# taz.de -- Büroroman von Fien Veldman: Allergisch gegen Anstrengung | |
> Diese Angestellte möchte einem Laserdrucker ihre Kindheit erzählen: | |
> „Xerox“ von Fien Veldman ist ein absurder Parcours durch die Arbeitswelt. | |
Bild: Alltag im Büro: Drucken, drucken, drucken | |
Fien Veldmans Roman „Xerox“ arbeitet sich an dem langweiligen Ort par | |
excellence ab: dem Büro. Als Schauplatz öder, sinnentleerter, unerträglich | |
repetitiver und generell nervtötender Arbeit, an dem ein erheblicher Teil | |
moderner Arbeitnehmer*innen einen Großteil ihrer Wachzeit verbringen, | |
ist das Büro Schauplatz der heftigsten Konflikte, die man abseits des | |
Liebes- oder Familienlebens überhaupt noch so erleben kann. | |
Da in der Regel von vornherein feststeht, dass es dabei aber eher um | |
zwischenmenschliches Kleinklein als die ganz großen Fragen geht, liegt auch | |
die Komik als Register nahe, um vom Büroalltag zu erzählen. | |
Veldman steht dabei als Niederländerin in einer großen Tradition: J.J. | |
Voskuil hatte mit seinem [1][siebenbändigen „Das Büro“-Roman] schließlich | |
in proustschen Dimensionen vom Drama der Angestelltenexistenz berichtet. | |
„Xerox“ braucht hingegen nur 223 Seiten, um einen Lebensabschnitt der | |
namenlosen Erzählerin zu schildern, die in einem namenlosen Start-up mit | |
ungenannten Geschäftsfeld in einer namenlosen Großstadt arbeitet: „So fühlt | |
es sich ungefähr an: Ich werde von einer schweren, durchsichtigen | |
Schleimschicht erdrückt, die unseren Planeten bedeckt, und es ist nur eine | |
Frage der Zeit, bis ich ersticke.“ | |
Die Geschichte dieses Ichs ist eine für ihre Generation exemplarische: Ein | |
Arzt diagnostiziert bei ihr eine Allergie gegen übermäßige Anstrengung, | |
viele ihrer 25- bis 30-jährigen Altersgenossen litten daran, teilt er ihr | |
mit. Ungünstig: Denn sie möchte ihre Arbeit doch zumindest so gut machen, | |
dass sie sie nicht verliert und auf ihre Herkunft in einem Vorort | |
zurückgeworfen wird, in dem Sozialkontakte nicht in heiteren Gesprächen wie | |
die zwischen „Sales“ und „Produktmanagement“ bestehen und von interessa… | |
Businesskonzepten handeln. | |
Die Kindheit und Jugend, die es abzuwerfen gilt, ist offen gewalttätig: | |
„Wir reißen einander die Haare büschelweise aus, beschimpfen die Mutter der | |
anderen als Hure, kratzen einander mit scharfen Nägeln, und alles ist | |
Wettkampf: wer zuerst eine Zahnspange bekommt, wer zuerst ihre Tage hat und | |
wer zuerst vergewaltigt wird.“ Die Büroarbeit attackiert die Erzählerin | |
immerhin nur mit langsam zermalmender Geistlosigkeit, der sie lange | |
Gespräche mit einem Drucker entgegensetzt, auf dem sie als | |
Kundendienstmitarbeiterin irgendwelche Briefe ausdruckt. | |
## Strebsame Start-up-Pflanze | |
Diese Gespräche, aus denen sich der Roman teils zusammensetzt, führt sie | |
jedoch nicht nur für den von ihr animistisch geliebten Drucker gut hörbar, | |
sondern auch für ihre Kolleg*innen. In der Annahme, dass nur jemand, der | |
nicht gut beieinander ist, an einem wunderbaren Kundendienstjob leiden | |
könne, wird eine Freistellung ausgesprochen. Aber es nützt nichts, aus dem | |
Büroweirdo wird keine strebsame Start-up-Pflanze mehr. | |
Schwer vorzustellen: Nicht mehr davon zu wollen. Aber die Erzählerin möchte | |
einfach nur einem Laserdrucker ihre Kindheit erzählen: „Ich sehe mich | |
nirgend in zehn Jahren, ich habe keine Zukunftsträume, ich habe kein Ziel | |
außer der Wiedervereinigung mit meinem Gerät. Ich möchte mich nicht | |
verbessern. Ich möchte nur sein. Ich hatte die vage Ambition, irgendwann | |
den Ort zu verlassen, wo ich herkomme, und das ist mir gelungen.“ | |
Veldman gestaltet ihren Roman als absurden Parcours durch eine Arbeitswelt, | |
von der gar nicht mehr erwartet wird, dass sie mehr sein könnte als der | |
Ort, in dem man seine Lebenszeit für das Recht eintauscht, sich als | |
Mitglied der Gesellschaft zu betrachten, die sich anscheinend nur aus | |
Arbeitnehmer*innen zusammensetzen soll. | |
## Wie bei Hitchcock | |
Dabei schickt Veldman ihre Erzählerin auf eine schier unendliche Suche nach | |
dem Verbleib eines Pakets unklaren Inhalts, das zu ihren Händen ans Büro | |
geliefert wurde. Dieses Paket ist ein wahrer McGuffin, wie Alfred Hitchcock | |
in seinen Filmen mysteriöse Objekte nannte, die die gesamte Handlung | |
antreiben und mit der Psyche der Figuren aufreibende Spiele treiben. | |
Wie in einem Hitchcock-Thriller verliert Veldmans Protagonistin bei der | |
Suche nach dem Paket mehrfach beinahe komplett die Nerven. Darüber | |
nachzudenken, dass noch schlechter bezahlte Arbeitskräfte mit noch mehr | |
Mühe an der [2][Auslieferung des Pakets] (es enthält Druckertinte) | |
beteiligt sind, erlaubt Veldman der Erzählerin nicht mehr, legt es aber | |
dafür ihren Leser*innen umso geschickter nahe. | |
„Xerox“ ist ein kurzer Roman über die Arbeitswelt, der mit maliziösem | |
Lächeln erzählt, das niemals zu einer Grimasse wird. Die Festanstellung | |
gerät zum Urteil „lebenslänglich“, und Arbeit wird als ein Prozess | |
kenntlich, der vor allem deshalb belohnt wird, weil man nicht benennt, | |
worum es sich dabei handelt: Bullshit. | |
18 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Hanna Engelmeier | |
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