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# taz.de -- Flüchtlingsheim in Schmerwitz: Kunstraum statt Wohncontainer
> Eine linke Gemeinde in Brandenburg will Geflüchteten einen guten Ort zum
> Leben bieten und sie schnell in Arbeit bringen. Ginge das auch anderswo?
Bild: Die Fotografin Sareh Oveysi ist über ihre Arbeit mit den Bewohnerinnen v…
Schmerwitz und Wiesenburg/Mark Die Gäste sind überpünktlich, und das ist
ein Problem. Kein unlösbares, aber eines, das von Klaas Glenewinkel
Flexibilität verlangt. Wohl deshalb hetzt der 54-Jährige, das Hemd in die
Jeans gesteckt, die kurzen grauen Haare nach hinten gegelt, von einem zum
nächsten. Er stellt noch schnell die Lautsprecher auf, dann kann es
losgehen.
Klaas Glenewinkel eröffnet an diesem Freitagabend eine Kunstausstellung im
brandenburgischen Bad Belzig. Zu sehen sind Fotografien von Sareh Oveysi.
Die 36-jährige Iranerin ist vor dem Regime in ihrer Heimat geflohen. Dort
hat sie [1][Frauen ohne Kopftuch] fotografiert, nun sind es Bewohnerinnen
von Schmerwitz, einem Dorf in der Nähe von Bad Belzig. Die meisten von
ihnen sind weit über 50 Jahre alt. Und kommen lieber zu früh als zu spät.
Die Kunstausstellung findet in einem modernisierten Burgkeller statt. Statt
Stühlen gibt es Barhocker und Stehtische, später soll ein DJ auflegen, der
sonst [2][in Berliner Clubs] sein Geld verdient. Die Porträtfotos sind
schwarz-weiß und ausdrucksstark. Entstanden sind sie wenige Monate nach
Sareh Oveysis Ankunft in Schmerwitz.
Die Shootings waren Akt, auch wenn man auf den Fotos nur Gesicht und
Schultern sieht, sagt Oveysi in ihrer Eröffnungsrede auf Englisch.
Irgendwie ist es ihr trotz sprachlicher und kultureller Barrieren gelungen,
die älteren Frauen des kleinen Brandenburger Dorfs nackt vor die Linse zu
bekommen. Oveysi wirkt schüchtern. Nach zwei Minuten verlässt sie die Bühne
und übergibt das Mikrofon an Klaas Glenewinkel. Sie bekommt viel Applaus.
Ein Abend im Februar 2025, aber es fühlt sich an wie ein 2015-Moment:
Deutsche Willkommenskultur trifft auf Geflüchtete, es gibt wohlwollende
Annäherungsversuche von beiden Seiten. Im Burgkeller von Bad Belzig scheint
es so, als hätte es die vergangenen 10 Jahre nicht gegeben – die
[3][Silvesternacht in Köln], die [4][rassistischen Morde in Hanau], die
[5][endlosen Debatten um Obergrenzen] und Integration. Der Hass und die
Verbitterung da draußen sind weit weg.
## Podcastraum, Videoschnittplätze und Fitnessstudio
Sareh Oveysi lebt seit Juli 2024 im Exile Media Hub, einer
Flüchtlingsunterkunft in Schmerwitz, die von Klaas Glenewinkels NGO „Media
in Cooperation and Transition“ geleitet wird. Sie richtet sich explizit an
Kunst- und Medienschaffende und ihre Familien. In dem vierstöckigen Gebäude
wohnen und arbeiten aktuell 37 Menschen, die sonst wohl in [6][riesigen
Erstaufnahmeeinrichtungen oder tristen Sammelunterkünften] auf ihren
Asylbescheid warten würden.
Dort müssen Geflüchtete teilweise in riesigen Hallen oder in Wohncontainern
mit Stockbetten leben. Im Exile Media Hub gibt es Einzel- oder
Familienzimmer. Vor allem haben die Bewohner:innen hier alles, was sie
für ihre Arbeit brauchen: einen Podcastraum, Videoschnittplätze,
Laptoparbeitsplätze in schalldichten Kabinen, ein Fitnessstudio, einen
Kunstraum mit Staffeleien und Leinwänden, sogar Yogamatten.
