# taz.de -- Was Städte durch weniger Autos gewinnen: So viel Platz | |
> Wie viel Raum wird frei, wenn Autos in Städten weniger werden? Die taz | |
> hat das am Beispiel Hamburg für 2030 ausgerechnet. Das Ergebnis macht | |
> Hoffnung. | |
Dass zwölf Parkplätze wegfielen, wurde Ende Oktober im Hamburger Bezirk | |
Eimsbüttel [1][wie ein Fest gefeiert]. Eine [2][Initiative hatte erreicht], | |
dass an einer Straßenecke, an der sonst Pkws quer parkten, ein neuer Platz | |
eingeweiht wurde. Hochbeete wurden aufgestellt, ein Straßenschild mit der | |
Aufschrift „Parnass-Platz“ enthüllt und Eröffnungsreden gehalten. Im | |
Frühling diesen Jahres treffen sich die Anwohner:innen nun zum Gespräch | |
darüber, wie sie den neuen Platz weiter beleben. 280 Quadratmeter haben sie | |
gewonnen. | |
Es wird viel neuen Platz geben in den Städten, wenn die Autos etwas von dem | |
Raum abgeben, [3][den sie beanspruchen], wenn sie stehen, fahren oder | |
tanken. Die taz hat am Beispiel Hamburg ausgerechnet, wie viel | |
Raumpotenzial die Verkehrswende bis 2030 bringt. | |
Wie viele Parkplätze, Parkhäuser, Tankstellen und Straßenspuren werden | |
nicht mehr für Pkws benötigt, wenn der Autoverkehr in Hamburg im gleichen | |
Maße abnimmt wie in den letzten Jahren? Das Ergebnis: Etwa 2.750.000 | |
Quadratmeter bekommen die Hamburger:innen bis 2030 zurück. Das ist mehr | |
als die zwei kleinsten Länder der Erde – Monaco und der Vatikan – zusammen. | |
Basis der Rechnung ist, dass es 2030 knapp 13 Prozent weniger Autoverkehr | |
in der Stadt geben wird als 2020. Das ist eine Fortschreibung des Trends, | |
wie er in Hamburg bisher verläuft. Die Stadt erfasst [4][in der | |
Mobilitätserhebung] regelmäßig, wie sich Menschen bewegen. | |
Die ungefähr 2.750.000 Quadratmeter sind keine optimistische | |
Wunschrechnung. Damit die Emissionen im Verkehr schnell genug fallen, | |
müsste der Autoverkehr sogar viel schneller abnehmen. Die Veränderung | |
dürfte nicht nur gleichmäßig weitergehen, sondern müsste sich | |
beschleunigen. Auch der Koalitionsvertrag in Hamburg sieht ambitioniertere | |
Ziele vor als das hier angenommene Szenario. Die taz hat also bewusst | |
konservativ gerechnet. Und trotzdem zeigt das Ergebnis: Da ist | |
Raumpotenzial. | |
13 Prozent der Parkhäuser und Parkplätze könnten demnach umgenutzt werden. | |
Die Parkplätze machen den größten Platzgewinn aus. Es könnte, auch durch | |
die Zunahme an E-Autos, rund 27 Prozent weniger Tankstellen geben. Konrad | |
Rothfuchs, Verkehrsplaner in Hamburg, geht davon aus, dass bis 2030 auf 15 | |
bis 20 Prozent [5][der Hauptstraßen in Hamburg] Fahrstreifen reduziert oder | |
zu Bus- und Fahrradwegen werden können. | |
Hinter den abstrakten Zahlen stecken konkrete Möglichkeiten. Sichere | |
Radwege, mehr Platz für Kinder oder neuer Wohnraum. Mehr Fläche, auf der | |
Regenwasser wieder versickern kann und mehr kühlende Bäume – also bessere | |
Anpassung an den Klimawandel. An einem Sommertag ist es auf einem | |
asphaltierten Parkplatz zum Beispiel zwei Grad heißer als in einer [6][von | |
Bäumen gesäumten] Straße. | |
Die Auseinandersetzungen der letzten Monate um autofreie Straßen von | |
[7][Hannover] bis [8][Berlin] haben gezeigt, wie viele Menschen beim Wort | |
Verkehrswende Verluste und Verbote fürchten. Dass ihnen etwas genommen | |
wird. | |
Hier soll es darum gehen, was zu gewinnen wäre. Ohne eine Vorstellung von | |
einer Stadt mit weniger Autoverkehr ist die Sitzheizung zu gemütlich. | |
Der Hamburger [9][Künstler Jan Kamensky], der sich visueller Utopist nennt, | |
