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# taz.de -- Rechtsextreme Jugendszene: Brutal jung
> Vor den Augen der Sicherheitsbehörden hat sich eine Szene von jungen,
> gewaltbereiten Neonazis etabliert. Sind die Baseballschlägerjahre zurück?
Bild: Aggressive Optik: rechtsextremer Protest am Rande des Christopher Street …
Berlin Der Hinweis erreichte die Polizei an einem Mittwoch Mitte Februar.
Marco S. (Name geändert) aus einem kleinen Ort nahe dem sächsischen Meißen
habe mit Sprengstoff einen Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft begehen
wollen. Der vorgesehene Tatort befinde sich keine 30 Kilometer entfernt,
hinter der sächsischen Landesgrenze in Brandenburg, in Sedlitz bei
Senftenberg. So teilte es der Hinweisgeber mit. Noch am Abend rückte die
Polizei aus und durchsuchte die Wohnung von Marco S. Sie wurde fündig: Bei
dem 21-Jährigen stellten sie zwei Kugelbomben sicher, Schlagringe, Messer,
Munition und Schreckschusswaffen. Der junge Sachse wanderte in Haft, wo er
bis heute sitzt.
Und die Ermittler stellten fest, dass sie auf keinen Unbekannten stießen.
Marco S. soll bereits in der Vergangenheit mit einem Volksverhetzungsdelikt
aufgefallen sein. Zudem bewegte er sich nach taz-Informationen in einer
Gruppe, die die Sicherheitsbehörden zuletzt mehrfach auf Trab hielt: die
Letzte Verteidigungswelle (LVW). Ein Trupp teils sehr junger
Rechtsextremer, der erst vor wenigen Monaten auftauchte, inzwischen aber
Ableger in mehreren Bundesländern hat. Und es ist nicht die einzige schwere
Tat, die der Gruppe vorgeworfen wird.
Bereits im vergangenen Oktober brannte auch der Kultberg in Altdöbern aus,
ein Kulturhaus mit Biergarten, 20 Minuten von Senftenberg entfernt.
Rockkonzerte fanden dort statt, aber auch Vereinstreffen oder Sitzungen der
Gemeindevertretung, ein Jugendklub hatte hier sein Domizil. Der Saal
brannte komplett nieder, es entstand ein Schaden von mehreren
hunderttausend Euro. Als Brandursache gaben Ermittler zunächst einen
technischen Defekt an. Dann aber stießen sie auf ein Video von zwei
15-Jährigen, die sich in der Tatnacht vor dem Brand gefilmt hatten. Bereits
im Februar wurden die Jugendlichen nach Informationen der taz und der Welt
festgenommen. Und auch sie werden der Letzten Verteidigungswelle
zugerechnet. Den Kultberg sollen sie für einen linken Treffpunkt gehalten
haben – was so gar nicht zutrifft.
Die ermittelnde Staatsanwaltschaft Cottbus hält sich zu dem Fall bedeckt.
Eine Sprecherin bestätigt nur Ermittlungen gegen zwei Jugendliche wegen
schwerer Brandstiftung. Eine Anklage stehe aus. Altdöberns Bürgermeister
Peter Winzer, ein SPD-Mann, seit 13 Jahren im Amt, nennt es eine
„Katastrophe“, dass der Kultberg niedergebrannt sei. „Seitdem haben wir
keinen Kulturtreffpunkt mehr.“ Über das Tatmotiv wolle er nicht
spekulieren, solange die Ermittlungen nicht abgeschlossen seien, sagt
Winzer. Unabhängig vom Tatmotiv, sagt Winzer, sollte sich der Vorwurf der
Brandstiftung erhärten, „ist das eine Riesenschweinerei“.
Das Betreiberpaar erklärte nach dem Brand im Oktober, man sei „in tiefer
Trauer“. Seit sechs Jahren hätten die Betreiber ihre „ganze Kraft, unser
Herzblut, viele schlaflose Nächte“ in die Begegnungsstätte investiert. Zur
neuen Wendung, dem wohl rechtsextremen Tatmotiv, äußerten sie sich auf
taz-Anfrage nicht.
