# taz.de -- Flüchtlingsheim in Schmerwitz: Kunstraum statt Wohncontainer | |
> Eine linke Gemeinde in Brandenburg will Geflüchteten einen guten Ort zum | |
> Leben bieten und sie schnell in Arbeit bringen. Ginge das auch anderswo? | |
Bild: Die Fotografin Sareh Oveysi ist über ihre Arbeit mit den Bewohnerinnen v… | |
Schmerwitz und Wiesenburg/Mark Die Gäste sind überpünktlich, und das ist | |
ein Problem. Kein unlösbares, aber eines, das von Klaas Glenewinkel | |
Flexibilität verlangt. Wohl deshalb hetzt der 54-Jährige, das Hemd in die | |
Jeans gesteckt, die kurzen grauen Haare nach hinten gegelt, von einem zum | |
nächsten. Er stellt noch schnell die Lautsprecher auf, dann kann es | |
losgehen. | |
Klaas Glenewinkel eröffnet an diesem Freitagabend eine Kunstausstellung im | |
brandenburgischen Bad Belzig. Zu sehen sind Fotografien von Sareh Oveysi. | |
Die 36-jährige Iranerin ist vor dem Regime in ihrer Heimat geflohen. Dort | |
hat sie [1][Frauen ohne Kopftuch] fotografiert, nun sind es Bewohnerinnen | |
von Schmerwitz, einem Dorf in der Nähe von Bad Belzig. Die meisten von | |
ihnen sind weit über 50 Jahre alt. Und kommen lieber zu früh als zu spät. | |
Die Kunstausstellung findet in einem modernisierten Burgkeller statt. Statt | |
Stühlen gibt es Barhocker und Stehtische, später soll ein DJ auflegen, der | |
sonst [2][in Berliner Clubs] sein Geld verdient. Die Porträtfotos sind | |
schwarz-weiß und ausdrucksstark. Entstanden sind sie wenige Monate nach | |
Sareh Oveysis Ankunft in Schmerwitz. | |
Die Shootings waren Akt, auch wenn man auf den Fotos nur Gesicht und | |
Schultern sieht, sagt Oveysi in ihrer Eröffnungsrede auf Englisch. | |
Irgendwie ist es ihr trotz sprachlicher und kultureller Barrieren gelungen, | |
die älteren Frauen des kleinen Brandenburger Dorfs nackt vor die Linse zu | |
bekommen. Oveysi wirkt schüchtern. Nach zwei Minuten verlässt sie die Bühne | |
und übergibt das Mikrofon an Klaas Glenewinkel. Sie bekommt viel Applaus. | |
Ein Abend im Februar 2025, aber es fühlt sich an wie ein 2015-Moment: | |
Deutsche Willkommenskultur trifft auf Geflüchtete, es gibt wohlwollende | |
Annäherungsversuche von beiden Seiten. Im Burgkeller von Bad Belzig scheint | |
es so, als hätte es die vergangenen 10 Jahre nicht gegeben – die | |
[3][Silvesternacht in Köln], die [4][rassistischen Morde in Hanau], die | |
[5][endlosen Debatten um Obergrenzen] und Integration. Der Hass und die | |
Verbitterung da draußen sind weit weg. | |
## Podcastraum, Videoschnittplätze und Fitnessstudio | |
Sareh Oveysi lebt seit Juli 2024 im Exile Media Hub, einer | |
Flüchtlingsunterkunft in Schmerwitz, die von Klaas Glenewinkels NGO „Media | |
in Cooperation and Transition“ geleitet wird. Sie richtet sich explizit an | |
Kunst- und Medienschaffende und ihre Familien. In dem vierstöckigen Gebäude | |
wohnen und arbeiten aktuell 37 Menschen, die sonst wohl in [6][riesigen | |
Erstaufnahmeeinrichtungen oder tristen Sammelunterkünften] auf ihren | |
Asylbescheid warten würden. | |
Dort müssen Geflüchtete teilweise in riesigen Hallen oder in Wohncontainern | |
mit Stockbetten leben. Im Exile Media Hub gibt es Einzel- oder | |
Familienzimmer. Vor allem haben die Bewohner:innen hier alles, was sie | |
für ihre Arbeit brauchen: einen Podcastraum, Videoschnittplätze, | |
Laptoparbeitsplätze in schalldichten Kabinen, ein Fitnessstudio, einen | |
Kunstraum mit Staffeleien und Leinwänden, sogar Yogamatten. | |
Klaas Glenewinkel möchte, dass die Geflüchteten mit ihren Laptops, Kameras | |