versucht solche Zukunftsbilder zu entwerfen. Er gestaltet kurze Videos, in | |
denen er Ansichten bekannter Plätze verändert. SUVs und Ampeln fliegen weg, | |
Bäume wachsen, Bänke schieben sich ins Bild. Lastenfahrräder und Fußgänger | |
nehmen den Platz ein, den die Autos verlassen haben. | |
Würden Menschen von München bis Mönchengladbach mehr öffentliche | |
Verkehrsmittel nutzen, wenn das heißt, dass ein kleiner Park in ihrer | |
Straße entstehen würde? | |
Schon die Pandemie hat dazu beigetragen, dass sich das Bewegungsverhalten | |
der Menschen ändert. Viele Menschen haben sich das Home Office wenigstens | |
an ein paar Tagen beibehalten und sparen sich so Wege. Während die | |
Hamburger:innen vor der Pandemie noch 5,8 Millionen Wege am Tag | |
zurücklegten, sind es nach der Pandemie 5,3 Millionen, obwohl die | |
Bevölkerung in Hamburg gewachsen ist. | |
Der Verkehrsplaner Konrad Rothfuchs beobachtet auch ein Umdenken, das er | |
die „Verdörflichung der Stadt“ nennt. „Wir wollen uns wieder in der Nähe | |
organisieren“, sagt er. Keine ewigen Wege zurücklegen müssen, um | |
einzukaufen, Sport zu machen oder die Kinder abzuholen. „Unsere | |
Anforderungen an den öffentlichen Raum verschieben sich. Wir gehen viel | |
mehr raus, hocken uns irgendwohin und arbeiten“, sagt Rothfuchs. „Meinen | |
Eltern wäre das nie in den Sinn gekommen.“ | |
Menschen stehen in überfüllten Städten also bereit, den Raum einzunehmen. | |
Aber wie genau können die über 12.000 Quadratmeter Tankstellenfläche | |
genutzt werden, die bis 2030 in Hamburg frei werden? Oder die gut zwei | |
Millionen Quadratmeter ehemaliger Parkplatzfläche? Wir haben Menschen mit | |
konkreten Vorstellungen gesucht und sie für die taz zum Träumen eingeladen. | |
## Parkhäuser zu Kitas | |
Gerda Wunschel ist Geschäftsführerin eines Kita-Trägers in Berlin, der | |
[10][einen Kindergarten in einem umgebauten Parkhaus] betreibt. | |
„Ungenutzte Parkhäuser muss man nicht gleich abreißen. Wie man die Gebäude | |
stattdessen sinnvoll nutzen kann, hat der Bezirk Berlin-Kreuzberg schon vor | |
mehr als 30 Jahren gezeigt: Unweit des Kottbusser Tors wurde aus einem kaum | |
genutzten Parkhaus ein Kindergarten, der Platz für 136 Kinder bietet. | |
Damals wie heute herrschte ein akuter Mangel an Betreuungsplätzen. Die | |
Umnutzung war eine ressourcenschonende Option, um diese Plätze dort zu | |
schaffen, wo sie benötigt wurden. [11][Kindergärten sind immer wieder von | |
Verdrängung betroffen], müssen aus ihren Räumlichkeiten ausziehen und sich | |
aufwändig neue suchen, auf dem angespannten Mietmarkt teilweise ohne | |
Erfolg. | |
Ich kenne das Gebäude in Kreuzberg noch als Parkhaus, das war dunkel, eng | |
und hatte sehr niedrige Decken. Eigentlich sollte es abgerissen werden und | |
dort eine Neubau-Kita entstehen. Während der Planung ist die Idee | |
entstanden, es umzunutzen. Ich habe damals im Bezirksamt Kreuzberg | |
gearbeitet und den Umbau so von Anfang an begleitet. | |
In die Mitte des Gebäudes wurde ein Glashaus gesetzt, so hat es einen | |
hellen, zentralen Bereich bekommen, der von allen Kindern genutzt werden | |
kann. Durch das Glasdach hat der Raum eine hohe Decke und ist sehr hell. | |
Die Kinder haben hier verschiedene Spiel- und Bastelecken, die sie sehr | |
gerne nutzen. | |
Der Bezirk war Träger des Bauvorhabens, 136 Kita-Plätze sind entstanden. | |
Etwa 8,5 Millionen Euro hat der Umbau gekostet, genauso viel wie Abriss und | |
Neubau. Den Kindern stehen bei uns 2.000 Quadratmeter Fläche zur Verfügung. | |
