten Arbeitskräfte gewonnen, ohne dass
ihnen ständig die Abschiebung drohte. Die Behörden wären entlastet worden.
Und: Wer arbeitet, muss keine Sozialleistungen beziehen. Das schont die
Sozialsysteme und nimmt Konservativen und Rechten zugleich eines ihrer
liebsten Argumente gegen Zuwanderung.
Nur: Es gibt bisher kaum legale Einreisewege für Arbeitsmigrant*innen.
Auch wenn die Ampelregierung mit dem Fachkräftezuwanderungsgesetz versucht
hat, die Anerkennung von Berufsabschlüssen zu vereinfachen und Hürden
abzubauen, ist es nach wie vor schwierig, mit einem Arbeitsvisum nach
Deutschland zu kommen. Menschen, die nie die Möglichkeit hatten, eine
reguläre Ausbildung zu machen, haben fast gar keine Chance.
Die „Westbalkanregelung“ zeigt in Ansätzen, dass es auch anders geht. Pro
Jahr können bislang 50.000 Personen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina,
Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien zum Arbeiten nach
Deutschland kommen. Das gilt unabhängig von ihrer Qualifikation, allerdings
müssen sie ein konkretes Jobangebot vorweisen können. Der Haken an der
Sache: Parallel zur Einführung dieser Regelung erklärte Deutschland alle
Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern. Dadurch werden die Chancen auf
einen Schutzstatus im Asylverfahren reduziert, juristische Gegenwehr
erschwert und Abschiebungen beschleunigt.
Möglichkeiten für Arbeitsmigration sollten nicht als Vorwand dienen, um das
Recht auf Asyl weiter auszuhöhlen. Der erste Teil des Pakets, der legale
Routen für gelernte wie ungelernte Migrant*innen schaffen soll, ist
jedoch der richtige Weg zu einer realistischen Migrationspolitik. Denn:
Menschen werden weiter migrieren, auch wenn sie dafür immer gefährlichere
Routen nehmen müssen.
Damit Geflüchtete es in einen legalen Aufenthalt schaffen, würde auch der
sogenannte Spurwechsel helfen. Wer während des Asylverfahrens eine
[4][Anstellung als Fachkraft] findet, kann bislang nur unter komplizierten
Bedingungen in einen anderen Aufenthaltstitel wechseln. Geflüchteten, deren
Asylantrag abgelehnt wurde oder die aus anderen Gründen eine Duldung haben,
sind zum Teil noch immer Arbeitsverbote auferlegt. In der Folge sind
Menschen häufig in einer Situation gefangen, in der sie staatliche
Leistungen in Anspruch nehmen müssen, obwohl sie eigentlich arbeiten oder
eine Berufsausbildung beginnen wollen. Davon hat niemand etwas. Viel
besser ist es, wenn Menschen sich durch Job, Ausbildung oder Studium eine
selbstbestimmte Existenz aufbauen können – auch wenn ihr Asylantrag
abgelehnt wird.
Ordnung
Was das Schlagwort Migration im politischen Diskurs so vergiftet hat, hängt
maßgeblich mit dem behaupteten „Kontrollverlust“ zusammen, als die Behörd…
im Jahr 2015 mit der Registrierung der Neuankommenden nicht mehr nachkamen.
Bis heute ist es die vermeintlich „unkontrollierte“ Zuwanderung, vor der
konservative und rechte Politiker*innen stets warnen. Egal wie
restriktiv die Grenzpolitik ist, die Angst vor dem Kontrollverlust bleibt
wirkmächtig.
Auch wenn große Fluchtbewegungen oft unübersichtlich sind, gibt es Wege,
für mehr tatsächliche und gefühlte Ordnung zu sorgen. Davon profitieren
auch die Geflüchteten. Resettlementprogramme etwa können hierbei eine
wichtige Rolle spielen. Dabei wählen UN-Mitarbeitende in den Nachbarländern
von Krisenregionen schutzbedürftige Geflüchtete aus. Anschließend werden
die Menschen eingeflogen, ohne dass sie hier noch einmal ein Asylverfahren
durchlaufen müssen.
Bislang sind Resettlementprogramme weltweit eher klein, aber es gibt sie:
Im Jahr 2024 wurden rund 120.000 Menschen damit in Sicherheit gebracht,
Deutschland bot rund 3.000 Aufnahmeplätze. [5][Um die Kapazitäten deutlich
zu steigern, wären große Investitionen nicht nur bei der UN, sondern auch
hierzulande nötig]. Leider tut die aktuelle Bundesregierung das Gegenteil
und hat Resettlementaufnahmen ausgesetzt.
