# taz.de -- Rechtsextreme Jugendszene: Brutal jung | |
> Vor den Augen der Sicherheitsbehörden hat sich eine Szene von jungen, | |
> gewaltbereiten Neonazis etabliert. Sind die Baseballschlägerjahre zurück? | |
Bild: Aggressive Optik: rechtsextremer Protest am Rande des Christopher Street … | |
Berlin Der Hinweis erreichte die Polizei an einem Mittwoch Mitte Februar. | |
Marco S. (Name geändert) aus einem kleinen Ort nahe dem sächsischen Meißen | |
habe mit Sprengstoff einen Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft begehen | |
wollen. Der vorgesehene Tatort befinde sich keine 30 Kilometer entfernt, | |
hinter der sächsischen Landesgrenze in Brandenburg, in Sedlitz bei | |
Senftenberg. So teilte es der Hinweisgeber mit. Noch am Abend rückte die | |
Polizei aus und durchsuchte die Wohnung von Marco S. Sie wurde fündig: Bei | |
dem 21-Jährigen stellten sie zwei Kugelbomben sicher, Schlagringe, Messer, | |
Munition und Schreckschusswaffen. Der junge Sachse wanderte in Haft, wo er | |
bis heute sitzt. | |
Und die Ermittler stellten fest, dass sie auf keinen Unbekannten stießen. | |
Marco S. soll bereits in der Vergangenheit mit einem Volksverhetzungsdelikt | |
aufgefallen sein. Zudem bewegte er sich nach taz-Informationen in einer | |
Gruppe, die die Sicherheitsbehörden zuletzt mehrfach auf Trab hielt: die | |
Letzte Verteidigungswelle (LVW). Ein Trupp teils sehr junger | |
Rechtsextremer, der erst vor wenigen Monaten auftauchte, inzwischen aber | |
Ableger in mehreren Bundesländern hat. Und es ist nicht die einzige schwere | |
Tat, die der Gruppe vorgeworfen wird. | |
Bereits im vergangenen Oktober brannte auch der Kultberg in Altdöbern aus, | |
ein Kulturhaus mit Biergarten, 20 Minuten von Senftenberg entfernt. | |
Rockkonzerte fanden dort statt, aber auch Vereinstreffen oder Sitzungen der | |
Gemeindevertretung, ein Jugendklub hatte hier sein Domizil. Der Saal | |
brannte komplett nieder, es entstand ein Schaden von mehreren | |
hunderttausend Euro. Als Brandursache gaben Ermittler zunächst einen | |
technischen Defekt an. Dann aber stießen sie auf ein Video von zwei | |
15-Jährigen, die sich in der Tatnacht vor dem Brand gefilmt hatten. Bereits | |
im Februar wurden die Jugendlichen nach Informationen der taz und der Welt | |
festgenommen. Und auch sie werden der Letzten Verteidigungswelle | |
zugerechnet. Den Kultberg sollen sie für einen linken Treffpunkt gehalten | |
haben – was so gar nicht zutrifft. | |
Die ermittelnde Staatsanwaltschaft Cottbus hält sich zu dem Fall bedeckt. | |
Eine Sprecherin bestätigt nur Ermittlungen gegen zwei Jugendliche wegen | |
schwerer Brandstiftung. Eine Anklage stehe aus. Altdöberns Bürgermeister | |
Peter Winzer, ein SPD-Mann, seit 13 Jahren im Amt, nennt es eine | |
„Katastrophe“, dass der Kultberg niedergebrannt sei. „Seitdem haben wir | |
keinen Kulturtreffpunkt mehr.“ Über das Tatmotiv wolle er nicht | |
spekulieren, solange die Ermittlungen nicht abgeschlossen seien, sagt | |
Winzer. Unabhängig vom Tatmotiv, sagt Winzer, sollte sich der Vorwurf der | |
Brandstiftung erhärten, „ist das eine Riesenschweinerei“. | |
Das Betreiberpaar erklärte nach dem Brand im Oktober, man sei „in tiefer | |
Trauer“. Seit sechs Jahren hätten die Betreiber ihre „ganze Kraft, unser | |
Herzblut, viele schlaflose Nächte“ in die Begegnungsstätte investiert. Zur | |
neuen Wendung, dem wohl rechtsextremen Tatmotiv, äußerten sie sich auf | |
taz-Anfrage nicht. | |
Anne Brügmann vom Verein Opferperspektive, der Betroffenen rechter Gewalt | |
