| # taz.de -- Van Bo Le-Mentzel über soziale Teilhabe: „Ich bin ein totaler Ma… | |
| > Van Bo Le-Mentzel baut Tiny-Häuser, entwirft Hartz-IV-Möbel, plant | |
| > Zukunftsdörfer. Vom Gefühl, dass er etwas zurückgeben muss, will er sich | |
| > befreien. | |
| Bild: „Meine Überzeugung ist, dass wir die Stadt viel mehr nutzen sollten“… | |
| Verabredet ist, dass Van Bo Le-Mentzel fürs Interview die Pforte seines | |
| Zuhauses in Berlin-Kreuzberg öffnen wird. Die fünfköpfige Familie hat sich | |
| auf nur 55 Quadratmetern eingerichtet – kleine Räume sind das Spezialgebiet | |
| des Architekten und Interior Designers. Van Bo Le-Mentzel fängt mich jedoch | |
| schon vor der Tür ab und führt mich in ein Café im Souterrain. | |
| taz: Ich dachte …?! | |
| Van Bo Le-Mentzel: Dieses Café ist mein Wohnzimmer. Da stehen unsere | |
| Bücher, und auch meine Hartz-IV-Möbel hab ich hier untergebracht, ich habe | |
| dafür keinen Platz, hier werden sie genutzt. Meinen Drucker wollte ich | |
| wegen des Feinstaubs auch nicht bei mir haben, jetzt steht er hier, der | |
| Cafébetreiber kann ihn für seine Rechnungen benutzen. Diese Frage | |
| beschäftigt mich: Wie kann man sich mithilfe seiner Fähigkeiten in der | |
| Nachbarschaft vernetzen? Ich mache Möbel, die kann ich anbieten. Andere | |
| können kochen, Gesundheitstipps geben oder massieren … oder sie haben ein | |
| Grundstück, das sie mir für mein neues Projekt zur Verfügung stellen | |
| wollen. Und das [1][„Co-Being House“] teile ich dann wieder. Das ist die | |
| Art, wie ich arbeite. Ich bin kein Architekt, sondern ein Kombinator. Ich | |
| kombiniere Dinge, die eh schon da sind. | |
| Ich habe noch keine einzige Frage gestellt, aber Van Bo Le-Mentzel sprudelt | |
| drauf los, kommt von einem Thema zum anderen, in einer Geschwindigkeit, in | |
| der ich kaum mitkomme. Endlich holt er Luft. | |
| taz: Herr Le-Mentzel, fangen wir bitte von vorne an. Sie sind in | |
| Berlin-Wedding, im [2][Ortsteil Gesundbrunnen], aufgewachsen und haben | |
| damals schon auf engem Raum gewohnt, oder? | |
| Le-Mentzel: Na ja, als Kind hatte ich ja keinen Vergleich. Aber für eine | |
| vierköpfige Familie war unsere Dreizimmerwohnung wohl klein. Das Leben fand | |
| aber eh draußen statt. Wir hatten einen Hof, da spielten alle Kinder und | |
| Jugendlichen. In der ganzen Straße haben wir Verstecken gespielt, auch | |
| abends. Das war noch zu Mauerzeiten, der S-Bahn-Tunnel der Linie 1 war noch | |
| stillgelegt. Da gab es Wände, Sprühdosen und Langeweile. Kombiniert ergibt | |
| das eine Hall of Fame. So nennt man Wände, die man legal besprühen kann. | |
| Obwohl, legal war das Graffiti eigentlich nicht, aber es hat auch niemanden | |
| interessiert. | |
| taz: Also war schon damals der öffentliche Raum Ihr Wohnzimmer. Was war das | |
| für eine Stimmung in Wedding? | |
| Le-Mentzel: Westberlin war ja eine Enklave, wo sich | |
| Kriegsdienstverweigerer, Linke und Künstler gesammelt haben, eine Art | |
| Aussteigerinsel. Der Gesundbrunnen lag ganz am Rand. Man war hier wie | |
| vergessen und verloren, niemand hat sich gekümmert. Und es war heiß, in | |
| meiner Erinnerung hat es über dem Asphalt nur so geflimmert. Niemand von | |
| unseren Verwandten in Westdeutschland wollte uns hier besuchen. | |
| taz: Wie ist Ihre Familie in Westberlin gelandet? | |
| Le-Mentzel: Meine Eltern haben sich in Laos kennen gelernt, mein Vater ist | |
| Chinese und meine Mutter Vietnamesin. Als ich 1977 in Thailand zur Welt | |
