# taz.de -- Bundesanwaltschaft nimmt Neonazi fest: Nazis im Kinderzimmer | |
> Einer der Anführer ist erst 15 Jahre alt: Die Bundesanwaltschaft geht mit | |
> Festnahmen gegen die Jungnazi-Gruppe „Letzte Verteidigungswelle“ vor. | |
Bild: Nach den Rechten sehen: Polizisten durchsuchen am Mittwoch ein Haus in Al… | |
Berlin taz | Es ist noch nicht so lange her, da postete Lenny M. online | |
noch süße Videos von Katzen und Hunden. Einen Hund nahm der 15-Jährige | |
darauf schmusend in den Arm, in anderen sprach er sich gegen Tierquälerei | |
aus. Zuletzt dann aber änderten sich die Inhalte. Als „German Patriot“ | |
firmierte der Teenager nun online, präsentierte sich als zu allem bereiter | |
Rechtsextremist. Am Mittwochmorgen nun rückte die Bundesanwaltschaft Lenny | |
M. im brandenburgischen Altdöbern an und ließ ihn festnehmen: Sie | |
beschuldigte ihn, Mitanführer einer rechtsterroristischen Gruppe zu sein, | |
[1][der „Letzten Verteidigungwelle“ (LVW)]. Als 15-Jähriger. | |
Neben der Festnahme von Lenny M. erfolgte eine weitere in Altdöbern, von | |
seinem Freund Jerome M., auch er 15 Jahre alt. Dazu gab es Festnahmen drei | |
weiterer Mitglieder der LVW in Mecklenburg-Vorpommern und Hessen. Drei | |
Neonazis der Gruppe saßen wegen begangener Straftaten bereits in U-Haft. | |
All ihnen, der jüngste 14 Jahre alt, der Älteste 21 Jahre, wird nun die | |
Bildung einer Terrorgruppe vorgeworfen. | |
Mit den Festnahmen schaltet sich nun die Bundesanwaltschaft in eine | |
rechtsextreme Szene ein, die sich im Frühjahr vor einem Jahr gebildet | |
hatte: Bundesweit tauchten zuerst auf Social-Media-Plattformen wie Tiktok | |
oder Instagram Gruppen wie „Deutsche Jugend Voran“, „Jung und Stark“, �… | |
Störtrupp“ oder eben die „Letzte Verteidigungswelle“ auf. Aktiv waren do… | |
sehr junge Rechtsextreme, oft noch Teenager. Auf Fotos posierten sie in | |
Springerstiefeln und Bomberjacken, wie in den Neunzigern. Wenig später | |
standen sie auch auf der Straße, bei Aufmärschen oder Störaktionen gegen | |
CSD-Paraden. | |
Dann schritten einige von ihnen auch zur Gewalt, griffen am Rande von | |
Aufmärschen oder Gruppentreffen vermeintliche Linke an. Die „Letzte | |
Verteidigungswelle“ um Lenny M. ging einen anderen Weg: Sie setzten auf | |
Anschläge. | |
## Uniform, Stahlhelm, dazu ein AK-47-Gewehr | |
Die „Letzte Verteidigungswelle“ war erstmals im Frühjahr 2024 aufgetaucht, | |
mit einem Ableger in Mecklenburg-Vorpommern, wo jetzt auch die zwei anderen | |
beschuldigten Anführer festgenommen wurden, Benjamin H. und Jason R. | |
Schnell aber gab es Ableger auch in Sachsen, Brandenburg, Thüringen und | |
Hessen, die wie im Nationalsozialismus als „Gaue“ firmierten, und mehrere | |
interne Chatgruppen. Sicherheitsbehörden rechnen ihr eine Mitgliederzahl in | |
mittlerer zweistelliger Zahl zu. | |
Auf Fotos posierte die Gruppe vermummt, mit Pyrofackel und | |
Deutschlandfahne. „Zu jeder Zeit Kampf bereit“, lautete einer ihrer | |
Slogans. Ihr sächsischer „Gauleiter“ Devin K., der nun auch festgenommen | |
wurde, präsentierte sich als Kahlrasierter, einen Schlauchschal mit | |
Totenkopf bis zur Nasenspitze gezogen. Eines seiner Bilder zeigte eine | |
Uniform und Stahlhelm, dazu ein AK-47-Gewehr: „Bald ist es wieder so weit“, | |
schrieb der 21-Jährige dazu. Oder an anderer Stelle: „Geht es ums Sterben, | |
ich bin dabei!“ | |
Die taz war Anfang April mit die erste, die öffentlich auf die Gruppe | |
aufmerksam machte. Und die Gruppe beließ es nicht bei martialischen | |
Ankündigungen. Am 23. Oktober zogen Lenny M. und Jerome M. nachts in | |
Altdöbern los und legten mit Brandbeschleuniger Feuer an einem örtlichen | |