zur Seite steht, ist allerdings in Kontakt mit ihnen. „Für das Paar ist das | |
ein großer Schock“, sagt Brügmann. „Sie können es immer noch nicht | |
begreifen, dass sie offenbar von Rechtsextremen ins Visier genommen wurden. | |
Alles, was sie vor Ort gemacht haben, war normaler Kulturbetrieb.“ | |
Bestätigen sich der Brandanschlag, das vermutete rechte Tatmotiv dahinter | |
und der Anschlagsplan auf die Senftenberger Asylunterkunft, wären es die | |
schwersten rechtsextremen Taten in Brandenburg in den vergangenen Jahren. | |
Auch andernorts verübten junge Neonazis zuletzt schwere Gewalttaten. Es | |
scheint die nächste Eskalationsstufe einer Szene zu sein, die Mitte | |
vergangenen Jahres plötzlich bundesweit auftauchte. Zunächst auf | |
Onlineportalen wie Tiktok oder Instagram präsentierten sich offen Gruppen | |
wie Jung und Stark, Deutsche Jugend Voran, die Elblandrevolte, Der | |
Störtrupp, die Chemnitz Revolte – oder eben die Letzte Verteidigungswelle. | |
Ihre Aktionen planten sie klandestin in geschlossenen Whatsapp-Gruppen. Auf | |
ihren Fotos zeigen sich junge Rechtsextreme, teils noch im Teenageralter, | |
in einer Optik wie Neonazi-Skins aus den Neunzigern: Glatze, | |
Springerstiefel, halb vermummt. Sie formen White-Power-Zeichen mit ihren | |
Fingern, zeigen Hitlergrüße oder posieren mit Baseballschlägern. Dazu | |
kommen Aufrufe zum „Zeckenboxen“, wird über Paraden zum queeren Christopher | |
Street Day als „abnormaler Wanderzirkus“ geätzt. | |
Und es bleibt nicht bei Parolen im digitalen Raum. Die Jungnazis tauchen | |
auch auf der Straße auf, bei Szeneaufmärschen oder rechtsextremen Protesten | |
gegen eben diese CSD-Paraden, bundesweit. Laut des Thinktanks Cemas gelang | |
es den jungen Neonazi-Gruppen innerhalb weniger Monate, Tausende | |
Anhänger*innen im Internet und Hunderte auf der Straße zu gewinnen. | |
Allein zu Protesten gegen CSDs seien die Gruppen in 27 Städten im | |
vergangenen Jahr aufmarschiert. Rekord waren dabei rund 1.000 Rechtsextreme | |
in Bautzen. Mehrfach habe die Polizei eingreifen müssen. | |
Nun scheinen einige in der Szene noch weiter gehen zu wollen. Erleben wir | |
neue Baseballschlägerjahre? | |
Schon vor den Taten in Altdöbern und Senftenberg verprügelten Neonazis aus | |
dem Umfeld der Gruppe Elblandrevolte im Mai 2024 in Dresden [1][den | |
SPD-Spitzenkandidaten Matthias Ecke zur Europawahl], als dieser nachts | |
Plakate aufhängte. Ecke wurde so schwer verletzt, dass er ins Krankenhaus | |
musste. Die Angreifer waren 17 Jahre alt. Kurz darauf wurde auch ein | |
Grünen-Wahlkämpfer attackiert, ebenfalls in Dresden. | |
Die Serie setzte sich fort: In Berlin-Lichterfelde griffen junge Neonazis | |
im Dezember SPDler im Bundestagswahlkampf an; ein Mann wurde zu Boden | |
gerissen, mit Springerstiefeln wurde auf seinen Kopf und Oberkörper | |
eingetreten. Bei einem anderen Angriff in der Hauptstadt, am Bahnhof | |
Ostkreuz, prügelten Vermummte mit Schlagstöcken auf junge Linke ein, die zu | |
einer Anti-rechts-Demonstration fahren wollten – zwei Opfer mussten ins | |
Krankenhaus. | |
Auf 41.406 Delikte stiegen rechtsextreme Straftaten im vergangenen Jahr | |
nach vorläufigen Zahlen – ein Rekordhoch. Darunter waren 1.443 | |
Gewaltdelikte, auch das ein Rekord. Viele dieser Taten dürften aufs Konto | |
der jungen Neonazis gehen. | |
## Schulungen für die Sicherheitsbehörden | |
Auch der Thinktank Cemas sieht eine Kohorte junger gewaltbereiter Neonazis | |
im Entstehen, attestiert den Jugendgruppen ein „ernsthaftes | |
