| # taz.de -- Knausgård-Projekt am Theater Bremen: Drei Jahre Kampf | |
| > Am Theater Bremen geht eine Reihe mit Bearbeitungen der autobiografischen | |
| > Romane des norwegischen Autors Karl Ove Knausgård zu Ende. | |
| Bild: Viele Menschen umgeben im sechsten Teil den Protagonisten Knausgård (Rob… | |
| Bremen taz | Karl Ove Knausgård sitzt an einer langen Tafel, über eine | |
| Ausgabe von „Mein Kampf“ gebeugt. Er referiert wirr über Parallelen | |
| zwischen Adolf Hitler und Anders Breivik – und sich selbst. Seine Frau | |
| Linda unterbricht ihn, auch seine Mutter oder sein Bruder versuchen seinen | |
| Monolog zu stören. Immer mehr Freund*innen und Familienmitglieder stimmen | |
| ein: Es wird laut auf der Bühne. Erst als Knausgård verstummt, tun das auch | |
| alle übrigen. Sein Bruder beginnt zu singen: „Jetzt musst du springen“ von | |
| Element of Crime. | |
| In einem mehr als drei Jahre dauernden Mammutprojekt hat das Theater Bremen | |
| den erfolgreichen sechsbändigen Romanzyklus des norwegischen Autors Karl | |
| Ove Knausgård auf die Bühne gebracht – im Original „Min Kamp“ betitelt,… | |
| Deutsch: „Mein Kampf“, ganz wie einst Hitler also. Die Autorin Juli Zeh | |
| sagte einmal über Knausgårds vorläufiges Hauptwerk: unmöglich, die Bücher | |
| jemandem schmackhaft zu machen, der sie nicht kennt. Alles wird darin genau | |
| beschrieben; auch das Trinken des tausendsten Kaffees noch, mit exakter | |
| Umgebungsbeschreibung und den Lebensumständen, literarisch schön | |
| eingebettet. | |
| Der sechste Band, „Kämpfen“, 2011 im Original erschienen, 2017 auch auf | |
| Deutsch, behandelt die Veröffentlichung von Knausgårds erstem | |
| autobiografischen Buch – und wie er Familie und Freunde so zu öffentlichen | |
| Personen machte, ohne das überhaupt zu wollen. | |
| Der Schauspieler Robin Sondermann, der Regisseur Frank Abt und die | |
| Dramaturgin Viktoria Knotková haben sich in den vergangenen drei Jahren | |
| jedem der sechs Bücher gewidmet. Von Beginn an habe man viel Zeit auf die | |
| Arbeit am Text verwendet, wie Sondermann erzählt. Die drei | |
| Hauptverantwortlichen trafen sich und besprachen, welche Teile des jeweils | |
| aktuellen Bands sie gesondert behandelt sehen wollten. Heraus kamen die | |
| unterschiedlichsten Ideen, die dann ausgehandelt werden mussten. Die | |
| eigentliche Probenzeit sei dann jeweils ziemlich kurz gewesen: gerade mal | |
| sieben bis zehn Tage – eine Herausforderung. | |
| ## Keine Figur bleibt blass | |
| Keine Figur bleibt blass: Die Darstellenden brechen manchmal aus, werden | |
| dann zu Erzählenden nicht nur von Knausgårds Perspektive. Die Inszenierung | |
| bietet ihnen Gelegenheit zu erzählen – und den Protagonisten zu | |
| kritisieren. | |
| Sondermann spielt dabei immer Knausgård, mal verletzlich, mal verzweifelt, | |
| mal wirr (siehe oben). Auch er liest viel, oft in eine Kamera: | |
| Selbstdarstellerisch spricht er dann zur Linse: „Es geht darum wahrgenommen | |
| zu werden“, sagt er etwa, und sein Gesicht wird sechsfach auf eine | |
| Stellwand projiziert – Knausgård scheint überall zu sein, kein Mensch kann | |
| ihm und seinen Büchern entfliehen. | |
| Diesen Eindruck unterstützt das Bühnenbild. Die Hexalogie ist quasi | |
| überall, Knausgårds Bücher liegen in verschiedenen Sprachen an den | |
| unterschiedlichsten Orten auf der Bühne herum, ihre Titel tauchen dann auch | |
| noch in den Projektionen auf und stehen sogar auf Kissen, Einkaufstüten | |
| oder Schallplatten. | |
| ## Gesamte Spielfläche genutzt | |
| Hatte das Haus bei den ersten Bearbeitungen mit wenig Requisite und | |
| minimalistischer Kulisse gearbeitet, wird diesmal fast die gesamte | |
| Spielfläche genutzt. Die Requisiten finden gesammelt in Kämpfen ihre | |
| Verwendung, an jeder Ecke findet sich noch ein weiteres Möbelstück – eine | |
| Couch, Tische, eine Küchenzeile –, liefert weitere Nebenschauplätze. Das | |
| vermittelt ein Gefühl von Chaos: Die Welt des Protagonisten wird immer | |
| größer – so scheint es – und dadurch auch schwieriger zu ordnen. | |
| Auch die Zahl der Mitwirkenden ist gewachsen. Hatte man beim ersten Teil | |
| noch zu viert gespielt, finden sich in „Kämpfen“ nun rund 20 Figuren, mit | |
| denen der Protagonist gezwungen ist zu interagieren – was ihn immer wieder | |
| sichtlich verzweifeln lässt. Besonders hervorzuheben ist das Spiel von | |
| Fania Sorel als Knausgårds zweite Ehefrau Linda: Sie verleiht ihrer Rolle | |
| tiefgehenden Schmerz, lässt uns dabei zusehen, wie sie an der Egomanie | |
| ihres Mannes zerbricht. Auch sie bricht manchmal aus, wird laut, zürnt – um | |
| danach wieder für sich zu sein, nach Geborgenheit sich sehnend. | |
| Bei einer Inszenierung, die soviel Aufmerksamkeit auf die anderen Figuren | |
| richtet, stellt sich die Frage: Darf ein Kunstwerk derart tief in die | |
| Privatsphäre eindringen? „Letzten Endes beschreibt Knausgård seine | |
| Wahrnehmung der ganzen Situation“, sagt Darsteller Sonderman. „Die Frage | |
| ist dann auch, ob in einer soweit durchfiktionalisierten Welt das überhaupt | |
| noch reale Menschen oder bloß noch Charaktere seines Werkes sind.“ | |
| Klar sieht man auch an diesem Abend Knausgård unglaublich viele Tassen | |
| Kaffee trinken. Und klar sieht man ihn weiterhin sich selbst inszenieren. | |
| Auch diese sechste Bearbeitung lässt das Publikum eintauchen in Knausgårds | |
| Leben, ohne dabei die kritische Distanz zu verlieren. Die Inszenierung | |
| fragt: Was darf Literatur – und zu welchem Preis? Das Spannende ist die | |
| Aushandlung: Und dabei kommt, glücklicherweise, nicht nur Knausgård zu | |
| Wort. | |
| 16 Apr 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Florian Maier | |
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