Anne Brügmann vom Verein Opferperspektive, der Betroffenen rechter Gewalt
zur Seite steht, ist allerdings in Kontakt mit ihnen. „Für das Paar ist das
ein großer Schock“, sagt Brügmann. „Sie können es immer noch nicht
begreifen, dass sie offenbar von Rechtsextremen ins Visier genommen wurden.
Alles, was sie vor Ort gemacht haben, war normaler Kulturbetrieb.“
Bestätigen sich der Brandanschlag, das vermutete rechte Tatmotiv dahinter
und der Anschlagsplan auf die Senftenberger Asylunterkunft, wären es die
schwersten rechtsextremen Taten in Brandenburg in den vergangenen Jahren.
Auch andernorts verübten junge Neonazis zuletzt schwere Gewalttaten. Es
scheint die nächste Eskalationsstufe einer Szene zu sein, die Mitte
vergangenen Jahres plötzlich bundesweit auftauchte. Zunächst auf
Onlineportalen wie Tiktok oder Instagram präsentierten sich offen Gruppen
wie Jung und Stark, Deutsche Jugend Voran, die Elblandrevolte, Der
Störtrupp, die Chemnitz Revolte – oder eben die Letzte Verteidigungswelle.
Ihre Aktionen planten sie klandestin in geschlossenen Whatsapp-Gruppen. Auf
ihren Fotos zeigen sich junge Rechtsextreme, teils noch im Teenageralter,
in einer Optik wie Neonazi-Skins aus den Neunzigern: Glatze,
Springerstiefel, halb vermummt. Sie formen White-Power-Zeichen mit ihren
Fingern, zeigen Hitlergrüße oder posieren mit Baseballschlägern. Dazu
kommen Aufrufe zum „Zeckenboxen“, wird über Paraden zum queeren Christopher
Street Day als „abnormaler Wanderzirkus“ geätzt.
Und es bleibt nicht bei Parolen im digitalen Raum. Die Jungnazis tauchen
auch auf der Straße auf, bei Szeneaufmärschen oder rechtsextremen Protesten
gegen eben diese CSD-Paraden, bundesweit. Laut des Thinktanks Cemas gelang
es den jungen Neonazi-Gruppen innerhalb weniger Monate, Tausende
Anhänger*innen im Internet und Hunderte auf der Straße zu gewinnen.
Allein zu Protesten gegen CSDs seien die Gruppen in 27 Städten im
vergangenen Jahr aufmarschiert. Rekord waren dabei rund 1.000 Rechtsextreme
in Bautzen. Mehrfach habe die Polizei eingreifen müssen.
Nun scheinen einige in der Szene noch weiter gehen zu wollen. Erleben wir
neue Baseballschlägerjahre?
Schon vor den Taten in Altdöbern und Senftenberg verprügelten Neonazis aus
dem Umfeld der Gruppe Elblandrevolte im Mai 2024 in Dresden [1][den
SPD-Spitzenkandidaten Matthias Ecke zur Europawahl], als dieser nachts
Plakate aufhängte. Ecke wurde so schwer verletzt, dass er ins Krankenhaus
musste. Die Angreifer waren 17 Jahre alt. Kurz darauf wurde auch ein
Grünen-Wahlkämpfer attackiert, ebenfalls in Dresden.
Die Serie setzte sich fort: In Berlin-Lichterfelde griffen junge Neonazis
im Dezember SPDler im Bundestagswahlkampf an; ein Mann wurde zu Boden
gerissen, mit Springerstiefeln wurde auf seinen Kopf und Oberkörper
eingetreten. Bei einem anderen Angriff in der Hauptstadt, am Bahnhof
Ostkreuz, prügelten Vermummte mit Schlagstöcken auf junge Linke ein, die zu
einer Anti-rechts-Demonstration fahren wollten – zwei Opfer mussten ins
Krankenhaus.
Auf 41.406 Delikte stiegen rechtsextreme Straftaten im vergangenen Jahr
nach vorläufigen Zahlen – ein Rekordhoch. Darunter waren 1.443
Gewaltdelikte, auch das ein Rekord. Viele dieser Taten dürften aufs Konto
der jungen Neonazis gehen.