| gekommen bin, waren sie schon auf der Flucht. 1979 ist meine Mutter mit mir | |
| und meinem älteren Bruder nach Deutschland gekommen. Zuerst waren wir in | |
| Kulmbach, in einem Asylheim. Und dann hatten meine Eltern Freunde in | |
| Westberlin, im Märkischen Viertel. Dort haben wir ab 1985 für ein paar | |
| Jahre gewohnt, ehe wir dann in den Wedding gezogen sind. | |
| taz: In Ihren Projekten geht es immer um soziale Teilhabe. Die Tiny-Houses | |
| etwa haben Sie nicht als fancy Ferienhäuschen entworfen, sondern damit es | |
| sich auch arme Menschen leisten können, in einer teuren Stadt wie Berlin zu | |
| wohnen. Hat dieses Lebensthema seinen Ursprung in Ihrer Kindheit? | |
| Le-Mentzel: Ja, wir waren immer sehr arm. Ich komme aus einer klassischen | |
| Arbeiterfamilie, meine Eltern haben sehr viel geackert. Mein Vater hatte | |
| ein ganz kleines Asia-Geschäft in Neukölln. Abends war er mit seinem | |
| kleinen Piaggio-Porter (ein italienischer Kleintransporter; Anm. d. Red.) | |
| unterwegs, um Gastronomen und asiatische Privatleute mit Reissäcken zu | |
| beliefern. Meine Mutter hat im Dreischichtbetrieb bei Agfa gearbeitet, am | |
| Fließband. Beide waren eigentlich nie da. | |
| taz: Da war es gut, dass Sie einen Mentor hatten. | |
| Le-Mentzel: Ja, Eberhard Schwarz. Er arbeitete in einem Jugendprojekt in | |
| Friedenau. Da bin ich in meinen Teenagerjahren immer hingefahren, da war | |
| die Mauer schon weg und die S1 – die ich früher immer besprüht habe – fuhr | |
| da direkt hin. Eberhard Schwarz hat erkannt, dass ich zeichnen kann, dass | |
| ich sehr schnell Zusammenhänge entdecke, dass ich musikalisch und ein | |
| Bühnenmensch bin. Und er hat mich dann in verschiedene Gruppen gedrängt, so | |
| muss man das schon sagen. Also habe ich Musicals geschrieben, habe das | |
| Fotolabor geleitet und war bei Jugendreisen dabei. Die hab ich später als | |
| Zivildienstleister auch selbst organisiert sowie auch politische | |
| Veranstaltungen. Darüber hab ich viel über Öffentlichkeitsarbeit gelernt. | |
| taz: Auf die Idee, Architektur zu studieren, hat Ihr Mentor Sie auch | |
| gebracht? | |
| Le-Mentzel: Ja, wobei ich das Interesse für Architektur erst viel später | |
| entwickelt habe. Das Studium habe ich wie das Abitur einfach so gemacht, | |
| ohne groß nachzudenken. Während des Studiums habe ich viel Werbung gemacht. | |
| Es hat mich interessiert, wie Kommunikation und Öffentlichkeit | |
| funktioniert. Meine erste große Aktion war mit Straßenmusikern, die habe | |
| ich mit Profis von der Deutschen Oper zusammengebracht für Konzerte in den | |
| Stationen der U-Bahn-Line 2. Ich hab viel ausprobiert als Mittzwanziger. | |
| Und viel gearbeitet. Damals hatte ich das Ziel, Millionär zu werden. | |
| taz: Ausgerechnet Sie wollten Millionär werden?! | |
| Le-Mentzel: Ja, ich habe Aktien angelegt und hatte eine Beraterin bei der | |
| Deutschen Vermögensgesellschaft. Aber das hat nicht funktioniert. | |
| taz: Ich bin deshalb so erstaunt, weil ich dachte, dass Sie dem Geld eher | |
| skeptisch gegenüberstehen. Wenn man zum Beispiel an die Sache mit dem | |
| Lehrauftrag denkt … | |
| Le-Mentzel: Ja, das war 2015. In dem Jahr hatte ich mir das Geld | |
| gecrowdfundet. So ähnlich wie beim bedingungslosen Grundeinkommen habe ich | |
| nicht gesagt, was ich damit mache. Es muss okay sein, dass Menschen wie ich | |
| Geld bekommen, ohne dass es eine Gegenleistung gibt. Ich musste also keine | |
