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# taz.de -- Neues Buch von Karl Ove Knausgård: Rückkehr ins 21. Jahrhundert
> Leseglück is over. Knausgård flicht in sein neues Werk „Kämpfen“ neben
> der Familiengeschichte eine Lektüre von Hitlers „Mein Kampf“ ein.
Bild: Der Autor schaut in die unbekannte Ferne
Im letzten Teil von Karl Ove Knausgårds neuem Roman „Kämpfen“ beschreibt
der Norweger, wie er mit seiner Frau Linda spazieren geht. Sie ist mit
einer bipolaren Störung diagnostiziert worden und befindet sich in einer
schweren depressiven Phase, kann sich kaum um die drei Kinder kümmern und
ist am tiefsten Punkt einer lähmenden Verzweiflung angekommen.
Ein Weinkrampf schüttelt sie, er hält sie im Arm, mit Mühe geht das Paar
schließlich weiter. Zeitgleich versucht der zu diesem Punkt schon berühmte
Schriftsteller, den letzten Band seiner autobiografischen Romanreihe
fertigzustellen, den wir nun in den Händen halten. Er endet damit, dass
Knausgård erleichtert feststellt, nun kein Schriftsteller mehr zu sein.
Diese Äußerung ist mit einem Datum versehen, dem September 2011, als
Knausgård die Arbeit an dem Buch beendet.
Seither sind etliche neue Essays, Reportagen und Interviews von ihm
erschienen, wenn auch kein Roman. Wer gefürchtet hatte, nichts mehr von dem
erfolgreichsten norwegischen Autor der Gegenwart lesen zu können, sieht
sich getröstet. Wer gehofft hatte, er würde die Schriftstellerei sein
lassen, wird enttäuscht.
Vor der Lektüre dieses letzten Bandes der Reihe, die in Deutschland nicht
„Mein Kampf“ heißen durfte, wäre es mir leicht gefallen, mich dem ersten
Lager zuzurechnen, nach der Lektüre bin ich mir nicht mehr sicher, denn es
ist in erster Linie ein anstrengender, teilweise ärgerlicher und scheinbar
kaum lektorierter Text. Knausgård liefert hier gewissermaßen einen
Kommentarband zu den vorausgehenden Bänden. Hätte er es gelassen, wäre er
vielleicht Schriftsteller geblieben.
Der herzzerreißende Schluss des Buches erinnerte mich an die Erfahrung mit
dem ersten Band, „Sterben“, und der Begeisterung für den Ausstattungsroman,
der einem dort geschenkt wurde. Die große Entlastung vom eigenen Leben, die
darin liegt, dass einem jemand anderes seines scheinbar vollständig
aufschließt: Komm rein, sei bei mir – gierig habe ich nach dem ersten auch
alle anderen Bände gelesen, in denen Knausgård einem von seinem
Durchschnittsleben erzählt, mit Durchschnittsglück und -unglück. Vor allem
aber erzählte er davon, nötigte einem keine Welterklärung auf. Analysen
kamen vor allem ab dem zweiten Band in versprengten Passagen vor, in denen
er über Fiktion und Authentizität sprach, na gut, da konnte man leicht
drüber hinweglesen.
## Verliebt in Durchschnitt
Es war, wie sich zu verlieben: auf einmal war der Alltag von jemand anderem
interessant. Dramen beginnen, wenn sich dieser Effekt abnutzt, und so
braucht man schon für die ersten 400 Seiten des 1.200 Seiten starken Buches
eine gute Erinnerung an vergangenes Leseglück, um Geduld dafür zu haben,
ein weiteres Mal mit ins Kleinklein des Knausgård’schen Haushalts zu
kommen. Diesmal macht sich die Familie gerade darauf gefasst, eins zu eins
in einem Buch derjenigen Person aufzutauchen, die aus all dem, wofür man
sich dabei schämt, ein literarisches Geschäft machen wird.
Das Geschehen setzt damit ein, dass ein Onkel Knausgårds die
Veröffentlichung des ersten Bandes verhindern will, um das Ansehen der
Familie zu retten, die er als völlig falsch dargestellt betrachtet. Damit
hatte Knausgård offenbar nicht gerechnet, und in langatmigen
Dann-schickte-ich-eine-Mail-und-rief-Geir-an-und-schickte-eine-Mail-an-Tonj
e-und-rief-ich-Geir-an-Passagen lässt sich verfolgen, welchen inneren und
äußeren Aufruhr die romaneske Selbstentblößung des Autors hervorrief. So
weit, so gut.
Es folgt ein knapp 500 Seiten langer Essay namens „Der Name und die Zahl“.
