| # taz.de -- Wie man Autor wird: Genial ist egal | |
| > Viele schreiben, wenn sie jung sind. Oft, um sich selbst zu beschreiben, | |
| > entgegen Zuschreibungen von außen. Autor wird, wer damit nicht mehr | |
| > aufhören kann. | |
| Bild: Durch das Tagebuchschreiben finden viele ihre Identität | |
| Am Anfang stehen, stelle ich mir vor, kleine Erfolgserlebnisse, | |
| Ermutigungen von Respektspersonen und Außenseitergefühle. Alle drei Aspekte | |
| sind wichtig. | |
| Erfolgserlebnisse: Vielleicht schreibt der angehende Schriftsteller | |
| besonders gefühlvolle Deutsch-Aufsätze. Vielleicht hat er sich in der | |
| Schulzeitung schon an einer kleinen Geschichte versucht oder an anderen | |
| Talentproben. Vielleicht hat er (oder sie) die Macht eines Tagesbuchs | |
| entdeckt – die Macht, einen Ort für sich zu haben, für sich und seine | |
| Gedanken. | |
| Darüber, dass die Ermutigung von Respektspersonen gleichzeitig etwas | |
| Einschüchterndes haben kann, hat John Williams in seinem Roman „Stoner“ | |
| geschrieben. Ein Englischlehrer namens Sloane donnert in einer | |
| Unterrichtsstunde William Stoner, die Hauptfigur, an: „Über drei | |
| Jahrhunderte hinweg redet Mr. Shakespeare mit Ihnen, Mr. Stoner. Können Sie | |
| ihn hören?“ Danach geschieht etwas mit William Stoner. Er verspürt den | |
| Wunsch, der Literatur nah zu sein. Nun sind die Lehrer längst nicht mehr so | |
| autoritär wie dieser Sloane. Aber irgendeine beeindruckende Lehrerfigur, | |
| von der man das Gefühl hat, dass sie einem direkt ins Herz sieht, gibt es | |
| eigentlich immer. | |
| Über die Bedeutung der Außenseitergefühle gibt es viele literarische | |
| Zeugnisse. Sich selbst beschreiben zu können, einen Begriff für die | |
| Kontexte zu haben, in die man hineingeboren wurde, das gehört zur | |
| jugendlichen Entwicklung dazu. Wenn man in seinem Bücherregal stöbert, ist | |
| es ziemlich Konsens, dass Schriftsteller gerade die Menschen werden, bei | |
| denen diese Selbstbeschreibungen erst einmal nicht so selbstverständlich | |
| klappen. | |
| ## Sich selbst erstmal fremd sein | |
| „Warum bin ich doch so sonderlich und in Widerstreit mit allem, zerfallen | |
| mit den Lehrern und fremd unter den anderen Jungen?“ Einer der klassischen | |
| Sätze in Thomas Manns Künstlernovelle „Tonio Kröger“. Fremd unter den | |
| anderen Jungen – das steht im Kontext von Thomas Manns wohl nie ausgelebter | |
| Homosexualität, artikuliert aber auch ein allgemeines Außenseitergefühl. | |
| Der Wunsch, Schriftsteller zu sein, speist sich oft aus den psychischen | |
| Dramen solcher Identitätskrisen. | |
| Wobei man aufpassen muss. Thomas Mann hat Außenseitergefühle in seinen | |
| Anfängen noch für ein Dekadenzphänomen gehalten, verbunden mit der | |
| Sehnsucht, so normal und gefestigt zu sein wie angeblich die anderen. | |
| Inzwischen hat man aber gelernt, dass sich fremd zu fühlen – „anders“ zu | |
| sein – ein normaler Bestandteil der jugendlichen Pubertät ist. Das | |
| relativiert die psychischen Identitätsdramen, die damit verbunden sind, | |
| keineswegs. Es zeigt vielmehr, wie verbreitet solche Identitätsdramen sind. | |
| Für die Frage, welche Menschen Schriftsteller werden, bedeutet das eine | |