Gefahrenpotenzial“. Sie seien inzwischen stark miteinander vernetzt. | |
Betreiber der Social-Media-Plattformen müssten konsequenter gegen die | |
Gruppen vorgehen. Und mögliche Gewaltopfer wie die Teilnehmenden an den | |
CSD-Paraden müssten konsequent sowohl durch die Polizei wie auch durch die | |
Arbeit von Beratungsstellen geschützt werden. Auch Schulungen für | |
Sicherheitsbehörden seien sinnvoll. | |
Marco A., dem der Anschlagsplan auf die Geflüchtetenunterkunft in | |
Senftenberg vorgeworfen wird, war ebenfalls zunächst auf Social Media | |
aktiv. Als Kahlrasierter präsentierte er sich dort, in Springerstiefeln und | |
Bomberjacke, einen Schlauchschal mit Totenkopf bis zur Nasenspitze gezogen. | |
Auf Bildern seines sächsischen Ablegers, der Letzten Verteidigungswelle, | |
zeigen sich ebenfalls schwarz Vermummte, mit Pyrofackel und | |
Deutschlandfahne. Marco S. nennt sich dort „Gauleiter“. Anders als andere | |
ist er offenbar schon länger in der Szene aktiv: Schon vor Jahren postete | |
er ein Foto von einer Demonstration für die Holocaustleugnerin Ursula | |
Haverbeck. Ein anderes Bild zeigt eine Uniform mit Gewehr. „Bald ist es | |
wieder soweit“, schreibt der 21-Jährige dazu. Oder an anderer Stelle: „Geht | |
es ums Sterben, ich bin dabei!“ | |
In seinem Dorf bei Meißen will man davon nichts mitbekommen haben. Der | |
Ortsbürgermeister sagt, ihm sei Marco A. nie aufgefallen, er kenne ihn | |
nicht. Auch von der Festnahme habe man nichts bemerkt. Als Bürgermeister | |
sei er nicht informiert worden. | |
Der sächsische Verfassungsschutz betont, die Letzte Verteidigungswelle seit | |
Mitte 2024 im Visier zu haben, so wie auch die anderen neuen | |
Neonazi-Gruppen. Diese würden sich maßgeblich über Social Media | |
rekrutieren, zeigten ein „erhöhtes Maß an Aktivismus und Gewaltaffinität�… | |
Man beobachte das „sehr aufmerksam“. So sei etwa die Chemnitz Revolte | |
bereits im November als erwiesen rechtsextrem eingestuft worden. Auch aus | |
dem Brandenburger Innenministerium heißt es, man habe die Gruppen im Blick. | |
Der Letzten Verteidigungswelle werde in Brandenburg eine niedrige | |
zweistellige Zahl an Mitgliedern zugerechnet – und mehrere Straftaten. | |
Inzwischen gibt es Ableger dieser Gruppe nicht nur in Brandenburg und | |
Sachsen, sondern auch in Mecklenburg-Vorpommern, Hessen und Bayern. „Zu | |
jeder Zeit Kampf bereit“, lautet einer der Slogans. Und die Ermittler | |
prüfen, ob auch weitere Angriffe in Südbrandenburg der Verteidigungswelle | |
zugerechnet werden können. So hatte in Senftenberg erst in der Nacht zum 1. | |
März eine große Gruppe Vermummter auch den Jugendklub Jamm angegriffen und | |
ihn mit Steinen beworfen, Augenzeugen hörten „Zecken raus“-Rufe. Als die | |
Polizei eintraf, waren die Angreifer bereits verschwunden. „Willkommen in | |
den 90igern“, erklärte das Jamm danach in einer Stellungnahme. Bereits im | |
November hatten Vermummte im nahen Spremberg einen Angriff auf den | |
Jugendklub Erebos verübt, sämtliche Fensterscheiben des Klubbüros | |
zerschlagen, den Außenbereich verwüstet. Zuvor waren am Eingang Hakenkreuze | |
und der Schriftzug „Nazi Kiez“ gesprayt worden. | |
Auch die Elblandrevolte tauchte im Februar 2024 zunächst mit | |
Social-Media-Profilen bei Instagram oder Telegram auf, wo sie immerhin | |
3.600 Follower:innen hat – als Dresdner Ableger der Jungen | |
Nationalisten, der Jugendgruppe der Heimat, einst NPD. Die Gruppe | |
präsentiert sich schwarz gekleidet, geht in Fußballstadien oder auf | |