## Schulungen für die Sicherheitsbehörden
Auch der Thinktank Cemas sieht eine Kohorte junger gewaltbereiter Neonazis
im Entstehen, attestiert den Jugendgruppen ein „ernsthaftes
Gefahrenpotenzial“. Sie seien inzwischen stark miteinander vernetzt.
Betreiber der Social-Media-Plattformen müssten konsequenter gegen die
Gruppen vorgehen. Und mögliche Gewaltopfer wie die Teilnehmenden an den
CSD-Paraden müssten konsequent sowohl durch die Polizei wie auch durch die
Arbeit von Beratungsstellen geschützt werden. Auch Schulungen für
Sicherheitsbehörden seien sinnvoll.
Marco A., dem der Anschlagsplan auf die Geflüchtetenunterkunft in
Senftenberg vorgeworfen wird, war ebenfalls zunächst auf Social Media
aktiv. Als Kahlrasierter präsentierte er sich dort, in Springerstiefeln und
Bomberjacke, einen Schlauchschal mit Totenkopf bis zur Nasenspitze gezogen.
Auf Bildern seines sächsischen Ablegers, der Letzten Verteidigungswelle,
zeigen sich ebenfalls schwarz Vermummte, mit Pyrofackel und
Deutschlandfahne. Marco S. nennt sich dort „Gauleiter“. Anders als andere
ist er offenbar schon länger in der Szene aktiv: Schon vor Jahren postete
er ein Foto von einer Demonstration für die Holocaustleugnerin Ursula
Haverbeck. Ein anderes Bild zeigt eine Uniform mit Gewehr. „Bald ist es
wieder soweit“, schreibt der 21-Jährige dazu. Oder an anderer Stelle: „Geht
es ums Sterben, ich bin dabei!“
In seinem Dorf bei Meißen will man davon nichts mitbekommen haben. Der
Ortsbürgermeister sagt, ihm sei Marco A. nie aufgefallen, er kenne ihn
nicht. Auch von der Festnahme habe man nichts bemerkt. Als Bürgermeister
sei er nicht informiert worden.
Der sächsische Verfassungsschutz betont, die Letzte Verteidigungswelle seit
Mitte 2024 im Visier zu haben, so wie auch die anderen neuen
Neonazi-Gruppen. Diese würden sich maßgeblich über Social Media
rekrutieren, zeigten ein „erhöhtes Maß an Aktivismus und Gewaltaffinität�…
Man beobachte das „sehr aufmerksam“. So sei etwa die Chemnitz Revolte
bereits im November als erwiesen rechtsextrem eingestuft worden. Auch aus
dem Brandenburger Innenministerium heißt es, man habe die Gruppen im Blick.
Der Letzten Verteidigungswelle werde in Brandenburg eine niedrige
zweistellige Zahl an Mitgliedern zugerechnet – und mehrere Straftaten.
Inzwischen gibt es Ableger dieser Gruppe nicht nur in Brandenburg und
Sachsen, sondern auch in Mecklenburg-Vorpommern, Hessen und Bayern. „Zu
jeder Zeit Kampf bereit“, lautet einer der Slogans. Und die Ermittler
prüfen, ob auch weitere Angriffe in Südbrandenburg der Verteidigungswelle
zugerechnet werden können. So hatte in Senftenberg erst in der Nacht zum 1.
März eine große Gruppe Vermummter auch den Jugendklub Jamm angegriffen und
ihn mit Steinen beworfen, Augenzeugen hörten „Zecken raus“-Rufe. Als die
Polizei eintraf, waren die Angreifer bereits verschwunden. „Willkommen in
den 90igern“, erklärte das Jamm danach in einer Stellungnahme. Bereits im
November hatten Vermummte im nahen Spremberg einen Angriff auf den
Jugendklub Erebos verübt, sämtliche Fensterscheiben des Klubbüros
zerschlagen, den Außenbereich verwüstet. Zuvor waren am Eingang Hakenkreuze
und der Schriftzug „Nazi Kiez“ gesprayt worden.
Auch die Elblandrevolte tauchte im Februar 2024 zunächst mit
Social-Media-Profilen bei Instagram oder Telegram auf, wo sie immerhin
3.600 Follower:innen hat – als Dresdner Ableger der Jungen
Nationalisten, der Jugendgruppe der Heimat, einst NPD. Die Gruppe
präsentiert sich schwarz gekleidet, geht in Fußballstadien oder auf
Wanderungen in der sächsischen Schweiz, um die „Kameradschaft zu stärken“.