und Leinwänden da weitermachen, wo sie vor ihrer Flucht aufgehört haben. | |
Sie sollen so schnell wie möglich in Jobs vermittelt werden. Aber das ist | |
nur der erste Schritt. Das Exile Media Hub ist ein Modellprojekt. Geht es | |
nach Glenewinkel, gibt es bald noch mehr solcher Unterkünfte, nicht nur für | |
Kunst- und Medienschaffende, sondern beispielsweise auch für | |
Pflegepersonal. | |
Eine humanere [7][Unterbringung von Geflüchteten], verbunden mit einer | |
[8][schnellen beruflichen Integration], das klingt wie die | |
institutionalisierte Form der Willkommenskultur. Aber geht dieses Konzept | |
wirklich auf? Und wie viel Zukunft hat ein solches Projekt, wenn sich das | |
gesellschaftliche Klima immer weiter nach rechts verschiebt und Gelder für | |
Integrationsprojekte gestrichen werden? | |
## Die Berufe der Geflüchteten werden nicht erfasst | |
Ein sonniger Tag Mitte März, der Winter ist vorbei, aber die Luft noch | |
eiskalt. Julianne Becker, US-Amerikanerin, 46 Jahre alt, fährt in einem | |
lilafarbenen Ford Fiesta am Bahnhof Bad Belzig vor. Sie hat in der Nähe | |
von Schmerwitz ein Unternehmen gegründet – beim „workation retreat“ kön… | |
gestresste Berliner:innen ihren Laptop im Grünen ausklappen – und | |
kümmert sich im Nebenjob um das Wohlbefinden und die berufliche Zukunft der | |
Geflüchteten. Sie überarbeitet Lebensläufe, sucht nach | |
Bildungsinstitutionen mit Deutschkursen, ist eine Art | |
Ein-Frau-Arbeitsagentur. | |
Auf der Autofahrt nach Schmerwitz erzählt Becker, wie sie die ersten | |
Bewohner gefunden haben: „Klaas und eine Kollegin haben bei den | |
Erstaufnahmeeinrichtungen angefragt, ob sie Journalist:innen auf ihr | |
Angebot aufmerksam machen dürfen. Dabei ist ihnen aufgefallen, dass in | |
keiner Einrichtung die Berufe der Geflüchteten erfasst werden. Also haben | |
sie sich vor Ort umgeschaut und die Menschen angesprochen, die in den | |
Aufenthaltsräumen künstlerisch tätig waren.“ | |
So lernten sie Sareh Oveysi kennen und auch William Mnguni, der vor der Tür | |
des Exile Media Hub wartet. Das Gebäude wurde zu DDR-Zeiten als Kaserne | |
genutzt, in der Zwischenzeit aber renoviert. Aus einem offenen Fenster | |
dröhnt Techno. Mnguni trägt schulterlange Dreads, einen lilafarbenen | |
Kapuzenpulli und bittet herein. Im Eingangsbereich gibt es ein Büro für den | |
Sicherheitsdienst, ein Büro für Sozialarbeiter:innen und | |
Laptoparbeitsplätze für die Bewohner:innen und das Dorf. Auch andere | |
Menschen aus Schmerwitz sind jederzeit willkommen, der Austausch gehört zum | |
Konzept. | |
Mnguni geht den Flur entlang, vorbei an einer Pinnwand mit QR-Codes für den | |
„Antrag Zulassung Integrationskurs“ und den „Antrag Krankenversicherung�… | |
das Kunstzimmer. Hier stehen Leinwände, Staffeleien und Farbpaletten. Das | |
Media Hub sei für ihn ein „kleines Paradies“, sagt Mnguni. | |
Die Miete für das Gebäude und den Sozialdienst finanziert der Landkreis | |
Potsdam-Mittelmark, wie bei jeder anderen Flüchtlingsunterkunft auch. In | |
Schmerwitz kommen jedoch zusätzliche Kosten hinzu, etwa für die technische | |
Ausstattung oder die intensive Betreuung bei der Arbeitssuche. Dafür hat | |
das Land Brandenburg seit Projektbeginn vor rund einem Jahr zusätzlich | |
120.000 Euro zur Verfügung gestellt. | |
Einzelne Workshops, etwa zu Audioproduktion oder künstlicher Intelligenz in | |
der kreativen Arbeit, wurden von Unternehmen wie Amazon und Google | |
gesponsert. Doch die Weiterfinanzierung wackelt derzeit, die [9][Koalition | |
aus SPD und BSW im Brandenburger Landtag] hat noch keinen Haushalt für das | |