Klaas Glenewinkel möchte, dass die Geflüchteten mit ihren Laptops, Kameras
und Leinwänden da weitermachen, wo sie vor ihrer Flucht aufgehört haben.
Sie sollen so schnell wie möglich in Jobs vermittelt werden. Aber das ist
nur der erste Schritt. Das Exile Media Hub ist ein Modellprojekt. Geht es
nach Glenewinkel, gibt es bald noch mehr solcher Unterkünfte, nicht nur für
Kunst- und Medienschaffende, sondern beispielsweise auch für
Pflegepersonal.
Eine humanere [7][Unterbringung von Geflüchteten], verbunden mit einer
[8][schnellen beruflichen Integration], das klingt wie die
institutionalisierte Form der Willkommenskultur. Aber geht dieses Konzept
wirklich auf? Und wie viel Zukunft hat ein solches Projekt, wenn sich das
gesellschaftliche Klima immer weiter nach rechts verschiebt und Gelder für
Integrationsprojekte gestrichen werden?
## Die Berufe der Geflüchteten werden nicht erfasst
Ein sonniger Tag Mitte März, der Winter ist vorbei, aber die Luft noch
eiskalt. Julianne Becker, US-Amerikanerin, 46 Jahre alt, fährt in einem
lilafarbenen Ford Fiesta am Bahnhof Bad Belzig vor. Sie hat in der Nähe
von Schmerwitz ein Unternehmen gegründet – beim „workation retreat“ kön…
gestresste Berliner:innen ihren Laptop im Grünen ausklappen – und
kümmert sich im Nebenjob um das Wohlbefinden und die berufliche Zukunft der
Geflüchteten. Sie überarbeitet Lebensläufe, sucht nach
Bildungsinstitutionen mit Deutschkursen, ist eine Art
Ein-Frau-Arbeitsagentur.
Auf der Autofahrt nach Schmerwitz erzählt Becker, wie sie die ersten
Bewohner gefunden haben: „Klaas und eine Kollegin haben bei den
Erstaufnahmeeinrichtungen angefragt, ob sie Journalist:innen auf ihr
Angebot aufmerksam machen dürfen. Dabei ist ihnen aufgefallen, dass in
keiner Einrichtung die Berufe der Geflüchteten erfasst werden. Also haben
sie sich vor Ort umgeschaut und die Menschen angesprochen, die in den
Aufenthaltsräumen künstlerisch tätig waren.“
So lernten sie Sareh Oveysi kennen und auch William Mnguni, der vor der Tür
des Exile Media Hub wartet. Das Gebäude wurde zu DDR-Zeiten als Kaserne
genutzt, in der Zwischenzeit aber renoviert. Aus einem offenen Fenster
dröhnt Techno. Mnguni trägt schulterlange Dreads, einen lilafarbenen
Kapuzenpulli und bittet herein. Im Eingangsbereich gibt es ein Büro für den
Sicherheitsdienst, ein Büro für Sozialarbeiter:innen und
Laptoparbeitsplätze für die Bewohner:innen und das Dorf. Auch andere
Menschen aus Schmerwitz sind jederzeit willkommen, der Austausch gehört zum
Konzept.
Mnguni geht den Flur entlang, vorbei an einer Pinnwand mit QR-Codes für den
„Antrag Zulassung Integrationskurs“ und den „Antrag Krankenversicherung�…
das Kunstzimmer. Hier stehen Leinwände, Staffeleien und Farbpaletten. Das
Media Hub sei für ihn ein „kleines Paradies“, sagt Mnguni.
Die Miete für das Gebäude und den Sozialdienst finanziert der Landkreis
Potsdam-Mittelmark, wie bei jeder anderen Flüchtlingsunterkunft auch. In
Schmerwitz kommen jedoch zusätzliche Kosten hinzu, etwa für die technische
Ausstattung oder die intensive Betreuung bei der Arbeitssuche. Dafür hat
das Land Brandenburg seit Projektbeginn vor rund einem Jahr zusätzlich
120.000 Euro zur Verfügung gestellt.
Einzelne Workshops, etwa zu Audioproduktion oder künstlicher Intelligenz in
der kreativen Arbeit, wurden von Unternehmen wie Amazon und Google
gesponsert. Doch die Weiterfinanzierung wackelt derzeit, die [9][Koalition
aus SPD und BSW im Brandenburger Landtag] hat noch keinen Haushalt für das
Jahr 2025 verabschiedet. Klaas Glenewinkel will das Media Hub zur Not auf
Spendenbasis weiterbetreiben.
