Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hermann Peter Piwitt über das Schreiben: „Die Gruppe 47 war ein …
> Hermann Peter Piwitt über die Qual, Schriftsteller zu sein, die Literatur
> nach dem Krieg und die Hoffnung, Menschen zu erlösen.
Bild: „Dieser Beruf ist so schauerlich“: Der Schriftsteller Hermann Peter P…
taz: Herr Piwitt, altern die Bücher, die man selbst geschrieben hat, mit
einem?
Hermann Peter Piwitt: Ich lese jetzt öfter in meinen Büchern, und jetzt
erst geht mir deren Wert und Qualität auf. Ich bin überrascht, wie viel mir
gelungen ist damals, und wie wenig es gewirkt hat.
Altwerden sei das Dümmste, was einem passieren könne, schreiben Sie – und
dass Sie gern ein bisschen ewig gelebt hätten; sodass wenigstens einigen
Leuten es hätte dämmern können, dass man selbst nicht ganz blöd war.
Das wäre etwas, dass man es schafft, den eigenen Verfall zu beschreiben –
aber dann kommt die Angst vor dem Tod dazu. Doch ich soll ja 90 werden. Das
hat eine Wahrsagerin an meinem Babybett zu meiner Frau Mutter gesagt. Und
nun versuche ich mit Gewalt, 90 zu werden.
Sie sind fast sorglos aufgewachsen.
Ja. Wir haben zunächst in Wohldorf gewohnt, damals vor der Stadt gelegen,
und nachher in Volksdorf in einer großen Villa. Mein Vater war zwar in der
Partei und Leiter der Gemeindedienststelle Volksdorf, aber er war kein
böser Nazi. Ich hatte eine wunderschöne Kindheit die ersten zehn Jahre. Wir
sind geschwommen, wanderten umher, waren ständig draußen. Wir haben gar
nichts mitgekriegt vom Krieg.
Haben Sie sich später mit ihrem Vater über die NS-Zeit auseinandergesetzt?
Er hat Juden ‚rausgelassen. Als einer von ihnen uns später besuchte, waren
meine Eltern überrascht und zugleich auch bewegt. Mein Vater war ein Nazi,
aber auf merkwürdige Weise eben auch ein guter Mensch.
Wie kam es, dass Ihre Familie nach dem Krieg aus Hamburg wegging?
1945 musste mein Vater das große Haus aufgeben, auch beruflich war das ein
Neuanfang. Er bekam nach dem Krieg als Beamter einen Job beim
Bundesrechnungshof. Wir zogen also nach Frankfurt. Das waren harte Jahre –
denn auch, wenn ich gute Freunde fand – schulisch wurde ich mit nichts
fertig.
Aber es war doch eine Zeit des Aufbruchs nach dem Krieg?
Erst viel später ist uns klargeworden, weshalb wir nicht zurechtkamen mit
der Zeit – es waren die 1950er-Jahre! Wir haben sie zwar als demokratische
Schickung empfunden, aber es war eine ziemlich miese, enge Zeit.
Sie studierten in Frankfurt und München und Berlin, genossen die Berliner
Bohème. Wieso kamen Sie 1967 wieder zurück nach Hamburg?
Frankfurt und Berlin habe ich viel mehr geliebt! Der Ankerpunkt hier war
meine alte Mutter, die in Hamburg lebte und die ich besuchte. Vielleicht
stelle ich, bevor ich sterbe, nochmal all‘ die bösen Sachen zusammen, die
gute Leute über Hamburg gesagt haben.
Sie gehörten in Hamburg zum Kreis um den Lyriker und Wortakrobaten Peter
Rühmkorf. Wie politisch und wie konsequent waren die Diskussionen damals?
Rühmkorf hat 1968 mal zu mir gesagt, es sei ungeheuer schwer, jetzt nicht
in die Deutsche Kommunistische Partei, die DKP, zu gehen. Aber mir ist es
gar nicht schwergefallen, nicht in die kommunistische Partei einzutreten,
weil ich da hätte gehorchen und willfährig sein müssen. Das widerstrebte
mir. Es war auch nicht vereinbar mit meinen Studienerfahrungen bei Adorno
und Höllerer – dieses Nicht-Vereinnehmbar-Sein war entscheidend. Ich bin
kein aktiver Mensch, mehr ein Betrachter. Da kann ich kritischer sein und
mehr mitkriegen.
Was hat Sie zum Schreiben gebracht?
Ich kann nichts anderes! Und ist es nicht die Literatur, die das
Unerträgliche erträglich erscheinen lässt?
Sie wollten nicht Teil des literarischen Betriebs sein und haben doch an
diversen Treffen der Gruppe 47 teilgenommen, also eben jenes Kreises, der
über literarische Karrieren mit entschied und Autoren sichtbar und bekannt
machte.
