# taz.de -- Minister über Angriff in Bad Freienwalde: „Das ist total alarmie… | |
> Nach dem Angriff auf ein demokratisches Fest in Bad Freienwalde sieht | |
> Brandenburgs Innenminister Wilke eine neue Qualität rechter Gewalt – und | |
> verteidigt die Polizei. | |
Bild: Stellt sich nach dem Angriff in Bad Freienwalde vor die Polizei und ist v… | |
taz: Herr Wilke, in Bad Freienwalde griffen [1][offenbar Rechtsextreme, | |
vermummt und mit Schlagstöcken, ein demokratisches Straßenfest an]. Es gab | |
mehrere Verletzte, die Täter entkamen. Erleben wir eine neue Eskalation des | |
Rechtsextremismus in Brandenburg? | |
René Wilke: Ich fürchte, leider ja. Dass sich so etwas im öffentlichen Raum | |
getraut wird, hat es seit Jahren nicht gegeben. Es gab schon vorher | |
Vorfälle, wo es am Rande von solchen Veranstaltungen Störungen gab, das | |
habe ich selbst erlebt. Aber was wir in Bad Freienwalde gesehen haben, hat | |
eine völlig andere Qualität. Und es ist kein Einzelfall. | |
Ich bin ja sofort in die Stadt gefahren und mir haben Teilnehmende der | |
Veranstaltung erzählt, dass sie schon länger ein Unsicherheitsgefühl im | |
öffentlichen Raum haben, dass sie sich dort mulmig fühlen. Und dann hatten | |
wir in den letzten Wochen auch Vorkommnisse in anderen Städten. Das Problem | |
besteht also nicht an einem Ort, sondern ist raumgreifend. Wir erleben ein | |
Phänomen, von dem wir dachten, wir hätten es überwunden. | |
taz: Sie meinen ein Wiedererstarken des Rechtsextremismus – mit oft sehr | |
jungen Agierenden? | |
Wilke: Ja, genau. Dass junge Menschen in dieser Häufigkeit und so früh | |
wieder mit Gewaltbereitschaft auftreten, ist total alarmierend. Es zeigt, | |
wie sehr hier bei einigen etwas beim Aufwachsen schiefläuft. | |
taz: Haben Sie für den Angriff in Bad Freienwalde inzwischen Hinweise auf | |
die Täter? Vor Ort wird etwa die Neonazi-Partei „[2][Der III. Weg]“ | |
verdächtigt. | |
Wilke: Nein. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren, es wurde eine | |
Ermittlungsgruppe gebildet. Es gibt Videoaufnahmen, die ausgewertet werden. | |
Es gab festgestellte Personen im Umfeld des Festes, bei denen geprüft wird, | |
ob sie etwas mit dem Angriff zu tun hatten. Alle wollen, dass es zügig | |
Ermittlungserfolge gibt. | |
taz: Das Bündnis „Bad Freienwalde ist bunt“ beklagt, dass keine Polizei vor | |
Ort war, als der Angriff geschah. Warum war das so? | |
Wilke: Es stimmt nicht, dass keine Polizei vor Ort war. Es gab zwei | |
Streifenwagen direkt vor Ort, ein dritter war im Umfeld. Die Beamten waren | |
zurückhaltend postiert – wie das bei solchen Veranstaltungen auch oft | |
gewünscht ist –, aber sie waren da. Und es gab im Vorfeld keine Hinweise, | |
dass solch ein Angriff stattfinden könnte, keine Aufrufe im Netz oder | |
anderswo. All das fließt in die Lageeinschätzung ein. | |
taz: Aber auch in Brandenburg wurden zuletzt immer wieder CSDs bedroht. Und | |
das Bündnis in Bad Freienwalde berichtet, dass schon frühere | |
Veranstaltungen gestört wurden. | |
Wilke: Wie gesagt: Die Polizei war vor Ort, das zeigen auch | |
Einsatzprotokolle. Und vier Jahre lang fand diese Veranstaltung | |
störungsfrei statt. Es gab keine Hinweise, dass es diesmal anders sein | |
könnte. | |
taz: Aber den Angriff verhinderten die Einsatzkräfte nicht. Und auch die | |
Täter nahmen sie nicht fest. | |
Wilke: Also da stelle ich mich nicht nur aus Prinzip, sondern auch nach | |
dem, was ich vor Ort erlebt habe, sehr schützend vor die Polizei. Hätte | |
diese Veranstaltung komplett abgesichert werden sollen, hätten wir ein | |
Großaufgebot von Polizisten gebraucht und das hätte sich für die | |
Teilnehmenden sicher mindestens unangemessen angefühlt – umso mehr, wenn es | |
im Vorfeld keine Hinweise auf Störungen gab. | |
Zur Wahrheit gehört: Die Polizei muss lageabhängig arbeiten und kann nicht | |
jede Veranstaltung mit einem Großaufgebot hundertprozentig absichern, das | |
würde kein Bundesland hinbekommen. Daher mein Hinweis, dass wir als | |
Gesamtgesellschaft eine solche Entwicklung, egal wo man politisch steht, | |
nicht hinnehmen können. | |
