Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- BäckerInnen über Arbeit im Kollektiv: „Backen ist vielleicht da…
> Sarah Werner und Jona Redslob arbeiten in einem Bäckerei-Kollektiv. Das
> Konzept kommt von der solidarischen Landwirtschaft. Sogar Ausschlafen
> geht da.
Bild: Müssen nicht schon zur nachtschlafenden Zeit zum Backen raus: Sarah Wern…
Für das Interview haben sich Sarah Werner und Jona Redslob vor ihre
Backstube in der Markthalle in Leipzig-Plagwitz gesetzt. Sarah hat noch
Teig an den Händen. Sie kommt direkt von der Vormittagsschicht. Jona hat
ihr erst mal einen Kaffee gebracht.
taz: Frau Werner, was haben Sie gerade gebacken?
Sarah Werner: Ich habe gerade Brote aufgearbeitet. Wir bereiten am Freitag
immer Brote vor für den Samstagsmarkt, der hier in der Markthalle
stattfindet. Die Teiglinge, so nennt man die, kommen über Nacht in den
Kühlschrank und werden dann morgen Früh gebacken. Dann sind die frisch für
den Markt.
Jona Redslob: Und man muss nicht so früh aufstehen!
taz: Das ist eins von mehreren Dingen, die in Ihrer Bäckerei anders laufen
als in den meisten Betrieben. Wie Sie das organisieren, darüber werden wir
noch sprechen. Vorher aber erst einen Schritt zurück. Erinnern Sie sich
noch an Ihr erstes Brot?
Redslob: Das erste weiß ich nicht mehr, aber ich erinnere mich an meine
Sauerteigphase. Ich habe schon vor meiner Bäckerausbildung zu Hause
experimentiert. Rückblickend würde ich sagen, dass es wirklich kein gutes
Brot war. Es sah zwar aus wie ein Brot, aber war nicht richtig gelockert.
„Kanonenkugel“ war der Kommentar, den ich bekommen hab. (beide lachen)
Werner: So richtig von Anfang bis Ende, von Teig ansetzen bis ausbacken,
das kam bei mir erst in der Ausbildung. Aber ich bin ja mehr oder weniger
in der Backstube aufgewachsen und da war ich schon am Backen beteiligt.
taz: Sie kommen aus einer schwäbischen Bäckerfamilie. In der Familie Ihres
Vaters sind alle Bäcker gewesen. Wie war das als Kind?
Werner: Bis ich sieben war, hab ich über der Backstube mit Ladengeschäft
gewohnt. Ich erinnere mich, wie ich im Laden gespielt habe, als meine Mama
im Verkauf stand. Ich habe Brötchen aus dem Ofen geholt oder Salz auf die
Brezeln gestreut. Und ich kann mich nicht daran erinnern, wie ich gelernt
habe, Brezeln zu schwingen. Das kann ich einfach schon immer. Aber das war
nur meine frühe Kindheit, bis meine Eltern sich getrennt haben. Meine
Mutter, meine Geschwister und ich sind ausgezogen und dann kam eigentlich
die Verbindung zum Backen erst wieder, als ich mit der Lehre angefangen
habe.
taz: Bis dahin hat es aber noch gedauert. Sie haben beide erst mal
studiert. Wie sind Sie dann doch noch Bäcker:in geworden?
Werner: Ich glaube, einmal war es bei uns beiden ähnlich, dass das Studium
irgendwie ins Leere gelaufen ist und wir was machen wollten, wo man am Ende
des Tages sieht, was man geschafft hat.
Redslob: Ich wusste lange nicht, was für ein Handwerk ich machen soll und
habe an irgendwas mit Holz gedacht oder mit Fahrrädern. Dann war ich bei
einer Waldbesetzung in Frankreich, wo in einem Holzofen einmal die Woche
Brot für alle gebacken wurde. Da habe ich mitgemacht und war richtig
begeistert. Dann hat es noch ein Jahr gedauert, bis mir aufgefallen ist:
Backen ist doch auch ein Handwerk, da macht man ja was mit Händen. Das ist
vielleicht sogar das Handwerk per se, oder Sarah?
Werner: Ja, schon. Bei mir hatte es aber auch emotionale Gründe, warum es
jetzt ausgerechnet das Bäckerhandwerk geworden ist. Es war die Zeit, wo ich
mich mit der Beziehung zu meinem Vater auseinandergesetzt habe. Ich habe
irgendwann gemerkt, vielleicht ist das der Weg, wieder zu ihm einen Zugang
zu finden. Vor der Ausbildung habe ich ihn gefragt, ob ich mal bei ihm
mitarbeiten darf. Na ja, und das hat mich schon viel Überwindung gekostet.
taz: Warum?