| Erwerbsarbeit leisten und konnte was Sinnvolles machen. Ja, und dann kam | |
| der Lehrauftrag an der Hochschule für Künste in Hamburg. Und da ich meine | |
| Miete und so schon finanziert hatte, hab ich meinen Studis das | |
| bedingungslose Grundeinkommen gegeben und mein Honorar an sie verteilt. | |
| taz: Und das, obwohl Sie oft mit Flauten zu kämpfen hatten – Ihre | |
| Hartz-IV-Möbel sind ja nicht zufällig entstanden. Hatten Sie denn gar nicht | |
| den Impuls, das Geld zur Seite zu legen, um mal durchatmen zu können? | |
| Le-Mentzel: Ich habe irgendwann erkannt – vielleicht hat das mit meiner | |
| buddhistischen Erziehung zu tun –, dass ich die Dinge nicht mitnehmen kann. | |
| Also Menschen sterben ja irgendwann. Und wenn du dann 30 bist, dann hast du | |
| schon ein paar solcher Geschichten erlebt. Meine Mutter ist gestorben, da | |
| war ich 19. Und wenn du dir das bewusst machst, dass das Leben eine | |
| vergängliche Sache ist, dann muss dich eigentlich alles, was wie Geld und | |
| Eigentum auf die Ewigkeit abzielt, skeptisch machen. Dass ein | |
| Bausparvertrag oder Erbe später einmal einen Zweck erfüllt, mag sein. Viel | |
| mehr interessiert mich aber, was ich jetzt mit dem Geld tun kann. | |
| taz: Für so eine Haltung braucht man ein starkes Sicherheitsgefühl. | |
| Le-Mentzel: Ich habe schon Existenzängste manchmal, davon bin ich nicht | |
| befreit, ich hab ja Kinder. Als meine Frau mit dem dritten Kind schwanger | |
| war, habe ich deswegen ein Lehrerstudium begonnen. Es geht auch um die | |
| Frage, wovon lebst du, wenn du alt bist. Ich bin ja ein High Performer, ich | |
| stoße immer neue Projekte an, und das geht irgendwann nicht mehr in dem | |
| Tempo. Trotzdem, das Studium hab ich wieder aufgegeben. | |
| taz: Als Tausendsassa müssen Sie in Bewegung bleiben … | |
| Le-Mentzel: Daraus entsteht ja dann auch immer Geld. Obwohl ich schon | |
| gereift bin inzwischen. Früher war alles Spielwiese, ich hab einfach | |
| gefreestylt und drauflosgemacht. Wenn mich ein Bettler um Geld gebeten hat, | |
| habe ich alles weggegeben, was ich in der Tasche hatte. Heute ist das | |
| anders. Den Wendepunkt hat der Bauhaus-Campus gegeben, 2019 durfte ich ein | |
| Dorf im Garten des Bauhaus-Archivs gründen. Ein Jahr ging das. Ich bin da | |
| mit dieser Einstellung reingegangen, alle können hier bauen, wohnen und | |
| sich selbst verwirklichen. Wenn mich jemand in die Pfanne haut, dann kriegt | |
| er ein Magengeschwür, dachte ich, das Karma richtet das schon. Wenn jemand | |
| also Geld gebraucht hat, dann habe ich gesagt, hier ist meine EC-Karte, geh | |
| zum Baumarkt und kauf, was du brauchst. | |
| taz: Und das ist dann nach hinten losgegangen? | |
| Le-Mentzel: Tja, das Problem war, dass das Bauhaus-Archiv unter | |
| Denkmalschutz steht, ich hatte ganz klare Auflagen. Zwar hatte ich gesagt, | |
| wir machen das zusammen, also haften wir auch zusammen. Am Ende habe aber | |
| nur ich bezahlt. Und da habe ich verstanden, dass Freiheit einfach nur die | |
| andere Seite von Verantwortung ist. Ich kann nicht einfach machen, was ich | |
| will. Wenn das einen Schaden verursacht für das Team meines Unternehmens, | |
| die Tiny Foundation, oder für meine Kinder, dann ist das nicht fair. | |
| taz: Die Unrast ist aber geblieben. Sie machen ja nicht nur ständig was | |
| Neues, sondern auch etliches parallel. | |
| Le-Mentzel: Ja, ich bin wirklich ein Flüchtling. Ich flüchte die ganze | |
| Zeit, muss immer unterwegs sein. Auch meine Tiny-Häuser sind ja mobil, sie | |