Hätten wir eine neue Kita gebaut, hätten wir für 136 Kinder nicht einmal | |
700 Quadratmeter gehabt. | |
Vom Bezirk vorgegeben war, dass die Kindertagesstätte einen ökologischen | |
Schwerpunkt haben sollte. Nur: Wie setzt man einen ökologischen Schwerpunkt | |
um in einem Haus, was eigentlich ein solider Betonbau ist? [12][Ein | |
zentraler Aspekt ist, dass die Kita ein Umbau und kein Neubau war, das | |
spart Ressourcen.] Wir haben beim Bau und der Ausstattung natürliche | |
Materialien verwendet. Zusätzlich hat das Gebäude ein Gründach, dort gibt | |
es eine Kräuterspirale, zusammen mit den Kindern haben wir dort Beete | |
angelegt. | |
Durch den ungewöhnlichen Bau konnten wir ein besonderes pädagogisches | |
Konzept umsetzen, das in den 1980er Jahren innovativ war. Auch bei uns gibt | |
es klassische Gruppenräume. Aber es gibt in Richtung Glashaus auch die | |
Mehrzweckräume, die nutzen wir als Atelier, Bauraum und Werkstatt. Wir | |
haben entschieden, die Räume innerhalb der Gruppen zu öffnen, die Kinder | |
können also mit Kindern aus anderen Gruppen spielen. | |
Für die Kinder ist das Parkhaus eine Fläche, die sie sich aneignen. Auf den | |
ehemaligen Auffahrten sind jetzt jeweils acht Stufen. Da macht man nicht | |
einen Schritt und geht auf die nächste Stufe, sondern macht einen Schritt | |
und macht zwei Zwischenschritte und geht dann auf die nächste Stufe. Das | |
ist für Erwachsene merkwürdig, aber für die Kinder ist es kein Problem. Sie | |
rennen hoch und runter, freuen sich über den Platz und die besonderen | |
Möglichkeiten. Die ursprüngliche Nutzung bleibt so sichtbar, das war dem | |
Architekten wichtig. Eine solche Umnutzung wäre auch in anderen Städten | |
möglich, mit allen ökologischen und pädagogischen Vorteilen.“ | |
## Straßen zu Bäumen | |
Sabine Rabe ist Landschaftsarchitektin und an der Erstellung von neuen | |
Konzepten für Hauptstraßen in Hamburg beteiligt. | |
„Wenn ich träumen darf, würde jede Straße ein Park werden. Bäume sind das… | |
und O, um Wasser im Kreislauf zu halten. Deshalb würde ich auf den frei | |
werdenden Straßen als allererstes Bäume pflanzen, so simpel das klingt. | |
Der Raum ist hart umkämpft, auch unter der Erde. Überall verlaufen Kabel, | |
Fernwärmetrassen werden verlegt, sehr viele Flächen sind unterbaut, mit | |
Tiefgaragen zum Beispiel, weshalb Bäume nicht wirklich tief wurzeln können. | |
Sie brauchen also auch Platz unter der Erde, den würde ich ihnen geben. | |
Ich würde [13][nicht nur resiliente Klimabäume pflanzen], sondern auch | |
heimische Baumarten, die wir kennen, wie Buchen, Eichen, Kastanien. Wenn | |
sie jung angepflanzt werden, haben sie eine größere Chance, zu überleben | |
und sich anzupassen. Diese Bäume haben durch ihre großen Kronen ein hohes | |
Verdunstungsvolumen. Denn über die vielen Blätter speichern die Bäume nicht | |
nur CO2, sondern geben auch Wasser an die Luft ab und kühlen sie so. Gerade | |
an heißen Tagen in Städten können Bäume die Temperatur messbar senken. | |
Außerdem muss Boden in den Städten entsiegelt werden, also vom Asphalt | |
befreit. Wo Fahrspuren wegfallen, sollte das erwogen werden. Beim Boden | |
müssen wir große Reparaturarbeiten leisten und neues Substrat auftragen. In | |
den vergangenen Jahren haben wir immer mehr Flächen versiegelt. Deshalb | |
fließt das Wasser in die Kanalisation und gelangt oft nicht mehr ins | |
Grundwasser. [14][Damit das wieder geschieht, muss das Wasser in der Erde | |
versickern können.] Nicht an allen Stellen in Hamburg ist der Boden dafür | |