Wanderungen in der sächsischen Schweiz, um die „Kameradschaft zu stärken“. | |
„Das System ist am Ende – wir sind die Wende“, lautet eines ihrer Banner. | |
Schnell tauchte die Gruppe bei rechtsextremen Aufmärschen und | |
Montagsprotesten auf, in Dresden oder Heidenau – und bei Gegenprotesten zu | |
CSD-Paraden in Bautzen, Döbeln oder Görlitz. Proteste, die die | |
„Elblandrevolte“ maßgeblich mit befeuerte. Die CSD-Teilnehmenden verhöhnt… | |
sie als „Identitätsgestörte“. | |
Einer marschierte dabei oft vorneweg, mit Megafon über der Schulter: Finley | |
Pügner, 18 Jahre, gebürtiger Görlitzer. In Videos der Gruppe wetterte er | |
gegen „Gender-Propaganda“, posierte neben einem „Remigration“-Banner. S… | |
Ansage: „Unsere Stadt, unsere Regeln“. Immer wieder scharte Pügner junge | |
Rechtsextreme um sich, rief in Videos zu Aufmärschen auf. Auch bei einer | |
Sonnenwendfeier der JN im Juni 2024 im niedersächsischen Eschede war Pügner | |
mit Elblandrevolte-Leuten dabei. Neonazis marschierten dort mit Trommeln | |
und Fackeln auf, verbrannten eine meterhohe Rune. Auch zu Vertreter der | |
rechtsextremen Kleinpartei Freie Sachsen und zum Neonazi-Boxtrupp Kampf der | |
Nibelungen hat Pügner Kontakt. | |
Nicht nur der Fall Elblandrevolte zeigt, was die Jungradikalisierten | |
antreibt. Es sind Social-Media-Gruppen, die zum Eintrittstor werden. | |
Aufmärsche oder Stadienbesuche, die Gemeinschaft und Action versprechen. | |
Und es sind oft die Jugendgruppen etablierter Neonazi-Parteien wie die der | |
Heimat oder des III. Wegs, die Social-Media-Reichweite herstellen, | |
Erfahrungen für die Organisation von Aktionen weitergeben, zum Bindeglied | |
zwischen den Gruppen werden. Und die sich selbst Zulauf erhoffen. Was für | |
die zuvor sieche JN auch klappt: Der sächsische Verfassungsschutz rechnet | |
der Elblandrevolte, ihrem Dresdener Ableger, inzwischen ein Potenzial von | |
bis zu 40 Personen zu. Das Bundesamt berichtet von ähnlichen | |
Reaktivierungen auch in Lüneburg oder Mecklenburg-Vorpommern – nachdem die | |
Aktivitäten der JN zuvor bereits „zum Erliegen gekommen“ waren. | |
Die Elblandrevolte zeigt aber auch, wohin die Radikalisierung schnell | |
führt: zu Gewalt. Noch vor dem Angriff auf Matthias Ecke sollen drei | |
17-Jährige aus der Gruppe bereits bei zwei Zugfahrten Fahrgäste bedroht und | |
angegriffen haben. In einem Fall hatten die Opfer versucht, die | |
Rechtsextremen davon abzuhalten, „Nazi-Zone“-Aufkleber anzubringen. Sie | |
mussten sich auf eine Zugtoilette flüchten. Es folgten Durchsuchungen, bei | |
denen auch Schreckschusswaffen gefunden wurden. | |
## Schlaghandschuhe und Tritte auf der Straße | |
Auch Anführer Finley Pügner fiel schon 2023 mit Gewalttaten auf. Ende 2024 | |
folgten dann zwei Angriffe auf Linke in Görlitz. Erst wurden am Rande einer | |
rechten Montagsdemonstration fünf junge Erwachsene bedroht. Kurz vor | |
Weihnachten attackierten mehrere Vermummte dann eine Gruppe junger Linker | |
mit Schlaghandschuhen und Tritten nachts auf offener Straße. Zwei Frauen | |
und ein Mann wurden dabei verletzt, mussten in ein Krankenhaus. Unter den | |
Angreifern: Finley Pügner – der wenige Tage später in Untersuchungshaft | |
wanderte. Sechs weitere Rechtsextreme wurden durchsucht, der jüngste erst | |
16 Jahre alt. | |
Die JN verharmloste den letzten Angriff in Görlitz als „Rauferei“. Die | |
Opfer seien „linke Hypochonder“, an Pügner solle ein „Exempel statuiert�… | |
werden. Samara Schrenk sieht das anders. | |