Das zeigt, dass Resettlement alleine anfällig für staatliche Willkür ist.
Aber als alternativer Zugangsweg neben dem individuellen Asylrecht kann es
verbliebene Migrationsrouten entlasten und für mehr Ordnung sorgen. Niemand
sollte bei der Fahrt über das Mittelmeer sein Leben riskieren müssen. Eine
belastbare Resettlementinfrastruktur bei der UN ist auch Bedingung dafür,
dass mehr Länder Geflüchtete aufnehmen. Bislang bleibt die Aufnahme
überwiegend an Ländern mit kleiner oder mittlerer Wirtschaftsleistung
hängen. Staaten, die weniger als 1,3 Prozent des weltweiten
Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften, nehmen 20 Prozent aller
Schutzsuchenden auf. Industrienationen und Schwellenländer wie China,
Japan, Polen oder Australien hingegen nehmen fast niemanden auf.
Deutschland gehört bislang noch zu den größten Aufnahmeländern und sollte
mehr auf Resettlement setzten. Es sollte auch darauf drängen, dass mehr
Staaten sich beteiligen. Denn Resettlements demonstrieren, dass es möglich
ist, Geflüchteten in großem Maßstab Schutz zu bieten – auf sicheren und
legalen Migrationsrouten.
Bildung
Wer will, dass sich Geflüchtete gut in die deutsche Gesellschaft einfinden,
muss dafür sorgen, dass sie schnell Deutsch lernen können. Das
Bildungssystem ist aber auch deshalb wichtig, weil mehr als ein Drittel
der Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen, jünger sind als 16 Jahre.
Im Jahr 2016 [6][untersuchten] Forscher*innen, wie geflüchtete Kinder in
Berliner Grundschulen aufgenommen wurden. Die meisten zugewanderten Kinder
besuchten sogenannte Willkommensklassen, in denen sie möglichst intensiv
Deutsch lernen sollten. Einige der Grundschulkinder aus der Studie
besuchten aber auch Schulen, in denen sie sofort am Unterricht der
Regelklassen teilnahmen und meist zusätzlich Deutschunterricht erhielten.
Das Ergebnis: Kinder in Willkommensklassen waren an vielen Schulen vom
regulären Schulalltag separiert. Aufgrund der ständigen Fluktuation in den
Klassen – verursacht durch Verlegungen, Abschiebungen und neu hinzukommende
Kinder – war kontinuierliches Lernen schwierig. Spätere [7][Studien]
zeigen, dass Kinder in den Willkommensklassen weniger Deutsch lernen und
auch in anderen Fächern schlechter abschneiden. Zudem schaffen sie seltener
den Sprung aufs Gymnasium.
Kinder, die im Schulalter nach Deutschland kommen und keinen geschützten
Raum in Form von Willkommensklassen benötigen, sollten also direkt in
Regelklassen eingeschult werden und dort zusätzlichen Deutschunterricht
erhalten. Insbesondere bei Grundschülern gibt es kaum Gründe, sie separiert
zu beschulen. Geflüchtete Kinder sollten außerdem nicht erst nach der
Zuweisung an eine Kommune, sondern auch während der Zeit in der
Erstaufnahmeeinrichtung in die Schule gehen, wie es in einigen
Bundesländern üblich ist. Je kürzer die Bildungsverläufe unterbrochen sind,
desto einfacher ist es, gut in den Schulalltag zurückzufinden.
Nicht vergessen werden dürfen Bildungsangebote für erwachsene Geflüchtete.
Derzeit besuchen sie sogenannte Integrationskurse, in denen ihnen
grundlegende Kenntnisse über die deutsche Gesellschaft und vor allem die
deutsche Sprache vermittelt werden. Allerdings ist das System in schlechtem
Zustand. Die meist sehr engagierten Sprachlehrer*innen werden schlecht
bezahlt und sind bei den meisten Trägerorganisationen nicht einmal fest
angestellt. Die Unterrichtsräume sind teils marode, außerdem gibt es
schlicht zu wenige Plätze. Zuletzt betrug die Zeit zwischen der
Berechtigung zur Teilnahme an einem Kurs und Unterrichtsbeginn mehr als
vier Monate.
Hintergrund sind die Wirrungen um deren Finanzierung aufgrund des
Sparkurses der Ampel, der lange unklaren Haushaltslage für das laufende
Jahr und widersprüchlichen Informationen aus den Ministerien. Die offenen
Fragen sind inzwischen ausgeräumt und die Finanzierung zumindest für 2025
gesichert. Doch es bräuchte noch einmal deutlich größere Investitionen, um
das gesamte System so zu gestalten, dass alle Geflüchteten schnell die
erforderlichen Kenntnisse vermittelt bekommen, um wirklich ankommen zu
können.