gut geeignet, deshalb müssen wir darauf achten, dass genau dort, wo es | |
geht, Regen wieder versickern kann. Umgekehrt haben wir es in Zukunft nicht | |
nur mit Trockenperioden, sondern auch – wie wir gerade erleben – mit lang | |
anhaltendem Regen zu tun. Daher brauchen wir dringend unversiegelte Räume | |
für den Rückhalt von Wasser. | |
Die Straßen sollten wir deshalb zu multicodierten Flächen umwandeln. Das | |
heißt, nicht nur den Verkehr auf der Straße fließen zu lassen, sondern die | |
Fläche vielseitig zu nutzen, etwa für Pflanzen, Versickerungszonen oder | |
Regenrückhalteräume. Solche Wasserdepots können unter der Erde installiert | |
werden, um das Wasser in einer trockeneren Phase dem Boden oder den | |
Pflanzen zuzuführen. Es könnten aber auch Sport- und Spielflächen, | |
Platzflächen und Straßen sein, die temporär überflutbar sind. Wir müssen | |
dafür sorgen, dass der Wasserkreislauf wieder geschlossen wird und wir das | |
Wasser nicht nur ableiten. | |
Außerdem wünsche ich mir mehr öffentliche Plätze, an denen sich die | |
Bewohner:innen begegnen können, zum gemeinsamen Kochen, Klönen, | |
Rumsitzen, Gärtnern. Das Wunderbare an Straßenräumen sind die Länge und das | |
Verbindende. In meinem Team gibt es viele Ideen, was auf den heutigen | |
Straßenspuren entstehen könnte, etwa ein Bewegungsband zum Laufen und | |
Spazieren, ein Parcours zum Radfahrenlernen, eine Rollbahn zum Skaten oder | |
Inlinern, ein Asphalt-Malpark für Bodengemälde, ein Sonnenblumenfeld, ein | |
endlos langer Gemüsegarten, eine städtische Baumschule, ein Planschbecken, | |
eine Eisbahn im Winter oder ein Urban Gym zum Draußentrainieren, wenn es | |
warm genug ist. | |
All das könnte entstehen, statt Autorennen Platz zu bieten. Wir hätten | |
Flächen für den längsten Spiel- und Sportplatz der Stadt und das längste | |
Biotop der Stadt, denn die neue Urbanität ist auch das selbstverständliche | |
Miteinander von Menschen, Tieren und Pflanzen. Oder eben: den längsten Park | |
der Stadt!“ | |
## Parkplätze zu Schlafplätzen | |
Van Bo Le-Mentzel ist Architekt. Bekannt wurde er [15][durch seine | |
Hartz-IV-Möbel] und die Entwürfe von Tiny Houses, kleinen temporären | |
Häusern auf Rädern. | |
„Ein durchschnittlicher Parkplatz ist 5 Meter lang und 2,3 Meter breit. Das | |
sind 11,5 Quadratmeter, damit kann man so viel machen! Wenn in einer Straße | |
durch die [16][Verkehrswende ein Parkplatz frei wird], würde ich dort | |
zuerst einen leeren Anhänger hinstellen. Dann braucht man noch eine | |
Batterie für Strom und eine Propangasflasche zum Heizen. Das ist die | |
Grundlage für eine Notunterkunft, ein Tiny House oder eine Werkstatt. | |
Was konkret daraus wird, sollte die Entscheidung der Menschen sein, die | |
dort wohnen. Öffentlicher Raum ist für alle da, deshalb ist es wichtig, | |
dass die Nachbarschaft das Projekt akzeptiert. Idealerweise würde ich das | |
Konzept und den Ort mit ihnen zusammen entwickeln und bauen. Für ein Tiny | |
House braucht man im Prinzip nur vier Wände und ein Dach aus Holz. Wichtig | |
finde ich allerdings, dass es sozial genutzt wird. Der öffentliche Raum ist | |
nicht dafür da, dass alle ihre privaten Autos abstellen. Stattdessen | |
sollten dort soziale Projekte stattfinden. | |
Das passiert, wenn alle Zugang zu den Ressourcen haben, besonders Menschen, | |
die im Stadtraum sonst verdrängt werden oder wenig Platz haben, [17][zum | |
Beispiel Obdachlose], Jugendliche, Kinder oder Geflüchtete. Wenn ein | |