taz: Wie kann der Schutz solcher Veranstaltungen künftig verbessert werden? | |
Wilke: Die Ereignisse von Bad Freienwalde werden in künftige | |
Lagebewertungen mit einfließen. Und dann wird es bei Veranstaltungen nicht | |
überall – ich überspitze – eine Hundertschaft der Polizei geben, aber | |
womöglich mancherorts ein anderes Sicherheitsaufgebot. | |
taz: Sie sind [3][erst seit drei Wochen im Amt], haben nun angekündigt, man | |
müsse sich solcher Gewalt „mit aller Entschiedenheit zur Wehr setzen“. Was | |
heißt das? Schlagen Sie da neue Wege ein? | |
Wilke: In drei Wochen Amtszeit habe ich natürlich noch keine fertige | |
Antwort auf dieses Problem. Aber an sich gibt es ja zwei Grundstrategien: | |
Den Mantel des Schweigens darüber ausbreiten und schnell zum nächsten Thema | |
übergehen, um dem Ort und Thema nicht unnötig Aufmerksamkeit zu | |
verschaffen. Oder: Das Problem offensiv ansprechen, die Bevölkerung dafür | |
sensibilisieren, nichts unter den Teppich kehren. Letzteres ist meine | |
Herangehensweise. Denn wir haben mit der Radikalisierung im Jugendbereich | |
ein Problem, das uns nicht nur die nächsten Wochen und Monate beschäftigen | |
wird, sondern für Jahre. | |
taz: Wie lautet da Ihre bisherige Antwort? | |
Wilke: Es braucht Entschiedenheit von Polizei und Justiz, wo Straftaten | |
geschehen. Aber die Polizei wird das Problem nicht allein lösen können. Sie | |
bekommen ja eher die Auswüchse von entstandenen Problemen zu spüren. Es | |
klingt wie eine Plattitüde, aber das Zauberwort heißt wie immer | |
Präventionsarbeit. Das wird viel Kärrnerarbeit. Wir müssen in der | |
Bildungsarbeit früher ansetzen und an Schulen gehen. Wir müssen dort über | |
Extremismus aufklären und vor allem über die sozialen Medien, und wie dort | |
Inhalte und Symbole einzuordnen sind. Damit die Jugendlichen nicht den | |
falschen Leuten auf den Leim gehen. | |
Das Thema Medienbildung ist bisher völlig unterbelichtet. Die Jugendlichen | |
werden sozialen Medien schutzlos ausgeliefert. Das ist ein Zustand, der so | |
nicht weiter hingenommen werden kann. | |
taz: Sie wollen soziale Medien stärker kontrollieren? | |
Wilke: Ich will erst einmal mehr Aufklärung. Und wir müssen diese Arbeit | |
über die Ministerien und Behörden besser verzahnen. Auch bundesweit, denn | |
das Thema ist keines nur von Bad Freienwalde oder von Brandenburg. Diese | |
Radikalisierungen geschehen überall. Am Ende braucht es eine | |
gesamtgesellschaftliche Antwort, einen starken Konsens, dass diese | |
Ideologie und Gewalt nicht akzeptiert werden, sondern geächtet. | |
taz: Sie wuchsen in Brandenburg auf, erlebten dort die | |
Baseballschlägerjahre. Sind wir wieder an dem Punkt? | |
Wilke: Ja, das hat auch meine Jugend geprägt. Aber ich würde sagen: So weit | |
sind wir heute noch nicht. Aber mir scheint, dass wir von diesen Zuständen | |
auch nicht mehr allzu weit entfernt sind. Was wir aber in den Neunzigern | |
auch erlebt haben, ist, dass sich am Ende eine Bewegung offensiv gegen den | |
Rechtsextremismus gestellt hat und dann Stück für Stück Erfolge erzielt | |
hat. So wird es jetzt auch sein müssen. | |
taz: Heute gibt es auch eine starke AfD, die rechtsextreme Parolen | |
verbreitet. Hat auch sie eine Mitschuld an Taten wie in Bad Freienwalde? | |
Wilke: Ich sehe auf jeden Fall, dass Dinge, die in diesem Land viele Jahre | |
oder Jahrzehnte nicht tolerierbar waren, nun wieder stärker in die | |
Gesellschaft eingewoben werden. Und da ist die AfD vorne mit dran. Das | |
verändert ein gesellschaftliches Klima und das Denken. Und dann werden | |
Dinge erst wieder sagbar – und dann auch machbar. Und dann können auch | |
Täter wie in Bad Freienwalde sich im Glauben wähnen, ihre Tat finde in | |
Teilen der Gesellschaft Unterstützung. Auch das war ein Grund, warum ich | |
sofort nach Bad Freienwalde gefahren bin. Um zu zeigen: So ist es nicht. | |
Wir verurteilen diese Taten aufs Schärfste. Und wir stärken den Betroffenen | |
den Rücken und zeigen, ihr seid nicht allein. | |
17 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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