## Die Arbeitsaufnahme ist kompliziert
Bevor William Mnguni nach Schmerwitz kam, war er in der
Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt. Der Ort wirkte hoffnungslos,
erzählt er, das Leben war wie ein Uhrwerk und die Menschen hatten keine
Motivation weiterzumachen. „Hätten sie dort die gleichen Möglichkeiten wie
wir hier, könnten sie Großes leisten“, ist der Südafrikaner überzeugt.
Im Exile Media Hub hat Mnguni gemeinsam mit Sareh Oveysi einen Podcast
produziert und Musikvideos veröffentlicht. Außerdem arbeitet er als
Aushilfe in Julianne Beckers Unternehmen. „Den Arbeitsvertrag selbst zu
schreiben, die richtigen Worte zu finden, mit denen das Arbeitsamt
zufrieden ist, das war nicht einfach. Aber viele wissen gar nicht, dass man
diese Leute einstellen kann“, sagt Becker. Gemeint sind Geflüchtete, die
auf ihren Asylbescheid warten.
Tatsächlich ist die Arbeitsaufnahme kompliziert. Während der Zeit in den
zentralen Aufnahmeeinrichtungen gilt für Geflüchtete ein [10][striktes
Arbeitsverbot], das in den meisten Fällen erst mit der Weiterverteilung in
Gemeinschaftsunterkünfte endet. Grob gilt dann: Sofern sie nicht aus
[11][sogenannten sicheren Herkunftsländern] kommen und die Agentur für
Arbeit zustimmt, können sie normal arbeiten.
Allerdings gibt es von offizieller Seite kaum Vermittlungsangebote speziell
für Geflüchtete. Großangelegte Programme des Bundesarbeitsministeriums
richten sich nur an Geflüchtete, die bereits Bürgergeld beziehen. Das sind
anerkannte Asylbewerber*innen sowie Personen aus der Ukraine, die
ohnehin kein Asylverfahren durchlaufen müssen.
## Keine beschmierten Wände
Zurück im Eingangsbereich verabschiedet ein Sicherheitsmann gerade eine
Sozialarbeiterin. Auf Nachfrage sagt er, er habe hier noch nichts [12][mit
Rechten zu tun] gehabt, nicht einmal mit beschmierten Wänden. „Ich habe die
90er Jahre miterlebt, da hat alles gebrannt“, sagt er. „Aber die Leute hier
haben andere Sorgen, die Zukunft, die Sicherheit, die Preise, das ganze
Programm.“
William Mnguni dagegen hat schon mit Rechten zu tun gehabt, glaubt er
zumindest. Nicht in Schmerwitz, wo jeder jeden kennt, sondern in
Wiesenburg, dem größten Ort der Gemeinde. Er sei mit einigen Bewohnern in
den Supermarkt gegangen und habe draußen die Fahrräder angeschlossen. Als
sie zurückkamen, seien ihre Reifen zerstochen gewesen, die der anderen
Räder links und rechts aber nicht.
In Wiesenburg steht auch das Rathaus, in dem [13][Bürgermeister Marco
Beckendorf] arbeitet. Schmerwitz und Wiesenburg liegen knapp außerhalb des
Berliner Speckgürtels, die Fahrt mit der Regionalbahn zum Berliner
Hauptbahnhof dauert etwas länger als eine Stunde. Beckendorf ist 43 Jahre
alt, er trägt eine blaue Krawatte und eine blaue Chinohose, in der ein
weißes Hemd steckt.
In der Gemeindevertretung Wiesenburg/Mark hat er etwas, wovon viele
progressive Politiker:innen nur träumen können: eine linke Mehrheit.
Die Linkspartei, für die er angetreten ist, brachte es in der Gemeindewahl
von Juni 2024 zusammen mit Grünen und SPD auf 54,1 Prozent.