| interessante Verschiebung. Lange Zeit hat man gedacht, das seien besondere | |
| Menschen, die schreiben „müssen“, irgendwo zwischen narzisstischer | |
| Selbstbeschäftigung und Genialität oder auch weil es nun einmal ihre Natur | |
| ist. Inzwischen kann man es aber auch so sehen, dass sehr viele junge | |
| Menschen zunächst schreiben, und sei es ein jugendliches Tagebuch, das | |
| gehört vielleicht einfach auch zu einer Individualisierung dazu; dass die | |
| meisten aber wieder aufhören. Schriftsteller sind dann also diejenigen, die | |
| einfach nicht aufhören. | |
| ## Wer jung ist, schreibt eh | |
| Der Klassiker, der die Entstehung des Wunsches, Schriftsteller zu werden, | |
| mit der Entstehung von Individualität verknüpft, ist der Roman „Porträt des | |
| Künstlers als junger Mann“ von James Joyce. Der Autor Karl-Ove Knausgard | |
| hat dem Buch kürzlich einen schönen kleinen Essay gewidmet. „James Joyce | |
| lehrte uns, was Individualität bedeutet“ lautet der Titel der deutschen | |
| Fassung. | |
| Knausgard beschreibt, wie zuerst Abenteuergeschichten – „Der Graf von Monte | |
| Christo“, „Die Schatzinsel“ – seine kindlichen Phantasien von einem | |
| Schriftstellerdasein beflügelt haben. Anhand von Joyce ging Knausgard aber | |
| auf, dass eben nicht solche äußeren Abenteuer, sondern die inneren | |
| Selbstverständnis-Abenteuer sind, die den Schriftsteller ausmachen: „Wir | |
| sind nicht nur unsere Zeit, wir sind nicht nur unsere Sprache, wir sind | |
| nicht nur unsere Familie, wir sind nicht nur unsere Religion, wir sind | |
| nicht nur unser Land oder unsere Kultur, wir sind auch noch etwas anderes, | |
| etwas Individuelles, womit wir all diesen Kriterien begegnen – aber was ist | |
| dieses Individuelle, auf welche Weise zeigt es sich, und wie beschreibt man | |
| es“. | |
| ## Gegen die Zuschreibungen anschreiben | |
| Nicht identisch zu sein mit sich und seinen Zuschreibungen – letztlich ist | |
| das vielleicht der Glutkern hinter dem Wunsch zu schreiben. Und diejenigen, | |
| die dem Wunsch nicht folgen, wollen dann zumindest lesend an die Dramen der | |
| eigenen Individuation erinnert werden, die Schriftsteller, wenn es gut | |
| läuft, nur bewusster ausleben als sie. | |
| Anders sind einige große Bucherfolge der jüngeren Zeit nicht zu erklären. | |
| Das betrifft Karl-Ove Knausgard selbst. [1][In seinem Romanprojekt „Mein | |
| Kampf“] wühlt er sich akribisch auf mehreren tausend Seiten in das, was | |
| sein Erzähler-Ich – einen angehenden Schriftsteller – umtreibt. Das sind | |
| schwere Krisen, das ist immer aber auch wieder die normale Härte des | |
| Beziehungs- und Berufsalltags. | |
| Was Knausgard im weiteren Verlauf des Essays über Joyce schreibt, gilt auch | |
| für sein eigenes Schreibprogramm. Er „begibt sich in den Teil der | |
| Identität, für den es noch keine Sprache gibt, in den Zwischenraum zwischen | |
| dem, was allein dem Individuum gehört, und dem, was uns allen gemeinsam | |
| ist, in sämtliche Stimmungswechsel des Gemüts und die blind fließenden | |
| Ströme der Seele, in das, was wir als Stimmungen und Gefühle kennen, das | |
| Unartikulierte, die mehr oder weniger auffällige Präsenz der Seele, in das | |