Die junge Linken-Politikerin aus Görlitz, die vor Ort mit dem Bündnis Klare | |
Kante Anti-Nazi-Demos organisiert, gehörte zu den Angegriffenen. Es war | |
Schrenk, der Finley Pügner im November am Rande der rechten | |
Montagsdemonstration drohte, sie müsse gar nicht denken, dass er ihr mal | |
„keine reinschieße, nur weil du eine Fotze bist“. Da könne sie sich „sc… | |
drauf freuen“. Ein Handy filmte die Szene. | |
Dann, drei Wochen später, wurde Schrenk mit zwei Begleitern tatsächlich | |
spätabends unvermittelt angegriffen, zu Boden gestoßen, mit Füßen gegen den | |
Kopf getreten. Pügner habe sie erkannt, weil sein Schlauchschal | |
verrutschte, erzählt Schrenk. Parallel wurden ihre Begleiter attackiert, es | |
flogen Flaschen und Böller, Pfefferspray wurde gesprüht. „Die waren | |
extremst aggressiv“, sagt Schrenk. „Das war krass: Der hat seine Drohung | |
wirklich umgesetzt.“ | |
Schrenk erlitt ein Schädelhirntrauma. Das Sicherheitsgefühl, sich frei in | |
der Stadt oder in Bussen zu bewegen, ist weg. Eigentlich habe sie erwartet, | |
dass Pügner sofort nach dem Angriff festgenommen werde, sagt die 21-jährige | |
Pflegerin: „Dass er erst mal wieder laufen gelassen wurde, war eine Farce“. | |
Erst als der Fall auch überregional Schlagzeilen machte, erfolgte der | |
Haftbefehl. Dass Pügner im Februar kurzzeitig wieder aus der Haft kam, weil | |
das Amtsgericht Görlitz keine Fluchtgefahr mehr sah, habe ihr ein mulmiges | |
Gefühl gegeben, sagt Schrenk. Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft Görlitz | |
musste Pügner neun Tage später aber zurück in die JVA Görlitz. Die Behörde | |
betonte, es gehe gar nicht um Fluchtgefahr, sondern um Wiederholungsgefahr. | |
Darum, dass der 18-Jährige wieder zuschlagen könnte. | |
Seitdem Pügner in Haft ist, sei es ruhiger in Görlitz, „auch auf den | |
Straßen“, sagt Schrenk. Die Gefahr durch die Neonazi-Gruppen aber bleibe. | |
„Die sind ein enormes Risiko. Da müssten die Behörden noch viel mehr Druck | |
machen und weitere Nazis in die Schranken weisen“, mahnt sie. „Sonst machen | |
die immer weiter.“ Sie selbst wolle sich durch die Gewalt nicht | |
unterkriegen lassen. „Ich muss mit der Gefahr leben. Verstummen geht | |
nicht.“ | |
Der Umgang mit der Haft von Finley Pügner zeigt auch, wie unterschiedlich | |
die Sicherheitsbehörden mit den gewaltbereiten jungen Rechtsextremen | |
umgehen. Und auch der Angriff auf den SPD-Mann Matthias Ecke wird in der | |
jüngst erhobenen Anklage nicht der Elblandrevolte zugerechnet, sondern als | |
Spontantat dargestellt. Der Prozess wird wegen des jungen Alters der | |
Beschuldigten vor einem Jugendschöffengericht verhandelt, nichtöffentlich. | |
Rechtsanwältin Kati Lang, die sowohl Ecke als auch Schrenk vertritt, | |
kritisiert das Vorgehen. „Es ist gut, dass das Landeskriminalamt die | |
Ermittlungen zu den Taten übernommen hat“, sagt Lang. Dass die Angriffe | |
aber immer als Spontantaten bewertet würden, nicht als Gruppendelikte, sei | |
abwegig. „Hier gibt es ein grundsätzliches Problem. Die Ermittlungsbehörden | |
bekommen die jungen Neonazis nicht zu fassen“, findet Lang. „Es herrscht | |
eine gewisse Ahnungslosigkeit, wie sich die Szene heute organisiert. | |
Digital findet viel zu wenig Aufklärung statt.“ | |
Es gebe eben schon lange nicht mehr feste Kameradschaften, am besten noch | |
mit Vorstand und Kassenwart, betont Lang. Doch auch die Onlinegruppen seien | |
organisiert. „Bei den Aufrufen zu Aktionen auf Instagram oder anderswo | |