Die Gruppe 47 war ein furchtbarer Sauhaufen. Die waren alle wahnsinnig
eitel und stellten sich immer als die Größten dar. Unerträglich. Gerade die
Jüngeren, die nicht herangekrochen kamen, wurden geduckt und niedergemacht
als Konkurrenten.
Sie waren einer der vielversprechenden Jungstars der bundesdeutschen
Literatur neben Rolf Dieter Brinkmann, Nicolas Born, Peter O. Chotjewitz,
Jürgen Theobaldy. Wie konnte man Souverän der eigenen Wahrnehmungen sein,
sich nicht manipulieren lassen?
Als Schriftsteller, die sich politisch entschieden hatten, mussten wir
ständig damit rechnen, dass wir in Widersprüche gerieten. Zum einen, weil
wir die Oberen nicht anerkannten. Und es gab diesen ständigen Zwiespalt:
nicht überzeugt zu sein von der herrschenden Politik, und dabei auf dem
Uneindeutigen zu beharren – und im eigenen Leben nicht zwiespältig zu
werden.
Angesichts Ihrer so unterschiedlichen Bücher – mögen Sie sich überhaupt an
Ihre frühen Werke erinnern?
Die ersten beiden Romane „Rothschilds“ und „Die Gärten im März“ sind,
glaube ich, sehr gut gelungen und haben auch eine sehr gute Presse gehabt.
Danach habe ich nur noch kurze Sachen geschrieben, weil mir diese lange
Form unheimlich wurde. Ich habe mich auf die kleine Form besonnen. Aber die
war dann nicht gefragt.“
Welche Rolle spielt die Wirklichkeit für Ihr Schreiben?
Die Wirklichkeit in meinen Büchern kommt und geht. Manchmal wende ich mich
ab von ihr und manchmal ziehe ich sie rein und kann mich darüber
begeistern. Die Wirklichkeit ist einfach da. Ich bin jahrelang rumgelaufen
wie unter fremden Wesen, und das habe ich auch beibehalten: Diese
selbstsichere Gleichgültigkeit, die aus den Gesichtern sprach, und dieses
„Nachleben“ dessen, was seit Jahrtausenden vorgelebt wurde. Es hat mit dem
Schriftsteller-Beruf zu tun, dass man sich die Menschen so vorstellen muss,
um sie neu zu zeichnen.
Rührt aus dieser Distanz, dem gelebten Abstand zu den Menschen Ihre
gleichsam entschlackte Prosa und auch Ihr knapper Stil?
Mehr und mehr sich dem Verstummen zu nähern und trotzdem immer wieder
Erzählenswertes zu entdecken, das ist schwer. Dieser Beruf ist so
schauerlich. Ich habe mich oft gefragt, warum quälst Du Dich deshalb? Du
wirst nicht erreichen, dass die Menschen besser werden. Diese
Unbarmherzigkeit gegen sich selbst, die diese Arbeit mit sich bringt, und
die Bitternis, dass man sich zurückgesetzt und kaum gelesen fühlt …
Ist es denn Ihr Anspruch, dass die Menschen besser werden?
Kunst kann die Menschen eine Zeit lang erlösen. Nicht mehr allein zu sein
mit seinen Hoffnungen und Zweifeln – wer wollte das nicht?
Was ist, wenn nichts mehr zu schreiben bleibt?
Ich habe manchmal das Gefühl, ich hätte alles Erzählenswerte gesagt. Du
kannst die nennenswerten Erlebnisse im Leben nur einmal erzählen. Du kannst
sie natürlich aus einer ganz anderen Sicht oder mit anderen Worten nochmal
erzählen – aber in diese Bredouille schien ich zu geraten. Deshalb gibt es
diese Passage in den „Nothelfern“: „Ich habe das alles schon schöner
erzählt vor fünfzig Jahren. Schöner. Oder schlechter. Jetzt, wo ich nicht
mehr ganz bei Sinnen bin, liest es sich so. Ich könnte es auch ganz anders
erzählen. Vielleicht mache ich das auch noch. Ganz ohne Worte.“
27 Jan 2020
## AUTOREN
Frauke Hamann
## TAGS
Nachkriegsliteratur
Schriftsteller
Literatur
Schreiben
Hamburg
deutsche Literatur
Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Wie man Autor wird: Genial ist egal
Viele schreiben, wenn sie jung sind. Oft, um sich selbst zu beschreiben,
entgegen Zuschreibungen von außen. Autor wird, wer damit nicht mehr
aufhören kann.
Das „Spandauer Volksblatt“ in den 60ern: Ein bisschen „New York Times“
Mit Promis wie Günter Grass und Wolfgang Neuss wollte das „Spandauer
Volksblatt“ Springers Quasimonopol in West-Berlin brechen. Es ging nicht
gut.
Gruppe 47: Altrocker auf Abschiedstournee
Die drei Ehrenspielführer der Literaturnationalmannschaft - Günter Grass,
Martin Walser und Joachim Kaiser - erinnerten sich an die Gruppe 47.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.