Wohnen
Bislang werden Geflüchtete nach dem Königsteiner Schlüssel zunächst auf die
Bundesländer und später auf die Kommunen verteilt. Zunächst dürfen sie die
Kommune nicht verlassen, auch später bleibt ihr Wohnort vorgegeben. Das
erzeugt Frust. Weder haben die Geflüchteten Einfluss darauf, wo sie
unterkommen, noch haben die Kommunen Einfluss darauf, wen sie zugeteilt
bekommen.
Im schlimmsten Fall strandet ein geflüchteter Metallbauer in einem Dorf, in
dem es keine Arbeitsplätze gibt, dafür aber viele AfD-Wähler*innen.
Wegziehen darf er nicht. Dass andernorts Firmen verzweifelt Arbeitskräfte
suchen, es Wohnraum gibt und vielleicht sogar schon Verwandte vor Ort
leben, wird ignoriert.
Zwei Pilotprojekte zeigen, wie es anders gehen könnte. Re:Match und
Match’In. In beiden [8][Projekten] geben Geflüchtete an, was ihnen wichtig
ist, und die Kommunen sagen, wen sie besonders gut unterbringen können. Ein
Algorithmus ordnet die Personen und Kommunen dann so zueinander, dass sie
möglichst gut zusammenpassen. Im besten Fall kann der Metallbauer dann bei
seinen Verwandten einziehen, während der Wärmepumpenhersteller eine neue
Fachkraft gewinnt. Freizügigkeit sollte sich aber nicht nur auf die
beschränken, die bestimmte Qualifikationen vorweisen können, sondern für
alle gelten.
Ein Problem ist aber auch die Art der Unterkünfte selbst. Vielerorts
dominieren große Sammelunterkünfte mit wenig Privatsphäre. In den oft
abgelegenen Einrichtungen sind die Menschen vom Rest der Gesellschaft
abgeschnitten. Das macht es schwer, sich einzufinden, Deutsch zu lernen
oder einen Job zu finden. Anwohner*innen versuchen oft, den Bau neuer
Sammelunterkünfte zu verhindern – teils aus rassistischen Ressentiments,
aber auch, weil anliegende Flüchtlingsunterkünfte in einer rassistischen
Gesellschaft einen Wertverlust der eigenen Immobilien bedeuten können.
Neben diesen sozialen Spannungen bedeuten die Sammelunterkünfte für die
Kommunen auch hohe Kosten. Zwielichtige Betreiberfirmen sparen oft an
Instandhaltung oder dem Essen, erhalten von den Kommunen aber Summen, die
weit über den üblichen Mieten auf dem privaten Markt liegen.
Eine Alternative ist die Unterbringung von Geflüchteten in regulären
Mietwohnungen. Diese sind oft billiger, bieten bessere Lebensbedingungen
und fördern den Kontakt zu Alteingesessenen. Beim Gespräch im Treppenhaus
merkt vielleicht auch der eine oder andere Aufnahme-Skeptiker, dass die
neuen Nachbarn eigentlich ganz nett sind.
Das offensichtliche Problem ist der vielerorts sehr angespannte Mietmarkt,
auf dem Geflüchtete mit ihren anfänglich schlechten Sprachkenntnissen und
wenigen Kontakten kaum eine Chance haben. Es würde zumindest etwas
leichter, wenn die Wohnsitzauflage gestrichen würde, die
Asylbewerber*innen an eine bestimmte Kommune fesselt. Ein größerer
Suchradius bedeutet schließlich auch mehr potenzielle Treffer. Dass dies
die Chancen zumindest etwas verbessert, hat sich 2022 bei den aus der
Ukraine geflüchteten Menschen gezeigt, für die diese Auflage nicht galt.
Außerdem könnten die Kommunen verstärkt darauf setzen, selbst
Privatwohnungen anzumieten, um dort Geflüchtete unterzubringen.
Letztendlich bräuchte es aber wohl das, was allen anderen Mieter*innen
auch hilft: Mietpreisdeckel und Neubau in großem Stil.
Sicherheit
Gewalttaten, die von Geflüchteten begangen werden, bekommen deutlich mehr
öffentliche Aufmerksamkeit und werden anders diskutiert als Taten von
Nichtzugewanderten. Während bei deutschen Täter*innen das Motiv im
Vordergrund steht, geht es bei tatverdächtigen Asylsuchenden sofort um
Aufenthaltsstatus und Herkunft. [9][Diese Doppelstandards sind nachgewiesen
und verzerren das Bild von Geflüchteten].
