# taz.de -- Parteitag der Linken: „Wir müssen Leuten Fragen beantworten kön… | |
> Beim Parteitag der Linken in Chemnitz fordert die neue | |
> Bundestagsabgeordnete Maren Kaminski aus Hannover mehr Debatten – auch zu | |
> heiklen Themen. | |
Bild: Erfolg macht glücklich: Die Linke gibt sich ungewohnt harmonisch | |
taz: Beim Parteitag der Linken wurde kaum debattiert. Wieso nicht? | |
Kaminski: Ich glaube, das liegt noch an der [1][Euphorie aus der Wahl]. Und | |
das ist auch völlig in Ordnung. Aber wir dürfen nicht verkennen, dass jetzt | |
die tiefgründige Arbeit anfangen sollte. In Niedersachsen haben wir | |
nächstes Jahr Kommunalwahlen und allein für Hannover reden wir über 600 | |
Leute, die auf Listen kandidieren. Einen Wahlkampf gewinnst Du nicht mit | |
Schlagworten, wir müssen Leuten Fragen beantworten können. | |
Im Bundestagswahlkampf wurden alte Konflikte zurückgestellt und der war | |
erfolgreich. | |
Ja, das klappt vielleicht eine gewisse Zeit, aber irgendwann brechen die | |
wieder durch. Dann muss man die Debatte führen. Jetzt, wo [2][der ganze | |
Wagenknecht-Flügel endlich weg ist], werden wir eine deutlich bessere | |
Debattenkultur haben. | |
Auch beim Nahost-Konflikt? | |
Bei diesem Thema kommt es auf eine gute Vorbereitung an. Da muss man tolle | |
und vor allem gegensätzliche Referentinnen zusammenholen – und sich gewisse | |
Dinge einfach erst einmal anhören. Nur dann kann das schwarz-weiß-Denken | |
überwunden werden. Dabei gibt es [3][unverhandelbare Grundsätze, wie das | |
Existenzrecht Israels und dass wir jeden Antisemitismus verurteilen]. | |
Am Samstagnachmittag stimmte eine Mehrheit der Delegierten in Chemnitz für | |
die umstrittene Antisemitismus-Definition entsprechend der Jerusalem | |
Deklaration. Parteichef Jan van Aken hatte sich unter Verweis auf die | |
wissenschaftliche Forschung dagegen ausgesprochen. | |
Auslöser des Krieges war der terroristische Überfall der Hamas auf Israel. | |
Gleichzeitig verurteile ich die israelische Kriegsführung in Gaza. | |
Netanjahu führt eine knallrechte Regierung an, da gibt es nichts | |
schönzureden. Dass dieser Antrag angenommen wurde, halte ich für einen | |
Fehler, wir hatten in Halle auf dem Parteitag einen guten Kompromiss zum | |
Thema Nahost gefunden. Der ist dadurch infrage gestellt. Wir müssen uns als | |
Partei keiner dieser Definitionen anschließen, wir sollten dazu in der | |
Debatte bleiben. Dass wir über Definitionen, über die | |
Wissenschaftler:innen seit Jahren streiten, auf einem Parteitag in | |
einer Viertelstunde entscheiden, ist der Komplexität des Themas nicht | |
angemessen. | |
Mehr Einigkeit herrscht unter Linken bei der Forderung nach einem | |
AfD-Verbot. Der Verfassungsschutz (VS), [4][der auch Sie persönlich als | |
Linken-Politikerin früher überwacht hat,] hat diese kürzlich als | |
rechtsextremistisch eingestuft. Heidi Reichinnek hat das in ihrer | |
Eröffnungsrede beim Parteitag erwähnt. Wie finden Sie, wenn Linke sich auf | |
den VS beziehen? | |
Dass die AfD rechtsextrem ist, muss uns nicht erst der VS sagen. Den lehne | |
ich rundweg ab. Immer, wenn der rechtsterroristische NSU gemordet hat, war | |
der Verfassungsschutz mit im Raum. Dann mit dem VS zu argumentieren, ist | |
natürlich widersprüchlich. Auch das NPD-Verbot ist ja am VS gescheitert, | |
weil nicht klar war, wo die Arbeit der Nazis aufhört und die des | |
Geheimdienstes anfängt. | |
Die Linke hat viele neue Mitglieder, aber hier sehe ich kaum welche. Das | |
liegt daran, dass sie noch keine Delegierten sind, oder? | |
Doch, teilweise schon. Bei uns aus Niedersachsen sind einige zum zweiten | |
Mal dabei, zum Beispiel weil wir nachgewählt haben, als Leute ausgeschieden | |
sind, gerade die vom BSW. | |
Wie finden Sie, dass einige BSWler jetzt wieder bei der Linken angekrochen | |
kommen? | |
Oh, da bin ich sehr skeptisch. Da muss man gut aufpassen. Es gibt viele, | |
die sich wegen des Misserfolges des BSW ärgern, dass sie von uns | |
weggegangen sind. Das sind bei uns komischerweise auch nur Männer. Die | |
allermeisten von denen möchte ich hier einfach nie wieder sehen. | |
