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# taz.de -- Politischer Einheitsbrei: Plädoyer gegen den Kompromiss
> Demokratie bedeutet Kompromisse machen – dieser Satz gehört zu den
> beliebtesten Politikfloskeln. Er ist gut gemeint, seine Folgen sind aber
> fatal.
Bild: Was war das nochmal mit der Ampel-Regierung?
Demokratie heißt Kompromisse machen. Sie haben diesen Satz in den letzten
Jahren vermutlich sehr oft gehört. Völlig zurecht. Denn natürlich ist
dieser Satz wahr. Er gehört zu den wenigen Politikfloskeln, die
existenzieller für eine Demokratie sind, als ihre Abgedroschenheit vermuten
lässt. Das Besondere an diesem wahren Satz ist aber, dass er auch falsch
ist. Oder besser gesagt: falsch wird, wenn man es mit den Kompromissen
übertreibt.
Man kennt das von Freundschaften: Kompromisse halten gute Beziehungen am
Leben, sie können eine Beziehung aber auch zerstören. Wenn ich jedes Mal
nachgebe, wenn mein Freund lieber zu Hause rumhängen will, statt mit mir
ins Stadion zu gehen, dann habe ich irgendwann keinen Bock mehr auf ihn.
Ich verliere die Lust an unserer Beziehung, weil ich mich zu sehr anpasse.
Und wenn ich mich nicht doch einmal von ihm abgrenze, weiß ich irgendwann
gar nicht mehr, wer ich bin. Ich verliere meine Identität und das macht
mich todunglücklich.
Wenn Kompromisse das Einzige sind, was Demokraten vorzuweisen haben, und
Inhalte in den Hintergrund geraten, erübrigt sich die Demokratie
irgendwann. Die unterkomplexen Standpunkte, die niedere Instinkte
ansprechen, profitieren davon. Die ungemütlichen Standpunkte, die allen
Beteiligten besser täten, ordnen sich ihnen unter. Das feiern die
Beteiligten trotzdem als Erfolg. Dass sich Kevin Kühnert als SPD-Politiker
in einen Mann mit FDP-Parteibuch verliebt hat, ist eine schöne Geschichte.
Aber fehlende Kompromissbereitschaft ist nun wirklich das kleinste Problem
von Sozialdemokraten.
Zum Selbstzweck werden die Kompromisse dabei, weil sie den Eifrigsten nicht
einmal zum Machterhalt dienen. Auch wenn ihre Fanatiker in vollem
Machtbewusstsein schmieden. Weil derjenige, der seinem Kompromisspartner
mit großen Schritten entgegenkommt, am Ende an Macht und Einfluss verliert.
Das sieht man aktuell [1][in den USA], wo sich Kamala Harris und die
Demokraten dem Trump-Lager angebiedert haben und ebenso mit harter
Migrationspolitik für sich geworben haben, statt sich dagegen zu
positionieren. Jetzt lässt der US-Präsident im demokratisch regierten
Kalifornien Abschiebeoperationen durchführen, lässt dabei die Nationalgarde
anrücken, und man fragt sich: Wo sind eigentlich die Parteidemokraten?
Das lässt sich auch in Deutschland beobachten, wo sich fast alle Parteien
[2][in den sogenannten Migrationswahlkampf eingereiht haben], wo
Spitzen-Grüne vorher schon für Verschärfungen des Asylrechts auf
europäischer Ebene geworben haben. Und wo jetzt ein Bundesinnenminister
Schutzsuchende an deutschen Grenzen zurückweisen lässt, und man sich fragt:
Wer braucht Grüne, wenn es die Union schon gibt?
Und was war eigentlich noch mal mit der Ampelregierung, der sogenannten
Fortschrittskoalition, die einst als vielversprechende Kompromissmaschine
gestartet war?
18 Jun 2025
## LINKS
[1] /Proteste-in-Los-Angeles/!6091914
[2] /Parteitag-der-Linken/!6087520
## AUTOREN
Volkan Ağar
## TAGS
Kolumne Postprolet
Demokratie
Kompromiss
Migration
Social-Auswahl
Rechtsextremismus
Donald Trump
Die Linke
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