Gleichzeitig gilt: Jede Gewalttat ist eine zu viel. Die Taten einzelner
Geflüchteter treffen nicht nur die Opfer und Angehörigen, sondern auch
Geflüchtete. Denn für ihre gesellschaftliche Akzeptanz sind diese Fälle
Gift. Auf die islamistische Messerattacke von Solingen im Herbst 2024 durch
einen Geflüchteten reagierte die Ampelkoalition mit einer massiven
Verschärfung des Asylrechts. Als ein psychisch kranker Geflüchteter in
Aschaffenburg ein Kleinkind und einen Erwachsenen erstach, stimmten Union
und AfD erstmals gemeinsam für die Zurückweisung von Asylsuchenden an den
Grenzen.
Geflüchtete werden außerdem selbst oft Opfer von Gewalttaten. Im Jahr 2024
registrierten die Behörden insgesamt 1.905 rechte Straftaten gegen
Geflüchtete außerhalb von Unterkünften, darunter 237 Gewalttaten. Hinzu
kamen rund 200 politische Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, bei denen
teilweise Menschen körperlich verletzt wurden. Die Dunkelziffern liegen
wohl noch viel höher. Auch in der Statistik aller politischen Gewalttaten
dominieren rechte Täter*innen.
Die Sicherheitslage verbessern könnte eine bessere Zusammenarbeit der
Landes- und Bundesbehörden, die bis heute unterschiedliche Datenplattformen
und Schnittstellen nutzen. Erkenntnisse über gefährliche Personen kommen so
teils nicht bei den zuständigen Stellen an.
Helfen könnte aber auch ein Ansatz aus den USA. Bei der
[10][Leaking-Analyse] werden Tatankündigungen durch Hinweise aus der
Bevölkerung in speziellen Anlaufstellen gesammelt. Denn es gibt typische
Verhaltensmuster, die fast ausschließlich von Personen gezeigt werden, die
später tatsächlich Verbrechen begehen. Wer etwa plant, viele Menschen zu
töten, befindet sich in einer psychischen Ausnahmesituation und hinterlässt
zwangsläufig Hinweise, macht Andeutungen und sucht im Internet nach ganz
bestimmten Begriffen.
Bislang versuchen die Behörden, gefährliche Personen hauptsächlich anhand
von Risikofaktoren zu identifizieren, beispielsweise persönliche
Verbindungen zu bekannten Islamist*innen oder Rechtsextremist*innen.
Das trifft jedoch auch auf sehr viele Menschen zu, die niemals gewalttätig
werden.
Hilfreich wären auch mehr Mittel für Präventionsprojekte und
Deradikalisierungsprogramme, die sich sowohl gegen Islamismus als auch
gegen Rechtsextremismus richten. Ein verbesserter Zugang zu psychologischer
Betreuung für Geflüchtete könnte möglicherweise einzelne Gewalttaten
verhindern. Bisher gibt es solche Angebote nur von den unterfinanzierten
psychosozialen Zentren.
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass sich nicht alle Taten verhindern
lassen werden. Zumal die politische Stimmung die Lage derzeit eher anheizt.
Dass Geflüchtete stigmatisiert und diskriminiert werden, in
Massenunterkünften untergebracht und ohne Arbeits- oder
Ausbildungsperspektive in der Schwebe gehalten werden, kann schwere
psychische Krankheiten oder auch Radikalisierung begünstigen. Eine ehrliche
Sicherheitspolitik müsste sich diesen Herausforderungen stellen.
16 Aug 2025
## LINKS
[1] https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-3456.html
[2] /Forscher-ueber-Einwanderungspolitik/!6068188
[3] /Abschiebung-von-Pflegekraeften/!6045722
[4] /Fluechtlingsheim-in-Schmerwitz/!6086794
[5] /Bericht-des-UNHCR-zu-Resettlement/!5662068
[6] https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/Expertise_Willkommens…
[7] https://pressemitteilungen.pr.uni-halle.de/index.php?modus=pmanzeige&pm…
[8] /Ein-Algorithmus-fuer-bessere-Integration/!6034867/
[9] /Todesfahrt-in-Mannheim/!6070428
[10] /War-der-Messerangriff-von-Bielefeld-zu-verhindern-Eine-Psychologin-teilt-…
## AUTOREN
Frederik Eikmanns
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