| sind sozusagen das Gegenteil von Immobilien. Warum kann ich nicht wurzeln? | |
| Ich weiß es nicht. Aber diese Frage beschäftigt mich gerade sehr. | |
| taz: In Ihrer Wohnung haben Sie aber schon Wurzeln geschlagen, oder? | |
| Die Anspielung zieht – endlich fällt Van Bo Le-Mentzel auf, dass wir immer | |
| noch im Café sitzen. Und so wechseln wir in die Zweizimmerwohnung ins | |
| Hochparterre. Dank der hohen Altbaudecken hat Van Bo Le-Mentzel aus jedem | |
| Raum mehrere gemacht: In der Küche gibt es ein sogenanntes Bettenloft, in | |
| den großen Wohnraum wurden zwei gläserne Tiny-Häuser für die beiden großen | |
| Kinder integriert. Das zweite Zimmer kann sowohl als Büro als auch | |
| Schlafzimmer genutzt werden, zudem gibt es eine abgeschlossene Hochebene | |
| für das dritte Kind. Eng fühlt sich anders an. | |
| taz: Wie lange wohnen Sie schon hier? | |
| Le-Mentzel: 16 Jahre. Unsere Vermieter haben uns wegen Eigenbedarf | |
| gekündigt, im Sommer müssen wir raus. Wir suchen aber schon länger nach | |
| einer Wohnung, meine Frau hätte gern mehr Platz. Das ist so ein | |
| Konfliktpunkt zwischen uns. | |
| taz: Wie kommen die Kinder hier zurecht? Solche kleinen Räume müssen ja | |
| immer aufgeräumt sein. | |
| Le-Mentzel: Ja, wenn du deinen Tag wie ein Betriebssystem betrachtest, dann | |
| brauchst du Arbeitsspeicher, um handlungsfähig zu sein. Sonst kommst du | |
| immer wieder in den Zustand der Überforderung. Wir haben hier die | |
| 20-Uhr-Regel, um diese Zeit muss der Boden, Tisch und Stuhl frei sein, und | |
| die Sachen in den Regalen liegen, wo man sie nicht sieht. Ausmisten müssen | |
| die Kinder auch regelmäßig. Das mögen sie nicht – Kinder horten gern –, | |
| aber das müssen sie lernen. | |
| taz: Wenn es nach Ihnen ginge, würden Sie wieder in eine kleine Wohnung | |
| ziehen, oder? | |
| Le-Mentzel: Ja. Wichtig ist allein, dass man einen Raum hat, den man sein | |
| eigen nennen kann. Der muss nicht groß sein, und das muss auch kein | |
| Verzicht bedeuten, solang dieser Raum schön gestaltet ist. Ich streite mich | |
| da oft mit Kollegen. Für mich darf Architektur nicht einfach funktional | |
| sein, sondern soll zum Träumen einladen. | |
| taz: Mit Minimalismus haben Sie also gar nicht so viel am Hut. | |
| Le-Mentzel: Nein, ich bin ein totaler Maximalist. Meine Überzeugung ist, | |
| dass wir die Stadt viel mehr nutzen sollten, Parks, Schwimmbäder, | |
| Bibliotheken, all dieser öffentliche Raum gehört doch uns. Mein neues | |
| Projekt ist das [3][Co-Being-Haus], da bewohnt jeder einen abgeschlossenen | |
| Bereich, der in etwa so groß ist wie der meiner Kinder: 3 Quadratmeter zum | |
| Wohnen, darüber eine Schlafebene, bei einer Deckenhöhe von 3,40 Meter. Dazu | |
| gibt es noch einen kleinen Küchenbereich und ein kleines Bad. Wenn man dazu | |
| noch großzügige Gemeinschaftsflächen und die Stadt drumherum hat, reicht | |
| das völlig aus. Als Sozialwohnung soll das 100 Euro Miete kosten. Im | |
| Idealfall wohnen in diesem Haus aber nicht nur Azubis und Obdachlose. Für | |
| die Reichen haben wir die Penthäuser reserviert. Ich nenne das | |
| Co-Being-Haus, weil jeder nach seiner Art neben dem anderen existieren | |
| kann, Interaktion ist möglich, aber kein Muss. | |
| taz: Immer wieder denken Sie darüber nach, wie Sie Hilfsbedürftige | |
| unterstützen können. Für ukrainische Geflüchtete haben Sie ein sogenanntes | |
| Baumhaus entworfen, für Obdachlose das „Not-Hotel“. | |