Kulturhaus, dem Kultberg, den angeblich „Zecken“ betreiben würden. Die | |
beiden filmten sich bei der Tat, das Haus brannte nieder, ein Sachschaden | |
von 500.000 Euro entstand. | |
In dem Gebäudekomplex wohnten auch die Betreiber des Kultberg. Nur durch | |
Zufall seien sie nicht verletzt worden, betont die Bundesanwaltschaft. Für | |
die Tat soll vorab der Hesse Ben-Maxim H., mit 14 Jahren der | |
Gruppenjüngste, eine Rede für ein Video entworfen haben. Mit dem kündigte | |
Lenny M. die Tat an, um andere Mitglieder der „Letzten Verteidigungswelle“ | |
zu Taten zu animieren. Die Betreiber des Kultbergs erklärten nach dem Brand | |
sie seien „in tiefer Trauer“. Ihre „ganze Kraft“ hätten sie in den | |
Begegnungsort gesteckt, in dem sich diverse Vereine trafen. | |
## Versuchter Brandanschlag auf Flüchtlingsunterkunft | |
Und es blieb nicht dabei. Die beiden Thüringer Mitglieder der Gruppe, | |
Claudio S. und Justin W., 18 und 20 Jahre alt, sollen in Schmölln in einer | |
Geflüchtetenunterkunft ein Fenster eingeschlagen und mit einer | |
Feuerwerksbatterie in das Innere des Gebäudes geschossen haben, um einen | |
Brand zu legen. Ein Feuer brach aber nicht aus. An die Unterkunft sprühten | |
die beiden Jungnazis „LVW“, „Ausländer raus“, „Deutschland den Deuts… | |
„NS Gebiet“ und Hakenkreuze. Sie selbst sollen bei der Tat den Hitlergruß | |
gezeigt haben. Im Februar konnte die Polizei sie ermitteln und festnehmen – | |
seitdem saßen sie Haft. | |
Wenig später folgte auch die Festnahme des sächsischen „Gauleiters“ Devin | |
K. Ihm wird vorgeworfen, mit Lenny M. und Claudio S. einen Anschlag auf | |
eine Geflüchtetenunterkunft in Senftenberg geplant zu haben. In Tschechien | |
hatte sich Devin K. dafür bereits zwei Kugelbomben besorgt. Was er nicht | |
wusste: In seine Gruppe hatte sich da bereits eine [2][Reporterin des Stern | |
undercover eingeschleust] und war mit nach Tschechien gefahren – sie warnte | |
die Polizei. Und sie war es auch, die auf ein Video der LVW zum | |
Brandanschlag in Altdöbern hinwies – zuvor waren die Ermittler noch von | |
einem technischen Defekt ausgegangen. Auch Lenny M. und Jerome M. wurden | |
zunächst festgenommen, kurz darauf wegen ihres Alters aber wieder | |
freigelassen. Jetzt sitzen sie wieder ein. | |
Bei den Festnahmen am Mittwoch nun rückten 220 Polizisten aus. Sie | |
beschlagnahmten Handys, auch mehrere Waffenmagazine, Softairwaffen und auch | |
einen granatenähnlichen Gegenstand. Die Bundesanwaltschaft wirft einigen | |
Mitgliedern wegen Anschläge nun auch versuchten Mord sowie die Verabredung | |
zu einem Mord vor. | |
Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) zeigte sich erschüttert, | |
besonders über das junge Alter der Festgenommenen. „Das ist ein | |
Alarmzeichen und es zeigt: Rechtsextremistischer Terrorismus kennt kein | |
Alter.“ Auch der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern Christian Pegel | |
(SPD) warnte vor einer Szene, die „extrem digital und gewaltbereit“ sei. | |
Sein Brandenburger Kollege Frank Stolper attestierte der Szene ebenso eine | |
„hohe Gewaltbereitschaft“. Er hoffe, dass die Festnahmen „eine | |
abschreckende Wirkung“ hätten. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) | |
dagegen äußerte sich vorerst nicht. | |
## Bundesanwalt hat den Fall an sich gezogen | |
Das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum, in dem alle | |
Sicherheitsbehörden sitzen, hatte sich aber laut seines Ministeriums seit | |
Mitte September 5 Mal mit der „Letzten Verteidigungswelle“ beschäftigt. Die | |
Ermittlungen führten zunächst Landeskriminalämter, erst vor wenigen Tagen | |