| in uns, was uns erhebt, wenn wir uns begeistern, und uns herunterzieht, | |
| wenn wir uns fürchten oder verzweifelt sind.“ | |
| Es gibt noch ein weiteres aktuelles Beispiel für den gewaltigen Erfolg | |
| eines akribischen Romanprojekts, das die Entwicklung einer | |
| Schriftstellerfigur genau beschreibt und gleichzeitig offenbar die Dramen | |
| der Leserinnen und Leser trifft. Elena Ferrantes Saga [2][„Meine geniale | |
| Freundin“] verzeichnet auch, wie ein weibliches Schriftsteller-Ich sich aus | |
| der als fremd empfundenen Herkunft herausarbeitet, mit allen Umwegen, | |
| Peinlichkeiten und Gemeinheiten, und wie sie dabei zur Autorenstimme | |
| findet. | |
| Wie wichtig Bildung ist, Lernen, Lesen, steht auch in Elena Ferrantes Buch. | |
| Das gilt für die beiden Heldinnen bei Ferrante wie für die Millionen | |
| Menschen, die sie jetzt lesen und die möglicherweise auch aus Familien | |
| stammen, in denen es vor ein, zwei Generationen noch keineswegs | |
| selbstverständlich war, Abitur zu machen und zu studieren. Auch so eine | |
| Geschichte haben angehende Schriftstellerinnen und Schriftsteller | |
| möglicherweise im Rücken: den vielleicht nur unbewusst weitergegebenen | |
| Auftrag ihrer Eltern, etwas aus sich zu machen und ein eigenes Leben zu | |
| finden. Ein Schriftsteller ist eine Heldenfigur der aufstiegsorientierten | |
| Bildungsgesellschaft. | |
| Nach den Anfängen kommt das Debüt und mit ihm, wenn es gelingt, der | |
| Eintritt in das Schriftstellerleben. Rund um das Debüt hat sich in den | |
| vergangenen zwanzig Jahren sehr viel getan. Karin Graf lehnt sich in ihrem | |
| Stuhl zurück und zählt auf. | |
| Das Drucken von Büchern ist billiger und weniger aufwendig geworden, | |
| deshalb werden mehr Bücher gemacht. Die Lektoren in den Verlagen sind | |
| wacher geworden auf der Suche nach neuen Autorinnen und Autoren – auch weil | |
| es inzwischen Literaturagenten gibt, die vermitteln, Hinweise geben und | |
| einen Wettbewerb unter den Verlagen initiieren. Es gibt Veranstaltungen wie | |
| den Open Mike in Berlin, auf dem sich junge Schriftsteller präsentieren. | |
| Auf den Schreibschulen in Hildesheim, Leipzig und Biehl kann man das | |
| Schreiben von Literatur studieren. Fast jeder nennenswerte Verlag führt | |
| regelmäßig Debütanten im Programm. „Heute haben es Schriftsteller | |
| leichter“, sagt Karin Graf, „weil der Betrieb professioneller geworden | |
| ist.“ | |
| Karin Graf hat ihre Literaturagentur in der Berliner Mommsenstraße vor | |
| zwanzig Jahren gegründet. Sie verhandelt die Buchverträge namhafter Autoren | |
| und sieht sich als Partnerin, deren Schriftstellerleben zu organisieren. | |
| Man kann ihr gut Überblicksfragen stellen, weil sie im Betrieb dabei ist | |
| und mit vielen Schriftstellern zu tun hat. Mit solchen, die Karriere | |
| gemacht haben, wie mit solchen, die es nicht geschafft haben. | |
| ## Bei Grass machte es noch plopp | |
| „Es ist besser geworden jetzt“, sagt sie beim Gespräch in einem | |
| Berlin-Chalottenburger Straßencafé, „denn Schriftsteller können ihre | |
| Begabung in sich entdecken, ihre Stimme, und inzwischen auch trainieren. | |
