# taz.de -- Umgang mit Palästina-Parole: Willkür und Rechtsunsicherheit | |
> Weil ein Grundsatzurteil zum „From the River“-Slogan fehlt, kann die | |
> Berliner Polizei propalästinensische Demos quasi nach Belieben | |
> kriminalisieren. | |
Bild: Polizeigewalt bei „Internationalist Queer Pride“: Unter anderem sei d… | |
Und wieder eine Schlappe für Polizei und Staatsanwaltschaft bei der | |
Verfolgung von Palästina-Protesten in Berlin: Am vergangenen Mittwoch | |
[1][weigerte sich das Amtsgericht Tiergarten] erneut, eine Aktivistin wegen | |
der Verwendung der umstrittenen Parole „From the River to the Sea, | |
Palestine will be free“ zu verurteilen. Der Freispruch war bereits der | |
zweite binnen weniger Wochen. Schon Ende Juni [2][hatte das Gericht einen | |
Studenten vom Vorwurf freigesprochen], durch den Spruch Hamas-Propaganda | |
verbreitet zu haben. | |
Die beiden Entscheidungen zeigen: Das vom Bundesinnenministerium im | |
November 2023 verhängte Verbot des Slogans als Kennzeichen der | |
Terrororganisation ist rechtlich und inhaltlich nicht haltbar. Trotzdem | |
sorgt es für [3][Willkür und Rechtsunsicherheit auf Berlins Straßen]. | |
Ein Paradebeispiel dafür lieferte die Solidaritätskundgebung für die | |
Aktivistin am Mittwoch vor dem Gericht in Moabit. Teilnehmer*innen | |
skandierten die Parole und wurden prompt festgenommen, obwohl drinnen | |
wenige Minuten zuvor der Freispruch verhängt worden war. Und erst vor einer | |
Woche hatte die Polizei eine palästinasolidarische Pride-Demo aufgelöst – | |
besser gesagt: [4][zusammengeschlagen] –, weil dort der Spruch zu hören | |
oder zu lesen war. | |
Das Vorgehen von Polizei und Justiz folgt dabei einem altbekannten Muster: | |
Demos werden [5][mit strengen Auflagen belegt] und die Beamt*innen | |
angewiesen, bereits beim kleinsten Verstoß mit aller Härte reinzugehen. | |
Dabei nimmt die pauschale Kriminalisierung des Slogans eine | |
Schlüsselfunktion ein: Dessen Verwendung liefert den Beamt*innen wieder | |
und wieder Anlässe, Versammlungen als vermeintlich antisemitisch und | |
gewalttätig darzustellen und diese zu beenden. | |
## Ein konstruiertes Verbot | |
Dabei war die Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums von vornherein | |
konstruiert – was sich nun in der Rechtsprechung äußert. Denn die Hamas | |
verwendet den Slogan gar nicht vollständig, sondern nur die erste Hälfte, | |
also die Gebietsbeschreibung. Es ist deshalb rechtlich mindestens | |
zweifelhaft, ob die Übernahme des Halbsatzes „From the River to the Sea“ in | |
der Charta der Terrororganisation ausreicht, um diesen als deren | |
Kennzeichen zu erklären. | |
Zudem sind dadurch auch Abwandlungen der Parole vom Verbot getroffen – was | |
absurde Folgen hat. Auch eine Forderung wie „From the River to the Sea, we | |
demand equality“ („Vom Fluss bis zum Meer verlangen wir Gleichheit“) wür… | |
somit als Terrorpropaganda gelten. | |
## Historische Forderung nach Gleichberechtigung | |
Doch auch inhaltlich ist die eindeutige Zuschreibung der Parole zur Hamas | |
nicht haltbar. Sie wird bereits seit den 1960er Jahren von säkularen | |
palästinensischen Nationalist*innen verwendet, die einen | |
demokratischen Staat mit Gleichberechtigung für alle Bürger*innen | |
zwischen Mittelmeer und Jordan fordern. Auch linke jüdisch-israelische | |
Gruppen machen ihn sich zu eigen. Und rechtsextreme israelische Politiker | |
[6][wandeln ihn ab], um ihren expansiven Gebietsanspruch zu untermauern. | |
Der ideologische Hintergrund ist folglich mehr als uneindeutig. Zu dieser | |
Erkenntnis ist inzwischen sogar das Berliner Landeskriminalamt (LKA) in | |
einem internen wissenschaftlichen Gutachten gekommen. Die Behörde | |
widerspricht damit also dem Bundesinnenministerium und konterkariert auch | |
das Vorgehen der Einsatzkräfte auf Berlins Straßen. | |
Das hat Folgen: Als das Gutachten im Juni vor Gericht eingebracht wurde, | |
gab es direkt Freispruch. Die Richterin folgte der Argumentation der | |
Sachverständigen und kritisierte die „Kriminalisierung von politischem | |
Protest“. Ein bemerkenswertes Urteil, schließlich war noch im vergangenen | |
November eine Frau wegen der Äußerung vom Landgericht verurteilt worden. | |
## Ein fataler Schlingerkurs | |
Dieser Schlingerkurs ist für die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit in | |
Berlin fatal. Was helfen würde, wäre höchstrichterliche Rechtsprechung – | |
also wenn endlich ein Verfahren wegen der Verwendung von „From the River to | |
the Sea“ vor dem Bundesgerichtshof oder dem Bundesverfassungsgericht landen | |
und ein richtungsweisendes Urteil fallen würde. | |
Das steht derzeit aber nicht in Aussicht. Ein Anfang wäre deshalb schon | |
getan, wenn Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft endlich von ihrer | |
rigorosen Verfolgung vermeintlicher Aussagedelikte abrücken und legitime | |
Proteste gegen einen mörderischen Krieg und das Aushungern von | |
Zivilist*innen nicht mehr niederknüppeln würden. | |
1 Aug 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Prozess-gegen-Palaestina-Aktivistin/!6099634 | |
[2] /Student-in-Berlin-nach-Anklage-wegen-Palaestina-Parole-From-the-River-frei… | |
[3] /Palaestina-Solidaritaet-in-Berlin/!6099452 | |
[4] /Christopher-Street-Day-in-Berlin/!6103772 | |
[5] /Sprachverbote-auf-Palaestina-Demos/!6064999 | |
[6] https://www.jpost.com/israel-news/ex-minister-gideon-saar-rejects-two-state… | |
## AUTOREN | |
Hanno Fleckenstein | |
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