Wohnwagenbesitzer diesen zur Verfügung stellen würde, wäre das ein soziales | |
Projekt. Aber die meisten nutzen diese Gefährte nur im Urlaub. Dabei | |
erfrieren in Hamburg jeden Winter rund 30 Menschen. | |
Seit letztem Winter habe ich in Berlin eine mobile Notunterkunft stehen, | |
für die ich jeden Abend einen neuen Parkplatz suche. Es ist ein Tiny House, | |
das mit seiner Fläche von gerade mal zweieinhalb Quadratmetern so klein | |
ist, dass es auf einen Kleintransporter passt. Die Hütte ist aus Holz, | |
drinnen befinden sich eine Küche, eine Toilette, zwei Schlafplätze und ein | |
Büro mit Stuhl und einem ausklappbaren Tisch. Im Moment schlafen dort jede | |
Nacht obdachlose Menschen. | |
Natürlich löst das das Problem der Obdachlosigkeit nicht. Auch nicht, wenn | |
man 30.000 solcher Unterkünfte aufstellen würde. Aber im Notfall können sie | |
Menschenleben retten. Und wenn Parkraum als Wohnraum genutzt wird, könnte | |
das die Wohnungskrise generell entschärfen. | |
Für den städtischen Raum eignen sich am besten mobile Lösungen. Stadtplaner | |
müssen, wenn sie Häuser bauen, immer alle möglichen Szenarien durchdenken | |
und reden mit sämtlichen Interessengruppen. Dann müssen sie einen | |
Kompromiss finden, aber die sind nie radikal oder mutig. Das ist anders, | |
wenn man Häuser auf Rädern baut. Klar muss man sich seiner Umgebung | |
trotzdem bewusst sein. Aber wenn etwas nicht oder nicht mehr passt, dann | |
fahre ich halt weg. | |
Solange Tiny Häuser auf einen Kleintransporter passen, kann sie theoretisch | |
jeder bauen. Dann kann man sie einfach auf einem Parkplatz parken und darin | |
leben. Rechtlich gesehen ist das verboten, weil man in Deutschland einen | |
gemeldeten Wohnsitz braucht. Und wohnen kann man nur auf Flächen, die als | |
Wohnraum gemeldet sind. Im öffentlichen Raum geht das also nicht. | |
Aber wo am Ende tatsächlich gelebt wird, kann keiner überprüfen. Alles, was | |
man in Großstädten braucht, ist eine Parkvignette und einen Parkplatz. Der | |
kostet in Hamburg 65 Euro im Jahr. Da kann man dann sein soziales Projekt | |
draufstellen. Menschen sollten kreativ und aktiv werden und eigene Ideen | |
umsetzen, die den öffentlichen Raum sozialer und schöner für alle machen.“ | |
## Tankstellen zu Beeten | |
Dida Zende betreibt in Berlin das [18][Kunstprojekt „FIT freie | |
internationale tankstelle“] und belebt leerstehende Tankstellen wieder. | |
„Die Tankstelle ist ein Symbol unserer verschwenderischen Gesellschaft. | |
Hier kommt man mit seiner dicken Karre hin, tankt Benzin und beschleunigt | |
wieder. Der Schaden, der dabei für die Umwelt entsteht, ist riesig. Was für | |
ein Schwachsinn, was für ein Luxus. Wie wäre es stattdessen, wenn die | |
Tankstelle ein Ort der Entschleunigung sein könnte? Ein Ort, den alle | |
gemeinsam gestalten können. Dieses gemeinsame Schaffen nenne ich „Human | |
Fuel“ – also menschlichen Treibstoff. | |
Ich betreibe meine „FIT freie internationale tankstelle“ im Berliner | |
Stadtteil Prenzlauer Berg nun schon seit über zwanzig Jahren, tanken kann | |
man hier nicht mehr. Für mich wird die Tankstelle selbst zum Kunstwerk. Zu | |
einer Sozialen Skulptur, also zu einem Ort für Workshops, | |
nachbarschaftliches Feiern und Zusammenkünfte. Ehemalige Tankstellen haben | |
es mir angetan, auch in anderen Städten wie zum Beispiel in Kopenhagen und | |
Miami habe ich zeitweise leerstehende Tankstellen genutzt und viele | |
Mitstreiter gefunden, die selbst nun Projekte an Tankstellen durchführen. | |
Warum dieser Ort? Weil er als sichtbares Symbol des untergehenden fossilen | |