„Das System ist am Ende – wir sind die Wende“, lautet eines ihrer Banner.
Schnell tauchte die Gruppe bei rechtsextremen Aufmärschen und
Montagsprotesten auf, in Dresden oder Heidenau – und bei Gegenprotesten zu
CSD-Paraden in Bautzen, Döbeln oder Görlitz. Proteste, die die
„Elblandrevolte“ maßgeblich mit befeuerte. Die CSD-Teilnehmenden verhöhnt…
sie als „Identitätsgestörte“.
Einer marschierte dabei oft vorneweg, mit Megafon über der Schulter: Finley
Pügner, 18 Jahre, gebürtiger Görlitzer. In Videos der Gruppe wetterte er
gegen „Gender-Propaganda“, posierte neben einem „Remigration“-Banner. S…
Ansage: „Unsere Stadt, unsere Regeln“. Immer wieder scharte Pügner junge
Rechtsextreme um sich, rief in Videos zu Aufmärschen auf. Auch bei einer
Sonnenwendfeier der JN im Juni 2024 im niedersächsischen Eschede war Pügner
mit Elblandrevolte-Leuten dabei. Neonazis marschierten dort mit Trommeln
und Fackeln auf, verbrannten eine meterhohe Rune. Auch zu Vertreter der
rechtsextremen Kleinpartei Freie Sachsen und zum Neonazi-Boxtrupp Kampf der
Nibelungen hat Pügner Kontakt.
Nicht nur der Fall Elblandrevolte zeigt, was die Jungradikalisierten
antreibt. Es sind Social-Media-Gruppen, die zum Eintrittstor werden.
Aufmärsche oder Stadienbesuche, die Gemeinschaft und Action versprechen.
Und es sind oft die Jugendgruppen etablierter Neonazi-Parteien wie die der
Heimat oder des III. Wegs, die Social-Media-Reichweite herstellen,
Erfahrungen für die Organisation von Aktionen weitergeben, zum Bindeglied
zwischen den Gruppen werden. Und die sich selbst Zulauf erhoffen. Was für
die zuvor sieche JN auch klappt: Der sächsische Verfassungsschutz rechnet
der Elblandrevolte, ihrem Dresdener Ableger, inzwischen ein Potenzial von
bis zu 40 Personen zu. Das Bundesamt berichtet von ähnlichen
Reaktivierungen auch in Lüneburg oder Mecklenburg-Vorpommern – nachdem die
Aktivitäten der JN zuvor bereits „zum Erliegen gekommen“ waren.
Die Elblandrevolte zeigt aber auch, wohin die Radikalisierung schnell
führt: zu Gewalt. Noch vor dem Angriff auf Matthias Ecke sollen drei
17-Jährige aus der Gruppe bereits bei zwei Zugfahrten Fahrgäste bedroht und
angegriffen haben. In einem Fall hatten die Opfer versucht, die
Rechtsextremen davon abzuhalten, „Nazi-Zone“-Aufkleber anzubringen. Sie
mussten sich auf eine Zugtoilette flüchten. Es folgten Durchsuchungen, bei
denen auch Schreckschusswaffen gefunden wurden.
## Schlaghandschuhe und Tritte auf der Straße
Auch Anführer Finley Pügner fiel schon 2023 mit Gewalttaten auf. Ende 2024
folgten dann zwei Angriffe auf Linke in Görlitz. Erst wurden am Rande einer
rechten Montagsdemonstration fünf junge Erwachsene bedroht. Kurz vor
Weihnachten attackierten mehrere Vermummte dann eine Gruppe junger Linker
mit Schlaghandschuhen und Tritten nachts auf offener Straße. Zwei Frauen
und ein Mann wurden dabei verletzt, mussten in ein Krankenhaus. Unter den
Angreifern: Finley Pügner – der wenige Tage später in Untersuchungshaft
wanderte. Sechs weitere Rechtsextreme wurden durchsucht, der jüngste erst
16 Jahre alt.
Die JN verharmloste den letzten Angriff in Görlitz als „Rauferei“. Die
Opfer seien „linke Hypochonder“, an Pügner solle ein „Exempel statuiert�…
werden. Samara Schrenk sieht das anders.