Jahr 2025 verabschiedet. Klaas Glenewinkel will das Media Hub zur Not auf | |
Spendenbasis weiterbetreiben. | |
## Die Arbeitsaufnahme ist kompliziert | |
Bevor William Mnguni nach Schmerwitz kam, war er in der | |
Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt. Der Ort wirkte hoffnungslos, | |
erzählt er, das Leben war wie ein Uhrwerk und die Menschen hatten keine | |
Motivation weiterzumachen. „Hätten sie dort die gleichen Möglichkeiten wie | |
wir hier, könnten sie Großes leisten“, ist der Südafrikaner überzeugt. | |
Im Exile Media Hub hat Mnguni gemeinsam mit Sareh Oveysi einen Podcast | |
produziert und Musikvideos veröffentlicht. Außerdem arbeitet er als | |
Aushilfe in Julianne Beckers Unternehmen. „Den Arbeitsvertrag selbst zu | |
schreiben, die richtigen Worte zu finden, mit denen das Arbeitsamt | |
zufrieden ist, das war nicht einfach. Aber viele wissen gar nicht, dass man | |
diese Leute einstellen kann“, sagt Becker. Gemeint sind Geflüchtete, die | |
auf ihren Asylbescheid warten. | |
Tatsächlich ist die Arbeitsaufnahme kompliziert. Während der Zeit in den | |
zentralen Aufnahmeeinrichtungen gilt für Geflüchtete ein [10][striktes | |
Arbeitsverbot], das in den meisten Fällen erst mit der Weiterverteilung in | |
Gemeinschaftsunterkünfte endet. Grob gilt dann: Sofern sie nicht aus | |
[11][sogenannten sicheren Herkunftsländern] kommen und die Agentur für | |
Arbeit zustimmt, können sie normal arbeiten. | |
Allerdings gibt es von offizieller Seite kaum Vermittlungsangebote speziell | |
für Geflüchtete. Großangelegte Programme des Bundesarbeitsministeriums | |
richten sich nur an Geflüchtete, die bereits Bürgergeld beziehen. Das sind | |
anerkannte Asylbewerber*innen sowie Personen aus der Ukraine, die | |
ohnehin kein Asylverfahren durchlaufen müssen. | |
## Keine beschmierten Wände | |
Zurück im Eingangsbereich verabschiedet ein Sicherheitsmann gerade eine | |
Sozialarbeiterin. Auf Nachfrage sagt er, er habe hier noch nichts [12][mit | |
Rechten zu tun] gehabt, nicht einmal mit beschmierten Wänden. „Ich habe die | |
90er Jahre miterlebt, da hat alles gebrannt“, sagt er. „Aber die Leute hier | |
haben andere Sorgen, die Zukunft, die Sicherheit, die Preise, das ganze | |
Programm.“ | |
William Mnguni dagegen hat schon mit Rechten zu tun gehabt, glaubt er | |
zumindest. Nicht in Schmerwitz, wo jeder jeden kennt, sondern in | |
Wiesenburg, dem größten Ort der Gemeinde. Er sei mit einigen Bewohnern in | |
den Supermarkt gegangen und habe draußen die Fahrräder angeschlossen. Als | |
sie zurückkamen, seien ihre Reifen zerstochen gewesen, die der anderen | |
Räder links und rechts aber nicht. | |
In Wiesenburg steht auch das Rathaus, in dem [13][Bürgermeister Marco | |
Beckendorf] arbeitet. Schmerwitz und Wiesenburg liegen knapp außerhalb des | |
Berliner Speckgürtels, die Fahrt mit der Regionalbahn zum Berliner | |
Hauptbahnhof dauert etwas länger als eine Stunde. Beckendorf ist 43 Jahre | |
alt, er trägt eine blaue Krawatte und eine blaue Chinohose, in der ein | |
weißes Hemd steckt. | |
In der Gemeindevertretung Wiesenburg/Mark hat er etwas, wovon viele | |
progressive Politiker:innen nur träumen können: eine linke Mehrheit. | |
Die Linkspartei, für die er angetreten ist, brachte es in der Gemeindewahl | |
von Juni 2024 zusammen mit Grünen und SPD auf 54,1 Prozent. | |
Marco Beckendorf war es, der das Projekt Exile Media Hub in der Gemeinde | |
angestoßen hat. Für ihn ist das Hub ein Rädchen in einem großen Plan, den | |