| Musiker haben immer trainiert. Schriftsteller eigentlich nicht. Es | |
| herrschte noch lange Zeit das Diktum vom Originalgenie. Schriftsteller | |
| mussten im Grunde fertig in der Öffentlichkeit auftauchen. Grass zum | |
| Beispiel. Es machte plopp, und dann war er da. Aber jetzt können sich | |
| Autoren auch langsam entwickeln. Und das sind mir eigentlich auch die | |
| liebsten, die Autoren, die langsam in ihre Themen und ihre Stimme finden.“ | |
| Tatsächlich haben sich die möglichen Wege in ein Schriftstellerleben | |
| vervielfacht. In der alten Bundesrepublik existierte in Wirklichkeit nur | |
| ein Hauptweg: über die Gruppe 47, in der man sich als Debütant auf den von | |
| den Teilnehmern selbst so genannten elektrischen Stuhl setzten musste, | |
| vorlesen und das Urteil der anwesenden Kollegen und Kritiker über sich | |
| ergehen. Wer gut ankam und Glück hatte, erhielt einen Buchvertrag bei | |
| Suhrkamp. Und wenn altgediente Lektoren Interviews geben, rutscht ihnen | |
| schon einmal heraus, der wichtigste Bestandteil ihres Berufs bestehe darin, | |
| Bücher zu verhindern und nur die richtigen durchzulassen. Mit den | |
| literarischen Geburtshelfern, als die sich viele jüngere Lektoren | |
| beschreiben, hat das nicht viel zu tun. | |
| Aber nicht nur die Rahmenbedingungen, auch die Debüts selbst haben sich | |
| verändert. Früher muss ein unglaublicher Druck auf ihnen gelastet haben, | |
| als ob man durch sie in einen anderen Seinszustand gerät. Wer erfolgreich | |
| debütierte, für den ergaben alle vorangegangenen Selbstzweifel, alle | |
| Außenseitergefühle mit einem Mal einen Sinn: Man war eben Schriftsteller, | |
| Künstler und wurde dann von allen Menschen anders behandelt als zuvor. Und | |
| wer erfolglos debütierte, war gescheiterter Künstler. Die Heftigkeit, mit | |
| der man im Leben scheitert, hat vielleicht sowieso insgesamt abgenommen. | |
| ## Leichter scheitern | |
| Das alles bedeutet keineswegs, Debüts wären heutzutage nicht mehr mit | |
| Selbstzweifeln und mit großen Phantasien verbunden. Das sind sie durchaus. | |
| Aber man kann sie tastender angehen, ausprobierender. Schriftsteller sein | |
| zu wollen ist auch nichts so Besonderes mehr in den Zeiten unserer | |
| Kreativgesellschaft, in der zum Beispiel auch Tausende Kunststudenten in | |
| den Kunsthochschulen herumlaufen. Und die Strukturen des Literaturbetriebes | |
| sind inzwischen darauf ausgelegt, dass viel mehr Menschen als früher | |
| einfach nicht so früh aufzuhören brauchen mit dem Schreiben. Sie haben die | |
| Möglichkeit zu schauen, wie weit es sie trägt. | |
| Bis zum Alter von 35 Jahren kann man sich beim Open Mike und den | |
| vielfältigen Förderstipendien, die es so gibt, bewerben. Es gibt inzwischen | |
| Vierzigjährige, die immer noch als Nachwuchsschriftsteller bezeichnet | |
| werden. In der alten Bundesrepublik galt die ungeschriebene Regel, dass, | |
| wer bis zum dreißigten Lebensjahr nicht seinen ersten großen Roman | |
| geschrieben und veröffentlicht hatte, raus war aus dem literarischen Spiel. | |
| Und wenn man Erfolg hat mit seinem Debüt, wenn man vielleicht 5.000 oder | |
| 8.000 Exemplare seines erstes Romans verkauft, seinen Namen in den | |