Die junge Linken-Politikerin aus Görlitz, die vor Ort mit dem Bündnis Klare
Kante Anti-Nazi-Demos organisiert, gehörte zu den Angegriffenen. Es war
Schrenk, der Finley Pügner im November am Rande der rechten
Montagsdemonstration drohte, sie müsse gar nicht denken, dass er ihr mal
„keine reinschieße, nur weil du eine Fotze bist“. Da könne sie sich „sc…
drauf freuen“. Ein Handy filmte die Szene.
Dann, drei Wochen später, wurde Schrenk mit zwei Begleitern tatsächlich
spätabends unvermittelt angegriffen, zu Boden gestoßen, mit Füßen gegen den
Kopf getreten. Pügner habe sie erkannt, weil sein Schlauchschal
verrutschte, erzählt Schrenk. Parallel wurden ihre Begleiter attackiert, es
flogen Flaschen und Böller, Pfefferspray wurde gesprüht. „Die waren
extremst aggressiv“, sagt Schrenk. „Das war krass: Der hat seine Drohung
wirklich umgesetzt.“
Schrenk erlitt ein Schädelhirntrauma. Das Sicherheitsgefühl, sich frei in
der Stadt oder in Bussen zu bewegen, ist weg. Eigentlich habe sie erwartet,
dass Pügner sofort nach dem Angriff festgenommen werde, sagt die 21-jährige
Pflegerin: „Dass er erst mal wieder laufen gelassen wurde, war eine Farce“.
Erst als der Fall auch überregional Schlagzeilen machte, erfolgte der
Haftbefehl. Dass Pügner im Februar kurzzeitig wieder aus der Haft kam, weil
das Amtsgericht Görlitz keine Fluchtgefahr mehr sah, habe ihr ein mulmiges
Gefühl gegeben, sagt Schrenk. Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft Görlitz
musste Pügner neun Tage später aber zurück in die JVA Görlitz. Die Behörde
betonte, es gehe gar nicht um Fluchtgefahr, sondern um Wiederholungsgefahr.
Darum, dass der 18-Jährige wieder zuschlagen könnte.
Seitdem Pügner in Haft ist, sei es ruhiger in Görlitz, „auch auf den
Straßen“, sagt Schrenk. Die Gefahr durch die Neonazi-Gruppen aber bleibe.
„Die sind ein enormes Risiko. Da müssten die Behörden noch viel mehr Druck
machen und weitere Nazis in die Schranken weisen“, mahnt sie. „Sonst machen
die immer weiter.“ Sie selbst wolle sich durch die Gewalt nicht
unterkriegen lassen. „Ich muss mit der Gefahr leben. Verstummen geht
nicht.“
Der Umgang mit der Haft von Finley Pügner zeigt auch, wie unterschiedlich
die Sicherheitsbehörden mit den gewaltbereiten jungen Rechtsextremen
umgehen. Und auch der Angriff auf den SPD-Mann Matthias Ecke wird in der
jüngst erhobenen Anklage nicht der Elblandrevolte zugerechnet, sondern als
Spontantat dargestellt. Der Prozess wird wegen des jungen Alters der
Beschuldigten vor einem Jugendschöffengericht verhandelt, nichtöffentlich.
Rechtsanwältin Kati Lang, die sowohl Ecke als auch Schrenk vertritt,
kritisiert das Vorgehen. „Es ist gut, dass das Landeskriminalamt die
Ermittlungen zu den Taten übernommen hat“, sagt Lang. Dass die Angriffe
aber immer als Spontantaten bewertet würden, nicht als Gruppendelikte, sei
abwegig. „Hier gibt es ein grundsätzliches Problem. Die Ermittlungsbehörden
bekommen die jungen Neonazis nicht zu fassen“, findet Lang. „Es herrscht
eine gewisse Ahnungslosigkeit, wie sich die Szene heute organisiert.