er „aktive Regionalentwicklung“ nennt. Die Gemeinde restauriert ein | |
ehemaliges VEB-Gelände, in das nun Kleingewerbe, Ateliers und | |
Hobbywerkstätten einziehen sollen, versucht Projekte wie den | |
Co-Working-Space von Julianne Becker oder Wohnanlagen für | |
gemeinschaftliches Wohnen in der Gemeinde anzusiedeln. Der ganze Plan ist | |
auf einer digitalen Anzeige am Eingang des Rathauses zu sehen. | |
Drinnen, im zweiten Stock des Gebäudes, befindet sich Beckendorfs Büro. Den | |
größten Teil des Raumes nimmt ein großer Konferenztisch ein. Beckendorf ist | |
gebürtiger Brandenburger, hat aber auch lange in Berlin gelebt. Er will mit | |
dem Exile Media Hub zu einem [14][anderen Narrativ von Brandenburg] | |
beitragen, das gibt er unumwunden zu. Brandenburg, das soll auch für offene | |
Menschen stehen, für funktionierende Gemeinden, ein lebenswertes Leben auf | |
dem Land. | |
## Die Gemeinde erlebte eine Art zweite Wende | |
In einer Rezession müsse die öffentliche Hand besonders stark eingreifen, | |
sagt Beckendorf, der erst Regionalwissenschaften und dann Steuern und | |
Finanzen studierte. In den vergangenen Jahren habe es in seiner Kommune | |
eine Art zweite Wende gegeben. „Die Investoren aus den alten Bundesländern | |
haben ihre Zelte abgebrochen, nachdem keine Fördermittel mehr geflossen | |
sind.“ Er versuche nun, die Gemeinde wiederzubeleben. Sein Ziel seien 4.300 | |
Einwohner, derzeit sind es rund 4.200. Um diese Marke zu erreichen, braucht | |
es vielleicht auch die Geflüchteten. | |
Beckendorf ist seit 2015 Bürgermeister. In der vergangenen | |
Legislaturperiode wehrte sich die Gemeinde noch gegen die Vorgabe des | |
Landkreises Potsdam-Mittelmark, 110 Geflüchtete in Schmerwitz aufzunehmen. | |
Die Argumente: Man habe nicht das geeignete Personal, um die Menschen zu | |
unterstützen, man könne hier keine Arbeit finden, die Anbindung sei | |
schlecht und der Weg zu den Deutschkursen zu weit, außerdem wollten die | |
Menschen gar nicht herkommen. | |
Die Argumente gelten teilweise heute auch für das Exile Media Hub. Doch | |
diesmal hat sich Beckendorf für die Unterbringung eingesetzt. Auch wegen | |
der Größenordnung: 35 bis 40 Personen seien machbar, 110 zu viel, sagt der | |
Bürgermeister. | |
Um die Schmerwitzer:innen zu überzeugen, luden Beckendorf und Klaas | |
Glenewinkel zu einer informellen Abstimmung vor dem Gebäude des heutigen | |
Media Hub. Von den 200 Einwohner:innen seien etwa 30 gekommen, erzählt | |
Beckendorf. Von denen hätten sich 22 der Stimme enthalten und 8 dafür | |
gestimmt. Gegenstimmen habe es also keine gegeben. „Schmerwitz ist ein sehr | |
sozial geprägter Ort, der durch viel Zuzug schon immer ein bisschen | |
alternativ war“, sagt Beckendorf. | |
Der Ausländeranteil in der Gemeinde Wiesenburg/Mark liegt bei knapp 8 | |
Prozent. Auf die rund 4.200 Einwohner:innen kommen 321 Ausländer:innen, | |
davon ungefähr 66 aus der EU. Das ist im Vergleich zu Großstädten wie | |
Berlin oder Köln sehr wenig, liegt aber im Brandenburger Durchschnitt. In | |
Schmerwitz leben neben den Kunst- und Medienschaffenden im Media Hub auch | |
ukrainische Geflüchtete, Beckendorf schätzt den Ausländeranteil im Dorf auf | |
etwa ein Drittel. Das ist mehr als in den meisten Großstädten. | |
## Der AfD ist das Media Hub ein Dorn im Auge | |
Das stößt einigen auf, [15][vor allem der AfD]. Im Landkreis | |
Potsdam-Mittelmark stellte die AfD-Fraktion eine Anfrage im Kreistag, die | |
der taz vorliegt. Darin enthalten sind Nachfragen zur Finanzierung des | |
Exile Media Hub, zur Arbeitsmarktintegration der Bewohner:innen sowie | |