Marco Beckendorf war es, der das Projekt Exile Media Hub in der Gemeinde
angestoßen hat. Für ihn ist das Hub ein Rädchen in einem großen Plan, den
er „aktive Regionalentwicklung“ nennt. Die Gemeinde restauriert ein
ehemaliges VEB-Gelände, in das nun Kleingewerbe, Ateliers und
Hobbywerkstätten einziehen sollen, versucht Projekte wie den
Co-Working-Space von Julianne Becker oder Wohnanlagen für
gemeinschaftliches Wohnen in der Gemeinde anzusiedeln. Der ganze Plan ist
auf einer digitalen Anzeige am Eingang des Rathauses zu sehen.
Drinnen, im zweiten Stock des Gebäudes, befindet sich Beckendorfs Büro. Den
größten Teil des Raumes nimmt ein großer Konferenztisch ein. Beckendorf ist
gebürtiger Brandenburger, hat aber auch lange in Berlin gelebt. Er will mit
dem Exile Media Hub zu einem [14][anderen Narrativ von Brandenburg]
beitragen, das gibt er unumwunden zu. Brandenburg, das soll auch für offene
Menschen stehen, für funktionierende Gemeinden, ein lebenswertes Leben auf
dem Land.
## Die Gemeinde erlebte eine Art zweite Wende
In einer Rezession müsse die öffentliche Hand besonders stark eingreifen,
sagt Beckendorf, der erst Regionalwissenschaften und dann Steuern und
Finanzen studierte. In den vergangenen Jahren habe es in seiner Kommune
eine Art zweite Wende gegeben. „Die Investoren aus den alten Bundesländern
haben ihre Zelte abgebrochen, nachdem keine Fördermittel mehr geflossen
sind.“ Er versuche nun, die Gemeinde wiederzubeleben. Sein Ziel seien 4.300
Einwohner, derzeit sind es rund 4.200. Um diese Marke zu erreichen, braucht
es vielleicht auch die Geflüchteten.
Beckendorf ist seit 2015 Bürgermeister. In der vergangenen
Legislaturperiode wehrte sich die Gemeinde noch gegen die Vorgabe des
Landkreises Potsdam-Mittelmark, 110 Geflüchtete in Schmerwitz aufzunehmen.
Die Argumente: Man habe nicht das geeignete Personal, um die Menschen zu
unterstützen, man könne hier keine Arbeit finden, die Anbindung sei
schlecht und der Weg zu den Deutschkursen zu weit, außerdem wollten die
Menschen gar nicht herkommen.
Die Argumente gelten teilweise heute auch für das Exile Media Hub. Doch
diesmal hat sich Beckendorf für die Unterbringung eingesetzt. Auch wegen
der Größenordnung: 35 bis 40 Personen seien machbar, 110 zu viel, sagt der
Bürgermeister.
Um die Schmerwitzer:innen zu überzeugen, luden Beckendorf und Klaas
Glenewinkel zu einer informellen Abstimmung vor dem Gebäude des heutigen
Media Hub. Von den 200 Einwohner:innen seien etwa 30 gekommen, erzählt
Beckendorf. Von denen hätten sich 22 der Stimme enthalten und 8 dafür
gestimmt. Gegenstimmen habe es also keine gegeben. „Schmerwitz ist ein sehr
sozial geprägter Ort, der durch viel Zuzug schon immer ein bisschen
alternativ war“, sagt Beckendorf.
Der Ausländeranteil in der Gemeinde Wiesenburg/Mark liegt bei knapp 8
Prozent. Auf die rund 4.200 Einwohner:innen kommen 321 Ausländer:innen,
davon ungefähr 66 aus der EU. Das ist im Vergleich zu Großstädten wie
Berlin oder Köln sehr wenig, liegt aber im Brandenburger Durchschnitt. In
Schmerwitz leben neben den Kunst- und Medienschaffenden im Media Hub auch
ukrainische Geflüchtete, Beckendorf schätzt den Ausländeranteil im Dorf auf
etwa ein Drittel. Das ist mehr als in den meisten Großstädten.
## Der AfD ist das Media Hub ein Dorn im Auge
Das stößt einigen auf, [15][vor allem der AfD]. Im Landkreis
Potsdam-Mittelmark stellte die AfD-Fraktion eine Anfrage im Kreistag, die
der taz vorliegt. Darin enthalten sind Nachfragen zur Finanzierung des
Exile Media Hub, zur Arbeitsmarktintegration der Bewohner:innen sowie
die Bitte um detaillierte Angaben zu Herkunft, Rechtsstatus und
Deutschkenntnissen. Die Fraktion möchte zudem wissen, inwieweit sich die
Bewohner:innen für Deutschland einsetzen und mit wem sie sich
vernetzen.
