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# taz.de -- Falsche Argumente über Asylrecht: Die uralten Kamellen eines renom…
> CDU-Kanzlerkandidat Merz bezog sich im TV-Duell auf den Historiker
> Heinrich Winkler. Doch dieser irrt, wenn er das Asylrecht im „Spiegel“
> historisch beurteilt.
Bild: Ernst Reuter, Oberbürgermeister von Berlin, unterzeichnet das Grundgeset…
Heinrich August Winkler ist ein [1][verdienter Historiker.] Zur aktuellen
Migrationsdebatte hat er allerdings kein Expertenwissen beizutragen.
Insbesondere haben seine Ausführungen zur Entstehung des Grundrechts auf
Asyl heute keinerlei praktische Relevanz mehr.
Dennoch veröffentlichte der Spiegel am Wochenende [2][einen Gastbeitrag von
Winkler] unter dem Titel „Die [3][deutsche Asyllegende]“. Darin
argumentierte der Historiker, dass der Parlamentarische Rat bei der
Schaffung des [4][Grundgesetzes] kein subjektives individuelles Asylrecht
schaffen wollte, sondern nur ein institutionelles, vom Staat zu gewährendes
Recht. In der heutigen Debatte werde etwas verteidigt, was eigentlich ganz
anders gedacht war, so Winkler. Mit der eigentlichen Konzeption des
Asylrechts wäre die von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz propagierte
Zurückweisung aller Asylsuchenden an der Grenze durchaus möglich, so
Winkler.
Zunächst: Das Grundgesetz wird vom Bundesverfassungsgericht ausgelegt und
nicht von Geschichtsprofessoren. Das Bundesverfassungsgericht hat aber das
Asylrecht in ständiger Rechtsprechung als subjektives Grundrecht
verstanden.
Dass Winkler die Karlsruher Urteile als „eigenwillig und anfechtbar“
bezeichnet, ist für einen Nichtjuristen bemerkenswert. Was Winkler wohl
nicht weiß: Die historische Auslegung einer Grundgesetznorm ist nur eine
von vier parallel anzuwendenden Auslegungsmethoden, neben Wortlaut,
Systematik sowie Sinn und Zweck.
Mit zunehmendem Abstand wird die historische Auslegung unwichtiger. Deshalb
lag Karlsruhe nicht falsch, als es zu anderen Ergebnissen kam als Winkler.
Die Kontroverse über das deutsche Grundrecht auf Asyl ist aber auch schon
sehr lange überholt. Der heute 86-jährige Winkler schlägt hier Schlachten
vergangener Jahrzehnte.
Bereits 1993, vor mehr als 30 Jahren, wurde das deutsche Grundrecht auf
Asyl nach einer jahrelangen Hetzkampagne der CDU/CSU weitgehend
abgeschafft.
Das Asyl-Grundrecht wurde damals nicht, wie Winkler meint, um
„Detailbestimmungen“ ergänzt, sondern fast völlig entleert.
Das Grundrecht gilt nicht mehr für Flüchtlinge, die Deutschland über einen
sicheren Drittstaat erreichen. Da Deutschland von EU-Staaten und der
Schweiz umgeben ist, gilt das Grundrecht auf Asyl für 99 Prozent der
Flüchtlinge nicht mehr.
Winkler hat recht, dass es heute immer noch Politiker:innen gibt, die
sich in der Auseinandersetzung mit Friedrich Merz auf das Asyl-Grundrecht
berufen. Leider gehört auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) dazu. Um das Argument
von Scholz ins Leere laufen zu lassen, braucht Merz aber nicht die
historische Hilfe von Winkler, es genügt ein Verweis auf Artikel 16a Absatz
2 des Grundgesetzes. Dort ist die faktische Irrelevanz des Grundrechts
heute festgeschrieben. Um es deutlich zu sagen: Wer heute noch mit dem
Grundrecht auf Asyl argumentiert, verschafft Merz und der AfD einfache
argumentative Erfolge. Bei Sozialdemokraten wie Scholz ist das besonders
zynisch.
Schließlich hat die SPD 1993 der CDU/CSU bei der faktischen Abschaffung des
Asylrechts zur erforderlichen Zweidrittelmehrheit verholfen. Die
Zurückweisung aller Asylsuchenden an der deutschen Grenze verstößt also
nicht gegen das Grundgesetz, aber gegen EU-Recht. Die Europäische Union
verfügt längst über ein eigenes harmonisiertes Asylsystem. Auch der
Individualanspruch auf Asyl beruht heutzutage auf EU-Recht, das im
deutschen Asylgesetz umgesetzt wurde.
Ab 2026 wird es eine direkt geltende EU-Verordnung geben. Für die
Auseinandersetzung mit dem EU-Asylrecht ist Winklers Hinweis auf die
Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes völlig irrelevant. Es geht hier um
neues Recht auf einer höheren, vorrangigen Ebene. Nun erwartet niemand von
einem 86-jährigen Historiker, dass er sich mit dem EU-Asylrecht auskennt.
Aber vom Spiegel könnte man doch so viel Fürsorge für den eigenen Autor
erwarten, dass er darauf verzichtet, einen so peinlich veralteten Text
abzudrucken.
10 Feb 2025
## LINKS
[1] /Kommentar-Ehrung-Historiker-Winkler/!5287750
[2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/migration-grundrecht-auf-asyl-al…
[3] /Interne-Asyldebatte-der-Gruenen/!6063893
[4] /75-Jahre-Grundgesetz/!6009175
## AUTOREN
Christian Rath
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