die Bitte um detaillierte Angaben zu Herkunft, Rechtsstatus und | |
Deutschkenntnissen. Die Fraktion möchte zudem wissen, inwieweit sich die | |
Bewohner:innen für Deutschland einsetzen und mit wem sie sich | |
vernetzen. | |
Die Bundestagsfraktion der AfD hatte bereits im Dezember [16][eine Kleine | |
Anfrage] zur Förderung des Exile Media Hub gestellt. Darin wird der | |
Bundestag darauf hingewiesen, dass sich Glenewinkels NGO abfällig über die | |
AfD geäußert habe, weil das unterdurchschnittliche Wahlergebnis der Partei | |
bei der Wahl zur Gemeindevertretung in Wiesenburg auf der eigenen Homepage | |
mit „Noch ein Grund weshalb wir uns in der Gemeinde so wohl fühlen“ | |
kommentiert wurde. | |
Von den Rechtsextremen will sich Klaas Glenewinkel aber nicht aufhalten | |
lassen. Im Gegenteil: Er plant, das Projekt zu erweitern. Vor Kurzem sei er | |
im Krankenhaus Bad Belzig gewesen, erzählt er Mitte April am Telefon. „Ich | |
bin total erschrocken, wie drastisch sich der Fachkräftemangel zeigt. Es | |
fehlen wirklich überall Leute.“ Seitdem habe er zusammen mit der | |
Krankenhausverwaltung erste Pläne erarbeitet, wie auch Pfleger:innen | |
unter Geflüchteten rekrutiert werden könnten. | |
Die Idee: Das Krankenhaus bildet die Geflüchteten aus, das Exile Media Hub | |
vermittelt eine Unterkunft. Auch andere Gesundheitseinrichtungen in der | |
Region will Glenewinkel kontaktieren. Er geht davon aus, dass die | |
Arbeitsvermittlung relativ kostengünstig umgesetzt werden könnte. Pro 30 | |
Geflüchtete brauche es nicht mehr als eine zusätzliche Stelle, um | |
Absprachen mit potenziellen Arbeitgebern zu organisieren und die | |
Berufseinsteiger:innen zu betreuen. | |
„Wir wollen kein Projekt nur für gebildete Geflüchtete aus oberen Schichten | |
sein“, sagt Glenewinkel. „Warum nicht auch Pfleger und Pflegerinnen im Haus | |
unterbringen oder Kfz-Mechaniker?“ Bislang richtet sich das Angebot an | |
ausgebildete Journalist:innen und studierte Künstler:innen. Die | |
Personalnot örtlicher Unternehmen wird mit ihnen nicht gelindert. | |
Dass das aber prinzipiell möglich sei, davon ist Glenewinkel überzeugt. Im | |
Grunde gehe es nur darum, eine Person einzustellen, die den Kontakt | |
zwischen den Menschen in den Unterkünften und den Unternehmen in der Region | |
herstellt, sagt er. „Man muss nur alle Akteure zusammenkoppeln.“ | |
## Fachleute schätzen Glenewinkels Ansatz | |
Ist es wirklich so einfach? Bei Fachleuten kommen Glenewinkels Ideen gut | |
an. Das Modell Schmerwitz sei „ein guter Startpunkt“, sagt der Soziologe | |
Denis Zeković vom [17][Deutschen Zentrum für Integrations- und | |
Migrationsforschung] (Dezim). Man könne das durchaus auch andernorts | |
gewinnbringend aufgreifen – „allerdings nicht eins zu eins“. | |
Vielmehr müsse es darum gehen, die zentralen Lehren aus Schmerwitz zu | |
übertragen. Zum Beispiel, indem man mehr Personal für die berufliche | |
Betreuung der Geflüchteten einstelle. In der lokalen Verwaltung der | |
Kommunen könnten die Abteilungen für Integration und die | |
Wirtschaftsförderung besser zusammenarbeiten. | |
Viele andere Hürden auf dem Weg in den Arbeitsmarkt blieben jedoch | |
bestehen, wenn das Modell Schmerwitz in größerem Maßstab eingeführt würde, | |
sagt Zeković. Fehlende Deutschkenntnisse etwa seien in vielen Fällen ein | |
Problem, insbesondere wenn in kleinen Betrieben die Arbeitgeber kein gutes | |
Englisch sprechen. Die vorige Bundesregierung kürzte die [18][Mittel für | |
Sprachkurse dramatisch.] | |