soll nach taz-Informationen die Bundesanwaltschaft den Fall an sich gezogen | |
haben. | |
Das ist auch ein Zeichen: Denn zuletzt hatten sich schwere Straftaten der | |
jungen Neonazi-Gruppen gehäuft. In Berlin wurden SPD-Lokalpolitiker und | |
Jugendliche angegriffen, die der Antifa zugerechnet wurden. In Sachsen gab | |
es Angriffe auf Linke in Görlitz und den SPD-Mann Matthias Ecke in Dresden. | |
In Gifhorn wurde nach Anti-CSD-Protesten eine junge Frau von Neonazis | |
angegriffen. Erst am Dienstag hatte Dobrindt ein [3][neues Rekordhoch von | |
rechten Gewalttaten] verkündet. | |
Dass sich auch Teenager für Rechtsterror begeistern, ist nicht ganz neu: | |
Schon zuletzt fanden sich einige Jugendliche auch bei Gruppen wie der | |
„Atomwaffen Division“ wieder. Dass diese Kultur nun aber über Tiktok und | |
Instagram eine breite Anhängerschaft findet und einige Jugendliche nun zur | |
Tat schreiten, ist dagegen neu. | |
Der Soziologe und Rechtsextremismus-Experte Matthias Quent sprach am | |
Mittwoch von einer „militanten Massenbewegung“ mit Bezugnahme zum | |
Nationalsozialismus: „In den sozialen Netzwerken haben sich terroraffine | |
Strukturen und Gruppen herausgebildet, die Gewalt gutheißen und | |
vorbereiten.“ Quent attestierte den Gruppen auch ideologische | |
Gemeinsamkeiten mit der AfD, etwa ein „völkischer Kulturpessimismus und die | |
paranoide Vorstellung, man müsse Deutschland vor dem vermeintlichen | |
Untergang retten.“ Innerhalb der Bewegung würden die Mittel der AfD teils | |
allerdings nicht als ausreichend angesehen. Angesichts der Zunahme rechter | |
Gewalt und neuen rechtsterroristischen Zusammenschlüssen forderte Quent | |
weniger finanziellen Druck in der Präventionsarbeit und der politischen | |
Bildung. | |
## Social-Media als Türöffner | |
Die Pädagogin Elisabeth Hell vom Violence Prevention Network, das | |
Rechtsextremen beim Szeneausstieg hilft, erzählte zuletzt der taz, dass es | |
seit der Coronapandemie vermehrt Anfragen zu jungen Menschen gebe. Bei der | |
Radikalisierung spielten vor allem Social-Media-Inhalte eine Rolle als | |
„Door-Opener“ und „erste Berührungspunkte“ mit rechtsextremen Inhalten. | |
„Durch Social Media haben sich die Möglichkeiten, mit rechtsextremen | |
Weltbildern in Kontakt zu kommen, vervielfacht“, sagte Hell. | |
Wenn man sich als junger Mann beispielsweise für das Militär interessiere, | |
gerate man sehr leicht an Tiktok-Accounts, die von rechtsextremen Akteuren | |
betrieben werden – dort werde man dann in Telegram-Kanäle eingeladen, wo | |
rechtsextreme Vernetzung stattfinde – „es gelingt immer wieder, junge | |
Menschen im Internet für Offline-Aktivitäten zu rekrutieren“, sagt Hell. | |
Anhaltspunkte für eine solche Online-Radikalisierung finden sich auch bei | |
den nun Festgenommenen. Bei Lenny M. aus Altdöbern fanden sich in selbst | |
erstellten Hundevideos gegen Tierquälerei auch Sprüche wie „Auschwitz fängt | |
da an, wo einer steht und denkt, es sind ja nur Tiere“. Oder: „Hört auf mit | |
Tierversuchen, nehmt Kinderschänder“. Auch das ein Türöffnerthema, das | |
Rechtsextreme gezielt spielen. Was folgte, war offenbar eine | |
Blitzradikalisierung in den Terror. Die führte den 15-Jährigen und seine | |
rechtsextremen Onlinekumpels nun in Haft – und demnächst in einen | |
Terrorprozess. | |
21 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Rechtsextreme-Jugendszene/!6076353 | |
[2] https://www.stern.de/politik/deutschland/-letzte-verteidigungswelle---stern… | |
[3] /Politisch-motivierte-Kriminalitaet/!6085979 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Gareth Joswig | |
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