| Besprechungen der Feuilletons gelesen hat, vielleicht auch den Aspekte | |
| Literaturpreis für Debütanten gewinnt, sein Foto auf der Buchmesse am | |
| Verlagsstand neben bewunderten älteren Schriftstellerkollegen entdeckt und | |
| stolze Verwandte einen anrufen, dann passiert folgendes: Die Welt wird sich | |
| nicht groß ändern, man wird feststellen, dass es trotz der Honorare für | |
| Lesungen nicht leicht ist, auf Dauer vom Schreiben zu leben, und man wird | |
| in die vielen Förderprogramme hineinrutschen, vielleicht | |
| Aufenthaltsstipendien in Los Angeles oder aus Sylt bekommen. Und man wird | |
| gefragt werden: Woran schreiben Sie als nächstes? Wenn einem diese Frage | |
| gestellt wird, gilt man als etabliert. | |
| ## Drei, vier Jahre braucht man schon | |
| Auf das Debüt folgt, wenn alles gut geht, ein Leben mit dem Schreiben. Es | |
| gibt Berichte von Menschen, denen das Schreiben leicht fällt. Es gibt aber | |
| noch viel mehr Berichte von Menschen, denen das Schreiben ganz und gar | |
| nicht leicht fällt. Und in der Tat ist es ja nicht zu fassen, wieviel | |
| Arbeit und wieviel damit verbundene manisch-depressive Gemütsverläufe in | |
| einem guten Buch stecken. Zwei, drei, vier Jahre muss man für einen | |
| ernsthaften Roman schon veranschlagen. Das ist Lebenszeit, die man allein | |
| mit sich und dem Text verbringt. | |
| Schreiben ist eine asoziale Tätigkeit. Man ist empfindlich, man ist auf | |
| sich und seine Ideen bezogen, man hat Angst, die Stimme im Kopf könnte | |
| abreißen, zwischendurch hat man immer wieder den Eindruck, das, was man | |
| geschrieben habe, tauge nicht und sei banal. Und selbst von sich so elegant | |
| kleidenden Autorinnen wie Silvia Bovenschen ist in Interviews zu hören, | |
| dass sie in Schreibphasen eigentlich kaum aus dem Haus gehen und ein wenig | |
| verlottern. Fremd unter den Menschen – das werden sich viele Menschen, die | |
| mit dem Schreiben leben, allein deshalb fühlen, weil sie in ihren kreativen | |
| Phasen so viele gar nicht sehen. | |
| „Man muss sich klar sein, wem man etwas antut, indem man Schriftstellerin | |
| wird“, sagt [3][Annett Gröschner] in dem Café in Berlin-Prenzlauer Berg, | |
| das früher mal der „Torpedokäfer“ war, ein bohemistischer Ostberliner | |
| Literatentreffpunkt. Annett Gröschner ist selbst Schriftstellein („Moskauer | |
| Eis“, „Walpurgistag“) und unterrichtet Kulturjournalisten an der | |
| Universität der Künste Berlin. Ein paar Jahre war sie auch als Dozentin an | |
| der Schreibschule in Hildesheim. Den harschen Satz meint sie auf das | |
| soziale Umfeld der jeweiligen Schriftstellerin oder des Schriftstellers | |
| bezogen und darauf, dass man sich mit dem Beruf in der Regel für ein | |
| ziemlich prekäres Leben entschieden hat. Mit Familie? Annett Gröschner: | |
| „Schwierig.“ | |
| Es klingt überhaupt nicht larmoyant, wenn Annett Gröschner redet, aber die | |
| Rahmenbedingungen bleiben nun einmal die Rahmenbedingungen. „Du musst dir | |
| immer auch überlegen, was gibst du auf für das Schreiben? Will man eine | |
| Familie haben? Will man wirklich abhängig sein von jemandem, der das Geld | |