Oder der psychische Druck, der auf den Geflüchteten laste, solange ihr | |
Asylverfahren läuft. „Da kann sich kaum jemand richtig konzentrieren.“ Und | |
auch die Anerkennung von Berufsqualifikationen funktioniere weiterhin nur | |
holprig. „Oft haben die Leute im Herkunftsland jahrelange Berufserfahrung, | |
aber keine formale Ausbildung mit Nachweis“, sagt Zeković. | |
## Nur ein Bewohner hat bisher eine Festanstellung | |
Tatsächlich ist die Bilanz der Vermittlungsversuche in Schmerwitz bisher | |
durchwachsen. Nur eine:r der Bewohner:innen hat den Sprung in die | |
Festanstellung geschafft. Viele andere aus der ersten | |
Bewohner:innen-Generation wurden für einzelne Projekte bei Firmen in der | |
Region angeheuert. | |
Bei der Lokalzeitung Brandenburger Wochenblatt schreiben die | |
Bewohner:innen regelmäßig eine Kolumne, in der sie aus ihrem Leben | |
berichten. Und Radio Potsdam sendet einmal im Monat eine Livesendung, die | |
einer der Geflüchteten aus Schmerwitz moderiert. „Sehr stolz“, sei er auf | |
all das, sagt Klaas Glenewinkel, räumt aber ein: „Wir hatten gehofft, dass | |
die Vermittlung in feste Arbeitsplätze schneller und besser funktioniert.“ | |
Neben anfänglichen Orientierungsschwierigkeiten und Sprachbarrieren habe | |
das auch mit dem [19][hohen bürokratischen Aufwand] zu tun. „Grundsätzlich | |
ist das Interesse bei den Firmen groß“, sagt Glenewinkel. „Aber alle haben | |
Angst vor dem Papierkram.“ | |
Die Agentur für Arbeit prüft jeden Arbeitsvertrag von Geflüchteten, um | |
Ausbeutung zu verhindern. Hinzu kommt, dass bei Asylbewerber:innen | |
immer die Gefahr besteht, dass ihr Schutzantrag negativ beschieden wird. | |
Unter Umständen wird ein gerade mühsam eingearbeiteter Angestellter dann | |
sogar abgeschoben. | |
## Der Zeitgeist ist flüchtlingsfeindlich | |
In Umfragen spricht sich inzwischen eine Mehrheit der Deutschen gegen das | |
[20][individuelle Asylrecht aus]. Zwar ist noch nicht klar, wie weit die | |
neue Bundesregierung unter Friedrich Merz bei den Zurückweisungen | |
Asylsuchender wirklich geht. Noch könnten die EU-Nachbarländer oder der | |
Europäische Gerichtshof die Pläne vereiteln. Doch der Zeitgeist ist | |
flüchtlingsfeindlich. Ist ein Projekt wie das Exile Media Hub da nicht | |
hoffnungslos aus der Zeit gefallen? | |
Es ist das erste Mal im Telefongespräch, dass Glenewinkel nur zögerlich | |
antwortet. „Die Unterkünfte sind immer noch voll“, sagt er und wird dann | |
doch wieder kämpferisch: „Es geht um die Leute, die bei uns sein wollen, | |
die es schaffen wollen. Mit denen lässt sich was reißen.“ | |
Für die Bewohner:innen im Media Hub geht das Leben weiter wie gewohnt. | |
Zweimal pro Woche fahren sie zum Deutschkurs nach Berlin, wer kann, geht | |
zum Arbeitsamt. Alle warten auf ihren endgültigen Asylbescheid. William | |
Mnguni arbeitet als Aushilfe bei Julianne Becker, macht Musik und arbeitet | |
an einem Podcast. | |
Sareh Oveysi eröffnet Mitte Mai ihre nächste Fotoausstellung und sucht nach | |
Möglichkeiten, einen neuen Dokumentarfilm über Liebe und Freiheit zu | |
zeigen. Sie sagt: „Ehrlich gesagt habe ich manchmal das Gefühl, dass in | |
kleinen Dörfern eine tiefere Verbundenheit herrscht – etwas Realeres als in | |
großen Städten. Diese Orte wirken auf mich heilend; manchmal möchte man | |
einfach nur gut sein, selbst in einem stillen Winkel der Welt.“ | |
18 May 2025 | |
## LINKS | |
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[16] https://dserver.bundestag.de/btd/20/141/2014134.pdf | |
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