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# taz.de -- Palästina-Solidarität in Berlin: Gängeln, verbieten – scheitern
> Politik und Polizei gehen mit aller Härte gegen die Palästina-Bewegung
> vor – und schießen damit regelmäßig weit übers Ziel hinaus.
Bild: Kufiya und Polizei: not a match
Berlin taz | Am Samstag war es mal wieder so weit: In Kreuzberg [1][löste
die Polizei eine palästinasolidarische Demo auf]. Das Vorgehen: brutal –
wie eigentlich immer bei Protesten gegen den [2][Krieg in Gaza]. Die
Beamt*innen gingen prügelnd und schubsend in die Menge, unter Anwendung
von Schmerzgriffen nahmen sie Dutzende fest.
Medial war im Nachgang viel von Attacken auf Polizist*innen und
vermeintlich antisemitischen Parolen die Rede. Die anhaltenden Repressionen
gegen die Palästina-Bewegung erregen dagegen kaum Aufsehen.
Dabei fahren Senat, Polizei und Staatsanwaltschaft mit ihrem harten Kurs
regelmäßig gegen die Wand. Die Liste der Beispiele, in denen der Staat
übers Ziel hinausgeschossen sind, ist lang: Gerichte kassieren Auflagen,
sprechen Aktivist*innen frei, kippen Verbote. Und Recherchen decken
auf, dass die Polizei es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Ein
Überblick.
## Eine umstrittene Parole
Bei der Auslegung des Spruchs „From the river to the sea, Palestine will be
free“ herrscht weiterhin Willkür. Auch die Demo am Samstag wurde unter
anderem wegen der Verwendung des Slogans beendet – dabei ist sogar in der
Polizei umstritten, ob es dafür eine Rechtsgrundlage gibt.
Denn so einfach ist die Sache nicht. Zwar hatte das Bundesinnenministerium
2023 verfügt, dass bereits der erste Halbsatz des Spruchs als
Hamas-Kennzeichen gilt. Vor Gericht hat dieser Vorwurf jedoch nicht immer
Bestand. Das liegt auch an einem wissenschaftlichen Gutachten des Berliner
Landeskriminalamts – also von der Polizei selbst. Darin argumentiert die
Sachverständige, dass es sich, anders als vom Innenministerium behauptet,
bei dem Spruch nicht um ein eindeutiges Hamas-Symbol handele. Vielmehr
müsse berücksichtigt werden, dass die Parole zu Anfang für die Errichtung
eines „multiethnischen, säkularen Staates auf dem ehemaligen britischen
Mandatsgebiet Palästina“ gestanden habe.
Auf dieser Grundlage sprach das Amtsgericht Tiergarten im Juni [3][einen
Studenten frei], der den Spruch verwendet hatte. Diesen Mittwoch steht
bereits der nächste Prozess wegen der Parole an. Womöglich bildet sich nun
zumindest in Berlin eine neue Linie bei der Rechtsprechung heraus.
Rechtliche Klarheit dürfte es aber erst geben, wenn Gerichte in höchster
Instanz über den Spruch entschieden haben.
## Erst zuschlagen, dann rechtfertigen
Ein Paradebeispiel dafür, wie die Polizei nicht nur brutal vorgeht, sondern
sich im Anschluss auch die eigene Rechtfertigung zurechtbiegt, lieferte die
sogenannte Nakba-Demo im Mai. Polizist*innen prügelten sich durch den
vorab bereits auf eine Kundgebung beschränkten Protest. Hinterher beklagten
Polizei sowie ihr in Nibelungentreue verbundene Politiker*innen und
Medien einen schwer verletzten Beamten, der, so der Vorwurf, gezielt
angegriffen wurde, womöglich gar mit Tötungsvorsatz.
Dumm nur, dass Videos der Szenerie diese Version widerlegten, wie
[4][zunächst die taz], später auch die [5][Recherchegruppe Forensic
Architecture] zeigten. Viel spricht dafür, dass sich der Polizist bei
unkontrollierten Faustschlägen in Gesichter der Protestierenden selbst die
Hand gebrochen hat. Doch es folgte nicht etwa ein Zurückrudern, gar eine
Entschuldigung. Im Gegenteil: Zwei Monate später durchsuchte die Polizei
Wohnungen zweier Beschuldigter und dreier Zeug:innen. Nur im Nebensatz
wurde erwähnt, dass diese nichts mit dem angeblichen Angriff zu tun hatten.
Dass das Vorgehen gegen Palästina-Proteste kein normales Polizeihandeln
ist, untermauerte auch ein Brief des Menschenrechtskommissars des
Europarats Michael O’Flaherty im Juni an Bundesinnenminister Alexander
Dobrindt (CSU). Darin zeigte sich O’Flaherty „besorgt über Berichte über
übermäßige Gewaltanwendung durch die Polizei gegen Demonstranten“. Er
äußerte zudem seine Besorgnis, dass die [6][verwendete
IHRA-Antisemitismusdefinition] „von einigen deutschen Behörden so ausgelegt
wurde, dass Kritik an Israel pauschal als antisemitisch eingestuft wird“.