Werner: Weil wir nicht so den Draht zueinander hatten. Ich dachte immer,
wir müssen unsere Geschichte und was alles so gelaufen ist mit der Trennung
aufarbeiten. Und ich wusste nie so richtig, wie.
taz: Und wie war es dann, zusammen in der Backstube zu stehen?
Werner: Ich fand es ziemlich schön. Ich habe meinen Vater noch mal ganz
anders kennengelernt – oder wir uns gegenseitig, was einfach so ganz viele
Jahre überhaupt nicht der Fall war.
taz: Konnten Sie was von Ihrem Vater lernen?
Werner: Mein Vater hat sehr konventionell gearbeitet, mit Backmitteln und
Fertigmischungen und ohne Sauerteig. Das ist nicht das Handwerk, das wir
jetzt machen und was mein Anspruch ist. Es waren deshalb eher die
Handgriffe, die ich von ihm abgeschaut habe. Und wir haben ein paar Sachen
aus seiner Backstube bekommen, nachdem er vor zwei Jahren zugemacht hat, um
in Rente zu gehen. Schüsseln, Messbecher, zwei Wagen.
taz: In den letzten zehn Jahren hat ein Drittel der kleinen Bäckereien in
Deutschland zumachen müssen. [1][Das größte Problem ist, dass es zu wenig
Auszubildende gibt.] Wundert Sie das?
Redslob: Nicht wirklich. Bäckerausbildung heißt harte Arbeit, schlechte
Arbeitszeiten und schlechte Bezahlung.
taz: Nach Tarif sind es zwischen 1.000 und 1.230 Euro brutto im Monat – je
nach Lehrjahr. In den meisten Betrieben wird nachts gearbeitet, in manchen
startet der Nachtdienst bereits um 23 Uhr, in anderen dann um 2 oder 3 Uhr.
Redslob: Das ist einfach nicht gerade attraktiv.
Werner: Dazu kommt diese hierarchische Struktur. Also ich fand es
tatsächlich problematisch, dass man als Azubi erst mal weit unten in der
Hierarchie steht. Vielleicht als Frau dann sogar noch mehr. Ich merke
jetzt, dass mir das total wichtig ist, wie ich mit meinen Kolleg:innen
zusammenarbeite und dass das möglichst auf Augenhöhe passiert.
Redslob: Was ich noch sagen will: Es stimmt zwar, dass viele Bäckereien
zumachen. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Es gibt auch den
Trend, dass neue Bäckereien aufmachen, die anders sind, also moderner, und
die eben diese Probleme bearbeiten.
taz: Mein Stichwort. Zu viert haben Sie 2023 die [2][Gemeinschaftsgetragene
Bäckerei Ge:Bäck] gegründet. Sie funktioniert nach dem Konzept der
solidarischen Landwirtschaft: Menschen bezahlen monatlich einen Beitrag und
können dafür an 46 Wochen im Jahr ein Brot abholen. Wie kamen Sie auf die
Idee?
Redslob: Alles hat damit angefangen, dass Kai aus unserem Kollektiv und ich
in einem Leipziger Hausprojekt regelmäßig Brote in einem Holzofen gebacken
haben. Das war zu einer Zeit, als ich sehr frustriert von meiner Ausbildung
war, gerade wegen diesem Hierarchischen, was Sarah angesprochen hat. Da war
das ein Raum, wo wir ganz selbstbestimmt backen konnten, auch in einem
anderen Tempo. Also ein sehr, sehr langsames Tempo (lacht). In den Ofen
haben 32 Kastenbrote gepasst. Die haben wir ohne Gegenleistung abgegeben an
Leute, die halt Brot brauchten.
taz: Und dann hatten Sie keine Lust mehr, unbezahlt zu backen?
Redslob: Na ja, ich hab das teilweise neben der Ausbildung gemacht am
Samstag, nach einer Fünftagewoche. Das knockt einen dann schon irgendwann
aus. Und das, was wir eigentlich wollten, war genau das Gegenteil: weniger
arbeiten als das so üblich ist mit den 40-Stunden-Wochen.
Werner: Und davon aber auch trotzdem leben können.