verstehen die Adressierten durchaus, was gemeint ist. Es ist ja immer | |
derselbe Personenkreis, der Stress macht. Und das Resultat ist auch | |
dasselbe: Gewalt.“ Die Folge, so Lang: Vor den Augen der | |
Ermittlungsbehörden sei eine neue militante Neonazi-Szene erwachsen. | |
Das Bundesinnenministerium versichert, dass die Sicherheitsbehörden die | |
Gruppen „fortlaufend beobachteten“. Die Gruppen hätten zwar zumeist nur | |
Aktive im niedrigen zweistelligen Bereich, aber ein „hohes | |
Mobilisierungspotenzial“ und seien zumindest in Teilen | |
„gewaltbefürwortend“. Gerade die adressierten Minderjährigen seien | |
besonders anfällig für rechtsextreme Beeinflussung und Radikalisierung. | |
Rund 30 Mal seien die Jugendgruppen bereits Thema im Gemeinsamen | |
Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) gewesen, in dem alle | |
Sicherheitsbehörden zusammensitzen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz | |
warnt vor den „dynamischen, mobilisierungsfähigen rechtsextremistischen | |
Gruppierungen“, die auch auf „gewaltorientierte“ Personen zielten. | |
## Bundesanwaltschaft lässt sich informieren | |
Tatsächlich hat nach taz-Informationen auch die Bundesanwaltschaft die | |
Szene inzwischen im Blick, lässt sich über Ermittlungen informieren. | |
Social-Media-Plattformen reagierten mittlerweile, löschten einige Profile | |
der Neonazi-Gruppen – dafür kamen neue wieder hinzu. Es ist ein schwer zu | |
gewinnender Wettlauf. | |
An einigen Orten griffen Sicherheitsbehörden inzwischen durch. Etwa [2][in | |
Berlin, wo sich bereits 2024 die Angriffe häuften]. Nach den Attacken auf | |
Linke am Bahnhof Ostkreuz, auf die SPD-Gruppe in Lichterfelde und auf zwei | |
weitere Linke, die Antifa-Embleme auf ihrer Kleidung hatten, folgten zwei | |
Durchsuchungen und Festnahmen. Mit dabei war Julian M., ein 24-jähriger | |
Polizistensohn und Anführer der Berliner Gruppe Deutsche Jugend Voran, dem | |
die letzteren Taten vorgeworfen werden. Auch er war auf Social Media aktiv, | |
stand immer wieder mit Megafon auf der Straße, reiste mit seiner Gruppe | |
auch zu Aufmärschen in andere Bundesländer. | |
Vor wenigen Tagen nun begann der Prozess gegen Julian M. vor dem Berliner | |
Kammergericht. Gleich drei Gewalttaten werden ihm vorgeworfen, begangen | |
innerhalb nur weniger Wochen. Teils soll er dabei Protektorenhandschuhe | |
getragen haben, mit denen man härter zuschlagen kann. Einmal habe er einem | |
Mann erst mit Fäusten und Schlägen aufs Auge traktiert, dann mit einer | |
ungeladenen Luftdruckpistole gedroht, „ich knall dich ab“. Im Prozess | |
gestand Julian M. die Taten, gab sich kleinlaut. | |
Ruhe aber ist in der Hauptstadt nicht eingekehrt: Gerade erst standen hier | |
an gleich zwei Wochenenden hintereinander Neonazis mit Aufmärschen auf der | |
Straße – das hatte es lange nicht gegeben. Bundesweit mobilisiert die Szene | |
weiter. | |
In Südbrandenburg, in Altdöbern, Senftenberg und Spremberg bleibt | |
Verunsicherung. Ein Problem sei, dass die Ermittlungsbehörden in den Fällen | |
wenig transparent kommunizierten, sagt Anne Brügmann von der | |
Opferperspektive. „Es braucht aber eine konsequente Strafverfolgung.“ Und | |
es brauche auch klare Signale aus der Politik, dass die Zivilgesellschaft | |
und Betroffene rechter Gewalt geschützt werden. „Der Einsatz für eine | |
offene Gesellschaft“, sagt Brügmann, „darf nicht mit Angst und Gewalt | |
bezahlt werden.“ | |
Mitarbeit: Nils Lenthe | |
2 Apr 2025 | |
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