| Le-Mentzel: Ja, das ist ein 2,5-Qudratmeter-Tiny-House auf einem Pick-up. | |
| Eigentlich ist es mein Auto, mit dem ich den ganzen Tag rumfahre, ich | |
| benutze es dann auch als Büro. Abends kann dann ein Obdachloser einchecken, | |
| das „Not-Hotel“ ist Teil der Kältehilfe und wird auch öffentlich geförde… | |
| In unserem Freiwilligenteam sind wir zu acht und teilen uns die | |
| Putzschichten. | |
| taz: Woher kommt dieser Drang zu helfen? | |
| Le-Mentzel: Ich habe darauf zwei Antworten: Einmal ist es mir ein Anliegen | |
| zu zeigen, dass es für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtig ist, | |
| dass auch einkommensschwache Gruppen einen Platz darin haben. Die andere | |
| Antwort ist psychologischer Art. Viele Jahre habe ich mich in Deutschland | |
| wie ein blinder Passagier gefühlt, der gar kein Recht hat, hier zu sein. | |
| Wir wurden ja nicht politisch verfolgt. Mein Eltern hatten einfach kein | |
| Bock auf Tellerminen, die noch aus Zeiten des Vietnamkriegs stammen und in | |
| Laos immer noch verstreut sind. Ja, und dann krieg ich jeden Tag in den | |
| Medien mit, dass Migration als Mutter aller Probleme gesehen wird, du weißt | |
| schon, Remigration und so. Es tut mir weh zu sehen, wie viele Menschen die | |
| AfD wählen. Jedes Mal denke ich mir, ich muss diesen Leuten beweisen, dass | |
| es okay ist, dass Menschen wie ich hier sind. Und das tue ich auch. Diese | |
| ganzen sozialen Projekte sind wie die Begleichung einer Rechnung, die ich | |
| begleichen muss, für die Schule und das Studium und die anderen guten | |
| Dinge, die ich hier genossen habe. Das war jahrelang wie ein Zwang für | |
| mich, ich dachte, ich muss das alles machen, um hier sein zu dürfen. | |
| taz: Es fällt auf, dass Sie in Interviews fast immer sagen, dass Sie der | |
| Gesellschaft etwas zurückgeben wollen, schon in [4][Ihrem ersten Interview | |
| mit der taz] vor 15 Jahren sagten Sie das. | |
| Le-Mentzel: Ich will das auch weiterhin machen, aber aus freien Stücken. | |
| Deswegen habe ich für mich jetzt entschieden, dass das auch mein Land, | |
| meine Stadt ist. Diese Idee der Aneignung ist vielleicht so was wie eine | |
| Therapie. Ich nehme mir die Stadt, um sie zu teilen, aber es ist auch | |
| gleichzeitig meine Art, mich selbst reinzuwaschen von einer Schuld, die ich | |
| nicht habe, von der ich aber immer dachte, dass ich sie hätte. | |
| taz: Nehmen wir an, die taz führt in 15 Jahren wieder ein Interview mit | |
| Ihnen, was wollen Sie dann erzählen können? | |
| Le-Mentzel: Mit all meinen Arbeiten kämpfe ich für eine Gesellschaft, die | |
| nicht auseinanderdriftet. Vielleicht wird diese Vision nie erreicht, aber | |
| ich träume von einem starken gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das ist der | |
| Stern, auf den ich blicke. | |
| Eine Ergänzung zu dieser letzten Antwort bekomme ich, als ich mich später | |
| durch die Songs der „Bookrappers“ höre – Van Bo Le-Mentzel und sein best… | |
| Freund Shai Hoffmann rappen Texte aus Büchern, die ihnen wichtig sind. | |
| Einer ist die Gesellschaftsutopie des Soziologen Harald Welzer („Alles | |
| könnte anders sein“) entnommen, darin heißt es unter anderem: „Heimat ist | |
| dort, wo es nicht egal ist, dass es dich gibt.“ Die Videos der | |
| „Bookrappers“ finden sich hier: [5][youtube.com/hashtag/bookrappers]. | |
| 18 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Karlotta Ehrenberg | |
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