Digital findet viel zu wenig Aufklärung statt.“
Es gebe eben schon lange nicht mehr feste Kameradschaften, am besten noch
mit Vorstand und Kassenwart, betont Lang. Doch auch die Onlinegruppen seien
organisiert. „Bei den Aufrufen zu Aktionen auf Instagram oder anderswo
verstehen die Adressierten durchaus, was gemeint ist. Es ist ja immer
derselbe Personenkreis, der Stress macht. Und das Resultat ist auch
dasselbe: Gewalt.“ Die Folge, so Lang: Vor den Augen der
Ermittlungsbehörden sei eine neue militante Neonazi-Szene erwachsen.
Das Bundesinnenministerium versichert, dass die Sicherheitsbehörden die
Gruppen „fortlaufend beobachteten“. Die Gruppen hätten zwar zumeist nur
Aktive im niedrigen zweistelligen Bereich, aber ein „hohes
Mobilisierungspotenzial“ und seien zumindest in Teilen
„gewaltbefürwortend“. Gerade die adressierten Minderjährigen seien
besonders anfällig für rechtsextreme Beeinflussung und Radikalisierung.
Rund 30 Mal seien die Jugendgruppen bereits Thema im Gemeinsamen
Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) gewesen, in dem alle
Sicherheitsbehörden zusammensitzen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz
warnt vor den „dynamischen, mobilisierungsfähigen rechtsextremistischen
Gruppierungen“, die auch auf „gewaltorientierte“ Personen zielten.
## Bundesanwaltschaft lässt sich informieren
Tatsächlich hat nach taz-Informationen auch die Bundesanwaltschaft die
Szene inzwischen im Blick, lässt sich über Ermittlungen informieren.
Social-Media-Plattformen reagierten mittlerweile, löschten einige Profile
der Neonazi-Gruppen – dafür kamen neue wieder hinzu. Es ist ein schwer zu
gewinnender Wettlauf.
An einigen Orten griffen Sicherheitsbehörden inzwischen durch. Etwa [2][in
Berlin, wo sich bereits 2024 die Angriffe häuften]. Nach den Attacken auf
Linke am Bahnhof Ostkreuz, auf die SPD-Gruppe in Lichterfelde und auf zwei
weitere Linke, die Antifa-Embleme auf ihrer Kleidung hatten, folgten zwei
Durchsuchungen und Festnahmen. Mit dabei war Julian M., ein 24-jähriger
Polizistensohn und Anführer der Berliner Gruppe Deutsche Jugend Voran, dem
die letzteren Taten vorgeworfen werden. Auch er war auf Social Media aktiv,
stand immer wieder mit Megafon auf der Straße, reiste mit seiner Gruppe
auch zu Aufmärschen in andere Bundesländer.
Vor wenigen Tagen nun begann der Prozess gegen Julian M. vor dem Berliner
Kammergericht. Gleich drei Gewalttaten werden ihm vorgeworfen, begangen
innerhalb nur weniger Wochen. Teils soll er dabei Protektorenhandschuhe
getragen haben, mit denen man härter zuschlagen kann. Einmal habe er einem
Mann erst mit Fäusten und Schlägen aufs Auge traktiert, dann mit einer
ungeladenen Luftdruckpistole gedroht, „ich knall dich ab“. Im Prozess
gestand Julian M. die Taten, gab sich kleinlaut.
Ruhe aber ist in der Hauptstadt nicht eingekehrt: Gerade erst standen hier
an gleich zwei Wochenenden hintereinander Neonazis mit Aufmärschen auf der
Straße – das hatte es lange nicht gegeben. Bundesweit mobilisiert die Szene
weiter.
In Südbrandenburg, in Altdöbern, Senftenberg und Spremberg bleibt
Verunsicherung. Ein Problem sei, dass die Ermittlungsbehörden in den Fällen
wenig transparent kommunizierten, sagt Anne Brügmann von der
Opferperspektive. „Es braucht aber eine konsequente Strafverfolgung.“ Und
es brauche auch klare Signale aus der Politik, dass die Zivilgesellschaft
und Betroffene rechter Gewalt geschützt werden. „Der Einsatz für eine
offene Gesellschaft“, sagt Brügmann, „darf nicht mit Angst und Gewalt
bezahlt werden.“
Mitarbeit: Nils Lenthe
2 Apr 2025
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Konrad Litschko
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