Die Bundestagsfraktion der AfD hatte bereits im Dezember [16][eine Kleine
Anfrage] zur Förderung des Exile Media Hub gestellt. Darin wird der
Bundestag darauf hingewiesen, dass sich Glenewinkels NGO abfällig über die
AfD geäußert habe, weil das unterdurchschnittliche Wahlergebnis der Partei
bei der Wahl zur Gemeindevertretung in Wiesenburg auf der eigenen Homepage
mit „Noch ein Grund weshalb wir uns in der Gemeinde so wohl fühlen“
kommentiert wurde.
Von den Rechtsextremen will sich Klaas Glenewinkel aber nicht aufhalten
lassen. Im Gegenteil: Er plant, das Projekt zu erweitern. Vor Kurzem sei er
im Krankenhaus Bad Belzig gewesen, erzählt er Mitte April am Telefon. „Ich
bin total erschrocken, wie drastisch sich der Fachkräftemangel zeigt. Es
fehlen wirklich überall Leute.“ Seitdem habe er zusammen mit der
Krankenhausverwaltung erste Pläne erarbeitet, wie auch Pfleger:innen
unter Geflüchteten rekrutiert werden könnten.
Die Idee: Das Krankenhaus bildet die Geflüchteten aus, das Exile Media Hub
vermittelt eine Unterkunft. Auch andere Gesundheitseinrichtungen in der
Region will Glenewinkel kontaktieren. Er geht davon aus, dass die
Arbeitsvermittlung relativ kostengünstig umgesetzt werden könnte. Pro 30
Geflüchtete brauche es nicht mehr als eine zusätzliche Stelle, um
Absprachen mit potenziellen Arbeitgebern zu organisieren und die
Berufseinsteiger:innen zu betreuen.
„Wir wollen kein Projekt nur für gebildete Geflüchtete aus oberen Schichten
sein“, sagt Glenewinkel. „Warum nicht auch Pfleger und Pflegerinnen im Haus
unterbringen oder Kfz-Mechaniker?“ Bislang richtet sich das Angebot an
ausgebildete Journalist:innen und studierte Künstler:innen. Die
Personalnot örtlicher Unternehmen wird mit ihnen nicht gelindert.
Dass das aber prinzipiell möglich sei, davon ist Glenewinkel überzeugt. Im
Grunde gehe es nur darum, eine Person einzustellen, die den Kontakt
zwischen den Menschen in den Unterkünften und den Unternehmen in der Region
herstellt, sagt er. „Man muss nur alle Akteure zusammenkoppeln.“
## Fachleute schätzen Glenewinkels Ansatz
Ist es wirklich so einfach? Bei Fachleuten kommen Glenewinkels Ideen gut
an. Das Modell Schmerwitz sei „ein guter Startpunkt“, sagt der Soziologe
Denis Zeković vom [17][Deutschen Zentrum für Integrations- und
Migrationsforschung] (Dezim). Man könne das durchaus auch andernorts
gewinnbringend aufgreifen – „allerdings nicht eins zu eins“.
Vielmehr müsse es darum gehen, die zentralen Lehren aus Schmerwitz zu
übertragen. Zum Beispiel, indem man mehr Personal für die berufliche
Betreuung der Geflüchteten einstelle. In der lokalen Verwaltung der
Kommunen könnten die Abteilungen für Integration und die
Wirtschaftsförderung besser zusammenarbeiten.
Viele andere Hürden auf dem Weg in den Arbeitsmarkt blieben jedoch
bestehen, wenn das Modell Schmerwitz in größerem Maßstab eingeführt würde,
sagt Zeković. Fehlende Deutschkenntnisse etwa seien in vielen Fällen ein
Problem, insbesondere wenn in kleinen Betrieben die Arbeitgeber kein gutes
Englisch sprechen. Die vorige Bundesregierung kürzte die [18][Mittel für
Sprachkurse dramatisch.]
Oder der psychische Druck, der auf den Geflüchteten laste, solange ihr
Asylverfahren läuft. „Da kann sich kaum jemand richtig konzentrieren.“ Und
auch die Anerkennung von Berufsqualifikationen funktioniere weiterhin nur
holprig. „Oft haben die Leute im Herkunftsland jahrelange Berufserfahrung,
aber keine formale Ausbildung mit Nachweis“, sagt Zeković.