| nach Hause bringt?“ Und die Frage ist überhaupt schon: Wie lange hält man | |
| durch? | |
| ## Einer im Jahr gewinnt | |
| Das Schreiben, der Kampf mit dem Material und der Stimme, das ist das eine. | |
| Das andere ist, dass es tatsächlich überaus schwer ist, in Deutschland nur | |
| vom Schreiben zu leben. Das schaffen nur die wenigsten. Ein Buchpreisträger | |
| hat mir das einmal vorgerechnet. Von den Honoraren des ausgezeichneten | |
| Romans kann man sich eine kleine Eigentumswohnung kaufen. Okay, das ist | |
| schon mal gut. Aber dann ist Geld auch wieder weg, während die laufenden | |
| Ausgaben bleiben. Nur die allerwenigsten Buchautoren garantieren stabile | |
| Einnahmen über eine längere Zeit. Und wie viele Autorinnen oder Autoren | |
| werden schon Buchpreisträger? Einer im Jahr. | |
| So mit Ende Dreißig, Vierzig wird das echt zu einem Problem. Die Ansprüche | |
| steigen. Man will ja nicht sein ganzes Leben studentisch leben. Die | |
| Familienfrage wird wirklich dringlich. Die Frage kommt auf, was eigentlich | |
| im Alter sein wird. Gleichzeitig haben die Nachwuchsförderprogramme | |
| aufgehört. Das ist dann die Phase, in der viele Autoren aus dem | |
| Schriftstellerleben wieder aussteigen. Sie haben zwei, drei Bücher gemacht, | |
| damit vielleicht auch etwas Erfolg gehabt und Talent bewiesen, aber nun | |
| wenden sie sich einem Plan B zu. Doch noch Lehrerin werden vielleicht. Sich | |
| informieren, ob das noch möglich ist, tun tatsächlich viele. | |
| Annett Gröschner sagt, man braucht schon eine gehörige Portion Trotz, um | |
| immer weiter zu schreiben. Wer sich dafür entscheidet, entscheidet sich für | |
| eine Mischkalkulation. Dass man mit Lesungen Geld verdienen muss, ist eh | |
| klar. Man muss aber auch bei den Preisjurys am Ball bleiben und sich | |
| möglicherweise hier eine Gastdozentur, dort dort eine Übersetzung oder auch | |
| mal einen Reiseführer sichern. Hin und wieder was im Radio. Es gibt auch | |
| immer noch Magazine, die gelegentlich gut bezahlen. So kann man sich seine | |
| Autorenexistenz zurechtzimmern. Mit den Antrieben, die einen einst zum | |
| Schreiben brachten, haben diese Tätigkeiten nicht immer etwas zu tun. Und | |
| man bleibt ein Unternehmer seiner selbst. | |
| ## Die Dramen des Durchhaltens | |
| So stehen im Zentrum eines Schriftstellerlebens: oft Geldsorgen und die | |
| Frage, was man dem Schreiben opfert. Aber die Frage, die Karl-Ove Knausgard | |
| stellte, wie man „dieses Individuelle“ beschreibt, die ist immerhin | |
| unerschöpflich. Die Sache ist ja die, dass man an die Fragen, die einen in | |
| der Jugend bedrängt und möglicherweise zum Schreiben gebracht haben, | |
| souverän erst mit einiger Erfahrung herankommt. Man muss, glaube ich, um | |
| sie gut aufzuschreiben, lange dafür trainiert haben. | |
| Vielleicht sieht man in unserem Literaturbetrieb fast schon ein bisschen | |
| zuviel auf Anfänge und Debütanten – nein, so ist das falsch formuliert, | |
| Anfänge sind oft interessant. Vielleicht sollte man aber mehr auf die | |
| Mechanismen und die psychischen Dramen des Durchhaltens und des | |
| Weitermachens von Schriftstellern achten. | |
| 21 Oct 2016 | |
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