Redslob: Ja, aber der Grundgedanke sollte bleiben: dass Brot als
Grundnahrungsmittel für Leute verfügbar ist, dass es eben kein Luxusprodukt
wird. So wie das jetzt teilweise ist bei diesen fancy Bio Sourdough
Bakeries, die überall aufploppen.
taz: Die Nachfrage nach Sauerteigbrot ist in Deutschland in den vergangenen
Jahren stark gestiegen. Sie setzen auch auf Sauerteig.
Redslob: Ja, aber wir wollen auch, dass die Leute, die Brot bekommen, ihren
Anteil dazu beitragen, dass der ganze Betrieb rund laufen kann. Das haben
wir in einem Aufruf formuliert und Sarah und Jonathan haben sich sofort
gemeldet.
taz: Der solidarische Gedanke ist, dass manche mehr und manche weniger für
einen Brotanteil zahlen. Geht das auf?
Werner: Ja. Es gibt sieben Beiträge, zwischen denen man wählen kann, sie
liegen zwischen 22 und 32 Euro im Monat. Die Laufzeit für eine
Mitgliedschaft sind mindestens drei Monate. Es sind inzwischen etwa 220
Anteile, wobei manche Personen auch mehrere Anteile haben. Wenn wir ab und
zu mal reingucken, wer wie viel bezahlt, dann kommen wir eigentlich immer
bei dem Durchschnittswert raus.
Redslob: Allerdings bräuchten wir noch mehr Abnehmer:innen. Gerade können
wir uns nur finanzieren, weil wir auch noch an Cafés und Caterings liefern.
Der Rest kommt über den Samstagsmarkt rein.
taz: Und können Sie vom Brotbacken leben?
Werner: Im ersten Jahr konnten wir uns aus einer Gründerförderung einen
kleinen Lohn auszahlen. Seit vergangenem Jahr können wir dreitausend Euro
im Monat freimachen, die wir unter uns vier aufteilen. Wir arbeiten alle
unterschiedlich viel, manche 30, manche 12 Stunden oder weniger. Wir
orientieren uns inzwischen an einem Stundenlohn von 14 Euro, aber zahlen
nicht nur stumpf Stunden aus. Wir haben überlegt: Wer braucht was? Ich habe
zum Beispiel auch noch einen anderen Job, der mir meine Versicherungen
bezahlt.
Redslob: Unser Modell ist irgendwas zwischen Einheitslohn und
bedürfnisorientiert. Ich glaube, das funktioniert, weil wir so ein kleines
Kollektiv sind und uns die Zeit nehmen können, das immer mal wieder
auszuhandeln.
taz: Gab es in Ihrem Kollektiv schon mal Streit über Geld oder den
Schichtplan?
Werner: Nein, eigentlich echt nicht. Wenn, dann reden wir darüber.
Redslob: Wir haben uns auch von Anfang an von einer Supervisorin begleiten
lassen. In zwei Wochen haben wir den nächsten Termin.
taz: Vielleicht sind Sie so entspannt, weil Sie ausschlafen können?
(beide lachen)
Redslob: Wenn Leute erzählen, dass sie früh aufstehen, weil sie meinetwegen
um 6 Uhr anfangen müssen zu arbeiten, dann sage ich jetzt gerne: Ach, bin
ich froh, dass ich Bäcker geworden bin! Wir fangen unter der Woche meistens
um acht an und nur für den Markt, der um neun losgeht, um 6.30 Uhr. Also
sehr human.
taz: Warum können Sie das mit diesen Arbeitszeiten machen?
Werner: Weil wir hier vor allem Brot backen und nur einmal die Woche für
den Markt Brezeln, Dinkelseelen und Zimtschnecken. Aber wir bedienen nicht
den Frühstücksmarkt und müssen nicht um 6 Uhr morgens ofenfrische Brötchen
servieren. Und wir haben keinen Ladenverkauf, sondern liefern die Brote an
Abholstationen. Das reicht dann, wenn die Brote am frühen Nachmittag fertig
sind. Dann können die Leute zum Feierabend ihr frisches Brot abholen.
taz: Kommt es auch mal vor, dass Leute ihren Anteil nicht abholen?
Redslob: Ja, es kommt vor, dass die am nächsten Tag an die Backstube ans
Fenster klopfen: Ich habe es gestern nicht geschafft, kann ich mein Brot
haben?
Werner: Aber eigentlich bleibt nicht so viel über.