Machen Ihnen die vielen Neuen auch Angst? | |
Ja, weil viele mit einer großen Hoffnung kommen. Bei uns im Kreisverband | |
sind wir von knapp 500 auf mehr als 1.700 angewachsen. Aber das Parteileben | |
ist oft auch sehr starr. Rituale, wie Parteitage, sind vielen Neuen sehr | |
fremd. Und ich habe etwas Sorge, dass manche von frustriert sein könnten, | |
wenn es ihnen nicht schnell genug geht, aber das hat eben auch mit | |
Demokratie zu tun, die braucht Zeit. | |
Im Leitantrag steht: „Die Linke muss sich auch strukturell erneuern“. Was | |
könnte die Partei dafür konkret tun? | |
Wir sollten die Methoden aus dem Wahlkampf auf Dauer weitermachen: | |
Haustürgespräche, Infostände, Campaigning. Denn der Vorwurf, Parteien sähe | |
man immer nur im Wahlkampf, ist ja richtig. | |
Was ist beim Parteitag an struktureller Erneuerung rumgekommen? | |
Nichts. Zumindest nicht im Sinne von Änderungen an der Satzung. | |
Was wollen Sie im Bundestag künftig für eine Aufgabe übernehmen? | |
Ich werde vermutlich Mitglied in diesem Riesenausschuss für Bildung, | |
Familie, Frauen, Senioren und Jugend. Die Bildung hat die Regierung ja | |
zerhackt und in zwei Ressorts verteilt. Jedenfalls möchte ich mich für ein | |
globales Recht auf Bildung einsetzen, also im Bereich der | |
Entwicklungspolitik. Bildung ist in den vielen Kriegs- und Krisengebieten | |
gefährdet, gerade für Mädchen und Frauen. USAID wurde abgeschafft – das ist | |
mit das Bitterste, was für den globalen Süden passieren konnte. Reiche | |
Länder wie wir sollten das kompensieren. Das ist nicht nur eine Frage der | |
Solidarität, soziale Sicherheit ist auch eine Bedingung für Frieden und | |
Stabilität. | |
Wie wollen Sie diese Bundesregierung davon überzeugen? | |
Das wird natürlich schwierig. Ich wundere mich ohnehin, dass sie das | |
Entwicklungsministerium beibehalten, aber ich begrüße das sehr. Wie viel | |
Geld es zur Verfügung haben wird, ist eine andere Frage. | |
Wie war denn das Ankommen im Bundestag für Sie? | |
Ach, ich habe mich total geärgert. Schon im April hätte es eine | |
Sitzungswoche geben sollen, die haben sie wieder weggekegelt. Das fand ich | |
schon frech. Das ist Arbeitsverweigerung. Der Bundestag kann auch tagen, | |
ohne dass eine Regierung steht. Ich bin ungeduldig, dass es endlich | |
losgeht. | |
Darf man auch radikalere Ansätze als Ausschussarbeit von Ihnen erwarten? | |
In Hannover möchte ich zum Beispiel eine Kampagne zur Enteignung eines | |
riesigen Gebäudekomplexes starten. Da gab es mehrere Eigentümerwechsel und | |
das Ding ist über die Jahre immer mehr verfallen. Jetzt gehört es dem | |
Investor Windhorst. Der sollte enteignet werden, da das öffentliche | |
Interesse eindeutig Vorrang hat. Für sowas wie Autobahnen wird ja auch | |
andauernd enteignet. Sinnvoller wäre das meiner Meinung nach, um dringend | |
benötigte Schulen zu bauen. | |
11 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Die-Linke/!6070937 | |
[2] /Spaltung-der-Linkspartei-vollzogen/!5968643 | |
[3] /Linkspartei-und-Nahost-Konflikt/!6003537 | |
[4] /Verfassungsschutzbeobachtung-von-Linken/!5829344 | |
## AUTOREN | |
Lotte Laloire | |
## TAGS | |
Die Linke | |
Parteitag | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Die Linke | |
Die Linke | |
AfD-Verbot | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Parteitag der Linken: Habemus Linke | |
Lässt sich die Linkspartei harmonisch so gut auf Kurs halten, wie sie | |
derzeit erfolgreich unterwegs ist? Analyse eines lebhaften Parteitags. | |
Linksparteitag in Chemnitz: Überwiegend harmonisch | |
Auf ihrem Parteitag geht es der Linkspartei vor allem um | |
Selbstvergewisserung. Doch nicht bei allen Themen herrscht untereinander | |
eitel Sonnenschein. | |
Parteitag der Linkspartei: Nach dem Wunder | |
Die Linkspartei muss angesichts einer dramatisch gewandelten Weltlage neue | |
Antworten finden. Friedensfloskeln reichen nicht aus. | |
Nach Einstufung der AfD als rechtsextrem: Grüne und Linke wollen AfD staatlich… | |
Die PolitikerInnen Clara Bünger und Marcel Emmerich fordern ein Ende | |
staatlicher Gelder für die AfD. Die Partei ist gesichert rechtsextrem. |