Zeitalters mitten in der Gesellschaft steht. Für zugängliche Kunstprojekte | |
haben Tankstellen auch Standortvorteile. Sie sind gut sichtbar an der | |
Straße positioniert, meine zum Beispiel genau an der Ecke von einer | |
Kreuzung in einem Wohngebiet. | |
Zum anderen stehen viele Tankstellen weltweit leer und es werden mehr | |
dazukommen, durch die Verkehrswende und den Boom von Elektroautos. Außerdem | |
macht die symbolträchtige Architektur die Tankstelle zu etwas Besonderem, | |
was ich auch bei meinen Projekten berücksichtigen kann. Ich finde es | |
spannend, bei der Transformation den ursprünglichen Charme des Ortes zu | |
behalten: die typischen Farben, das Verkaufshäuschen und das Dach. So | |
kommen Leute vorbei, die erst dachten, es wäre eine normale Tankstelle. | |
Leute, die sonst in keine Kunstausstellung gehen würden. | |
Bei der Bespielung der Orte ist mir wichtig, dass alles gemeinschaftlich | |
passiert. So kamen die meisten Ideen für Projekte für meine Tankstelle in | |
Berlin von Freund*innen und Nachbar*innen. Der Ort wird dabei vielseitig | |
genutzt, auf dem [19][Tankstellendach haben sie zum Beispiel Gemüse | |
angebaut]. Tomaten, Chilis und verschiedene Kräuter, die das Licht auf dem | |
Dach optimal ausnutzen können. Unter dem Dach wurden im Sommer und Frühjahr | |
auch öfter Chorproben abgehalten. Super zum Schutz vor Regen und als | |
Schattenspender. | |
Ein Projekt, das ich mit einem befreundeten Regisseur durchgeführt habe, | |
passt besonders gut zu diesem speziellen Ort. Und zwar haben wir ein | |
kleines Filmfestival veranstaltet, bei dem unterschiedliche Leute Remakes | |
von berühmten Tankstellen-Szenen machten. Wir schauten die Filme am Ende | |
zusammen, der schlechteste Beitrag gewann. Das fand ich auch wegen der | |
Zugänglichkeit richtig gut, weil Menschen mitgemacht haben, die vorher noch | |
nie eine Kamera in den Händen hielten und nicht dachten, dass sie kreativ | |
sein können. | |
Auch für Einrichtungen, die über die Energiewende aufklären, ist so ein | |
Kunstprojekt interessant. Die Heinrich-Böll-Stiftung etwa nutzt FIT seit | |
vielen Jahren für Veranstaltungen. Die Tankstelle der Zukunft kann also | |
auch einen aufklärerischen Charakter haben und sich vom Energieträger für | |
Autos zum Energieträger des Menschlichen wandeln.“ | |
26 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hamburg.de/eimsbuettel/parnassplatz/ | |
[2] https://kursfahrradstadt.de/2023/10/31/parnass-platz-eimsbuettel-hamburg-su… | |
[3] /Parkende-Autos/!5968714 | |
[4] https://www.hamburg.de/bvm/mobiham/ | |
[5] https://www.hamburg.de/contentblob/4259668/982bab381ad198c9b5d00e073cc6dcea… | |
[6] /Stadtbaeume-im-Klimawandel/!5950569 | |
[7] /Autofreie-Innenstadt/!5961685 | |
[8] /Flaniermeile-Friedrichstrasse/!5974743 | |
[9] https://www.instagram.com/jankamensky/ | |
[10] https://www.inakindergarten.de/berlin/kita-dresdener-strasse | |
[11] /Bedrohte-Kita-in-Prenzlauer-Berg/!5964871 | |
[12] /Nachhaltigkeit-beim-Bauen/!5882374 | |
[13] /Klimaresilienter-Volkspark-Hasenheide/!5886522 | |
[14] /Wassermanagement-in-der-Stadt/!5905389 | |
[15] /Montagsinterview-Prime-Lee-alias-Le-Van-Bo-Kommunikator/!5141559 | |
[16] /Parkende-Autos/!5968714 | |
[17] /Wohnungslosigkeit-in-Deutschland/!5971851 | |
[18] /Besondere-Sauna-in-Berlin/!5890094 | |
[19] /Lebensmittelanbau-in-Berlin/!5911732 | |
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Alexandra Hilpert | |
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