Redslob: Das ist das Schöne an unserem Konzept. Wir backen halt eigentlich
immer nur genau so viel, wie auch gebraucht wird. Jedenfalls unter der
Woche. Vom Markt bleibt manchmal was über, aber viel weniger als in anderen
Betrieben, wo oft Unmengen Backwaren weggeschmissen werden. Wir haben jetzt
auch angefangen, aus dem Altbrot wieder neues Brot zu machen. Das
verbessert die Frischhaltung, aber auch den Geschmack. Du hast eine schöne
braune Kruste, wo schon viel Aroma drinsteckt vom ersten Backprozess, und
dann machst du es wieder in Teig.
taz: Lecker.
Redslob: Ja.
taz: Sie sind die einzigen beiden ausgebildeten Bäcker:innen im
Kollektiv. Herr Redslob, Sie haben sogar einen Meister, was auch
Voraussetzung dafür war, die Bäckerei zu eröffnen. Müssen Sie den anderen
beiden mal was erklären?
Redslob: Ich würde sagen, handwerklich merkt man inzwischen kaum einen
Unterschied. Kai und Jonathan sind echt fit.
Werner: Das einzige, wo wir beide sagen, da merkt man, dass sie noch nicht
im Betrieb waren, ist das Thema Sauberkeit und Ordnung. Wie man richtig den
Boden schrubbt, die Arbeitsfläche hinterlässt. Das sind so Sachen, die
kriegt man in der Ausbildung eingebläut.
taz: Gibt es Brote, die Sie besonders gern backen?
Werner: Ja, ich mag das Dunkle, ein Weizenmischbrot, am liebsten.
Redslob: Ich auch!
Werner: Das ist einfach Teig, mit dem man was anfangen kann.
Redslob: Der lässt sich sehr schön aufarbeiten!
Werner: Den kann man so auseinanderziehen. Er fühlt sich geschmeidig an, da
spüre ich am besten, wann der fertig ist. Alle anderen finde ich
anstrengender.
taz: Welche sind das?
Werner: Die Vollkornbrote, die sind tricky. Ich kann da nie so richtig
vorhersagen, wie das Brot am Ende wird. Und Roggenbrotteige sind meistens
eine Sauerei, weil sie klebriger sind.
Redslob: Das liegt daran, dass ihr Gluten kein Klebernetzwerk ausbildet.
Ganz anders sind die hellen Teige, da kann man so einen riesen Batzen raus
aus der Knetmaschine holen (hebt die Arme über den Kopf und macht eine
wuchtende Wurfbewegung) und auf den Tisch werfen! (beide lachen) Und die
Roggenbrotteige, die kannst du nicht einfach rausziehen, sondern da gehe
ich dann mit meinen Händen rein wie so eine Baggerschaufel und hebe Portion
für Portion raus und alles bleibt kleben.
taz: Kann ich ein Praktikum bei Ihnen machen? Ich interessiere mich vor
allem für die Zimtschnecken.
Werner: Klar! Wir haben auch gerade einen Praktikanten. Ohne den müsste
Jonathan jetzt alleine in der Backstube stehen.
Redslob: Kommen Sie vorbei.
5 May 2025
## LINKS
[1] /Azubi-Mangel-in-Berlin/!6002906
[2] https://gebaeck.net/
## AUTOREN
Amira Klute
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
wochentaz
Bäckereien
Handwerk
Brot
Leipzig
Schwerpunkt Stadtland
Schwerpunkt Stadtland
Schwerpunkt Stadtland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Van Bo Le-Mentzel über soziale Teilhabe: „Ich bin ein totaler Maximalist“
Van Bo Le-Mentzel baut Tiny-Häuser, entwirft Hartz-IV-Möbel, plant
Zukunftsdörfer. Vom Gefühl, dass er etwas zurückgeben muss, will er sich
befreien.
Klima-Juristin über Hoffnung: „Irgendwann war in diesem Paradies plötzlich …
Baro Vicenta Ra Gabbert setzt sich bei Greenpeace für eine gerechtere Welt
ein. Trotz aller Rückschläge will sie sich die Hoffnung bewahren.
Floristinnen über ihr Familiengeschäft: „Wir haben alles gegeben“
Großmutter, Mutter und Enkelin haben in diesem Blumenladen Sträuße
gebunden. Ein Gespräch im Hamburger Blumenkeller über Familie und
Fachkräftemangel.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.