## Nur ein Bewohner hat bisher eine Festanstellung
Tatsächlich ist die Bilanz der Vermittlungsversuche in Schmerwitz bisher
durchwachsen. Nur eine:r der Bewohner:innen hat den Sprung in die
Festanstellung geschafft. Viele andere aus der ersten
Bewohner:innen-Generation wurden für einzelne Projekte bei Firmen in der
Region angeheuert.
Bei der Lokalzeitung Brandenburger Wochenblatt schreiben die
Bewohner:innen regelmäßig eine Kolumne, in der sie aus ihrem Leben
berichten. Und Radio Potsdam sendet einmal im Monat eine Livesendung, die
einer der Geflüchteten aus Schmerwitz moderiert. „Sehr stolz“, sei er auf
all das, sagt Klaas Glenewinkel, räumt aber ein: „Wir hatten gehofft, dass
die Vermittlung in feste Arbeitsplätze schneller und besser funktioniert.“
Neben anfänglichen Orientierungsschwierigkeiten und Sprachbarrieren habe
das auch mit dem [19][hohen bürokratischen Aufwand] zu tun. „Grundsätzlich
ist das Interesse bei den Firmen groß“, sagt Glenewinkel. „Aber alle haben
Angst vor dem Papierkram.“
Die Agentur für Arbeit prüft jeden Arbeitsvertrag von Geflüchteten, um
Ausbeutung zu verhindern. Hinzu kommt, dass bei Asylbewerber:innen
immer die Gefahr besteht, dass ihr Schutzantrag negativ beschieden wird.
Unter Umständen wird ein gerade mühsam eingearbeiteter Angestellter dann
sogar abgeschoben.
## Der Zeitgeist ist flüchtlingsfeindlich
In Umfragen spricht sich inzwischen eine Mehrheit der Deutschen gegen das
[20][individuelle Asylrecht aus]. Zwar ist noch nicht klar, wie weit die
neue Bundesregierung unter Friedrich Merz bei den Zurückweisungen
Asylsuchender wirklich geht. Noch könnten die EU-Nachbarländer oder der
Europäische Gerichtshof die Pläne vereiteln. Doch der Zeitgeist ist
flüchtlingsfeindlich. Ist ein Projekt wie das Exile Media Hub da nicht
hoffnungslos aus der Zeit gefallen?
Es ist das erste Mal im Telefongespräch, dass Glenewinkel nur zögerlich
antwortet. „Die Unterkünfte sind immer noch voll“, sagt er und wird dann
doch wieder kämpferisch: „Es geht um die Leute, die bei uns sein wollen,
die es schaffen wollen. Mit denen lässt sich was reißen.“
Für die Bewohner:innen im Media Hub geht das Leben weiter wie gewohnt.
Zweimal pro Woche fahren sie zum Deutschkurs nach Berlin, wer kann, geht
zum Arbeitsamt. Alle warten auf ihren endgültigen Asylbescheid. William
Mnguni arbeitet als Aushilfe bei Julianne Becker, macht Musik und arbeitet
an einem Podcast.
Sareh Oveysi eröffnet Mitte Mai ihre nächste Fotoausstellung und sucht nach
Möglichkeiten, einen neuen Dokumentarfilm über Liebe und Freiheit zu
zeigen. Sie sagt: „Ehrlich gesagt habe ich manchmal das Gefühl, dass in
kleinen Dörfern eine tiefere Verbundenheit herrscht – etwas Realeres als in
großen Städten. Diese Orte wirken auf mich heilend; manchmal möchte man
einfach nur gut sein, selbst in einem stillen Winkel der Welt.“
18 May 2025
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[15] /Kommunalwahlen-in-Ostdeutschland/!6016549
[16] https://dserver.bundestag.de/btd/20/141/2014134.pdf
[17] /Waehlen-mit-Migrationshintergrund/!6074151
[18] /Fehlender-Haushalt-fuer-2025/!6054496
[19] /Verschaerfte-Fluechtlingspolitik/!5994678
[20] /Falsche-Argumente-ueber-Asylrecht/!6065067
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Enno Schöningh
Frederik Eikmanns
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