Darin erörtert der 48-Jährige seinen Wirklichkeitsbegriff. Das ist nicht
nur enttäuschend, weil es klingt, als lese man literaturwissenschaftliche
Essays eines fleißigen, aber unbedarften Studenten. Es ist geradezu
haarsträubend, weil sich Knausgård darauf verlegt, den norwegischen Titel
seines Werks, also „Min Kamp“, zu erläutern, indem er Hitlers „Mein Kamp…
einer unstrukturierten, hin und her taumelnden Lektüre unterzieht.
Knausgård will einerseits singularisieren, den Lebenskampf des Einzelnen
als Grund für ein megalomanes Werk darstellen – ob das nun Literatur oder
Massenmord ist, spielt zwar eine Rolle, der Sinn für den Unterschied
entgleitet ihm aber ständig. Andererseits will er generalisieren und
zeigen, dass Hitler eben ein Kind seiner Zeit gewesen sei, „einer von uns“,
wie es an einer Stelle heißt.
## Verstärkter Gruseleffekt
Um diesen Gruseleffekt zu verstärken, werden andere Kinder aus Hitlers Zeit
zitiert, die alle auch irgendwie ähnliche Erfahrungen gemacht haben:
„Hamsun entstammte der Generation von Hitlers Vater und war genauso stur
und autoritär wie dieser, weshalb es einen nicht wundert, dass Hitler
wütend wurde. Kafka, Hitler und Kubin hatten alle Probleme mit der
Autorität ihrer Väter, sie waren Solitäre, litten an einer stärker oder
schwächer ausgebildeten Berührungsangst und hatten beide, jeder auf seine
Weise, Probleme mit Frauen.“
Obwohl sich Knausgård dagegen verwehrt, dass man seine Biografie mit der
Hitlers verschalten könnte, nötigt er einem an Stellen wie dieser
Parallelen zu dem auf, was er in den Bänden „Sterben“, „Lieben“, „Sp…
„Leben“, „Träumen“über sein eigenes Leben mitgeteilt hat. Knausgård …
sich zu wundern, warum der eine Mann mit autoritärem Vater eine
3.600-Seiten-Autobiografie verfasst und der andere zum Massenmörder wird.
Der Norweger sucht nach literarischer Plastizität und will alles
anschaulich werden lassen, sein eigenes Leben ebenso wie das Hitlers.
Die Essaypassage „Der Name und die Zahl“ ist eine Zumutung für alle, die
über die darin behandelten Themen halbwegs informiert sind, und auch für
diejenigen, die darüber nicht informiert sind. Knausgårds Feuerwerk von
Referenzen (u. a. Celan, Heidegger und Levinas) erscheint nicht wie ein
beeindruckender Assoziationsreichtum, für den man mehrere hundert Seiten
braucht.
## Sehnsucht nach Kanon
Es beleuchtet viel mehr eine nicht zu löschende Sehnsucht danach, sich in
einen männlich geprägten literarischen Kanon einzutragen, der allenthalben
aufgerufen wird. Mich überfällt große Ratlosigkeit darüber, dass dieser
fantastische Autor nichts anderes tut, als über seine empfindsame Literatur
eine Parade von Männern trampeln zu lassen, von denen der größte letztlich
immer noch Hitler ist. Knausgård beschäftigt sich hier intensiv mit großen
Namen, diejenigen, die für ihn am größten sind, setzt er jedoch sparsam
ein: Anders Bering Breivik, in dessen Massenmord auf der Insel Utøya
Knausgårds Überlegungen zu Individuum und Gesellschaft kulminieren, wird
dagegen nicht namentlich genannt.
Dabei hat Knausgård in dem Schock, der ihn nach Breiviks monströser Tat
überfällt, erstmals das Gefühl, sich mit der norwegischen Gesellschaft
identifizieren zu können und sich als Teil eines Wir zu fühlen. Es fällt
dafür ein einziges Mal der Name seines Vaters, dem gegenüber er sich nach
der Arbeit an den vorangegangenen Bänden nun als ein eigenständiges Ich
fühlt.
Jemandem einen Namen geben bedeutet hier, ihn in die Wirklichkeit
einzutragen und ihn auf seinen Platz zu verweisen. An dieser Gestaltung der
literarischen Wirklichkeit hat Knausgård mit ganzer Kraft gearbeitet, im
Buch endet sie mit Rückkehr aus dem 20. ins 21. Jahrhundert, in sein
eigenes gewöhnliches Leben. Folgt man ihm dorthin mit enttäuschter Liebe,
ist es erleichternd, dass jetzt Schluss ist.
22 May 2017
## AUTOREN
Hanna Engelmeier
## TAGS
Adolf Hitler
Anders Breivik
Roman
Büro
Literatur
Theater Bremen
Norwegen
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