Zwar kommt es unzweifelhaft zu Antisemitismus auf Demos, gleichzeitig aber
sind Statistiken über antisemitische Vorfälle wenig aussagekräftig. Im
vergangenen November sprach Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik
Meisel von über 6.000 Ermittlungsverfahren seit dem 7. Oktober 2023
aufgrund antisemitisch motivierter Straftaten, darunter 1.300 wegen
Gewaltdelikten. Eine Anfrage der taz zeigte jedoch: Bei fast 800 der
scheinbar antisemitischen Gewalttaten handelt es sich um Widerstandsdelikte
gegen Polizeibeamte auf Palästina-Demos, bei weiteren 300 um
Landfriedensbruchdelikte.
## Vorsorgliches Redeverbot
Nicht nur bei grundgesetzlich geschützten Demonstrationen, auch bei anderen
Veranstaltungen haben sich Polizei und Staatsanwaltschaft immer wieder mit
vorschnellem Handeln hervorgetan. Als größtes Fiasko für die Staatsmacht
dürfte sich dabei der [7][Umgang mit dem Palästina-Kongress] im Frühling
2024 herausstellen. Bereits im Vorfeld verunglimpft, verhängten
Bundespolizei und Ausländerbehörde zum Teil Einreise- und Auftrittsverbote
gegen angekündigte Redner.
Als dann einer von ihnen live zugeschaltet werden sollte, stürmte die
Polizei den Saal, stellte den Strom ab und beendete die Veranstaltung –
bevor überhaupt jemand eine Straftat begangen hatte. Später kippten
Gerichte mehrere Einreise- und Auftrittsverbote, vor Kurzem etwa das
Betätigungsverbot [8][gegen den britisch-palästinensischen Arzt Ghassan Abu
Sittah].
Auch Francesca Albanese, UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten
Gebiete Palästina, hatte bei ihrem Berlin-Besuch im Februar Probleme,
überhaupt aufzutreten. Ein Vortrag an der Freien Universität wurde nach
politischem Druck abgesagt, ebenso eine weitere Veranstaltung. Am Ende
[9][sprach sie in den Räumen der Zeitung Junge Welt und im Umspannwerk] –
begleitet von einem massiven Polizeiaufgebot.
## Wissenschaft unter Druck
Auch Berlins Universitäten kommen seit dem 7. Oktober nicht zur Ruhe. Die
Polizei ging teils gegen den Willen der Uni-Leitungen hart gegen
Studierendenproteste vor. Zudem übten der Regierende Bürgermeister Kai
Wegner (CDU) und auch Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) mehrmals
massiven Druck aus, Besetzungen gleich räumen zu lassen.
An der Alice-Salomon-Hochschule etwa stand Präsidentin Bettina Völter
Anfang des Jahres wochenlang in der Kritik, [10][weil sie eine Besetzung
geduldet hatte]. An der Humboldt-Universität war im Jahr zuvor eine
Besetzung rabiat geräumt worden. Dabei schlug ein Polizist einen
Journalisten; der Beamte musste später [11][eine Geldstrafe zahlen].
## Das Ausländerrecht als Repressionsinstrument
Gescheitert ist Berlins Innenbehörde mit dem Versuch, [12][vier
nichtdeutsche Palästina-Aktivist*innen abzuschieben]. Ihnen wurde aufgrund
ihrer Teilnahme an einer Uni-Besetzung vorgeworfen, eine Gefahr für die
öffentliche Sicherheit zu sein. Doch mehrere Urteile des
Verwaltungsgerichts im Mai [13][stoppten das Ansinnen], zumindest bis zu
einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren.
Inzwischen versucht sich die Politik an der nächsten umstrittenen Maßnahme.
Demnach sollen sich Personen, die in Berlin eingebürgert werden, [14][zum
Existenzrecht Israels bekennen]. Wegner hatte sich dafür ausgesprochen, die
für Einbürgerungen zuständige Innenverwaltung äußerte Bedenken.
29 Jul 2025
## LINKS
[1] /Christopher-Street-Day-in-Berlin/!6103772
[2] /Schwerpunkt-Nahost-Konflikt/!t5007999
[3] /Student-in-Berlin-nach-Anklage-wegen-Palaestina-Parole-From-the-River-frei…
[4] /Verletzter-Polizist-bei-Nakba-Demo/!6085836
[5] /Nakba-Demo-in-Berlin/!6100599
[6] /Streit-um-Antisemitismus-Definition/!6088800
[7] /Aufloesung-von-Palaestina-Kongress/!6010191
[8] /Palaestina-Kongress-in-Berlin/!6100913
[9] /Vortrag-von-Francesca-Albanese-in-Berlin/!6067148
[10] /Alice-Salomon-Hochschule-Juedische-Studierende-und-Mitarbeitende-verteidi…
[11] /Berliner-Amtsgerichtsentscheidung/!6066398
[12] /Palaestina-Aktivistinnen-in-Berlin/!6077488
[13] /Ausweisung-von-Palaestina-Aktivistinnen/!6086697
[14] /Debatte-ueber-Einbuergerungen/!6098988
## AUTOREN
Hanno Fleckenstein
Erik Peter
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